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GEGENWIND/693: "Kommunistin bin und bleibe ich, aber die jetzige Partei ..."


Gegenwind Nr. 693 - Januar 2017
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Buchvorstellung
"Kommunistin bin und bleibe ich, aber die jetzige Partei ..."
(Käte Duncker, 1925)
Zum Briefwechsel von Käte und Hermann Duncker

Von Jörg Wollenberg


"Nimm den Leitfaden von Dr. Hermann Duncker (den ich zu Hause habe) zur Hand und studiere den Sozialismus nach seinen Vorschlägen". Das schrieb der Maurer Robert Pöhland am 11. Juli 1916 an seinen 15-jährigen Sohn Robert. Und am 19. Oktober 1916, kurz bevor eine Granate an der Somme ihm den Kopf abriss, ermahnte der belesene Marxist seine "liebe kampfesmutige Frau", Käte Dunckers Position auf der Berliner Reichskonferenz der SPD vom September 1916 zu folgen: Keinen Pakt mit den Verrätern der Sache, für die Liebknecht eingekerkert wurde.


Aber "warum nun Spaltung um jeden Fall" mit der Arbeitsgemeinschaft - anstatt die Mehrheitspolitiker gemeinsam zu bekämpfen (vgl. Pöhland-Briefe, 2006, S.162 und 229 mit Tagebuch Duncker 2016, S.286).

Beide Pöhlands gehörten 1909 zu den Hörern von Hermann Duncker, als dieser als Wanderlehrer des SPD-Parteivorstands in Bremen zweimal vier Wochen lang Vorträge und Kurse zur Geschichte des Sozialismus und zu volkswirtschaftlichen Grundbegriffen durchführte. Dazu kamen Balladenabende für die "Junge Garde", ein Gorki-Abend und ein Schiller-Vortag, stets begleitet von dem für Jugendfragen zuständigen Heinrich Brandler. Zuvor hatte Duncker im Herbst 1907 und erneut 1908 Kurse und Vorträge in Neumünster, Kiel, Flensburg und Lübeck im Auftrag des Bildungsausschusses der SPD angekündigt, der von den einstigen Bremer Partei- und Bildungspolitikern Heinrich Schulz und Wilhelm Pieck geleitet wurde. 1910 absolvierte Heinrich Duncker nach Frankfurt noch weiter 6 Städtetouren mit jeweils 8 Wochenkursen in insgesamt 20 Orten. Vorausgesetzt wurde außerdem eine Beteiligung an an der Reichstagswahlagitation. "Ich sitze ja bis über die Ohren in der Arbeit. Will es doch zu gutem Ende führen", teilte er erschöpft und genervt seiner Frau dazu mit, die zu dieser Zeit nicht nur drei Kinder allein zu versorgen hatte, sondern selbst durch Pressarbeit, Parteiagitation und eigene Schulungsarbeit für Frauen und Jugendliche stark belastet war.

Beide hatten sich 1894 in den Abendkursen zu Erziehungs- und Frauenfragen des Leipziger Arbeiterbildungsvereins kennengelernt und 1898 geheiratet. Sie als Lehrerin, er als Student der Musik und Nationalökonomie. "Was ich für die Arbeiterbewegung habe leisten können, verdanke ich wesentlich der kameradschaftlichen Unterstützung meiner Frau", hielt Hermann Duncker später resümierend fest. Ab 1903 hauptamtlicher Funktionär der SPD und Redakteur der Leipziger Volkszeitung wurde er 1906 mit der Einrichtung marxistischer Schulungskurse der erste "Wanderlehrer" der Partei und ab 1911 Lehrer an der zentralen Parteischule der SPD in Berlin, wo er den Kontakt zu Rosa Luxemburg und Franz Mehring pflegte. Käte ging dagegen 1907 nach Stuttgart, wo sie unter der "starken Hand der Genossin" Clara Zetkin die Frauen- und Kinderbeilage der "Gleichheit" redigierte. Dieser beruflich bedingten Trennung verdanken wir einen Briefwechsel, der im Juli 1894 beginnt und am 1. September 1941 mit dem Brief Nr. 2641 endet. Ein fast lückenlos aufbewahrter, 50 Jahre umfassender Briefwechsel von zwei herausragenden Persönlichkeiten der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Ihr gemeinsamer politischer Weg führte vom linken Flügel der Sozialdemokratie über die USPD und den Spartakus zu den Mitbegründern der KPD. Als entschiedene Kriegsgegner und Antifaschisten überlebten sie im Exil in den USA und kehrten im Mai 1947 nach Deutschland zurück. Wilhelm Pieck hatte beide am 13. Februar 1947 eingeladen und Hermann Duncker einen "Lehrstuhl an einer unsrer Universitäten" angeboten. Dunckers Vorstellungen zur Neuordnung Deutschlands nach 1945 hatten Freunde aus dem Amsterdamer Exil am 29. August 1945 so kommentiert: "Ich bin so froh über Deine Leitgedanken gegen Rassenhass, für Einheit der Werktätigen und Sozialismus". (Albin Tenner, mit den Dunckers ab 1919 in Gotha verbunden als gemeinsame Lehrer an der Arbeiterparteihochschule in Gotha ab Januar 1920 und als Volksbeauftragter des Freistaates Gotha ab März 1919).

Ein außergewöhnliche Überlieferung von rund 3000 Briefen und Postkarten, die 2016 im Karl Dietz-Verlag veröffentlicht wurden - als "Tagebuch in Briefen (1994-1953)" inklusive USB-Card mit dem vollständigen Briefwechsel auf 5722 Seiten, herausgegeben von Heinz Deutschland unter Mitarbeit von Ruth Deutschland. Eine editorische, und inhaltliche Meisterleistung, angereichert durch tabellarische Überblicke zur Lehrtätigkeit, durch Exkurse zu Personen und zu den Jahresereignissen. Zu bedauern ist lediglich, dass das Personenverzeichnis nicht um ein Verzeichnis der Orte ergänzt wurde.

Der Herausgeber spricht zurecht von einem Jahrhundertbriefwechsel. Zwei allumfassend humanistisch geprägte Persönlichkeiten im täglichen, gleichberechtigten Gedankenaustausch mit Einblicken und Kontroversen zum Alltag und zur Kultur. Offen in Fragen der Erziehung, der historisch-politischen Analysen und Kontroversen untereinander und mit Freunden und Gegnern. Unerbittlich in der Forderung, "die marxistische Weltanschauung umfassend und nicht verkürzt auf die Schriften Stalins darzulegen". Erstaunliche Zusammenhänge werden dabei thematisiert. So berichtet Hermann Duncker u.a. über die enge Zusammenarbeit mit August Thalheimer - 1928 in Moskau - zu Fragen von Marxismus und seine materialistische Einstellung. ("Die Klassenverhältnisse und die Klassenkämpfe in den Niederlanden zur Zeit Spinozas"). Und Käte Duncker trug im November 1914 erstaunliche "Leitsätze" über die wirtschaftlichen Ursachen des Weltkrieges vor 200 Leiterinnen der Frauen-Leseabende im Berliner Gewerkschaftshaus vor - als Ergänzung zum Referat über "Die Ursachen des heutigen Krieges".

Berührend und bewegend ist der Umgang mit den Sorgen über das Befinden der drei Kinder, besonders der beiden Söhne in der Schweiz und in Moskau, die 1940 und 1942 aus dem Leben scheiden (Karl durch Selbstmord, Wolfgang im Gulag). "Immer wieder diese furchtbaren Nachrichten", besonders zwischen 1938 und 1940 in den Briefen von Käte und Hermann aus Gotha, Paris und New York, über die Säuberungen in Moskau. "1938 ist eine furchtbarere Niederlage als 1933 (weltmäßig gesehen). Hitlers Hegemonie über Europa ist brutale Wahrheit." (S. 494). "Nun haben wir in dem unglücklichen Spanien noch die Selbstzerfleischung in Madrid" (S. 495). Und auf den Seiten 502 bis 506 das blanke Entsetzen über das Abkommen der Todfeinde, der Nichtangriffspakt vom 23. August 1939, dem der "Freundschaftsvertrag" vom 28. September 1939 folgte. Dazu schreibt Hermann Duncker aus Paris am 13.10.1939 an seine Frau: "Ich bin entsetzt über die neuen Verhandlungen Hitler-Stalin! Nie hielt ich das für möglich! Das man auch das noch erleben muss! Bei dieser 'Dialektik' kann ich nicht mehr mit. Nie und nimmer kann man einen Sozialismus auf den Hitlerismus aufbauen! Pfui Teufel! - Ich habe eine solche Wendung nicht für möglich gehalten. Dafür reicht mein Verstand nicht aus! ... Die Hitler-Pakt-Kommunisten von 1939 sind beinahe das Gegenstück zu den Regierungssozialisten von 1914. Aber noch viel monströser."

Trotz der auch nach 1945 gelegentlich fortgesetzten Kritik an der Politik der KPD und des FDGB blieben beide bis zum Lebensende überzeugte Kommunisten. "Ich suche mir in Berlin todsicher eine parteilose Arbeit. Auf diesem Vulkan mag ich nicht länger sitzen. Kommunistin bin und bleibe ich, aber die jetzige Partei ..." Das schrieb Käte Duncker schon am 10. März 1925 ihrem Mann angesichts der Konflikte um die ultralinke Parteiführung unter Ruth Fischer und der Kampagne, die Kandidatur von Thälmann für die Wahl zum Reichspräsidenten auch in der Stichwahl aufrecht zu erhalten. "Hindenburg wird wohl von Thälmanns Gnaden aus der Urne spazieren!" (24. April 1925).

Über die Nachkriegszeit erfahren wir dazu weniger aus dem Briefwechsel der Duncker, der 1941 nach der Zusammenführung der Familie im Exil weitgehend endet. Aber der Herausgeber liefert dazu Hinweise im Anhang am Beispiel der Briefwechsel der Dunckers mit Freunden und Verwandten, ergänzt um einen abschließenden Exkurs über die letzten Lebensjahre der Dunckers und über persönliche Erinnerungen an Hermann Duncker.



Käte und Hermann Duncker.
Ein Tagebuch in Briefen (1894-1953).
Herausgegeben von Heinz Deutschland
unter Mitarbeit von Ruth Deutschland.
Karl Dietz Verlag Berlin 2016
(= Geschichte des Kommunismus und
Linkssozialismus Band XX).
606 Seiten und USB-Card, 49,90 Euro.
ISBN 978-3-320-02314-0

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Quelle:
Gegenwind Nr. 693 - Januar 2017, Seite 44 - 45
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2017

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