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GEGENWIND/386: Justizthriller in Bad Oldesloe vorerst zu Ende


Gegenwind Nr. 251 - August 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Inoffizielle Dienstbesprechungen
Justizthriller in Bad Oldesloe vorerst zu Ende

Von Hauke Thoroe


Die im Juni begonnen Prozesse gegen Mitglieder eine widerständigen Wohngemeinschaft wegen Beleidigung, Widerstand und Körperverletzung gegen Polizeibeamte sowie falscher Namensangabe wurden diesen Monat nach jeweils zwei und drei Prozesstagen eingestellt (vgl. Gegenwind 250, Seite 42 [im Schattenblick unter: www.schattenblick.de -> Medien -> Alternativpresse: GEGENWIND/379: Prozesse gegen Polizeikritiker in Bad Oldesloe]). Nach einer kreativen Prozessführung und offensiven Polizeizeugenbefragungen stellte das Amtsgericht Bad Oldesloe die Verfahren ein.


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Helge T. und eine weitere Person waren wegen versuchter Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Beamtenbeleidigung angeklagt, weil sie im Dezember 2008 u.a. gegen die Verhaftung von "Containerern" (Menschen, die noch genießbare Nahrungsmittel aus dem Supermarktmüll "klauen") vor der Oldesloer Polizeiwache demonstrierten. Dabei hätten die eingesetzten Beamten laut den Betroffenen das Versammlungsrecht einfach ignoriert, und die Versammlung vor der Polizeiwache mit Gewalt aufgelöst. "Und nun behaupten die, wir hätten angefangen, um ihren Fehler zu tarnen", kommentierte Helge T. die Anklage.

Während der fast zweistündigen Zeugenbefragung erhärtete POM Bruckner als einziger vernommener Zeuge den Verdacht immer weiter, dass sämtliche Vorwürfe von der Polizei konstruiert wurden und zudem widerrechtlich die Trennung einer minderjährigen Person von seinem Vater veranlasst zu haben. Während seiner Vernehmung verstrickte sich der Zeuge außerdem häufig in Widersprüche, die mehrmals vom Publikum scherzhaft kommentiert wurden. Einmal wollte er sogar die Aussage komplett verweigern, so dass er mehrmals vom Richter ermahnt werden musste.

Aber auch das Gericht ließ es sich nicht nehmen und verstieß mit seiner öffentlichen Anordnung vor dem Prozess, allen "unerwachsenen" Menschen den Zutritt zur Verhandlung zu verwehren, gegen die Grundsätze einer öffentlichen Verhandlung. Nach über 3,3 Stunden Verhandlung machte der sichtlich erschöpfte Richter den Vorschlag zur Einstellung des Verfahrens, dem die Staatsanwaltschaft nur kleinlaut zustimmen konnte. Beide Verfahren wurden schließlich auf Kosten der Landeskasse eingestellt, um einen möglichen Freispruch zu umgehen - in einem Fall mit Auflage zur Zahlung von 100 Euro an eine gemeinnützige Institution.

Der ebenfalls in Oldesloe verhandelte Prozess gegen Helge T. wegen angeblicher falscher Namensangabe anlässlich einer Personenkontrolle wurde am zweiten Prozesstag bereits nach 30 Minuten um eine Woche vertagt. Der Angeklagte war im November 2008 bei einem Hausbesuch der Oldesloer Staatsschutzbeamten Wackerow, Wolters und Karben mit Jan H. verwechselt worden, gegen den aufgrund seines antifaschistischen Engagements ein Beschluss zur DNA-Abgabe des Amtsgerichtes Rostock vorlag. Die Beamten merkten ihren Irrtum erst, als der Betroffene nach massiver Gewalteinwirkung vor ihnen lag. Doch anstatt dass ihnen ihr Irrtum peinlich wäre, starteten die Staatsschutzbeamten ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen "falscher Namensangabe" und behaupteten einfach, sie hätten nach dem Personalausweis gefragt.

Zur Einschüchterung des Angeklagten und der Zuschauer war erneut eine "Mobile Einsatzgruppe Justiz" ("Justizpolizei") zu den Einlasskontrollen abgestellt. Dabei ist die MEG dabei durch sexuelle Grenzüberschreitungen und hyperautoritäres Verhalten aufgefallen und wollte sogar anfänglich den Angeklagten den Zutritt zum Prozess verwehren. So waren auch im Verhandlungssaal stets zwei mit Schlagstöcken bewaffnete JustizbeamtInnen anwesend.

Da der Richter versuchte, dem Angeklagten das Recht, Anträge zu den die Öffentlichkeit ausschließenden Kontrollen und dem unakzeptablen Verhalten des MEGs zu stellen und persönliche Erklärungen abzugeben, kam es schon in den ersten Minuten des Prozesses zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen zwischen Helge T., und dem Richter. Helge T. setzte schließlich eine Pause zum Stellen eines Befangenheitsantrages durch, der zur Vertagung des Prozesses führte.

Der dritte Prozesstag begann damit, dass der Richter dem Angeklagten einen Beschluss einer anderen Richterin bezüglich des Befangenheitsantrags, der den letzten Prozesstag gesprengt hatte, überreichte. Helge T. las in einer persönlichen Stellungnahme u.a. einen Abschnitt vor, indem durch das Gericht behauptet wurde, dass es kein Grund für die Annahme einer Befangenheit des Richter sei, wenn dieser Anträge des Angeklagten als "Frechheit" oder "albern" bezeichnen würde, wenn dies aus den konkreten Umständen verständlich sei.

Dies führte dazu, dass sich im Laufe der Verhandlung jegliche Frechheit, die sich das Gericht oder die Beamten erlaubten, als "albern", "Frechheit" oder "alberne Frechheit" bezeichnen ließ, ohne dass der Richter dagegen einschritt.

Sodann wurde mit der Zeugenvernehmung der Beamten Wolters und Wackerow begonnen. Hierbei zeigten sich in einigen Schlüsselszenen ihrer Darstellungen bereits deutliche Unterschiede. Besonders nette Stilblüten ergaben sich, als Wackerow die Rechtsgrundlage für sein Handeln benennen sollte, dies erwartungsgemäß nicht konnte, und der Richter mit der Begründung: "Das weiß er nicht und das muss er auch nicht wissen!" verbot weitere Fragen zur Rechtsmäßigkeit des Polizeihandelns verbot. Ähnlich erging es Frau Wolters, die überhaupt keine Probleme sah, wenn Polizeibeamten fremde Wohnungen betreten. "Sehr deutlich zeigt dies die im Polizeialltag übliche Einstellung: "Legal, illegal - scheißegal!"-Mentalität und auch dass dieses Verhalten sowohl von Vorgesetzten als auch von Richtern gedeckt wird"; sagte Helge T. zu diesen Vorgängen.

Eine weitere Panne ereignete sich, als Frau Wolters auf eine ihr unangenehme Frage des Richters, antwortete, dass sie dazu keine Aussagegenehmigung habe, und Richter Holtkamp seine eigene Frage mit der Begründung "Tut nix zur Sache" zurück zog. Helge T.: "Täte die Frage nichts zur Sache, hätte der Richter sie wohl kaum gestellt. Aber da diese der zu schützenden Partei unangenehm wurde, rudert ein Richter eben zurück."

Der Prozess kippte letztlich, als Helge T. nachbohrte, wie die Polizei eigentlich auf die Idee komme, dass er die Person an der Tür gewesen sei, wenn aus den Vermerken hervor gehe, dass durch "ein Missverständnis" die Personalien nicht aufgenommen worden seien. Frau Wolters erklärte dazu, dass der Name des Beschuldigten in einer "inoffiziellen Dienstbesprechung" gefallen sei, und sie daraufhin die Person an der Tür auf zum Namen gehörigen ED-Behandlungsbildern erkannt habe. Sämtliche Nachfragen dazu blockte die Zeugin danach ab, mit der Behauptung, sie habe dazu keine Aussagegenehmigung.

Helge T. Im Prozess dazu. "Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie es bei einer sog. "Inoffiziellen Dienstbesprechung", in der der Name eines bekannten Polizeikritikers fällt, und anschließend Anzeigen geschrieben werden, zugeht." Offensichtlich konnte der Richter sich dies auch vorstellen, und rückte um weitere Nachfrage zu vermeiden, mit dem Einstellungsangebot über den Tisch. "Das beste kommt aber zu Schluss: Nach dem Prozess gehen wir nach Hause, und schauen in den Briefkasten: Und siehe da: Post vom Amtsgericht Rostock. Der DNA-Abnahmebeschluss, mit dem alles begann, ist rechtswidrig", freut sich Helge T.

Für Fans von Blockbustern wird es noch Fortsetzungen geben. Im Umfeld von Helge T. laufen noch weitere Verfahren in Bad Oldesloe. Die Polizisten, die Helge T. irrtümlich verhafteten, leiteten auch ein Verfahren wegen Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz ein, um eine weitere Person zu kriminalisieren. "Erst verprügeln die Beamten mich, und dann gefallen ihnen die Bilder davon nicht."

Außerdem hat sich aus dem Anlass für die Solidemo vor der Wache, nach welcher u.a. Helge T. Widerstand vorgeworfen wurde, ein Verfahren mit dem Vorwurf des schweren Diebstahls entwickelt. "Das Beste ist: In allen Verfahren ist wieder die Staatsschutzclique Wolters, Wackerow und Karben involviert", freut sich Helge T. auf die Fortsetzung der DNA-Ralley. "Da werden wir noch viel von "Inoffiziellen Dienstbesprechungen" hören."


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Quelle:
Gegenwind Nr. 251 - August 2009, Seite 14-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2009