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GEGENWIND/764: Griechenland - "Meine Generation und die unserer Kinder werden mit diesen düsteren Zeiten leben müssen"


Gegenwind Nr. 358, Juli 2018

Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
"Meine Generation und die unserer Kinder werden mit diesen düsteren Zeiten leben müssen"

von Günther Stamer


Griechenland? Da war doch mal was! Noch vor vier oder fünf Jahren verging kaum ein Tag, an dem in der Tageszeitung BLÖD nicht über die "faulen Griechen" hergezogen und vor einer "kommunistischen Machtübernahme" durch SYRIZA gewarnt wurde. Heute ist Griechenland - oder genauer gesagt: die Lebenssituation der griechischen Durchschnittsbevölkerung - aus den Schlagzeilen verschwunden. Hat sich in den vergangenen Jahren dort also alles zum Guten gewendet?

"Manchmal frage ich mich, wie die Leute überleben können", wird in einer Reportage im Wirtschaftsteil der FAZ (27.11.17) ein griechischer Steuerberater zitiert. Die dramatische Krise Griechenlands hat auch ihn getroffen: Achtzig Kunden, vor allem Inhaber kleiner Betriebe, zählte er noch im Jahr 2009. Von seinen Kunden haben fünfzig aufgegeben. "Meine Generation und die unserer Kinder werden mit diesen düsteren Zeiten leben müssen", so sein bitteres Fazit. Mit dieser pessimistischen Sicht liegt er damit im Trend. Laut einer Meinungsumfrage eines griechischen Meinungsforschungsinstituts vom Mai 2018 denken 90 Prozent der Griechen, dass die falsch gestalteten Memoranden die Wirtschaftskrise verschlimmert haben.

Seit acht Jahren untersteht Griechenland nunmehr der Aufsicht der Gläubigerinstitutionen: der EV-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB), des Euro-Stabilitätsmechanismus ESM und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Paradox: Die mit vielen linken Vorschusslorbeeren gestartete Regierung unter SYRIZA, die seit Anfang 2015 mit Tsipras den Ministerpräsidenten stellt, hat dabei die marktradikalen und unsozialen Auflagen der Quadriga im Vergleich zu den Vorgängerregierungen am geräuschlosesten umgesetzt.


Wohneigentümer von Zwangsversteigerungen bedroht

Über die weiter fortgeschrittenen sozialen Verwerfungen konnten sich Teilnehmer_innen auf einer vom Kieler Griechenland-Solikomitee und der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierten Veranstaltung mit griechischen Mieter-Aktivist_innen im Mai in der "pumpe" ein ungefähres Bild machen. Berichtet wurde dort von Wohn-Eigentümern, die unverschuldet verschuldet sind - etwa, weil sie arbeitslos wurden und dadurch ihre Kredite an die Bank nicht zurückzahlen können. Ein Gesetz, das die Zwangsversteigerung einer Wohnung verbietet, die als Erstwohnsitz genutzt wird, läuft Ende des Jahres aus und ist im griechischen Parlament nicht verlängert worden. Damit wird es möglich, Menschen im großen Stil in die Obdachlosigkeit zu treiben. Schon jetzt werden die Zwangsversteigerungen in Griechenland intensiviert. Dagegen gibt es - organisiert von lokalen Basis- und Selbsthilfeorganisationen - vielfältigen Widerstand und Protest.

Im August läuft das dritte Memorandum aus und die Regierung frohlockt, dass Griechenland dann endlich wieder "auf eigenen Beinen" stehen werde - ohne die Bevormundung durch die Quadriga. Grund zur Freude besteht allerdings kaum: Tatsächlich sind bereits Verpflichtungen für die Zeit nach dem dritten Memorandum beschlossen, so eine weitere Rentenkürzung, ein weiterer Personalabbau im öffentlichen Dienst und eben auch die massenhafte Zwangsversteigerung von Wohnraum von Besitzern, die den Kredit nicht bedienen können.


Schorlaus Griechenland-Krimi

Ein Sachbuch, das sich als Krimi maskiert

Wer Lust hat, sich auf Spurensuche nach den Ursachen der "griechischen Misere" zu begeben und den weitreichenden, Jahrzehnte langen Verstrickungen deutscher Politik darin nach zu spüren, dem sei der neue Krimi von Wolfgang Schorlau "Der große Plan" empfohlen. Denn der neunte Fall des Privat-Ermittlers Georg Dengler will Licht in die dunklen Hintergründe bringen, wonach europäische Steuerzahler angeblich Rettungsmilliarden für Athen zu Verfügung gestellt haben, von denen aber bei der Bevölkerung nichts angekommen ist.

Schorlau verbindet in seinem Buch zwei Erzählstränge: Einen, den er in dem von der deutschen Wehrmacht besetzten Athen aus der Sicht eines SS-Offiziers bereits im Prolog beginnen lässt, und einen anderen, gegenwärtigen: Privatdetektiv Georg Denglers Ermittlungen im Fall einer entführten Spitzenbeamtin des deutschen Außenministeriums, die für die sogenannte Troika in Griechenland tätig war. Worin der Zusammenhang zwischen Gestern und Heute besteht, wird erst auf den letzten Seiten geklärt.

Den Schulden Griechenlands setzt Schorlau dabei die uneingelöste historische Schuld Deutschlands entgegen und erinnert an das Wüten der faschistischen Wehrmacht in Griechenland: Wie das Land geplündert, Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und ihre Bewohner ermordet wurden - und mit welchen Tricks sich die Bundesrepublik Entschädigungen und Reparationen weitgehend entzogen hat.

Aber liest man hier überhaupt noch einen Krimi? Mehr als in früheren Dengler-Fällen zerfällt dieser "Große Plan" in einen Sachbuchteil und einen Krimiplot - und der Leser muss feststellen, dass der informative Teil, der die griechische Schuldenkrise erklärt, um vieles gelungener ist als die reichlich konstruierte Krimi-Handlung. Der Roman ist also doch eher ein Sachbuch, das sich als Krimi maskiert.

In einer Rezension (junge welt 16.3.18) heißt es, Schorlau bediene in seinen nunmehr neun politischen Kriminalromanen "das Bedürfnis nach Information und Darstellung von Zusammenhängen, insbesondere von Herrschaftsmechanismen. Im Grunde hat Schorlau ein neues Genre begründet, in dem mit literarischen Mitteln kriminalistisch oder journalistisch zusammengetragene Fakten zu einem Ganzen gemacht werden."

Bei aller Wertschätzung von Schorlau - ganz neu ist das auch im deutschsprachigen Raum nicht. Anfang/Mitte der 70er Jahre haben Richard Hey und vor allem Bernt Engelmann (u.a. in Hotel Bilderberg, Grosses Bundesverdienstkreuz) dieses Genre als "Science Faction" literarisch etabliert.


U-Boote aus Kiel für Griechenland

Griechenland gehört auch seit Jahrzehnten zu den besten Kunden der deutschen Rüstungsindustrie. Die Regierung in Athen bestellte Kampfpanzer, Haubitzen und U-Boote in der Bundesrepublik.

Im Jahre 2000 orderte die griechische Marine bei der Kieler HDW vier moderne U-Boote vom Typ 214. Der deutsch-griechische Deal sah den Bau eines U-Bootes in Kiel und die Endfertigung der drei Nachfolger in den Hellenic Shipyards in Skaramagas bei Athen vor, die speziell zu diesem Zweck von der HDW-Gruppe, die zum Thyssen-Krupp-Konzern gehörte, übernommen wurden.

Kaum war die Tinte unter dem Vertrag trocken, bereuten die Griechen jedoch bereits ihren Kaufrausch. Griechenland hatte sich in den Verträgen von Maastricht verpflichtet, die Neuverschuldung unter die 3%-Grenze zu bringen. Der U-Boot-Deal, der ein Volumen von 2,8 Milliarden Euro hatte, war nach den Konvergenzkriterien der EU eigentlich nicht finanzierbar.

Aber: "Die Brüsseler und Berliner Haushaltsexperten schauten angestrengt weg, und so konnten die Griechen das Kunststück vollbringen, die U-Boot-Milliarden acht Jahre zu 'verstecken' und erst in den Katastrophenhaushalt 2009 einfließen zu lassen. Doch nicht nur das. Griechenland unterzeichnete im März 2010 sogar einen neuen Vertrag, in dem das Land sich verpflichtet, zwei weitere U-Boote vom Typ 214 bei den Hellenic Shipyards bauen zu lassen. Während die griechische Regierung die Renten und die Löhne massiv kürzt, kauft sie zur gleichen Zeit deutsche Militärtechnik im Wert von über einer Milliarde Euro" (Jens Berger auf Telepolis 25.7.2010).


Wolfgang Schorlau: Der große Plan.
Denglers neunter Fall. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2018, 435 Seiten,
14,99 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 358, Juli 2018, Seite 48-50
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2018

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