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GEGENWIND/783: 500 Flüchtlinge extra - Schleswig-Holstein plant eigenes Aufnahmeprogramm


Gegenwind Nr. 363 - Dezember 2018
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Einwanderung
500 Flüchtlinge extra
Schleswig-Holstein plant eigenes Aufnahmeprogramm

von Reinhard Pohl


Es stand schon im Koalitionsvertrag von 2017, wird aber erst 2019 umgesetzt: Schleswig-Holstein will 500 Flüchtlinge aufnehmen, und zwar direkt aus Flüchtlingslagern in Afrika. Damit soll besonders schutzbedürftigen Menschen eine sichere Zukunft organisiert werden, und sie sollen sich vorher nicht erneut in Lebensgefahr begeben müssen, wie es von anderen Flüchtlingen verlangt wird.


Vor der Sommerpause hatte der Landtag bereits kurz darüber beraten. Für die drei Regierungsfraktionen war klar, dass die Rahmenbedingungen abgesprochen sind, und so stellten sie einen kurzen Antrag (Landtagsdrucksache 19/830): Der Landtag sollte jetzt die Regierung beauftragen, das Aufnahmeprogramm zu starten. Dem stimmten - außer den Regierungsfraktionen CDU, Grüne und FDP - auch die Oppositionsfraktion der SPD zu, ferner die nicht in Fraktionsstärke vertretenen Abgeordneten der dänischen und friesischen Minderheit, des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW). Die AfD stimmte nicht dagegen, sondern enthielt sich und beantragte nur zusätzlich, dass die Regierung regelmäßig über die Aufnahmen und die Erfahrungen Bericht geben sollte.

Für die Landtagssitzung im November hatte nun der SSW beantragt, dass die Regierung berichten sollte, was denn nun konkret vorbereitet wird. Dieser Bericht wurde auch abgegeben (Landtagsdrucksache 19/1001). Die Landesregierung bezieht sich zunächst auf das ohnehin geplante EU-Aufnahmeprogramm für 50.000 Flüchtlinge aus afrikanischen Flüchtlingslagern. Dieses ist Teil des "Resettlement-Programms" der UNO. Damit werden Flüchtlinge umgesiedelt, die ihr Herkunftsland bereits verlassen haben, und zwar aufgrund von Krieg, Konflikten oder Verfolgung. Dabei handelt es sich ausnahmslos um Flüchtlinge, die vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR registriert wurden, dazu werden ihre Angaben vorher überprüft. Sie wurden provisorisch in einem Land nahe dem Herkunftsland untergebracht, dort können sie aber nach Einschätzung der UNO nicht ausreichend versorgt werden. Auch können sie nach Einschätzung der UNO für längere Zeit, vielleicht für immer nicht mehr ins Herkunftsland zurückkehren. Für das Jahr 2018 hat die UNO 1,2 Millionen von 65 Millionen Flüchtlingen auf der Welt für ein Resettlement identifiziert: Sie müssen dringend in Sicherheit gebracht werden, weil sie auch dort, wo sie jetzt provisorisch leben, in Gefahr sind.

Die EU hat für die Jahre 2018 und 2019 die Aufnahme von 50.000 Flüchtlingen im Resettlement zugesagt. Das bedeutet, sie werden in einem europäischen Staat aufgenommen, der zusagt, dass sie ohne zeitliche Begrenzung bleiben können. Die Prüfung, ob es wirklich Flüchtlinge sind, ist bereits durch die UNO erfolgt, so dass sie hier kein Asyl beantragen, sondern sofort eine (humanitäre) Aufenthaltserlaubnis bekommen. Geregelt ist dieses Verfahren in § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes.

Die Aufnahme dieser Flüchtlinge durch ein Bundesland darf nur erfolgen, wenn das Bundesinnenministerium zustimmt.

Deutschland hat der EU gegenüber zugesagt, von den angekündigten 50.000 Flüchtlingen 9.700 aufzunehmen. Die schleswig-holsteinische Quote beträgt 3,4 Prozent, von diesen 9.700 Flüchtlingen kommen also ohnehin 330 in den wahren Norden. Diese Zahl wird von der Landesregierung auf 830 aufgestockt.

Herkunft

Die UNO hat darum gebeten, besonders die Anrainerstaaten Syriens zu berücksichtigen, außerdem Libyen und die Flüchtlingslager am Horn von Afrika (Äthiopien, Uganda, Tansania, Djibouti, Kenia).

Schleswig-Holstein will die "eigenen" 500 Flüchtlinge insbesondere aus Flüchtlingslagern in Ägypten und Äthiopien aufnehmen. In Frage kommen also vor allem Flüchtlinge aus Syrien, Jemen, Somalia und Eritrea.

Die UNO (UNHCR) wird eine Vorauswahl treffen. Dabei geht es darum, ob sie dort weg wollen und ob sie nach Schleswig-Holstein wollen, denn es kann eine Entscheidung für den Rest des Lebens sein. UNHCR wird außerdem feststellen, wer am dringendsten dort weg muss, sei es aufgrund der örtlichen Verhältnisse, sei es aufgrund eines besonderen Bedarfs, z.B. einer notwendigen medizinischen Versorgung. Schwerpunkt sollen Frauen und Kinder sein, die traumatisierende Gewalt erlitten haben, aber komplette Familien (also mit Vätern) sind nicht ausgeschlossen.

Wie weit Verwandtschaftsbeziehungen mit bereits in Schleswig-Holstein lebenden Familien berücksichtigt werden, geht aus dem Bericht nicht hervor. Für Betroffene kann das nur bedeuten: Wer in Flüchtlingslagern in Ägypten oder Äthiopien Verwandte und Bekannte hat, kann die über das Aufnahmeprogramm informieren. Voraussetzung zu einer Aufnahme ins Programm ist die Registrierung durch UNHCR.

Geld

Die EU will 50.000 Flüchtlinge aufnehmen, macht die Verteilung auf die Mitgliedsstaaten aber zu einer freiwilligen Angelegenheit. Sie finanziert die Aufnahme aber aus dem Haushalt, zu dem alle Mitgliedsstaaten beisteuern, zahlen werden also alle Mitgliedsstaaten gleichmäßig. Die Staaten und Bundesländer, die letztlich Flüchtlinge aufnehmen und unterbringen, bekommen pro Flüchtling von der EU eine Beihilfe von 10.000 Euro, für Schleswig-Holstein sind das dann 8,3 Millionen Euro.

Hier in Schleswig-Holstein sollen die ankommenden Flüchtlinge zunächst in einer Aufnahmestelle untergebracht werden, allerdings nicht in der Erstaufnahme für Asylbewerber (zur Zeit Neumünster und Boostedt), sondern in einer anderen Einrichtung. Dann sollen sie auf Kommunen verteilt werden. Hier gibt es übrigens schon viele Meldungen von Kommunen, die zur Aufnahme bereit sind.

Die Landesregierung will vorher gucken, wo es die nötige medizinische Versorgung gibt, wo es Sprachkurse mit Kinderbetreuung gibt, wo es DolmetscherInnen gibt, wo Freiwillige sich als HelferInnen zur Verfügung stellen.

Reaktionen der Parteien

Aminata Touré aus der Landtagsfraktion der Grünen bedankte sich ausdrücklich bei den Kommunen, die schon die Aufnahme angeboten haben. Sie wies aber darauf hin, dass die Aufgenommenen vermutlich sehr Schlimmes erlebt haben und zumindest anfangs eine gute Betreuung brauchen. Sie sieht das Aufnahmeprogramm auch als praktische Antwort auf die allgemeine Debatte, die sich weit von der Not der Flüchtlinge wegbewegt hat und sich heute darum dreht, welche Grundwerte unsere Gesellschaft teilt. Sie rief dazu auf, diese Debatte zu führen, aber nicht unter dem Deckmantel der Flüchtlingspolitik. Die Aufnahme von 500 Flüchtlingen nannte sie im Landtag ein "immens wichtiges Zeichen".

Barbara Ostmeier von der CDU sah die Aufnahme als "wirklich starkes Signal in Richtung der Menschen in Schleswig-Holstein und ein ebenso starkes Signal in Richtung Bund und Europäische Union". Sie sieht es als Vorteil, dass die Aufnahme über fünf Jahre verteilt erfolgt, und sie hielt es auch für richtig, alle Aufgenommenen zunächst zentral unterzubringen und erst nach einer kurzen Phase der Eingewöhnung zu verteilen.

"Schleswig-Holstein geht mit zum Beispiel voran", sagte Serpil Midyatli für die SPD im Landtag. Sie merkte allerdings an, dass es noch keine Information über das Einverständnis des Bundesinnenministers gebe, das dafür notwendig ist. Sie erwähnte nicht nur aufnahmebereite Kommunen, sondern lobte auch die Demonstrationen für einen "sicheren Hafen" (#seebruecke) in Flensburg, Kiel, Lübeck und Pinneberg.

Lars Harms begrüßte das Programm im Namen des SSW ebenso. Er freute sich besonders, dass Flüchtlinge direkt aus den Flüchtlingslagern aufgenommen werden und wies auf die unsichere Lage in Äthiopien hin. Anschließend forderte er möglichst viel Hilfe bei der Integration, dem Spracherwerb und der Eingliederung in den Arbeitsmarkt, denn die Aufgenommen werden lange Zeit oder für immer hier bleiben.

Für die FDP, die in Schleswig-Holstein mit regiert, sprach Jan Marcus Rossa. Er freute sich ebenfalls, dass Schleswig-Holstein mit guten Beispiel vorangeht und über das geplante EU-Aufnahmeprogramm hinausgeht. Er sah in der Aufnahme allerdings eine vorübergehende Aufnahme aus humanitären Gründen, keine dauerhafte Aufnahme. Die Aufnahme begründete er auch damit, dass die USA unter Präsident Trump die Hilfszahlungen für die Flüchtlingslager in Afrika gekürzt hätten.

Nur die AfD sah die Aufnahme kritisch. Es handele sich nicht um besonders Schutzbedürfüge, sondern um die Beteiligung an einem Umsiedlungsprogramm der EU, so ihr Sprecher Claus Schaffer. Es sei eine "Aufnahme weiterer kulturfremder Migranten unter dem Deckmantel der Schutzgewährung". Es ginge auf Kosten der Sicherheit und der sozialen Stabilität in unserem Land. Er erwähnte, dass die Stadtvertretung von Norderstedt die Aufnahme abgelehnt habe. In der Aufnahme sah er einen Teil des UN-Migrationspaktes, und der würde "Völkergewohnheitsrecht durch die Hintertür" schaffen. 250 Millionen weiterer Migranten würden folgen, das Landesaufnahmeprogramm sei ein "Türöffner für Einwanderung".

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Quelle:
Gegenwind Nr. 363 - Dezember 2018, Seite 43 - 44
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2018

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