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GEGENWIND/397: Husum - Prozeß gegen Antimilitaristin vertagt


Gegenwind Nr. 256 - Januar 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Husum:
Prozess gegen Antimilitaristin vertagt

Von Hauke Thoroe


Im Februar 2008 wurde ein Transportzug der Bundeswehr auf dem Weg zu einem Übungsmanöver der NATO-Response-Force für mehrere Stunden gestoppt. Eine Aktivistin, die sich damals, um ihren Protest zu verdeutlichen, an die Schienen angekettet hatte, stand wegen dieser Aktion am 14. Dezember in Husum vor Gericht. Nach fünfstündiger Verhandlung und vielen Begleitaktionen wurde der Prozess wegen Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe als Folge eines Befangenheitsantrages vertagt.


Vorfeldaktionen

Bereits in den Vortagen gab es viele Aktionen. Am Militärdepot Ohrstedt, wo der Militärtransport startete, fand am Montag, 23.11. eine Kundgebung gegen Auslandseinsätze statt. Am Samstag fand eine antimilitaristische Fahrradtour statt, die an den Militärstützpunkten in der Stadt über die Machenschaften der Husumer Militärs im Ausland informierte. In den Nächten engagierten sich auch Unbekannte: An vielen markanten Stellen in der Innenstadt hingen Banner, die die Bundeswehr kritisierten und auf den Prozess hinwiesen. Besonders wirkungsvoll war eine Aktion am Sonntag. Den ganzen Tag über klebten Poster in Sprechblasenform auf Schaufenstern von geschlossenen Geschäften der Innenstadt, die in einer Weise montiert waren, dass der comic-artige Eindruck entstand, die Schaufensterpuppen würden sich gegen die Bundeswehr aussprechen und zum Prozess mobilisieren. "Es ist so großartig, vor einem Prozess so unterstützt zu werden" sagte die angeklagte Antimilitaristin Hanna Poddig.


Der Prozess

Eine Kletteraktion am Eingang des Amtsgerichtes und Transparente in den Bäumen vor dem Gericht und in der Innenstadt empfingen das Publikum. Ein "Mars TV" Straßentheaterteam versuchte, bei PassantInnen vor dem Gericht herauszufinden, warum es auf der Erde überhaupt noch Armeen gibt. Im Gebäude tauchten justiz- und militärkritische Aufkleber auf und der Gerichtssaal wurde umfassend mit Luftballons und Konfetti verschönert. Der Prozess begann mit der Vernehmung von zwei Polizeizeugen. Einer konnte nichts weiter zur Sache beitragen, als dass er Fotos für die Akte sortiert hätte, ein weiterer Zeuge wiederholte fast wörtlich seinen schriftlichen Bericht und konnte sich darüber hinaus an fast nichts erinnern. Nach einem sexistischen Spruch ("Im Fernsehen sieht die aber besser aus!") des Protokollanten in einer Pause stellte die Angeklagte einen Befangenheitsantrag gegen diesen. Der Richter entschied zwar nicht über den Antrag, tauschte den Protokollanten aber daraufhin in der nächsten Pause gegen eine Protokollantin aus. So umging dieser ganz elegant eine Entscheidung.

Von Seiten des Richters und der Staatsanwaltschaft wurde immer wieder versucht, die politische Relevanz dieses Verfahrens kleinzureden. Die Verteidiger Magsam und Lemke widersprachen. RA Magsam führte aus, warum die Aktion den Schutz des Versammlungsrechtes hätte genießen müssen und RA Lemke wies auf eine interne Dienstmail der Verfolgungsbehörden hin, in der diese Aktion über einen Sonderverteiler "Innere Sicherheit" per Mail an sämtliche Landes- und Bundesverfassungsschutzämter sowie an sämtliche Landeskriminalämter sowie an den MAD und das BKA u.a. in Meckenheim (Abteilung Terrorismus) gesendet worden sei.

Insgesamt hatte der Richter Mühe, eine klare Linie zu finden und wirkte immer wieder unschlüssig. Er verzichtete fast vollkommen auf Ermahnungen des Publikums und nahm Konfetti, Luftballons und Kommentare aus dem Publikum meist stillschweigend hin. Ob aus Berechnung oder aus Überforderung bleibt dabei offen. Nach der Mittagspause waren auf Bestreben des Richters zwei Polizeibeamte im Saal. Die Frage eines Anwaltes, ob diese bewaffnet seien, hielt der Richter nicht für relevant. Hierauf erklärten beide Verteidiger, dass sie sich in Anwesenheit bewaffneter Polizisten nicht in der Lage sähen, weitere Polizeizeugen kritisch zu vernehmen und dass ein fairer und ergebnisoffener Prozess nicht möglich sei. Der Richter kommentierte dies mit "Bitte - Sie können ja gehen". Daraufhin stellte die Angeklagte einen Befangenheitsantrag gegen den Richter, weil das Fehlen der Anwälte die Verteidigung deutlich erschwert hätte und der Richter ohne Nennung eines Grundes für die Bewaffnung weiterhin nicht gegen die bewaffneten Polizisten im Saal vorging. Der Richter nahm dazu Stellung ("Ich bin nicht befangen") und der Prozess wurde von Amts wegen unterbrochen. Ein neuer Termin wurde noch nicht angesetzt. Es wird aber wohl noch eine Weile dauern, bis die Polizisten und das Gerichtsgebäude wieder frei von Konfetti, Luftballons und Aufklebern sind.

"Staatsanwalt Berns will partout nicht auf eine Einstellung eingehen, aber immerhin der Vorwurf der Nötigung wird wahrscheinlich fallen gelassen. Die vielen Begleitaktionen haben mir Mut gemacht und mich darin gestärkt, weiter zu kämpfen. Ich bin gespannt, wie es weitergeht", kommentiert die angeklagte Aktivistin Hanna Poddig den Prozessverlauf.

(www.militarismus-jetzt-stoppen.de.vu)


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Quelle:
Gegenwind Nr. 256 - Januar 2010, Seite 35-36
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2010