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GEGENWIND/812: Buch - Versuch und Irrtum. Unbekannte Zweige der Geschichte der Menschheit


Gegenwind Nr. 369, Juni 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
Versuch und Irrtum
Unbekannte Zweige der Geschichte der Menschheit

von Reinhard Pohl


Natürlich ist allgemein bekannt, dass die Geschichte der Menschheit nicht gradlinig verlief. Herrschaften entstanden und vergingen, und nicht jeder Nachfolgestaat war automatisch höher entwickelt als der Vorgängerstaat. Und viele Entwicklungen endeten in einer Sackgasse.


Harald Haarmann beschreibt in diesem Buch 25 Kulturen, mit denen es nach der Buchankündigung nicht mehr weiter ging. Er ist dabei zum Glück nicht ganz konsequent, denn er beschreibt auch Kulturen, die einige ihrer Errungenschaften später an Nachfolger weitergeben konnten.

Die ersten Kapitel sind archäologischen Funden in Deutschland, Russland, der Türkei oder Amerika gewidmet, über die man gar nicht genau weiß, ob deren Entwicklungen (wie der Speer oder unterirdische Häuser mit Dacheingang) weitergegeben wurden oder nicht.

Es folgen dann Berichte von frühen Hochzivilisationen an Donau, am Persischen Golf, am Indus oder in der Türkei. Teils sind sie nicht so bekannt, weil es sich eben "nur" um Zivilisationen und nicht um Reiche mit Herrschern handelte. Es folgen Beschreibungen von Zivilisationen in China oder in Punt, von denen man relativ wenig weiß - im Falle von Punt nicht einmal, wo genau es lag, auch wenn sich heute ein autonomes Gebiet im Bürgerkriegsland Somalia selbstbewusst "Puntland" nennt.

Bei anderen frühen Kulturen bemüht sich der Autor um Aufklärung, weil viele Mythen kursieren. So gibt es Berichte, dass es hier oder dort "Amazonen" gab, also Reiche mit weiblichen Kämpferinnen. Es gab sie tatsächlich, und zwar nördlich des Schwarzen Meeres auf dem Gebiet der heutigen Ukraine. Man kann das an Gräbern erkennen, in denen Frauen Waffen als Grabbeigaben spendiert wurden, teils auch Pferde. Allerdings ist es ein Mythos, sie hätten sich selbst eine Brust amputiert, um den Bogen besser spannen und Pfeile kraftvoller abschießen zu können - nichts davon ist bewiesen, dagegen das Gegenteil sehr überzeugend.

Weiter geht es mit Zivilisationen in den Anden, in Mittelamerika oder auf den Osterinseln.

Dann wird auch das Reich von Aksum vorgestellt, in dem vermutlich das Judentum eine große Rolle spielte und das Gebiete des heutigen Äthiopien, Eritrea und Jemen umfasste. Allerdings gehört dieses Reich zu denen, die nicht spurlos "untergegangen" sind - aus dem Reich von Aksum entstand das "salomonische" Reich von Abessinien, aus dem das heutige Äthiopien entstand. Zwar behauptet der äthiopische Gründungsmythos etwas anderes, die Spuren von Aksum sind aber bis heute in Äthiopien nachweisbar.

Palmyra, die Khmer, Simbabwe und bisher weitgehend unbekannte große Siedlungen im Amazonas-Gebiet bilden weitere Kapitel des Buches. Dabei sind die Großsiedlungen im Amazonas-Gebiet bis heute am wenigsten erforscht und bekannt - bis vor einiger Zeit schätzte man die Besiedlung des Gebietes vor der europäischen Eroberung als sehr dünn ein. Vielleicht war das Gebiet im Mittelalter sehr viel dichter besiedelt als bisher bekannt, darauf deuten einige Spuren der Großsiedlungen hin. Dann müsste die Todesrate durch das Einschleppen europäischer Infektionskrankheiten allerdings auch viel, viel höher sein als bisher bekannt. Vielleicht ein Grund dafür, dass der Forschungseifer und das dafür zur Verfügung stehende Geld nicht so hoch ist.

Der Autor ist von Haus aus Sprachwissenschaftler. Insofern beschäftigt er sich laufend mit den Sprachen, die in den von ihm beschriebenen Kulturen gesprochen wurden, damit versucht er die Quellen der Zivilisationen nachzuzeichnen. Er kennt aber auch heutige Genanalysen, die oft der bisherigen Geschichtsschreibung widersprechen.

Es sind 25 sehr interessante und auch unterhaltsame Kapitel der Menschheitsgeschichte, die für die meisten komplett neu sein dürften.


Harald Haarmann:
Vergessene Kulturen der Weltgeschichte.
25 verlorene Pfade der Menschheit.
Verlag C. H. Beck, München 2019, 223 Seiten, 18 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 369, Juni 2019, Seite 52
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2019

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