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GEGENWIND/594: Aktueller Trend im Berufsleben - Keine gute Arbeit und dazu häufig noch Nebenjobber


Gegenwind Nr. 308 - Mai 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

SOZIALES
Aktueller Trend im Berufsleben:
Keine gute Arbeit und dazu häufig noch Nebenjobber

Von Günther Stamer



Zwei jüngst veröffentlichte Untersuchungen werfen ein Schlaglicht auf die gegnwärtige berufliche Situation vieler lohnabhängig Beschäftigter in unserem Land. Da ist zum einen eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit über das Ausmaß von Nebenjobs und zum anderen eine Befragung des DGB unter Beschäftigten zur Qualität ihres Arbeitsplatzes.


Die Kernaussage der IAB-Untersuchung lautet: Bei immer mehr Beschäftigten reicht das Geld aus dem Hauptberuf nicht aus - mehr als drei Millionen müssen sich mit einem Nebenjob noch etwas hinzu verdienen. Auch im Norden sind immer mehr Beschäftigte zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts neben ihrem Beruf auf einen Nebenjob angewiesen. Demnach hatten fast 92.000 Menschen in Schleswig-Holstein (Stichtag 1. Juni 2013) einen Nebenjob. Die Zahl hat sich seit 2003 damit verdreifacht. Inzwischen verdienen sich damit mehr als zehn Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten neben ihrem eigentlichen Beruf mit einem weiteren Job Geld hinzu - Tendenz steigend. Als einen wesentlichen Grund für den Anstieg sieht das IAB in den steuerlichen Vergünstigungen für Zweitjobs, die die Politik im Zuge der Hartz-Reformen beschlossen hat. Die meisten Beschäftigten mit Nebenjob haben neben ihrem Hauptberuf einen sog. Minijob mit einer Verdienstobergrenze von 450 Euro. Seit 2003 ist der Hinzuverdienst für die Beschäftigten hier praktisch steuer- und abgabenfrei.

Nebenjobs gibt es vor allem im Gastgewerbe und im Gesundheitswesen. Dennoch seien sie über den gesamten Arbeitsmarkt "breit gestreut," so das IAB.

Uwe Polkaehn, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Nord (DGB Nord), führt die steigende Zahl von Nebenjobs aber vor allem auf zu niedrige Löhne zurück. "Eigentlich sollte der Lohn zum Leben reichen, aber das Normalarbeitsverhältnis ist immer mehr entwertet und zerstückelt worden", so Polkaehn.

Inwieweit die nun beschlossene Einführung eines Mindestlohnes von 8,50 Euro den Trend zum Nebenjob oder zum Aufstocken durch ALG II umkehrt, mag bezweifelt werden. Bei einer Normalarbeitszeit von wöchentlich 38-Stunden ergibt der Mindestlohn monatlich knapp 1400 Euro brutto. Der Mindestlohn soll ab 2015 für alle Beschäftigten gelten - aber mit zahlreichen Ausnahmen: Für Minderjährige, Auszubildende und die meisten Praktikanten soll die Lohnuntergrenze nicht gelten. Auch Langzeitarbeitslosen muß in den ersten sechs Monaten einer neuen Beschäftigung kein Mindestlohn gezahlt werden. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles sicherte zudem "Sonderregelungen" für Erntehelfer und Zeitungszusteller zu.

Darüber hinaus bleiben für eine Übergangszeit von zwei Jahren all jene Branchen vom Mindestlohn unberührt, in denen Mindestlöhne tarifvertraglich geregelt sind - auch wenn die Festlegungen unter 8,50 Euro liegen. Zur Zeit sind in 41 Tarifverträgen geringere Einstiegslöhne vereinbart (FAZ 28.11.13). Die betreffenden Beschäftigten müssen demnach weitere zwei Jahre warten, bis auch sie 8,50 Euro erhalten.

Nun zur zweiten aktuellen Studie: Auch eine Anfang April für das Jahr 2013 vorgelegte DGB-Befragung zur beruflichen Situation Beschäftigter in Deutschland kommt zu wenig erfreulichen Ergebnissen: Danach sind unbezahlte Überstunden weit verbreitet und es herrscht unter den Beschäftigten zunehmend Existenzunsicherheit. Insbesondere befristete Arbeitsverträge und die Notwendigkeit, mehrere Jobs zur Existenzsicherung annehmen zu müssen, belasteten die Betroffenen. So gaben 43 Prozent der Befragten an, dass sie mit ihrem monatlichen Einkommen nicht oder gerade so über die Runden kommen würden.

Ein weiteres Problem stellt die immer zunehmende Arbeitsintensivität dar: 61 Prozent der in der repräsentativen Erhebung befragten Beschäftigten aus vielen verschiedenen Branchen gaben an, dass sie in der gleichen Zeit mehr leisten müssten als im Vorjahr. 56 Prozent der rund 5800 Befragten gaben an, sehr oft oder häufig gehetzt zu arbeiten, und 17 Prozent arbeiten sehr oft oder häufig außerhalb der bezahlten Arbeitszeit für ihren Betrieb. Spitzenreiter in der Disziplin der unbezahlten Arbeit sind die im Erziehungs- und Unterrichtsbereich Tätigen - von ihnen gaben 45 Prozent an, sehr häufig oder oft außerhalb der bezahlten Zeit zu arbeiten.

In der DGB-Studie verweisen die Autoren auf eine Analyse der Bundespsychotherapeutenkammer vom Januar dieses Jahres, wonach jede zweite neue Frührente mittlerweile psychisch bedingt sei und dass psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz dabei eine immer größere Rolle spielten.

Neben einer gesellschaftlichen Debatte, um auf diese Probleme aufmerksam zu machen, sieht die Studie die Gewerkschaften in der Pflicht, bei Tarifverhandlungen stärker auf den Verzicht prekärer Beschäftigungsverhältnisse zu bestehen, d.h. den Kampf gegen sachgrundlose Befristungen, Mini-Jobs oder Werksverträge zu führen.



www.dgb-index-gute-arbeit.de

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Quelle:
Gegenwind Nr. 308 - Mai 2014, Seite 13-14
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2014