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GEGENWIND/597: Kriege am Rande der EU - Buchbesprechung


Gegenwind Nr. 309 - Juni 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Kriege am Rande der EU

von Reinhard Pohl



Viel diskutiert wird zur Zeit über die Ukraine und wer Schuld am Ausbruch des Bürgerkrieges ist, EU oder Russland oder beide. Dabei wird oft übersehen, dass rund um die EU, diesem größten Wirtschaftsblock der Welt, alle kleinen Volkswirtschaften und Gesellschaften im Umbruch sind. Sie müssen sich, ob sie wollen oder nicht, täglich positiv oder negativ auf den gigantischen Nachbarn beziehen. Während die Ukraine wie Moldavien zwischen EU und Russland zerrieben wird, kämpfen in Syrien, Ägypten, Tunesien, Libyen oder Mali islamische Gruppierungen, teils unterstützt von Saudi-Arabien oder Katar, gegen den europäischen Einfluss.


Doch während in der Ukraine ausländische Truppen nur in Form offizieller oder geleugneter russischer Soldaten und "Freiwilliger" kämpfen, während die EU sich wie die USA auf "Berater" und gelegentlich Söldner beschränken kann, haben in Mali (wie zuvor in Libyen) Armeen der EU direkt in den Krieg eingegriffen, der auch ohne europäisches Zutun schon durch die bloße Existenz der EU entstehen konnte. In Mali gab es nach dem Sieg der "Rebellen" in Libyen durch die Rückkehr gut bewaffneter und ausgebildeter Söldner Gaddafis eine Verschärfung der ohnehin immer wieder aufflammenden Kämpfe zwischen den französisch geförderten Eliten des Südens gegen die Minderheiten des Nordens. Hatte die EU erst dafür plädiert, Truppen der westafrikanischen Union sollten der bedrohten Regierung beispringen, wurden dann doch französische Soldaten (deutsch unterstützt) eingeflogen.

Proteste, auch nur Diskussionen über diesen "EU-Krieg", der im Januar 2012 (im Jahr nach dem Libyen-Krieg) begann und 2013 mit dem schrittweisen Abzug der europäischen Truppen langsam seinem Ende zuging, blieben selten. Das lag sicherlich auch daran, dass es bei den Aufständischen nach anfänglichen Kämpfen um größere Mitbestimmung und gerechtere Verteilung der Rohstoff-Einnahmen auch um eine von den Geldgebern geforderten schärfere Durchsetzung angeblicher "islamischer" Regeln ging. Und nach den ersten öffentlichen Bestrafungen von unverschleierten Frauen und der Zerstörung von Kulturgut in Timbuktu gab es nicht nur Proteste der "befreiten" Bevölkerung gegen ihre Befreier, sondern auch Freudenkundgebungen für die einmarschierenden europäischen Truppen. Ähnlich wie in der Ukraine (oder zuvor in Kosova) reagiert die Linke in Deutschland irritiert und im Zweifel passiv auf derartige Beobachtungen.

Es ist aber nicht zu leugnen: Angesichts der einheimischen Regierung und Verwaltung beziehen sich viele junge Menschen positiv auf die EU, ohne sie genau zu kennen. Sie sehen aus der Ferne wohl geordnete Verhältnisse, in denen die Einzelnen von ihrer Regierung in Ruhe gelassen werden, eine weitgehend nichtkorrupte Verwaltung, Reisen ohne Grenzen und ohne Visum, im Vergleich zur eigenen Situation unvorstellbaren Wohlstand - und jede Annäherung wird assoziiert mit dem Traum von einem besseren Leben.

Unter diesen Aspekten hat Bernhard Schmid, ein Kenner vieler afrikanischer Staaten, vor allem aus dem frankophonen Teil, ein Kenner der französischen Politik diese militärische Intervention und ihre Vorgeschichte untersucht. Gut gegliedert und übersichtlich erklärt er die Geschichte Malis, die verschiedenen Machtgruppen im Süden und im Norden, die Interessen der Nachbarn (die Truppen zur Durchsetzung von "Menschenrechten" entsenden, die es im eigenen Land nicht gibt) und die Interessen Europas. Für die EU ist der westafrikanische Raum Teil der Euro-Zone (die Länder haben keine eigene Währung, sondern zahlen mit dem CFA-Euro), Mali gilt als Drehscheibe der Migration. Hier liegt der eigentliche Grund für das Interesse der EU, das sich vor allem auf "Stabilität" richtet.

Wer einen Blick über den Tellerrand werfen will, der und dem sei dieses Buch empfohlen. Als es im März 2014 erschien, sprach die deutsche Verteidigungsministerium schon öffentlich von Bundeswehr-Soldaten in Somalia und der Zentralafrikanischen Republik, ohne auf allzuviel öffentlichen Widerspruch zu stoßen. Der Autor greift diese Diskussion im letzten Kapitel auf, um zu zeigen, wohin die Reise geht.

Denn wer den Einfluss der EU in Nordafrika und Zentralafrika versteht, hat auch mehr Ahnung davon, was gerade in Serbien, Moldavien oder der Ukraine passiert. Die öffentliche Diskussion führt, um es allgemein zu sagen, nicht gerade zu einem besseren Verständnis.


Bernhard Schmid: Die Mali-Intervention. Befreiungskrieg, Aufstandsbekämpfung oder neokolonialer Feldzug? Unrast-Verlag, Münster 2014, 158 Seiten, 14 Euro.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 309 - Juni 2014, Seite 69
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2014