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GEGENWIND/722: 3. August 2014


Gegenwind Nr. 347 - August 2017
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Kommentar
3. August 2014

von Reinhard Pohl


Für viele kam es aus heiterem Himmel: Milizen des "Islamischen Staates" stürmten Sindjar (kurdisch: Shingal) und ermordeten Tausende, entführten weitere Tausende. Kurz vorher hatten die von Deutschland bewaffneten kurdischen Peshmerga die Stadt verlassen, ohne die Bevölkerung vor dem bevorstehenden Angriff zu warnen.

Der Anführer des "Islamischen Staates" hatte seinen Kämpfern nicht die Eroberung befohlen, sondern die Ausrottung. Die Jesiden gehören einer sehr alten, kurdischen Religion an, zwar monotheistisch, aber keine "Buchreligion". Doch genauso wichtig war den Verbrechern die Entführung von Tausenden von Frauen. Sie sollten als Belohnung für die Kämpfer dienen, ebenso als Handelsgut auf dem Sklavenmarkt.

Die Welt reagierte kaum. Zwar wurde über die verzweifelte Lage von Zehntausenden von Flüchtlingen, denen im Gebirge der baldige Tod durch Verdursten drohte, berichtet, meist ohne Bilder. Aber nur einige Einheiten der kurdischen Armee aus der Türkei und Syrien reagierten, vor allem Fraueneinheiten kämpften sich unter hohen Verlusten zu den Flüchtlingen durch, sprengten den Belagerungsring der Islamisten und konnten tagelang einen schmalen Fluchtkorridor nach Syrien freihalten.

Auch hinterher reagierte die Welt kaum. Zwar gelang es mit der Zeit, einige Hundert jesidische Frauen aus der Gewalt des "Islamischen Staates" zu befreien. Aber nur die Grünen in Baden-Württemberg übernahmen Verantwortung, 1.100 befreite Frauen wurden nach Stuttgart geflogen und erhielten dort eine Aufenthaltserlaubnis, die Landesregierung verzichtete angesichts des Genozids auf Asylanträge.

In Deutschland gab es - vor allem in Niedersachsen - Demonstrationen und Kundgebungen, in denen auf den Völkermord aufmerksam gemacht wurde. Die Regierung in Berlin wurde aufgefordert zu handeln. Dazu wurden Fahnen der kurdischen Milizen YPG und YPJ geschwenkt, die Zehntausende von Flüchtlingen aus dem Kessel befreit hatte. Die Bundesregierung unternahm nichts - Anfang 2017 verbot sie allerdings, die Fahnen der YPG und YPJ öffentlich zu zeigen. Jesiden dürfen sie nur noch privat aufhängen, wenn sie ihre Dankbarkeit zeigen wollen.

Wir haben uns umgesehen und fünf Interviews geführt [*]. Wie leben Jesiden in Schleswig-Holstein? Sie zeigen sich, das wird deutlich, dankbar dafür, dass sie sich hier zu ihrem Glauben bekennen können. Nur 1.100 wurden mit Flugzeugen abgeholt, die anderen mussten sich zu Fuß oder mit dem Schlauchboot durchschlagen, um in Sicherheit zu gelangen.

Auch heute noch warten viele Überlebende des Völkermordes darauf, in Sicherheit gebracht zu werden. Deutschland könnte zeigen, dass es Lehren aus der Geschichte gezogen hat.


[*] Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Interviews sind in der August-Ausgabe des Gegenwind nachzulesen.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 347 - August 2017, Seite 3
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2017

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