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EXPRESS/787: Gewerkschaftliche Initiativen setzen Rüstungskonversion wieder auf Tagesordnung


express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Nr. 6/2017

Wiederbelebung notwendig
Gewerkschaftliche Initiativen setzen Rüstungskonversion wieder auf Tagesordnung

von Anne Rieger


Aufstockung der Wehrhaushalte, steigende Waffenexporte, Ausweitung von »Bündnisverpflichtungen« - all das scheint Normalität, die kaum noch einen Kommentar, noch weniger Bewegung auf die Straße bringt. Fast vergessen sind die Debatten um die Konversion von Rüstungsbetrieben, etwa Lucas Aerospace in England oder VfW Fokker in Speyer. Dabei gab und gibt es viel zu lernen, etwa von den »Arbeitskreisen Alternative Produktion«, von der IGM Küste Anfang der 80er in der Werftenkrise gegründet - auch und gerade für die Beschäftigten in der Rüstungs- oder Atomindustrie hierzulande. Die Gewerkschaften scheinen den Konflikt um Arbeitsplatz'sicherheit' vs. Produktionszwecke jedoch nicht eingehen zu wollen. Doch halt, da ist dieses Gerücht um ein Konversionsprojekt, das die IGM aufgelegt haben soll. Wir mussten lange suchen, um Genaueres darüber zu erfahren. Fündig geworden sind wir weder auf der IGM-Homepage noch bei Vorstandsverantwortlichen, sondern in der »Zeitung gegen den Krieg«. Anne Rieger, selbst Metallerin, hat ihren Text für den express aktualisiert.


»Wir sagen Nein zur Aufrüstung der Bundeswehr, zur Produktion von Kriegswaffen und zu Rüstungsexporten ... Wir fordern stattdessen Abrüstung und die Rüstungs- und Kriegsmilliarden für soziale Zwecke zu verwenden!« Dies forderte die Kreiskonferenz des DGB Kiel im März 2017. Gleichzeitig rief sie alle DGB-Mitglieder auf, sich am Ostermarsch zu beteiligen.


Konversionsprojekt der IG Metall

Schon zuvor hatten die Delegierten des IG Metall-Gewerkschaftstags im Oktober 2015 ein klares Signal ausgesendet: Die Rüstungskonversionsdebatte muss wiederbelebt werden. Bereits im Vorfeld des Kongresses begann in Vertrauenskörpersitzungen, Ortsvorständen und Delegiertenversammlungen die Diskussion. Das Ergebnis waren 24 Anträge zu Konversion und Frieden an den Kongress. Vier Jahre vorher waren es gerade mal drei Anträge gewesen, die damals ohne Diskussion »durchgewunken« wurden. Diesmal positionierten sich mehrere Delegierte in der Debatte eindeutig gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr und für ein Verbot von Waffenexporten. Sie forderten außerdem eine Wiederaufnahme der Diskussion über Rüstungskonversion.

Nach Jahren des Stillstandes hat die Diskussion um Konversion damit in der IG Metall wieder Fahrt aufgenommen. Sie zeigt aber auch das Dilemma der Arbeitskräfte in der Rüstungsbranche als lohnabhängig Beschäftigte in einer privatkapitalistisch organisierten Branche. Ihr Bewusstsein ist geprägt - wie das aller Lohnabhängigen - von der Angst um den Arbeitsplatz. Auch der Spagat der IG Metall als Organisation, die sich »für Frieden, Abrug und Voverstaung« ebenso einsetzt wie für die »wirtschaftlichen und sozialen Interessen ihrer Mitglieder«, wurde in der Debatte und in den Anträgen deutlich. Die Delegierten des Gewerkschaftstages von 2015 forderten u.a., die Rüstungsausgaben deutlich zu senken und einen Konversionsfonds für Projekte zur Rüstungskonversion einzurichten. Gefordert wird aber auch eine Erhöhung des Innovationsfonds des Wirtschaftsministeriums für Diversifikationsprojekte und dabei ein Antragsrecht der IG Metall und der Betriebsräte. Als konkretes Ergebnis des Gewerkschaftstages hat der Vorstand ein Projekt »für Konversion und Diversifikation in Betrieben der wehrtechnischen Industrie« gestartet. »Ziel ist es, Betriebsräte und Belegschaften der Rüstungsindustrie bei der Suche nach anknüpfungsfähigen Produkten für zivile Märkte zu unterstützen« (Brief des IGM Vorstandes an die Geschäftsstellen, Sept. 2016) und als IG Metall den Suchprozess aktiv anzustoßen. Entwickelt werden soll ein betrieblicher Handlungsleitfaden für Innovations- und Diversifikationsprojekte, betriebliche Workshops in Zusammenarbeit mit der IGM sowie ein Strategiepapier auf der Basis der Erfahrungen aus den Workshops.


Bündnispartner

Konversion muss gegen staatliche und wirtschaftliche Interessen durchgesetzt werden. Ende Juni 2016 beschloss der EU-Rat, die EU müsse »eine schlagkräftige europäische Rüstungsindustrie schaffen, die ausschlaggebend dafür ist, dass Europa eigenständig entscheiden und handeln kann.« Die deutsche Regierung ist Treiber dieser Politik, denn Rüstungskonzerne sind an den hohen und nachhaltigen Profiten interessiert. Beschäftigte und ihre Gewerkschaften haben es mit starken Gegenmächten zu tun, wenn sie Rüstungsproduktion in zivile Produktion umgestalten wollen. Deswegen können IG Metall und Rüstungsbeschäftigte nicht allein gelassen werden in ihrem Kampf um Umstellung auf zivile Güter. Sie brauchen Bündnispartner aus der Friedensbewegung und der gesamten Gesellschaft. Konrad Ott, IG Metall-Bevollmächtigter, erklärte auf dem Friedenratschlag Ende 2016: »Die Abhängigkeit und Existenzangst der Beschäftigten darf nicht dazu führen, dass Arbeiter aus Rüstungsbetrieben unter die sprichwörtliche 'Glasglocke' gestellt werden. Anstelle der moralischen Vorwürfe, die nur Ablehnung hervorrufen können, sind die Beschäftigten mit der Problematik und den Widersprüchen von Rüstungsproduktion und dem damit zusammenhängendem Sozialabbau, Massenarbeitslosigkeit, Menschenrechtsverletzungen und Friedensgefährdung zu konfrontieren. Das muss aber auf einer inhaltlichen und solidarischen Diskussionsebene geschehen! Möglichkeiten von Perspektiven und Alternativen, wie man die Rüstungsunabhängigkeit überwinden kann, sind mit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen und nicht gegen sie zu diskutieren.«

Die Forderung, »den Wehretat in einem ersten Schritt einzufrieren und in einem zweiten Schritt pro Jahr um fünf Prozent zu senken, muss wieder auf die Tagesordnung der Friedensbewegung und der Gewerkschaften gestellt werden«, forderte Ott . Die frei werdenden Mittel könnten dann als Friedensdividende für die Rüstungskonversion eingesetzt werden. Für die Beschäftigten, die in den Rüstungsbetrieben ihre Existenzgrundlage haben, kann damit eine Win-Win-Situation geschaffen werden.


Rüstung und Sozialabbau = zwei Seiten einer Medaille

Auch die Kürzungen im Sozial- und Rentenbereich, bei der öffentlichen Infrastruktur wie Schulen, Sportstätten, Bahnstrecken und Straßen oder der Verkauf von Krankenhäusern zeigen, wofür Steuergelder sozial und ökologisch nützlich ausgegeben werden müssten. »Für die Sanierung der Schulen fehlen rund 35 Milliarden Euro, das entspricht in etwa der geplanten Erhöhung der Rüstungsausgaben für ein Jahr und drei Monate«, so Katja Kipping, eine der Vorsitzenden der LINKEN, auf der Pressekonferenz am 20. Februar 2017 zum Rückblick auf die Münchener Sicherheitskonferenz. Sie rechnet vor: »1.250.000 Sozialwohnungen statt 1.775 Schützenpanzer oder 60 Eurofighter« könnten gebaut werden. Bündnisse aus Gesellschaft und Friedensbewegung und Beschäftigten der Rüstungsbranche können zivile Alternativen vorantreiben.

Ausgaben für Bildung, Renten und Gesundheit führen leicht zur Verletzung der EU-Defizitkriterien bei den Staatsausgaben. Für Rüstungsausgaben plant die EU-Kommission einen Umweg: Ein europäischer »Verteidigungsfonds« soll in Zukunft dazu führen, dass wichtige Rüstungsausgaben nicht als Belastung der nationalen Haushalte zu Buche schlagen, so gerald Oberansmeyer.(1)


Zivilklausel

Auch aus den Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen wachsen der Friedensbewegung Bündnispartner zu. Seit 2009 entwickelt sich die Zivilklauselbewegung. Sie fordert friedliche und zivile Hochschulen, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Die Zivilklausel ist eine Selbstverpflichtung von wissenschaftlichen Einrichtungen wie Universitäten, ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen. Bis 2009 hatten sich zwoochschulen dazu verpflichtet, so zum Frieden beizutragen. Mittlerweile sind es 62. »Die Rugsindustrie ist not amused und beklagte 2014, ihre Bedingungen ha sich durch die Ausgrenzung militaher Forschung aufgrund der Erfolge der Zivilklauselbewegung an den Hochschulen deutlich verschlechtert«, so Senta Pineau vom AK Zivilklausel an der Uni Köln auf dem Bundeskongress des linkspartei-nahen Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS).

Eine Ächtung der Profite aus der Waffen- und Rüstungsproduktion kann die Diskussion um zivile Güter statt Waffen wieder beleben. Denn wer Hundefutter produziert, braucht Hunde, wer Waffen produziert, braucht Kriege, sagte ein holländischer Zwangsarbeiter, einst bei Mauser beschäftigt. Es geht darum, gemeinsam Kriege, Rüstungsforschung und -produktion zu verhindern.


Anne Rieger war Zweite Bevollmächtigte der IG Metall in Waiblingen und ist aktiv in der Friedensbewegung in Deutschland und in Österreich.

Der Text ist zuerst erschienen in der »Zeitung gegen den Krieg« Nr. 40, die zum Ostermarsch 2017 erstellt wurde. Die ZgK wird getragen von einem Herausgeberkreis, der sich aus mehreren Persönlichkeiten aus der deutschen Friedensbewegung zusammensetzt. Weitere Informationen: www.zeitung-gegenden-krieg.de


Anmerkung:
(1) Vgl. Gerald Oberansmayr: »Es kann eine Rüstungsrevolution werden« (6. Dezember 2016), Homepage der Solidarwerkstatt, in: www.solidarwerkstatt.at

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express 6/2017 - Inhaltsverzeichnis der Printausgabe
Gewerkschaften Inland
  • Kirsten Huckenbeck: »Schleierhafter Abschluss«
  • Interview mit Roman George und Jürgen Johann: »Burkaverbot per Tarif« - »Purer Rechtspopulismus« oder ein gewerkschaftspolitischer Beitrag zur Säkularisierung?
  • ver.di-Landesbezirksvorstand Hessen: »Keine Tarifierung von Ressentiments!«
  • Erhard Schleitzer: »Kinderarmut, Altersarmut, sinkende Löhne« - Zur Diskussion um die Armutsberichte
  • »Kaum reguläre Jobs« - Böckler Impuls zur Arbeitsmarktbilanz der Hartz-Reformen
  • Anne Rieger: »Wiederbelebung notwendig« - Gewerkschaftliche Initiativen setzen Rüstungskonversion wieder auf die Tagesordnung
  • »20 Jahre kein mensch ist illegal« - Mehr als eine kleine Erfolgsgeschichte
  • Karl Plumba: »Nihilistische Masturbation« - Kommentar zu den jüngsten Anschlägen auf das Bahnnetz
Betriebsspiegel
  • Wittich Rossmann: »Begleitmusik« - Kommentar zum neuen Tarifvertrag der IGM in der Leiharbeit
  • »Jetzt auch in der Fleischindustrie?« - Beratungsprojekt Faire Mobilität bewertet neues Gesetz zur Generalunternehmerhaftung
  • Antipasti: Streik, Streik, Streik
Internationales
  • Pit Wuhrer: »Links gewinnt!« - Die Geburt einer sozialen Bewegung anlässlich der britischen Parlamentswahlen
  • AG Wahlbeobachtung: »Links gewinnt?« - Anmerkungen zum überraschenden Wahlausgang in Großbritannien
  • Ingeborg Wick: »Wachsender Nationalismus in China« - Ein Workshop des Forum Arbeitswelten diskutiert die Folgen für die Arbeiterklasse
Rezension
  • Peter Nowak: »Falsche Ängste?« - Matthias Martin Becker über den Digitalisierungs-Diskurs *

Quelle:
express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Nr. 6/2017, 55. Jahrgang, Seite 8
Herausgeber: AFP e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2017

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