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GEGENWIND/803: Nicht nur in Zeiten von Wahlen


Gegenwind Nr. 368 - Mai 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Diskussion
Nicht nur in Zeiten von Wahlen

von Klaus Peters


Inhalte werden durch Begriffe bestimmt - und verfälscht. Bulleye-Betrachtungen haben Hochkonjunktur. Man möchte die Wähler und sich selbst schließlich nicht überfordern. Aber jeder Hype muss eingespeist werden in überbordende Wahlprogramme.


Für Wählerinnen und Wähler, für Bürgerinnen und Bürger ist es nicht einfach, sich trotz "Medienvielfalt" ein richtiges Urteil zu bilden. Die Medien haben sie meist unbemerkt in eine kleinbürgerliche Haltung (egoistische Wohlfühlhaltung) gedrängt oder diese verstärkt. Hinzu kommen Abhängigkeiten verschiedenster Art.

Politisch Engagierte wissen das und versuchen diese Erwartungen zu erfüllen. Andere Ansätze, wie die Aufforderung mit gutem Beispiel voranzugehen, zu verzichten, ganzheitlich zu denken und zu handeln, sind mit noch größeren Risiken behaftet. Probleme und Widersprüche werden ignoriert, führen jedoch nur zur Verlagerung, zu größeren Problemen in der Zukunft. Fatal, dass dies scheinbar ungestraft geschehen kann. Nach wie vor gilt: Wachsamkeit, der Zweck heiligt nicht die Mittel.

Aufmerksamkeit verdienen Aussagen außerhalb "politischer Korrektheit": Ein bekannter Politiker bezogen auf die Energiepolitik: "Unsere Nachbarn halten uns für bekloppt". Zum Parteienwandel aus einem Kommentator einer großen Tageszeitung (im Kontext mit dem Rücktritt des hessischen Spitzenpolitikers Torsten Schäfer-Gümbel: "Die Grünen waren für die SPD (wie Die Linke später) inakzeptabel (erst recht für die CDU), dann folgte eine Koalition mit der SPD, jetzt koalieren sie zum zweiten Mal mit der CDU."

Zu einigen Schwerpunktthemen, ihrer Vernachlässigung oder Deformation:

Bei der Rüstung (Verteidigungsetat) sind sich CDU/CSU/SPD/FDP/AfD ziemlich einig. Dies obgleich beispielsweise Russland (Putin) für die AfD kein so großes Feindbild darstellt als für die anderen Parteien. Es musste wohl auch soweit kommen, dass einige diesen Parteien angehörigen Politiker von einem Flugzeugträger faseln. Die Linke konzentriert sich auf das Verbot der Rüstungsexporte und kritisiert immerhin die Erhöhung des Rüstungsetats. Die Grünen sind aktuell gegen Rüstungsexporte an Saudi-Arabien.

Die Energiewende ist ein milliardenschweres Desaster. Für ihre Befürworter auch eine Art Ersatzreligion, wenn sie nicht schon allein durch Geld- und Wählerzuflüsse abhängig geworden sind. Betroffene sind auf Wählergemeinschaften und Bürgerinitiativen, die sich für Mensch und Natur einsetzen, angewiesen. Die Gerichte meinen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben offensichtlich nur bedingt handlungsfähig zu sein. Allzu oft entscheiden sie jedenfalls gegen Mensch und Natur und zugunsten von Investoren, von Staat und Wirtschaft. Vielleicht finden trotz alledem sich doch noch verantwortliche Politiker, die den Mut haben zu erklären, dass die Energiefrage unter derzeitigen Bedingungen nicht lösbar ist.

Eine nachhaltige Verkehrspolitik gibt es nicht, ist auch nicht erkennbar. Die jahrzehntelange Vernachlässigung der Bahn und die Abhängigkeiten von Autoverkehr und Straßenbau sind allgegenwärtig. Jährlich werden über 3000 Verkehrstote und Zehntausende von Schwerverletzten dem Straßenverkehr geopfert. Das Elektroauto ist nicht die Lösung, ist vielmehr mit neuen Problemen verbunden. Bahn und Bahnhöfe müssen, vor allem auch in den ländlichen Regionen, endlich systematisch revitalisiert werden.

Für die Abschaffung von Hartz IV und einen höheren Mindestlohn setzt sich nur die Linke ein. Gleiches gilt prinzipiell für höhere Einkommenssteuern bei den oberen Einkommen, höhere Unternehmenssteuern, eine Vermögenssteuer, eine angemessene Transaktionsteuer usw.

Natur und Landschaft verschwinden immer mehr unter Beton und Asphalt, Natur- und Kulturlandschaften werden zerstückelt. Ohne die Vogelschutzrichtlinie (VRL) und die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) der EU wäre es vermutlich noch schlimmer. Ende März wurde bekannt, dass Deutschland offensichtlich massiv gegen die Umsetzung der FFH-Richtlinie verstoßen hat. Insgesamt sind gegen Deutschland 76 Vertragsverletzungsverfahren anhängig, davon entfallen 16 auf das Umweltministerium. Flächenverbrauch und Artenschwund gehen weiter, der Artenschwund auch innerhalb von bereits ausgewiesenen Schutzgebieten. Für den Artenschwund ist die industrialisierte Landwirtschaft hauptsächlich verantwortlich, doch für Flächenverbrauch und industrialisierte Landschaften sind es Staat, Kommunen und Wirtschaft (Investoren, von denen die Gebietskörperschaften sich abhängig gemacht haben). Im vergleichsweise waldarmen Schleswig-Holstein müsste u.a. die Waldbildung massiv vorangetrieben werden.

Was wir brauchen ist ein Abkehr vom grenzenlosen Wachstum, vom Wachstumswahn und dem damit verbundenen steigenden Ressourcenverbrauch. Zunehmend wird der Begriff "Nachhaltigkeit" verwendet. Leider auch von denen, die alles andere als eine echte nachhaltige Entwicklung im Sinn haben. Ähnlich wird mit dem Begriff "Ökologie" umgegangen. Die Pioniere des Naturschutzes von Herrmann Löns über Herbert Gruhl bis Horst Stern und viele andere haben sich nicht durchsetzen können. Die Naturschutzinitiativen und Verbände sind zu schwach oder haben sich korrumpieren lassen. Notwendig wären ein Ende des Wachstums- und Profitwahns, der Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe, der Rückbau von schädlichen Industrien, eine vollständige Umstellung der Landwirtschaft nach Kriterien der Öko-Verbände. Begleitet sein muss diese Transformation durch die Absenkung der Hürden für Volksabstimmungen auf Länderebene, die Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene und die Möglichkeit der Popularklage im Interesse von Mensch und Natur.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Kupfererzemine in Chile: Kupfer wird vorwiegend in Übersee und in den USA abgebaut. Kobalt vorrangig in der Demokratischen Republik Kongo und Lithium vor allem in Südamerika, aber auch in anderen Kontinenten. Geringere Vorkommen gibt es in Serbien und Österreich.

- Karl Marx entwickelte gemeinsam mit Friedrich Engels zahlreiche Klarstellungen zu gesellschaftlich relevanten Begriffen und lieferte damit wertvolle Erklärungen zum Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse.

- Die unterschiedlichen Landschaften haben vielfältige ökologische und ästhetische Bedeutungen, sie sind identifikationsstiftend, haben als Rohstoßquellen oder als Erholungsgebiete auch sozioökonomisch und sozialpsychologisch einen unschätzbar hohen Wert. Je mehr Landschaft verbraucht wird, desto stärker wird der Druck auf die verbliebenen Landschaften.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 368 - Mai 2019, Seite 59 - 60
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2019

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