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GEGENWIND/606: Das Ausländerzentralregister - Datenschutz nur für Deutsche?


Gegenwind Nr. 312 - September 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Das Ausländerzentralregister:
Datenschutz nur für Deutsche?

Von Angelika Beer (MdL) und Johannes M. Wagner



Die öffentliche Empörung über die Spionage der US-amerikanischen Geheimdienste ist nach wie vor groß, wenngleich bei weitem nicht so groß, wie wohl angemessen wäre. Die im Gefolge der Snowden-Veröffentlichungen aufgedeckten Sachverhalte sind nämlich nach wie vor nicht beseitigt. Vielmehr stellte sich mittlerweile heraus, dass auch die deutschen Dienste umfangreiche Schnüffeleien gegen Ausländer betreiben und dabei mit NSA und CIA seit Jahrzehnten Hand in Hand arbeiten - vielleicht liegt hierin auch der Grund für die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung, den Skandal herunterzukochen und bereits frühzeitig für erledigt zu erklären?


Die Frage ist berechtigt: Arbeiten die deutschen Behörden so viel anders als die US-amerikanischen? Sollte Deutschland sich nicht vielleicht erst einmal an die eigene Nase fassen? Gegen wen richtet sich die Spionage der deutschen Dienste, welche Informationen werden erhoben und wie werden sie verarbeitet? Eine der Antworten auf diese Fragen ist schon seit einiger Zeit bekannt: Im Ausländerzentralregister (AZR) werden von verschiedensten Behörden über mehr als 20 Millionen Nicht-Deutsche und eingebürgerte Deutsche Informationen persönlichster Natur zentralisiert gesammelt - dabei leben in Deutschland nur etwa 8 Millionen Ausländerinnen und Ausländer. Private Informationen auch über Menschen, die nie in der BRD waren, sondern nur einen Antrag auf Visum gestellt oder eine Bürgschaft für einen solchen übernommen hatten, werden dort für bis zu 15 Jahre gespeichert.

Diese Riesen-Datenbank geht auf die "Ausländerzentralkartei" der Nazis von 1938 zurück und kann heute automatisiert von über 6.500 Behörden eingesehen werden - zu großen Teilen in Sammelabfragen und ohne vorherigen Antrag! Nicht umsonst wurde bereits im Jahr 2000 der "Big Brother Award" für diese "institutionalisierte behördliche Diskriminierung" von Ausländern in der BRD verliehen.

Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied im Dezember 2008 (Rechtssache C-524/06), dass diese diskriminierende Vorratsdatenspeicherung zur Kriminalitätsbekämpfung unzulässig sei - hier hat das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei dem das AZR angesiedelt ist, auch mittlerweile notdürftig nachgebessert. Für Drittstaatsangehörige ist der EuGH allerdings nicht zuständig, sie genießen somit hierzulande nur einen Datenschutz zweiter Klasse.

Um herauszufinden, was gegen diese Zustände unternommen werden kann, haben wir bei der Landesregierung eine parlamentarische "Kleine Anfrage" eingereicht und in Zusammenarbeit mit dem Einwandererbund Elmshorn und der Gegenwind-Redaktion eine Veranstaltung mit dem Landesdatenschutzbeauftragten Thilo Weichert zum Thema durchgeführt (vgl. Gegenwind 310 von Juli 2014, S. 48).

Das vorläufige Ergebnis: Auch in Schleswig-Holstein haben zahlreiche Behörden weitgehenden und automatisierten Zugriff auf die umfassende Datensammlung des AZR. Außer den 15 Ausländerbehörden der Kreise und kreisfreien Städte sind dies u.a. die Landespolizeien, (eingeschränkt) die JobCenter und neuerdings sogar der Landesverfassungsschutz. Neben Botschaften und Konsulaten pflegen auch Gerichte und Staatsanwaltschaften munter Daten ein.

Was dabei den Datenschutz angeht, so findet laut Landesregierung keinerlei Kontrolle statt: Aufzeichnungen darüber, wieviele oder welche Daten eingepflegt wurden, existieren überhaupt nicht; die Verantwortung für die Zulässigkeit des Abrufs wiederum trägt ausschließlich die abrufende Stelle selbst. Zwar ist das BAMF angehalten, den Zweck umfangreicherer Abrufe bis zu 6 Monate zu speichern, um z.B. eine datenschutzrechtliche Kontrolle zu ermöglichen. Ob eine solche allerdings stattfinde, konnte die Landesregierung wiederum überhaupt nicht sagen.

Was etwa Gruppenauskünfte, Auskünfte im automatisierten Verfahren oder auch die Angabe von Zweck und Rechtsgrundlage der Abfrage durch die abfragende Behörde angeht, scheinen die vorhandenen Regelungen des AZR-Gesetzes (AZRG) auch nach dem einschlägigen Urteil des EU-Gerichtshofes und den Gesetzesänderungen der vergangenen Jahre immer noch extrem lax gehandhabt zu werden. Konkretisierende Ausführungsbestimmungen zum AZRG kennt die Landesregierung in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage keine; ebenso verfügt sie über keinerlei konkrete Zahlen zu Dateneinspeisung und Datenabruf im Lande.

Bereits beim Kratzen an der Oberfläche zeigt sich die Situation also schon schlimmer als befürchtet. Auf Landesebene scheint es wohl keine Möglichkeit zu geben, dieser ausländerdiskriminierenden Datenkrake Herr zu werden. Der Weg über eine Bundesratsinitiative für besseren Datenschutz für Ausländer wäre - gerade angesichts der Diskussion über Datenschutzverletzungen US-amerikanischer Behörden gegenüber Deutschen - eine interessante Möglichkeit. Der datenschutzrechtliche Skandal des AZR verblasst allerdings nahezu im Vergleich zu den neuen EU-Datenbanken, mit denen zunächst Flüchtlinge und Visaanträge zentral erfasst werden sollen.

Zwar steht es prinzipiell allen Betroffenen frei, Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu verlangen oder auch den Klageweg zu beschreiten, um ihre Persönlichkeitsrechte zu wahren. Die sehr lange Speicherfrist auch persönlichster Daten von bis zu 15 Jahren wäre hier ein möglicher Ansatzpunkt für eine Klage evtl. auch vor internationalen Gerichtshöfen.

Doch wollen und können wir das von unseren aus dem Ausland stammenden Mitbürgerinnen und Mitbürgern tatsächlich erwarten? Die bereits bei Einführung 1938 intendierte grundsätzliche diskriminierende Botschaft des Registers, alle Ausländerinnen und Ausländer erst einmal unter Generalverdacht zu stellen, ihre Daten "zur Kriminalitätsbekämpfung" zu erheben und zentral zu speichern, kommt jedenfalls an - das ist auf der Veranstaltung in Elmshorn klar geworden.


Weiterführende Informationen unter:
http://www.angelika-beer.de/?p=2836

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Quelle:
Gegenwind Nr. 312 - September 2014, Seite 20-21
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2014