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GEGENWIND/778: "Das Wesen aller Kolonialpolitik ist die Ausbeutung einer fremden Bevölkerung in der höchsten Potenz"


Gegenwind Nr. 362 - November 2018
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

"Das Wesen aller Kolonialpolitik ist die Ausbeutung einer fremden Bevölkerung in der höchsten Potenz"

von Günther Stamer


Vor 10 Jahren, als Ergebnis von Novemberrevolution und Versailler Vertrag, endete die Zeit des deutschen Kolonialismus. In den offiziellen "Revolutionsfeierlichkeiten" in Kiel und anderswo findet die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte kaum statt. Eher am Rande ist diese Frage dennoch in der öffentlichen Diskussion. Zum einen hat das zu tun mit der gerichtlich anhängigen Klage in New York, wo Herero- und Nama-Vertreter die Bundesrepublik wegen Ermordung von 100.000 Menschen zwischen 1904 und 1908 verklagt haben.

Damals schlugen deutsche Soldaten einen Aufstand der Herero und Nama nieder und trieben flüchtende Familien in die Omahek-Wüste. Viele starben an Hunger und Wassermangel. Neben finanzieller Entschädigung für die Gräuel fordern die Nachfahren eine direkte Beteiligung an den Gesprächen um Wiedergutmachung.

Humboldt-Forum in Berlin als Ausdruck "kolonialer Amnesie"

Zum anderen rückt die Diskussion um das Humboldtforum in Berlin die Diskussion um kolonialen Kulturraub und postkoloniale Sichtweisen ins Blickfeld. Das Humboldt Forum ist ein kulturelles Projekt im Rahmen des Wiederaufbaus des Schlosses in Berlin. Dort sollen zukünftig dauerhaft Ausstellungen über außereuropäische Kulturen gezeigt werden.

Gegen das offizielle Konzept regt sich Widerstand. Erinnerungspolitisch schlage sich in der gegenwärtigen Konzeption des Humboldt Forums eine "koloniale Amnesie" nieder, die dem grundsätzlich richtigen Anspruch eines "symmetrischen Dialogs der Kulturen" in der Mitte Berlins zuwiderlaufe. In der Resolution der Plattform "No Humboldt 21!" heißt es: "Wir fordern die Aussetzung der Arbeit am Humboldt-Forum im Berliner Schloss und eine breite öffentliche Debatte: Das vorliegende Konzept verletzt die Würde und die Eigentumsrechte von Menschen in allen Teilen der Welt, ist eurozentrisch und restaurativ. Das Humboldt-Forum steht dem Anspruch eines gleichberechtigten Zusammenlebens in der Migrationsgesellschaft entgegen. Die Staatlichen Museen Berlins sind nicht die 'rechtmäßigen Besitzer ihrer Bestände'. Der weitaus größte Teil der über 500.000 wertvollen Exponate aus aller Welt kam im Zusammenhang mit kolonialen Eroberungen nach Berlin. Über den zukünftigen Verbleib von Beutekunst und kolonialem Raubgut muss der Dialog mit den Nachfahren der Schöpfer/-innen und rechtmäßigen Eigentümer/-innen der Exponate gesucht werden.

Für die Nachfahren der Kolonisierten im In- und Ausland ist es eine besondere Zumutung, dass dies in der wiedererrichteten Residenz der brandenburgisch-preußischen Herrscher geschehen soll. Denn die Hohenzollern waren hauptverantwortlich für die Versklavung Tausender Menschen aus Afrika sowie für Völkermorde und Konzentrationslager in Deutschlands ehemaligen Kolonien. Wir lehnen daher jede Präsentation von Objekten, die während der Kolonialzeit nach Berlin kamen, im Berliner Schloss ab." (http://www.no-humboldt21.de/resolution)

Initiative "Kiel Postkolonial"

Auch in Kiel hat sich Anfang des Jahres eine Initiative "Kiel Postkolonial" gegründet, die mit Stadtrundgängen und Veranstaltungen auf das koloniale Erbe auch in Kiel und Schleswig-Holstein aufmerksam machen will. So berichtete die "Kieler Nachrichten" (12.3.18) über den ersten postkolonialen Stadtspaziergang durch Kiel, an dem sich 70 Interessierte beteiligt hatten. Auf einer Veranstaltung Anfang November im Fahrrad-Kino-Kombinat in der Alten Mu waren in etwa gleich viele Interessierte, die sich einen Überblick über die Geschichte der deutschen Kolonialpolitik verschaffen wollten.

Mit der 1884 in Berlin abgehaltenen Konferenz der europäischen imperialen Großmächte beginnt die staatlich organisierte Kolonialpolitik des deutschen Kaiserreichs. Die sog. "Kongokonferenz" fand auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Bismarck statt und sollte die Handelsfreiheit am Kongo und am Niger regeln. Ihr Schlussdokument bildete die Grundlage für die Aufteilung Afrikas in Kolonien. Die mit dem Begriff "Schutzgebiete" bezeichneten deutschen Kolonien waren Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia); Togoland (heute Togo); Kamerun; Deutsch-Ostafrika (heute "Tansania und Burundi); Nord-Neuguinea, die Salomon-Inseln, Nauru, Mariannen-Inseln, Karolinen, Palau, Samoa; Kiautschou/Tsingtau (heute Volksrepublik China).

Diese Gebiete galten nicht als Teil des Deutschen Reichs; die Bewohner konnten sich demnach nicht auf dessen Verfassungs- und Rechtsgarantien berufen. Bezeichnend ist die Charakterisierung von Carl Peters, Kolonist im Kilimandscharo-Gebiet, Antisemit und Sadist, als einen "grimmigen Arier, der in Ermangelung von Juden drüben in Afrika Neger totschießt wie Spatzen", wie es 1899 im sozialdemokratischen "Vorwärts" zu lesen war.

Wenn Kieler Matrosen auf Chinafahrt gehen

Mitte" 2017 konnte man im Kieler Stadtmuseum Warleberger Hof einen kleinen Einblick in ein Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte nehmen, die auch aufs Engste mit dem Reichskriegshafen Kiel und ihren Matrosen verbunden ist.

Zum ersten Mal wurde 1859 ein Geschwader der preußischen Marine in das "faszinierende Reich der Mitte", nach China, entsandt. Schon zehn Jahre später wurde dort eine ostasiatische Schiffsstation als eigener Versorgungsstützpunkt auf chinesischem Boden errichtet. Unter Kaiser Wilhelm II. wurde die chinesische Kiautschou- Bucht 1897 dann zu einem deutschen "Schutzgebiet" erklärt und wurde Bestandteil der staatlich organisierte Kolonialpolitik des deutschen Kaiserreichs.

In der Ausstellung im Kieler Stadtmuseum konnte man an Hand von Fotos, Tagebuchaufzeichnungen und Devotionalien sehen, was die Kieler "Chinafahrer" des Kreuzergeschwaders unter dem Befehl des Kaiserbruders Prinz Heinrich von Preußen aus Kiautschou in den Reichskriegshafen Kiel als Erinnerungsstücke zurück brachten. Dazu gehören u.a. Seidenstickbilder, Porzellangefäße - vor allem aber viele Kolonialfotografien. Dabei wurde dem Betrachter der Ausstellungsstücke vor Augen geführt, dass sich auch die einfachen Marinesoldaten durchaus als "Kolonialherren" aufzuführen wussten und wenig von proletarischem Internationalismus zu spüren war, wie dies der SPD- Vorsitzende August Bebel in seiner Rede im Reichstag 1889 gefordert hatte: "Im Grunde genommen ist das Wesen aller Kolonialpolitik die Ausbeutung einer fremden Bevölkerung in der höchsten Potenz. Wo immer wir die Geschichte der Kolonialpolitik in den letzten drei Jahrhunderten aufschlagen, überall begegnen wir Gewalttätigkeiten und der Unterdrückung der betreffenden Völkerschaften, die nicht selten schließlich mit deren vollständiger Ausrottung endet. Und das treibende Motiv ist immer Gold, Gold und wieder nur Gold zu erwerben."

In Kiautschou, dem "Deutschen Schutzgebiet" auf chinesischen Boden waren etwa 1.500 Mann der Kriegsmarine stationiert; dazu kamen mehrere Tausend deutsche Zivilisten, Familienangehörige, Laden- und Firmenbesitzer.

Kaiser Wilhelm II. hatte 1900 in seiner "Hunnenrede" in Bremerhaven ein mit Kieler Mannschaften verstärktes deutsches China-Kontingent mit folgenden Worten verabschiedet: "Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen. Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht haben, so möge der Name Deutscher in China auf tausend Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen."

Kiel Postkolonial: Auch in unserer Stadt ist eine Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit nötig

Während des postkolonialen Stadtspaziergangs erfahren die TeilnehmerInnen z.B., dass das Gut Knoop dem dänischen Kaufmann Heinrich Schimmelmann gehört hatte, der durch Sklavenhandel reich geworden war. Oder die Bäckerei-Kette Steiskal, die wie famila zum Bartels-Langness-Unternehmen gehört: Auch dessen Co- Namensgeber Paul Bartels verdiente am Kolonialwarenhandel. Ähnliche Ursprünge hat die Supermarktkette Edeka, deren Name auf "Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin" zurückgeht, und damit den Namen Kolonialwaren praktisch noch immer im Namen führt.

Dann gibt es in Kiel ein Restaurant "Zum Mohrenkopf" am Exerzierplatz und eine Apotheke in der Holtenauer Straße, die diesen Namen führt.

Die Initiative "Kiel Postkolonial" will koloniale Spuren im Stadtbild aufzeigen, diskutieren, aber auch Forderungen aufstellen. Mit Blick auf das "Afrikaviertel" (Neumühlen-Dietrichsdorf) fordert sie die Umbenennung der Lüderitz-, Nachtigal-, Wißmann- und Woermannstraße.

Völkermord-Prozess gegen Bundesrepublik

Im November/Dezember organisiert die Initiative "Kiel Postkolonial" neben einem weiteren "Postkolonialen Stadtspaziergang" zwei Veranstaltungen, die sich mit dem Völkermord an den Herero und Nama beschäftigen.

In der Klage vor einem New Yorker Gericht durch die Chiefs, den traditionellen Autoritäten der indigenen Bevölkerungsgruppen im heutigen Namibia, heißt es: In der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft über das damalige Deutsch-Südwestafrika (dem heutigen Namibia) sei zwischen 1885 und 1903 ein Viertel des Landes der Herero und Nama mit Einverständnis der Kolonialbehörden von deutschen Siedlern enteignet worden. Geduldet von den Kolonialbehörden hätten die Siedler Frauen und Mädchen vergewaltigt und der Bevölkerung Zwangsarbeit auferlegt. Bei dem 1904 einsetzenden Aufstand habe der deutsche General von Trotha dann einen Vernichtungsfeldzug gegen die Nama und Herero geführt. Dokumentiert ist dies in seinem sogenannte Vernichtungsbefehl vom 2. Oktober 1904 in dem er verkündete, dass die Herero das Gebiet der Kolonie zu verlassen hätten. "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen." Im Ergebnis dieses Genozids wurden bis zu 100.000 Herero und Nama erschossen, starben in Konzentrationslagern oder verdursteten in der wasserlosen Steppe, in die sie getrieben wurden und deren Ausgänge von der Kolonialtruppe abgeriegelt worden waren.

Diesen Völkermord erkannte die Bundesregierung erst 2015 als solchen an. Noch 1998 hatte der damalige Bundespräsident Roman Herzog bei einem Staatsbesuch in Namibia geäußert, dass die Deutschen sich gegenüber den Hamm "nicht korrekt verhalten hätten". Seit dem Sommer 2016 verhandelt die Bundesregierung nun mit Namibia über eine offizielle Entschuldigung für die Kolonialverbrechen. Eine entsprechende Resolution des Bundestags steht aber immer noch aus.

Die Herero und Nama, die infolge des Landraubs der Kolonialherren bis heute größtenteils in Armut leben, haben mehrfach erklärt, eine Entschuldigung nur dann akzeptieren zu wollen, wenn dies mit Reparationszahlungen einherginge. Das hatte Herero-Chief Rukoro noch einmal ausdrücklich während seines Aufenthalts in Berlin im Oktober 2016 betont und verwies auf die bis in die Gegenwart fortwirkenden sozialen Folgen: Im Zuge der Kolonialpolitik enteignete die deutsche Kolonialmacht die indigene Bevölkerung, das nachfolgende Apartheidsregime verstärkte die Ungleichverteilung: 1990 lagen 98 Prozent des namibischen Farmlandes in der Hand der dortigen weißen Minderheit, heute sind es immer noch zwischen 75 und 80 Prozent. Dabei sind nur fünf Prozent der Namibier Weiße, davon 1,3 Prozent deutscher Abstammung.

Der deutsche Historiker und Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer hält es für möglich, dass die Sammelklage weitreichende Folgen hat: "Wenn es gelingt, Deutschland zu direkten Verhandlungen mit Vertretern einzelner Bevölkerungsgruppen und zu Reparationen zu zwingen, können viele weitere Fälle aus der Kolonialzeit akut werden." (zeit-online 6.1.17) Ein Erfolg der Klage in New York könnte zu Reparationsforderungen gegen Deutschland auch wegen Massakern während des Maji-Maji-Aufstands im heutigen Tansania führen, ebenso wegen Massakern und Strafaktionen in Togo, in Kamerun und in der Südsee.

Mit der Ausstellung "Deutscher Kolonialismus. Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart" im Deutschen Historischen Museums (DHM) 2017 in Berlin stellte sich das "offizielle Deutschland" erstmals seiner kolonialen Vergangenheit. Mehr als 500 Exponate u.a. aus historischen, ethnologischen und naturkundlichen Sammlungen sowie zahlreiche Gemälde, Grafiken, Alltagsgegenstände, Plakate, Dokumente und Fotografien vermittelten einen Einblick in den Verlauf der deutschen Kolonialgeschichte und legten die zugrundeliegende Ideologie des Kolonialismus ebenso offen wie die deutsche Herrschaftspraxis mit der Ausübung alltäglicher Gewalt und der Niederschlagung von Aufständen bis hin zum Genozid. Mit dieser Ausstellung ist auf jeden Fall für eine breitere Öffentlichkeit aus dem In- und Ausland ein Anfang gemacht worden, dass das lange verdrängte Thema "deutscher Kolonialismus" thematisiert wird.


Veranstaltungshinweis

Dienstag, 11. Dezember, 19.30 Uhr, Hansastr. 48: Film & Gespräch "Weiße Geister - Der Kolonialkrieg gegen die Ovaherero" mit dem Ovaherero-Aktivisten Israel Kaunatjike.

Leseempfehlung zum Aufstand der Herero:
Uwe Timm, Morenga, dtv, 448 Seiten, 10,90 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 362 - November 2018, Seite 59 - 61
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2018

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