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GEGENWIND/444: Die Kaufmannsehre des Werner Marnette


Gegenwind Nr. 266 - November 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Die Kaufmannsehre des Werner Marnette

Von Thomas Herrmann


Am 4. Oktober 2010 sagte Werner Marnette vor dem Schleswig-Holsteinischen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur HSH Nordbank aus. Er war von 1996 bis 2003 Aufsichtsratsmitglied der Hamburgischen Landesbank, vom Oktober 2004 bis zum Juni 2008 Vorsitzender des Beirates der HSH Nordbank und vorn 9. Juli 2008 bis zum 29. März 2009 Wirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein. Er hatte stets gute und direkte Verbindungen zur Bank und konnte deren Entwicklung intensiv verfolgen.

Beruflich war Werner Marnette von 1994 bis zum 9. November 2007 Vorstandsvorsitzender der Norddeutschen Affinerie. Dieser Firma hatte er seit 1978 angehört. Des Weiteren war Werner auch Verbandsmensch. Von 1996 bis 2003 war er Präsident des Europäischen Dachverbandes der Metallindustrie, von 1998 bis 2002 Präsident des Wirtschaftsvereinigung Metalle, von 1998 bis 2005 im Präsidium des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und von 2002 bis 2007 war er auch Vizepräsident der Handelskammer Hamburg.

Werner Marnette machte im Ausschuss vor allem seine Kenntnisse aus langjähriger beruflicher und verbandlicher Tätigkeit geltend. Immer wieder sprach er in Hinsicht auf die HSH Nordbank über betriebswirtschaftliche Kalküle wie Buchhaltung, Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Risikoabschätzung. Er wollte Zahlen sehen, die er nie bekam, während viele Andere nur eine hübsche Fassade brauchten, die sie sich selbst zusammen fabulierten. Damit.ist auch schon der Grundkonflikt, den Werner Marnette austrug, beschrieben: Auf der einen Seite seine Forderung nach belastbaren betriebswirtschaftlichen Entscheidungsgrundlagen und auf der anderen Seite die Pflege der Ästhetik des Betriebes. Es zeigte sich aber auch, wie hoffnungslos Werner Marnettes Position in einer Zeit ist, in der transnationale Konzerne nach Belieben Bilanzverschiebungen vornehmen und Steuerminimierung in der Hauptsache betreiben, so dass sie fast zwingend den Überblick verlieren. Wie ein Betrieb wirklich wirtschaftlich dasteht wird unwichtig, weil auftretende Verluste ohnehin von nationalen Steuerzahlern ausgeglichen werden.

Werner Marnette sprach wesentlich zu drei Fragen:
• Das Kreditersatzgeschäft und der Plan zur Privatisierung.
• Die Kapitalerhöhung im April 2008.
• Die Form der Bankenrettung im Februar 2009.


Das Kreditersatzgeschäft

Zunächst machte Werner Marnette klar, dass die Landesbanken Hamburgs und Schleswig-Holsteins lange vor ihrer Fusion bedeutende Gelder im Geschäftsfeld "Credit Investment" angelegt hatten. Für 2002 waren das allein bei der Hamburgischen Landesbank über 20 Milliarden Euro. Die Landesbank Schleswig-Holstein war bereits 1999 im Kreditersatzgeschäft tätig, wie Werner Marnette durch ein Zitat aus dem Geschäftsbericht belegen konnte.

Exkurs zum Hintergrund: Die Landesbanken engagierten sich in diesem Feld unter sträflicher Vernachlässigung der Prüfungspflichten wie sie etwa in den "Richtlinien flur das Risikomanagement im Derivativgeschäft" des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht vom Juli 1994 formuliert worden sind. Auch die Haushaltsordnung Schleswig-Holsteins wurde missachtet, denn es ist dem Land verboten ausschließlich gewinnorientiert zu wirtschaften(1). In der Landeshaushaltsordnung heißt es in Art. 63: "Vermögensgegenstände sollen nur erworben werden, soweit sie zur Erfüllung der Aufgaben des Landes in absehbarer Zeit erforderlich sind." Und in Art 65 (2) heißt es, dass das Land sich nur an solchen Unternehmungen beteiligen darf, bei. denen "die Einzahlungsverpflichtung des Landes auf einen bestimmten Betrag begrenzt ist". Leider hat der Landesrechnungshof - wohl aus ideologischen Gründen - damals nicht die Reißleine gezogen. Weder war klar, wieso der verbriefte Erwerb von gebündelten Krediten mittelloser Amerikaner zu den Aufgaben des Landes gehört, noch wurde die kommende horrende Einzahlungspflicht des Landes deutlich gemacht. Sehenden Auges beteiligte man sich an einem Schneeballsystem(2), welches nur so lange gut gehen konnte, wie frisches Geld ins System gezogen werden konnte. Und dafür sorgte dann ab 2005 Finanzminister Wiegard (CDU) mit zwei milliardenschweren Kapitalerhöhungen für die HSH Nordbank.


Die Kapitalerhöhung im April 2008

Zweitens erläuterte Werner Marnette, dass die HSH Nordbank praktisch unmittelbar nach ihrer Teilprivatisierung in Schwierigkeiten kam. 2007 kostete die Refinanzierung der Kreditersatzgeschäfte(3) eine Milliarde und 300 Millionen Euro, minimierte den Konzerngewinn und zerschlug so jegliche Hoffnung auf eine weitergehende Privatisierung. Am 9. August 2007 trat an den globalen Geldmärkten die Wende ein. Der Überfluss an Geld und Kapital wurde plötzlich zum Mangel(4). Im Frühjahr 2008 waren die Verluste der HSH Nordbank bereits auf 1,6 Milliarden angestiegen und so dramatisch, dass eine Kapitalerhöhung unumgänglich war, um ein Moratorium der BaFin zu vermeiden. Ein Zusammenbruch wie bei der Sachsen LB stand unmittelbar bevor. Während Finanzminister Wiegard davon redete, dass die Bank kerngesund sei, stellte Werner Marnette fest, dass die Bank völlig außer Kontrolle geraten war und wiederholte in der öffentlichen Anhörung vor dem PUA, was er gegenüber dem Ministerpräsidenten Carstensen im April 2008 geäußert habe: Dass es seine Gründe habe wenn der Markt den Börsengang nicht akzeptiere. Und dass dann dieselben Gründe auch für die damaligen Besitzer der Bank zu gelten hätten. Er warnte deshalb vor einer Kapitalerhöhung, die sofort verbrannt werden könnte.

Wortreich vertrat Finanzminister Wiegard den Plan zur Kapitalerhöhung im Landtag(5). In den Protokollen ist die Argumentation des Finanzministers nachzulesen. So dementiert er in dieser Sitzung die Privatisierungsabsicht mit folgendem Argument: "Das würde natürlich die Marktsituation der Bank deutlich verschlechtern"(6), weil die Bank herab geratet würde. Den unmittelbaren Schluss, dass die Bank nur deshalb gut dasteht, weil letztlich der Steuerzahler für ihre Verbindlichkeiten aufkommen würde, verkleisterte Finanzminister Wiegard. Bereits im April 2008 spricht der Minister von einer "Krise, die von außen eingetreten ist..."(7). Eine offensichtliche Fehlinformation, die immer noch kolportiert wird. Wie kann ein sich abzeichnender Zusammenbruch eines Scbneeballsystems, welches man selbst befeuert, von außen kommen? Jedenfalls winkte die schwarz-rote Mehrheit die Kapitalerhöhung durch, indem man die stillen Einlagen des Landes Schleswig-Holstein in Eigenkapital verwandelte und zusammen mit Hamburg zusätzlich nochmal 900 Millionen in die Bank pumpte. Die Verbindlichkeiten aus dieser Zeit, die bei der GVB aufgelaufen sind, wurden jetzt mit dem Hinweis "man würde die Schattenhaushalte von Rot-Grün bereinigen" in den Haushalt aufgenommen. Das Geld ist definitiv weg. Dafür sollen jetzt die Beamten und Angestellten des Landes bluten. Die Bürger erleben konsterniert widerständig, wie die schwarz-gelbe Regierung ihren Sozialstaat zerstört. Oder wurde das nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern sehend herbeigeführt?


Die zweite Kapitalerhöhung

Drittens sagte Werner Marnette, dass der Zusammenbruch der Lehman Bank im September 2008 von Ministerpräsident Carstensen, Finanzminister Wiegard und dem Aufsichtsrat für eine Art Generalbereinigung für alle vorhergehenden Fehler verwendet wurde. Die wirklichen Vorgänge sollten vertuscht werden. Es ging gar nicht darum, sich ein Bild der Lage der HSH Nordbank zu machen, sondern darum, diese solange wie möglich zu verdecken und gleichzeitig einen immensen Handlungsdruck gegenüber dem Landtag aufzubauen.

Die Lage war dann Ende November 2008 verzweifelt. Die Liquiditätsreserve der Bank, die nach Angaben Werner Marnettes Ende August noch 22 Milliarden Euro betragen hatte, war durch die Refinanzierung der Kreditersatzgeschäfte verbraucht. Die Bank stand unmittelbar vor der Schließung. Anstatt nun die Bank - wie die HRE - in die Hände des SoFFin zu legen, wurde bekannt gegeben, dass Ministerpräsident Carstensen und Finanzminister Wiegard eine Lösung eingefädelt hätten, die vorsah, 30 Milliarden aus dem SoFFin-Sonderfond für Liquiditätsgarantien zu ziehen und im Gegenzug für eine angemessene Eigenkapitalausstattung durch die Länder zu sorgen. So verging die Zeit bis in den Februar 2009. Am Freitag, den 13. Februar 2009 eröffnete der Vorstandsvorsitzende der HSH Nordbank Nonnenmacher den Vertretern des Hamburgischen Senats und der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung, dass der Jahresverlust der Bank 2008 2 Milliarden 800 Millionen Euro betrage, dass von beiden Ländern 3 Milliarden frisches Kapital zu beschaffen, sei und man darüber hinaus zehn Milliarden weitere Garantien benötige. Das Konzept sei alternativlos. Bis zum 24. Februar müsse eine Lösung her, sonst würde die BaFin die Bank schließen.

Werner Marnette versuchte nach seiner Aussage vergeblich an Informationen über den Zustand der Bank zu kommen. Das gelang nicht und sollte nicht gelingen, denn Finanzminister Wiegard und der Vorstandvorsitzende Nonnenmacher taten alles um ihn hinzuhalten. Der Blick in das Ausmaß des Desasters hätte wohl verhindert, dass der Landtag sich zu einer Kapitalerhöhung verständigt hätte. Schließlich beugte sich Werner Marnette der Kabinettsdisziplin. Am 29. März trat Werner Marnette vom Amt des Wirtschaftsministers zurück. Aus der Zustimmung im Februar versuchte der CDU-Abgeordnete Koch einen Widerspruch zu konstruieren. Ein Großteil der Befragung verging mit dem vergeblichen Bemühen dieses Abgeordneten und des Anwaltes von Finanzminister Wiegard, die Glaubwürdigkeit Werner Marnette's zu erschüttern.


Schluss

Die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Hamburg nahmen einen Kredit über drei Milliarden Euro auf. Dafür kauften sie 15 Millionen Aktien einer neu gegründeten Anstalt öffentlichen Rechts. Diese Aktion verläuft außerhalb des Landeshaushaltes, weil die Beteiligungen der Länder nicht in den Haushalten ausgewiesen werden müssen. So heißt es im Ausführungsgesetz zum neuen Artikel 115 GG: "Aus den Ausgaben sind die Ausgaben für den Erwerb von Beteiligungen, für Tilgungen an den öffentlichen Bereich und für die Darlehensvergabe herauszurechnen"(8). Damit unterliegt die Kapitalerhöhung der HSH Nordbank nicht der "Schuldenbremse".

Wenig später paukte die Regierung mit Unterstützung aller Fraktionen außer der LINKEN eine eigene "Schuldenbremse" durch das Parlament, wohl wissend, dass man dank einer Lücke im Art. 115 des Grundgesetzes grenzenlos Kredite für die HSH Nordbank aufnehmen kann. Und so kann sich der Finanzminister hinstellen und verkünden, dass die HSH Nordbank den Steuerzahler kein Geld kostet. Aber sehr viel Geld kosten wird, denn Werner Marnette machte auch klar, dass die aktuelle Lage der Bank alles andere als rosig ist. Nach seinen Angaben soll die Bank immer noch für 20 Milliarden risikoreiche Kreditderivate halten. Im ersten Halbjahr 2010 hat sich der Ertrag des Basisgeschäftes fast halbiert. Nur durch die massive Rückführung der Risikovorsorge, die nur durch die 10 Milliarden-Garantie des Landes möglich ist, konnte eine Ergebnisverbesserung ausgewiesen werden. Man erinnere sich an die Nachrichten, dass die HSH Nordbank wieder schwarze Zahlen schreibt.


Thomas Herrmann
Finanzreferent der Landtagsfraktion DIE LINKE


Anmerkungen:

(1) Vgl. Bernd Schünemann: Die sogenannte Finanzkrise - Systemversagen oder global organisierte Kriminalität, Berlin 2010, S. 89ff.

(2) Ebenda S. 75ff, S. 90, S. 92. S. 76: "...doch war der Kollaps dieses Schneeballsystems (wie der jedes anderen) sicher und mir dessen Zeitpunkt ungewiss."

(3) Ebenda S. 95, Die Kreditderivate mussten alle drei Monate refinanziert werden. Je geringer die Liquidität auf dem Finanzmarkt ist, desto höher fallen die Verluste aus.

(4) Vgl. Lucas Zeise, Drei Jahre und kein bisschen weiser, Financial Times Deutschland-online 4.8.2010.

(5) www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl16/ plenum/plenprot/plpr08.htm, Sitzung vom 23. April 2008.

(6) Ebenda, S. 6024

(7) Ebenda, S. 6025

(8) Vgl. Christian Magin: Lücke im System, in: Der Neue Kämmerer, Seite 5, Ausgabe 02, Mai 2010.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 266 - November 2010, Seite 14-16
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2010