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EXPRESS/788: Burkaverbot per Tarif


express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Nr. 6/2017

Burkaverbot per Tarif
»Purer Rechtspopulismus« oder ein gewerkschaftspolitischer Beitrag zur Säkularisierung?

Interview mit Jürgen Johann und Roman George von Kirsten Huckenbeck


Am 3. März hatten sich GEW, GdP, IG BAU, ver.di und der Beamtenbund mit dem hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU) auf einen Tarifabschluss für die Beschäftigten des Landes Hessen geeinigt. Hessen ist 2003 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ausgetreten. Seitdem gibt es in Hessen einen eigenen Tarifvertrag für die Landesbeschäftigten (TV-H). Die Landesregierung nutzte den tariflosen Zustand, um für neu Eingestellte die Arbeitszeit zu verlängern und die Löhne durch Gesetz festzusetzen - Tarifverhandlungen zum TV gibt es erst seit 2009 wieder. Der Abschluss vom 3. März sieht rückwirkend zum 1. Januar 2017 eine Lohnerhöhung von 2 Prozent und ein Jahr später von 2,2 Prozent vor. Zusätzlich erhalten die Landesbediensteten die Möglichkeit, den Öffentlichen Nahverkehr in Hessen kostenfrei zu nutzen. (Vgl. Rainhard Raika, 11. März 2017 im Online-Forum »Politnetz Darmstadt«) Soweit, so gut. Nebenbei jedoch haben die Gewerkschaften einem »Burkaverbot« per Tarif zugestimmt. Was treibt Gewerkschaften an, einer solchen Regelung zuzustimmen? Wie beurteilen Mitglieder der beteiligten GewerkschafterInnen diese spezielle Interpretation des gesellschaftspolitischen Mandats der Gewerkschaften? Wie wurde das Ergebnis aufgenommen? Das wollten wir von Jürgen Johann, Vorsitzender des ver.di-Bezirks Südhessen, und Roman George, bildungspolitischer Referent beim GEW-Hauptvorstand in Frankfurt a.M. wissen. Das Gespräch führte Kirsten Huckenbeck.


Kirsten Huckenbeck: ver.di Hessen hat per Tarifvertrag einem Burkaverbot für die Landesbediensteten zugestimmt: Wie kam es zu diesem Tarifinhalt, und warum hat ver.di einer tariflichen Regelung zugestimmt, statt dies dem Gesetzgeber zu überlassen?

Jürgen Johann: Die Situation war so: Der Innenminister kam in die Tarifverhandlungen mit der Ankündigung, dass dies die Bedingung für einen Abschluss sei. Dafür gab es ein Gegenangebot - das Jobticket für alle Landesbediensteten, also ein hessenweit gültiges Ticket, auf ein Jahr befristet, mit dem die Beschäftigen sowohl privat als auch beruflich, unter der Woche und an den Wochenenden den öffentlichen Nahverkehr nutzen können - quer durch Hessen, teilweise auch über die Landesgrenzen hinaus, je nach Wohn- und Arbeitsort.

Die Tarifkommissionen der Gewerkschaften, die an dem Abschluss beteiligt waren, also von ver.di, GEW, IG BAU, GdP und Beamtenbund, haben dem Abschluss zugestimmt - soweit ich weiß, überall mit großen Mehrheiten. Bei uns in ver.di haben dann in der obligatorischen Mitgliederbefragung 92 Prozent dem Verhandlungsergebnis zugestimmt.

Kirsten Huckenbeck: Roman, wie stand die GEW, die auch mit am Verhandlungstisch saß, zu diesem »Verhandlungsangebot«?

Roman George: Auch die GEW Hessen hat dem Tarifergebnis inklusive des Verbots der Gesichtsverhüllung letztendlich zugestimmt. Innenminister Beuth hat diese Forderung einige Zeit vor der entscheidenden Verhandlungsrunde aus dem Hut gezaubert. Das kam für die Gewerkschaften vollkommen überraschend, da bislang kein einziger Konfliktfall im Zusammenhang mit einer etwaigen Vollverschleierung von Landesangestellten bekannt ist. Nachdem die Gewerkschaften in den Verhandlungen zunächst ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht hatten, da es sich hier ganz offensichtlich um einen allein parteipolitisch motivierten Vorstoß handelte, spielte das Thema im weiteren Verhandlungsverlauf keine Rolle mehr. Nachdem das insgesamt als positiv erachtete materielle Ergebnis erzielt wurde, stellte Herr Beuth jedoch ein Junktim her: Das erzielte Ergebnis halte er nur bei einer Zustimmung der Gewerkschaften zum Vollverschleierungsverbot aufrecht. Wir werten dieses Vorgehen als Angriff auf die Tarifautonomie, weil hier die legitime Auseinandersetzung um die Arbeitsbedingungen der Landesbeschäftigten mit einem sachfremden, in diesem Fall zudem der Bedienung von Ressentiments dienenden Thema vermischt wurde.

Kirsten Huckenbeck: Welche Relevanz hat denn die neue »Kleiderordnung« überhaupt, konkret: Wisst Ihr, wie viele Beschäftigte etwa betroffen sind oder wie viele Fälle es in der Vergangenheit gab?

Jürgen Johann: Unseres Wissens nach gab und gibt es keinen einzigen Fall unter den Beschäftigten in unserem Organisationsbereich beim Land Hessen. Es gibt allerdings einige wenige »Fälle« - ich sage das hier in Anführungszeichen, denn es handelt sich ja um KollegInnen - im Öffentlichen Dienst der Kommunen, die von der Regelung betroffen wären, wenn sie dort gelten würde. Für die Gemeinden stehen nächstes Jahr im Februar Tarifverhandlungen an, und ich könnte mir vorstellen, dass die Arbeitgeber dort mit der gleichen Forderung kommen. Dem werden wir allerdings in keinem Fall zustimmen. Die KollegInnen, die die Tarifrunde vorbereiten und in die Verhandlungen gehen werden, haben dazu schon eindeutige Beschlüsse gefasst.

Kirsten Huckenbeck: Und wie sieht das im Organisationsbereich der GEW aus, an Schulen, Hochschulen, in Kindertagesstätten und Horten?

Roman George: Die Relevanz ist denkbar gering, denn wie schon gesagt: Bislang wissen wir von keiner einzigen Betroffenen. An den Schulen gilt ohnehin auch die einschlägige Bestimmung aus dem Hessischen Schulgesetz und der darauf aufbauende »Kopftuch-Erlass«. Der Erlass wurde nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2015 angepasst. Lehrkräfte haben nach dem Hessischen Schulgesetz politische, religiöse und weltanschauliche Neutralität zu wahren. Das Tragen von religiösen Symbolen ist mit der neuen Rechtslage nicht per se unzulässig, sondern nur dann, wenn es dazu geeignet ist, das Vertrauen in die Neutralität der Amtsführung zu gefährden. Bei einer Vollverschleierung müsste man zweifelsohne davon ausgehen, dass sie das tut. Die kommunalen Kitas, die den TVöD anwenden, sind von der nun im TV-H verankerten Regelung nicht betroffen. Aber auch aus den Kitas haben wir bislang nichts von Problemen im Zusammenhang mit einer Vollverschleierung von Erzieherinnen gehört. An der Uni Gießen gab es 2014 einen Konflikt, allerdings mit einer Studentin. Ihr wurde auf Betreiben der Hochschulverwaltung das Tragen der Burka in Lehrveranstaltungen gerichtlich untersagt. Das alles unterstreicht, dass es keinerlei sachliche Begründung für die jetzige Aufnahme des Vollverschleierungsverbots in den TVH gab. Aus Sicht der GEW macht eine Vollverschleierung gelingende Interaktionen im Bildungszusammenhang nahezu unmöglich. Die schwierige Frage ist aber, wie man mit eventuellen Einzelfällen am besten umgeht.

Kirsten Huckenbeck: Hat die Konzession etwas gebracht, gab es die erhofften Zustimmungen an anderer Stelle im Tarifvertrag?

Jürgen Johann: Das Land Hessen ist bekanntlich ja 2004 aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgetreten und führt seitdem eigenständige Tarifverhandlungen. Wie auch immer man dieses Verhalten bewertet: Das Erstaunliche ist, dass wir seitdem oft bessere Tarifabschlüsse als die TdL-geführten Länder haben. Es gibt in Hessen beispielsweise Zuschläge, die es anderenorts nicht gibt.

Wenn es um das diesjährige Tarifergebnis geht, würde ich sagen, dass es materiell, also in Bezug auf die Lohnerhöhungen, ganz leicht besser ist als das TdL-Ergebnis, aber mit dem Jobticket, das ja auch für die BeamtInnen gilt, ein ganz dickes Plus enthält. Je nachdem, wie die Leute bislang unterwegs waren und wo sie wohnen, entspricht das rund 2.000 bis 3.000 Euro pro Jahr.

Roman George: Der materielle Wert der Freifahrtberechtigung dürfte von Fall zu Fall sehr unterschiedlich ausfallen. Wer nur über kurze Distanz pendelt, profitiert eher im Umfang von einigen Hundert Euro. Für das Jobticket haben wir von den Kolleginnen und Kollegen jedenfalls sehr viele positive Rückmeldung erhalten, auch wenn die Details der Umsetzung vom Land noch nicht geklärt wurden. In den Jahren zuvor ging es bei den Tarifverhandlungen mit dem Land Hessen in erster Linie darum zu verhindern, dass das Tarifniveau unter das der anderen Bundesländer sinkt, was immer das Ziel der CDUgeführten Landesregierungen war. Die Tarifeinigung aus diesem Jahr hat einige für uns sehr wichtige Punkt enthalten, und erstmals gibt es Regelungen zugunsten aller Beschäftigten, die über die vorangegangene Tarifeinigung mit der Tarifgemeinschaft der Länder hinausgehen. Wie in den anderen Bundesländern auch, wird in den Entgeltgruppen 9 bis 15 eine sechste Erfahrungsstufe eingeführt. Davon werden viele Angestellte im Bildungsbereich profitieren. Die niedrigere Lehrertabelle wird nun endlich auf das Niveau der allgemeinen Entgelttabelle angehoben. Nur in Hessen gab es eine Einigung zur stufengleichen Höhergruppierung. All das galt es gegen das symbolisch aufgeladene Verbot der Gesichtsverhüllung, das ja keinerlei praktische Relevanz hat, abzuwägen. So ein Vorgang darf sich in kommenden Tarifrunden jedoch nicht wiederholen. Auch aus diesem Grund fordern wir weiterhin, dass Hessen in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückkehrt.

Kirsten Huckenbeck: Insbesondere aus dem Bezirk ver.di Südhessen gab es Proteste dagegen, eine solche Regelung überhaupt zum Tarifgegenstand zu machen. Warum?

Jürgen Johann: Wir waren die ersten, aber nicht die einzigen - das möchte ich betonen. Es gab starke Widerstände in Frankfurt, vor allem aus dem Fachbereich Gemeinden, aber auch aus dem Fachbereich 8, in dem unter anderem die Staatstheater organisiert sind, und aus dem Fachbereich 5, der die Hochschulbeschäftigten vertritt, und vom ver.di-Landesfrauenrat sowie der ver.di-Jugend.

Bei uns waren die Proteste so massiv, weil wir der Ansicht waren: Das gehört nicht in einen Tarifvertrag. Es ist nicht unsere Aufgabe, weltanschauliche Fragen zu tarifieren. Das widerspricht auch meiner Interpretation der ver.di-Satzung, in der wir uns klar gegen diskriminierendes Verhalten positionieren. Unsere Einschätzung war, dass es sich hier um ein Berufsverbot handelt, und zwar eines, das sich gegen Frauen richtet, die Burka oder Niquab tragen. Zweitens: Es gab auch nicht den Ansatz einer Diskussion über eine solche Regelung, und das wäre vor dem Tarifabschluss notwendig gewesen. Tarifkommissionen sind zwar autonom, und das ist auch gut so, aber in solch grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Fragen muss eine Debatte unter den Mitgliedern stattfinden. Die Empörung hat sich im Wesentlichen auch darauf bezogen, dass dieser Vorstoß nicht abgesprochen und diskutiert war.

Und drittens halten wir ein »Burkaverbot« für ein rechtspopulistisches Thema, das Ressentiments schüren und die Gesellschaft spalten soll. Da hat die CDU uns in den Verhandlungen ein AfD-Stöckchen hingehalten, und wir sind drüber gesprungen. Insofern bin ich froh, dass wir mittlerweile dazu auch eine Beschlusslage in Hessen haben, mit der wir uns klar von diesem Spaltungsversuch distanzieren (s. Beschluss ver.di Hessen, Seite 3 unten).

Kirsten Huckenbeck: Im alten Erlass der hessischen Landesregierung wurde die Kleiderordnung mit der Neutralitätspflicht für Landesbedienstete begründet. Wie schätzt Ihr die neue Begründung ein, dass eine offene Kommunikation gewährleistet sein muss, und dass dies mit Burka oder Niquab nicht möglich sei - ist das notwendig im Behördenalltag, oder handelt sich eher um einen Anbiederungsversuch an den von Dir beschriebenen populistischen Anti-Islamismus?

Jürgen Johann: Nochmal: Ich halte das insgesamt für ein rechtspopulistisches Thema. Ich persönlich habe keine Probleme mit KollegInnen, die sich verschleiern, und hatte auch in der Vergangenheit nie irgendwelche Schwierigkeiten, mit solchen KollegInnen zu reden - egal was sie tragen. Mir ist auch aus dem KollegInnenkreis nicht bekannt, dass es bislang Schwierigkeiten gab, offen zu kommunizieren. Das Positive an diesem Abschluss ist aber, dass diese Debatte jetzt sehr breit und offen geführt wird.

Kirsten Huckenbeck: Wie wurde in der Mitgliedschaft über die neue Kleiderordnung per Tarifvertrag diskutiert? Gab es Sympathien für diese Regelung, Abwehr - welche Reaktionen gab es?

Jürgen Johann: Vorab wäre es mir wichtig, hier nochmal auf den Beschluss des Landesbezirksvorstands zu verweisen, mit dem uns in dieser Frage politisch positioniert haben, und mit dem wir jetzt auch eine breite Diskussion vorbereiten. Im nächsten Jahr sind Organisationswahlen, es wird rund 150 Delegiertenkonferenzen in Hessen geben, wo dieser Beschluss eingebracht und diskutiert werden soll. Wir wollen möglichst viele Haltungen und wenn möglich auch Beschlüsse von den verschiedenen Ebenen sammeln. Es soll natürlich auch eine gemeinsame hessische Positionierung geben, die dann zum Bundeskongress im September 2019 gehen sollen. Mein Wunsch wäre, dass sich hier wirklich alle beteiligen - von den Mitgliedern bis zur Landesbezirksleitung.

Zu Deiner Frage nach den Reaktionen unter den Mitgliedern: Das, was ich persönlich mitbekommen habe, ergibt ein sehr heterogenes Bild. Viele Landesbeschäftigte sagen, dass wir eine solche Regelung nicht gebraucht hätten und brauchen, finden den Tarifabschluss aber vor allem wegen des Jobtickets gut und meinen, man hätte ihn deshalb auch nicht ablehnen können. In Bereichen, in denen viele muslimische KollegInnen arbeiten, wird das eher als Störung des guten Verhältnisses, das wir aufgebaut haben, wahrgenommen, also z.B. in den Kommunalverwaltungen, den Kindertagesstätten etc. Das sind Bereiche, in denen wir mit diesen KollegInnen - und das sind sie ja - gemeinsam gekämpft und gestreikt haben. Es gibt aber auch Mitglieder, die sagen: Die Regelung ist gut, wir wollen dem Gegenüber ins Gesicht sehen können, wenn wir mit ihm oder ihr reden.

Es gibt ganz verschiedene Auffassungen und bislang auch ganz unterschiedliche Umgangsweisen damit. Ich selbst beispielsweise komme aus der Stadtverwaltung Rüsselsheim, wo es einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad gibt. Dort gibt's keine Kleiderordnung - für niemand und nichts. Wir haben Kleiderordnungen immer abgelehnt - auch wenn der Arbeitgeber einen Regelungsbedarf gesehen hat oder manche Mitglieder sich aufgeregt haben, etwa wenn jemand mit bauchnabelfreien Shirts zur Arbeit gekommen ist. Es gibt bei uns auch Kolleginnen, die Kopftuch tragen - das können sie machen, weil wir uns immer strikt dagegen gesperrt haben, jemandem vorzuschreiben, wie er sich kleidet. Es gibt aber auch Betriebe, wo dies geregelt ist - das ist ja Sache der jeweiligen Vereinbarungen zwischen Personal- und Betriebsräten und den Arbeitgebern. Kaum eine Sparkasse oder Bank, die nicht im wahrsten Sinne des Wortes haarkleine Vorschriften hätte über das Erscheinungsbild ihrer Angestellten - von der Haarlänge über die Krawatte bis zu den Hosenbeinen.

Und da stehen natürlich überall Unterschriften von
ver.di-Betriebs- oder Personalräten drunter.

Persönlich und politisch allerdings würde ich sagen: Es geht uns nichts an, wie Menschen sich anziehen, auch auf der Arbeit.

Kirsten Huckenbeck: Was hältst Du denn dann von der französischen Linie? Dort hat man ja nicht nur die politische, konfessionelle und weltanschauliche Neutralitätspflicht im Öffentlichen Dienst, sondern im gesamten öffentlichen Raum.

Jürgen Johann: Gegenfrage: Wie weit soll das gehen? Was würdest Du von einem Verbot von Buttons, die während der Arbeit getragen werden, halten? Wie war das denn damals, als wir mit »Strauß verhindern«-Buttons rumgelaufen sind? Ich würde sagen, dass es hier um das Recht auf freie Meinungsäußerung geht - und dafür, dass dieses Verfassungsrecht auch am Arbeitsplatz gilt, haben wir damals auch gekämpft. Mir persönlich ist es auch egal, ob jemand an die Jungfrauengeburt glaubt, mit dicken Kreuzen am Hals oder als Tattoo rumläuft - solange er nicht missioniert. Von hier aus nochmal zurück zu dem Tarifvertrag: Der Vorstoß von Innenminister Beuth hatte eine Schräglage, wenn er sich ausschließlich auf Burka und Niquab bezieht, und damit auch politisch eine klare Stoßrichtung.

Kirsten Huckenbeck: Schauen wir nochmal in die Bildungsinstitutionen: Die hessische GEW hat kürzlich der Landesregierung gegenüber eine generelle Überprüfung der Kooperation mit dem Moscheeverband DITIB angemahnt - auch wegen dessen Bespitzelung türkischer MitbürgerInnen. Im Hintergrund stand jedoch offenbar auch die Einflussnahme auf die Unterrichtsinhalte. Wie gestaltet sich die Auswahlpraxis von LehrerInnen im bekenntnisorientierten Islamunterricht an Schulen? Und wie steht die GEW zum Streit um die Religionsfreiheit in Schulen - kann es Aufgabe der Schulen sein, Religionsunterricht anzubieten?

Roman George: Die Lehrerinnen und Lehrer im islamischen Religionsunterricht sind reguläre Lehrkräfte mit zweitem Staatsexamen, die ein universitäres Weiterbildungsangebot wahrgenommen haben. Das Land Hessen kooperiert beim islamischen Religionsunterricht mit dem DITIB-Landesverband Hessen und, in deutlich geringerem Umfang, mit Ahmadiyya Muslim Jamaat. Bei DITIB scheint es mehrere Probleme zu geben: Die formale Unabhängigkeit des Landesverbandes steht nur auf dem Papier, die türkische Religionsbehörde gibt faktisch weiterhin den Ton an. Auch das Verhältnis zu den Lehrkräften, denen von DITIB die Lehrerlaubnis erteilt wird, scheint nicht von Vertrauen geprägt. In Einzelfällen glaubten örtliche Moscheegemeinden, sie könnten den Lehrkräften des islamischen Religionsunterrichts nun unmittelbare Weisungen erteilen. Wir halten es grundsätzlich für richtig, dass, solange es Religionsunterricht gibt, alle Glaubensgemeinschaften einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht anbieten können. Perspektivisch fordern wir jedoch ein verbindliches überkonfessionelles Fach, in dem ethische und auch religionskundliche Inhalte behandelt werden. Bekenntnisorientierter Religionsunterricht könnte darüber hinaus weiterhin angeboten werden, aber als freiwilliges Wahlfach.

Kirsten Huckenbeck: Vielen Dank für das Gespräch!

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express 6/2017 - Inhaltsverzeichnis der Printausgabe
Gewerkschaften Inland
  • Kirsten Huckenbeck: »Schleierhafter Abschluss«
  • Interview mit Roman George und Jürgen Johann: »Burkaverbot per Tarif« - »Purer Rechtspopulismus« oder ein gewerkschaftspolitischer Beitrag zur Säkularisierung?
  • ver.di-Landesbezirksvorstand Hessen: »Keine Tarifierung von Ressentiments!«
  • Erhard Schleitzer: »Kinderarmut, Altersarmut, sinkende Löhne« - Zur Diskussion um die Armutsberichte
  • »Kaum reguläre Jobs« - Böckler Impuls zur Arbeitsmarktbilanz der Hartz-Reformen
  • Anne Rieger: »Wiederbelebung notwendig« - Gewerkschaftliche Initiativen setzen Rüstungskonversion wieder auf die Tagesordnung
  • »20 Jahre kein mensch ist illegal« - Mehr als eine kleine Erfolgsgeschichte
  • Karl Plumba: »Nihilistische Masturbation« - Kommentar zu den jüngsten Anschlägen auf das Bahnnetz
Betriebsspiegel
  • Wittich Rossmann: »Begleitmusik« - Kommentar zum neuen Tarifvertrag der IGM in der Leiharbeit
  • »Jetzt auch in der Fleischindustrie?« - Beratungsprojekt Faire Mobilität bewertet neues Gesetz zur Generalunternehmerhaftung
  • Antipasti: Streik, Streik, Streik
Internationales
  • Pit Wuhrer: »Links gewinnt!« - Die Geburt einer sozialen Bewegung anlässlich der britischen Parlamentswahlen
  • AG Wahlbeobachtung: »Links gewinnt?« - Anmerkungen zum überraschenden Wahlausgang in Großbritannien
  • Ingeborg Wick: »Wachsender Nationalismus in China« - Ein Workshop des Forum Arbeitswelten diskutiert die Folgen für die Arbeiterklasse
Rezension
  • Peter Nowak: »Falsche Ängste?« - Matthias Martin Becker über den Digitalisierungs-Diskurs *

Quelle:
express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Nr. 6/2017, 55. Jahrgang, Seite 1
Herausgeber: AFP e.V.
"Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der politischen Bildung" e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2017

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