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GEGENWIND/609: Zwischen Luxuswohnungen und Leerstand


Gegenwind Nr. 313 - Oktober 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Zwischen Luxuswohnungen und Leerstand

von Klaus Peters



In Deutschland und anderswo ist städtischer Wohnraum durchweg knapp und teuer. In ländlichen Regionen sind vielfach Leerstände zu verzeichnen. Die Bausubstanz ist nicht nur in den abgelegenen Dörfern und Städten teilweise in ganzen Straßenzügen mangelhaft oder sogar völlig unzureichend. In touristischen Regionen ist die Situation ähnlich wie in den attraktiven Städten. In den touristischen Regionen kommen die Verdrängung der einheimischen Bevölkerung sowie Gebäudeleerstände über ein halbes Jahr und länger hinzu. Das alles führt zur Entfremdung, bis hin zum Absterben des Dorflebens und der Zerstörung der ursprünglichen, landschaftstypischen Architektur.


Die skizzierten Entwicklungen sind nicht ganz neu, die Politik ist untätig geblieben oder macht weiter wie bisher. Es findet nicht einmal eine Abstimmung zwischen Nachbarorten statt. So kommt es immer noch vor, dass in einem vom Tourismus stark geprägten Ort großzügige Neubaugebiete ausgewiesen werden, während im Nachbarort alte Bausubstanz verkommt und der Ort sogar ganzjährig verödet.

Die regional politisch Verantwortlichen sind durch Vereine, Verbände, Bürgerinitiativen und einzelne engagierte Bürger immer wieder auf Fehlentwicklungen hingewiesen worden. Durch den Denkmalschutz, durch Arbeitsgemeinschaften für Bau- und Landschaftspflege, durch Bürger, die sich für eine regionale nachhaltige Entwicklung einsetzen ist auf allen Ebenen immer wieder auf Defizite und Alternativen hingewiesen worden. Doch entweder waren andere Probleme wichtiger oder es war das schiere Profitstreben, die Gruppendynamik, einhergehend mit der Angst vor dem Verlust der Wählerklientel, die zum Nichthandeln bzw. zu Fehlentscheidungen geführt haben. Ein eklatantes Beispiel ist auch der über Jahrzehnte andauernde Niedergang der Bahninfrastruktur, der kaum aufgehalten werden konnte und durch Prestigeobjekte wie Stuttgart 21 möglicherweise sogar wieder verstärkt wird. Jedenfalls werden nach derzeitigem Stand Finanzmittel in Höhe von 6,5 Milliarden Euro gebunden.

Selbst linke Politiker haben sich oft schwer getan mit dem Denkmalschutz, dem Landschaftsschutz oder regionaltypischer Architektur. Die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten fehlen vielfach immer noch, zumal auch die Medien auf diesem Sektoren versagt haben. Zweifellos führt der massive Einsatz von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien zu Zielkonflikten; diese werden von fast allen politisch Verantwortlichen schlicht geleugnet oder gar nicht erkannt.

Worauf kommt es eigentlich an, wie kann eine Bewusstseinsänderung erreicht werden? Die NROs müssen gehört und gestärkt werden. Der Einfluss auf die Medien ist zu verstärken. NROs, die sich vorrangig mit anderen Fragen befassen, müssten auch die Fehlentwicklung im Bereich des Wohnungsbau, der Bahninfrastruktur, des Landschaftsschutzes in ihr Programm aufnehmen. Eine Alternative ist der Aufbau einer neuen Umwelt- und Naturschutzorganisation, die ganzheitliche Ansätze vertritt, sich politisch engagiert und neue Kräfte mobilisiert. Es kommt letztlich darauf an, die politischen Verhältnisse grundlegend zu ändern.

Die wesentliche Voraussetzung für grundlegende Veränderungen wären Kooperationsbereitschaft, wirtschaftliche Unabhängigkeit und politisches Engagement. Ein Ausweichen auf alternative Wohn- und Lebensformen ist keine echte Alternative, führt jedenfalls soweit erkennbar nicht zu grundlegenden Veränderungen in der Gesellschaft.

Im Bereich des Wohnens sind vorrangig generell massive und kontinuierliche Verbesserungen des Bestandes an Genossenschaftswohnungen und an öffentlichem Wohnraum anzustreben, jeweils unter Beachtung auch architektonischer und städtebaulicher Belange. Die Anzahl der Zweitwohnungen und von Ferienwohnungen ist zu begrenzen. Leerstehende Gebäude und Wohnungen sind nach Ablauf eines begrenzten Zeitraumes einer adäquaten Nutzung zuzuführen. Die ländlichen Räume müssen - teilweise auch auf Kosten der städtischen Verdichtungsräume - durch Verlagerung von Arbeitsplätzen, durch Anreize, wie der Verbesserung des schienengebundenen Regionalverkehrs, attraktiver gemacht werden.


Daten und Fakten
In der Schweiz war die Volksabstimmung über die Initiative "Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen, Zweitwohnungsinitiative vom 11. März 2012" erfolgreich. Der Bau von Zweitwohnungen soll zukünftig 20 % des Gesamtwohnungsbestandes eines Ortes nicht überschreiten. Dort, wo diese Quote bereist überschritten ist, soll es zu einem Baustopp kommen. Die GEsetzesvorlage zur Umsetzung der Initiative stoßen wegen unzureichender Bestimmungen auf Kritik.
www.zweitwohnungsinitiative.ch

Zur Zulässigkeit von Ferienwohnungen in Wohngebieten liegt ein Gerichtsurteil des Oberverwaltungsgerichts Greifswald aus dem Jahr 2007 vor. In diesem Urteil wird bestätigt, dass gemäß geltender Baunutzungsverordnung Ferienwohnungen in Wohngebieten nicht zulässig sind. In "Reinen Wohngebieten" sind kleine Betriebe des Beherbergungsgewerbes zulässig, wenn dies von den Gemeinden ausdrücklich in den entsprechenden Bebauungsplänen festgesetzt ist. Gleiches gilt für "Allgemeine Wohngebiete", hier auch für größere Beherbergungsbetriebe. Es sind bereits Verbote der Nutzung von Ferienwohnungen ausgesprochen worden und Klagen anhängig. Gutachter verweisen auf Bestandsschutz und Ermessensspielraum durch die zuständigen Baubehörden. Es liegen Vorschläge zur Konkretisierung der Baunutzungsverordnung vor.
www.openjur.de, OVG Greifswald, Beschluss vom 28. Dezember 2007, Az. 3M 190/07

In einigen Bundesländern, Bayern, Berlin, Hamburg, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sind Wohnraumsicherungsgesetze bzw. gesetzliche Regelungen zur Durchsetzung von Zweckentfremdungsverboten in Kraft gesetzt worden, durch die Leerstände und Zweckentfremdungen von Wohnraum verhindert werden sollen. Die Landtagsfraktion der Piratenpartei Schleswig-Holstein hat einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.
Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 18/2014 vom 26.06.2014

Wohnungsbestand (Angaben jeweils für 2011)
Wohnungsbestand BRD insgesamt: 41,3 Millionen
Wohnungsbestand SH: 3,5 Millionen
SH hat den höchsten Anteil an Gebäuden mit nur einer Wohnung (Einfamilienhäuser), knapp 80 %, im Durchschnitt der Bundesländer sind es 65 %.
Knapp 60 % der Wohnungen sind Eigentum von Privatpersonen, rund 22 % sind Eigentum von Wohnungseigentümergemeinschaften, 5,5 % sind im Besitz von privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen [1], 5,8 % sind im Besitz von kommunalen Wohnungsunternehmen, 5,4 % sind Wohnungsgenossenschaften zuzuordnen.
In Schleswig-Holstein beträgt die Eigentümerquote 50,4 %, im Bundesdurchschnitt 45,8 %.

Eigentumsquote in Ländern der EU:
Italien 80 % (2008)
Irland 70 %
EU 60 %
2011 standen in Deutschland rund 1,7 Millionen Wohnungen leer, das entspricht einer Quote von 4,4 %, in Schleswig-Holstein liegt die Quote bei 2,7 %; in Hamburg ist die Quote mit 1,5 % am niedrigsten, die höchste Leerstandsquote ist mit 9,9 % in Sachsen ermittelt worden.
Der Bestand von Sozialwohnungen ist in den letzten 25 Jahren rapide abgebaut worden.
1987: 3,9 Mill.
2002: 2,6 Mill.
2012: 1,5 Mill.
Der Wohnungsbau ist ein Wirtschaftszweig mit besonderer Bedeutung für das Handwerk und mittelständige Betriebe. Gleichwohl sind wie in anderen volkswirtschaftlich relevanten Bereichen auch Konzerne tätig. Im Bereich der Vermietung haben in- und ausländische Konzerne sowie Private mit großem Wohnungsbestand starken politischen Einfluss.


Anmerkung:

[1] Der größte private Wohnungskonzern ist die Deutsche Annington mit gegenwärtig 185.000 Wohnungen (Wert: 11,4 Mrd.). Gemäß einem kritischen Bericht des "stern", Ausgabe vom 28.8.2014, sollen weitere 41.500 Wohnungen aufgekauft werden. Der Konzern ist in Großbritannien von Finanzinvestoren durch den Kauf von Soldatenheimen gegründet worden. Die FAZ meldete am 3.9.2014, dass das seit 2013 börsennotierte Wohnungsunternehmen bereits weitere 5.000 Wohneinheiten erworben hat. Kurz darauf wurde bekannt, dass der Vorstandsvorsitzende der öffentlichen Wohnungsgesellschaft SAGA (Siedlungs-Aktiengesellschaft Hamburg), Lutz Basse, mit Genehmigung der zuständigen Senatorin für ein jährliches Entgelt von 100.000 Euro im Aufsichtsrat der deutschen Annington tätig sein wird. Die Hamburger Senatorin, Jutta Blankau, erklärte, die Deutsche Annington sei in Hamburg nur im Besitz von 1.800 Wohnungen, daher würden keine Interessenskonflikte entstehen. Andererseits wies sie darauf hin, dass es sinnvoll sei, den vorhandenen Sachverstand des Managers eines öffentlichen Hamburger Wohnungsunternehmens in das private Unternehmen einzubringen. Nach öffentlicher Kritik teilte Basse mit, er werde das erste Jahreshonorar der städtischen "Stiftung Nachbarschaft" spenden.


Quellen:

Gebäude- und Wohnungsbestand in Deutschland, erste Ergebnisse der Gebäude- und Wohnungszählung 2011, Statistische Bundesämter des Bundes und der Länder, Januar 214; SPIEGEL-ONLINE v. 10.07.2014;

Wikipedia

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Quelle:
Gegenwind Nr. 313 - Oktober 2014, Seite 16-18
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2014