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GEGENWIND/841: DDR von innen


Gegenwind Nr. 374, November 2019

Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

DDR von innen

von Klaus Peters


In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift des Deutschen Freidenker-Verbandes "Freidenker" befassen sich sieben Autoren mit der DDR, dem Anschluss an die BRD und deren Folgen. Das Heft hat den Titel: "Siebzig Jahre DDR". Die DDR und ihre Errungenschaften leben also irgendwie weiter? Oder sind es vielleicht nur die konkreten, vergleichenden Erfahrungen der Menschen?


Der Tag der deutschen Einheit hat wieder einmal klar gemacht, was über Deutschland gewusst und gedacht werden soll. Nun wissen wir eigentlich, dass durch Politik und Medien immer wieder manipuliert wird. Ohne Manipulationen und Widersprüche wäre es vielleicht auch zu langweilig und zu einfach, zumindest lässt sich so offensichtlich ganz gut regieren, lassen sich Fördermittel oder Preise abgreifen. Medienberichte oder politische Botschaften lassen sich so immer noch gut verkaufen. Das Buch "Gekaufte Journalisten" des leider zu früh verstorbenen ehemaligen Journalisten, Udo Ulfkotte, ist auch deshalb so beeindruckend, weil der Autor sich selbst zu seinen Manipulationen bekannt hat.

Trotz dieser Aufklärungsliteratur, Wikipedia und anderen sozialen Medien ist es nicht einfach, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Es wird prinzipiell auch nicht leichter, weil immer mehr Akteure, immer länger in Manipulationen verstrickt sind, Unwahrheiten und Halbwahrheiten quasi zur Staatsdoktrin werden. Hilfsweise werden die Menschen abgelenkt oder auch schon einmal mit einigen wahren Details ruhig gehalten. Ein größeres Lügengebäude ist für die Ex-DDR geschaffen worden. Nicht nur rechtslastige und bürgerliche, auch linke Wessis - aber auch Ossis - haben mitgebaut und versuchen, dieses Gebäude zu schützen. Ein kleines Beispiel: Ein Wikipedia-Eintrag, in dem auf die ab 1990 eklatant steigenden tödlichen Straßenverkehrsunfälle auf dem Gebiet der Ex-DDR hingewiesen worden war, wurde kurz nach dem Eintrag gelöscht.

Sehr eindrucksvoll beschreibt Egon Krenz, letzter Vorsitzender des Staatsrats der DDR, im ersten von sieben Beiträgen der Ausgabe Nr. 3 des Freidenker-Heftes "Was war und was bleibt" den Aufbau, die Entwicklung und die letzten Jahre der DDR. Zweifellos hatten Staat und Führung Mängel. Aber welcher Staat und welche Führungskräfte sind fehlerlos? Die verantwortlichen Politiker und die Mainstreammedien bewerten die DDR vor und nach dem Anschluss, aus der Position der Überlegenen und Sieger. Allerdings kannten die Verantwortlichen der DDR, als sie noch an der Macht waren, auch praktisch keine öffentliche Selbstkritik.

Egon Krenz geht einleitend seines Beitrags, ein Abdruck eines Referats, das er in St. Petersburg gehalten hat, auf das negative Verhältnis der Bundesrepublik zur DDR unter Adenauer ein. Gleichzeitig erinnert er an die Notwendigkeit und an die Erfolge der Freundschaft der DDR mit der UdSSR. Bis zur Auflösung der DDR und der UdSSR bestanden zwar weltweit auch nicht unerhebliche politische Spannungen, doch es herrschte ein relatives Gleichgewicht. Nach 1990 wurde dann angesichts der schwächeren, aber bald wieder unabhängigen Position Russlands sehr schnell eine aggressive Konfrontationspolitik durch die NATO eingeleitet.

Krenz zeichnet diese Konfrontationspolitik in einigen wesentlichen Passagen nach und erinnert an die historische Schuld der Deutschen. Letztlich plädiert er für ein freundschaftliches Verhältnis, das zum beiderseitigen Nutzen beitragen würde. Einen größeren Abschnitt im Beitrag des Autors nimmt die Auseinandersetzung mit dem Geschichtsrevisionismus ein. Er weist auf die ungeheuren Verbrechen des deutschen Faschismus hin, der sich als "Nationalsozialismus" bezeichnete und auf die Tatsache, dass diese Begrifflichkeit immer wieder zu diskreditierenden Zwecken verwendet wird, auch um gegenwärtige Meinungen und Bewegungen zu treffen. Der frühere Bundespräsident Gauck hatte demnach auch Verantwortliche der DDR-Staatsführung und Führer des Faschismus gleichgesetzt.

In den folgenden Abschnitten befasst sich Egon Krenz mit den Gründen des Scheiterns der DDR. Die ökonomischen Voraussetzungen waren deutlich ungünstiger als die der BRD. Das Land und seine Bevölkerungszahl waren schließlich wesentlicher kleiner. Die Reparationsleistungen waren dagegen größer. Die DDR und der Ostblock standen unter ständigem militärischen und wirtschaftlichen Druck durch den Westen. Das positive friedenspolitische und humanitäre Engagement wird nicht explizit genannt. Der Autor nennt als negative Tatsache den Rückstand im wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Fortschrittliche Technologien waren in einzelnen Bereichen, wie in der Weltraumfahrt, jedoch in hervorragender Qualität nicht nur in der UDSSR vorhanden. Wie überall sind die technischen, personellen und finanziellen Mittel jedoch begrenzt. Sicher spielte auch die Tatsache der Überalterung der Staatsführung, wie auch anderswo, eine Rolle. Staatsführungen werden durch langjährige Parteien- oder Personenherrschaft unbeweglich, neigen zu Fehlreaktionen, die entweder verdrängt oder auch noch als alternativlos dargestellt werden. Auch von Michael Gorbatschow hatte Krenz offensichtlich ein umsichtigeres Verhalten und Handeln erwartet.

Egon Krenz plädiert dafür, aus den negativen und positiven Erfahrungen zu lernen, die Entwicklungen sorgsam zu beobachten und sich weiter für eine Neugestaltung der Gesellschaft, für den Sozialismus und gegen den Imperialismus einzusetzen. Der Weg dorthin kann nicht gradlinig sein, wie er feststellt.

Hans Bauer, ehemals Vize-Generalstaatsanwalt der DDR, zeichnet in dem Beitrag "Vorwärts! und nicht vergessen!" die gesellschaftliche und politische Entwicklung der DDR von der Staatsgründung am 7. Oktober 1949 bis 1989 nach. Der Autor weist einleitend auf die Lebensleistungen der DDR-Bürger hin, die zu wenig anerkannt worden ist. Die westdeutschen Politiker und Bürger hätten sich wie Sieger aufgeführt. Ausgehend vom Potsdamer Abkommen vom August 1945 habe die sowjetische Besatzungszone und später die DDR ehrlicher und konsequenter gehandelt als die BRD. Im Westen wurde die Befreiung der Ostgebiete propagiert und die Wiederaufrüstung forciert, zudem arrangierte man sich mit ehemaligen Amtsträgern des Faschismus, Kommunisten dagegen wurden verfolgt, die KPD verboten. Der Westen grenzte sich vor und nach der Bildung der Bundesrepublik immer mehr ab. Ein Angebot zur Gründung eines gemeinsamen politisch neutralen Staates war abgelehnt worden. Die politischen und juristischen Auseinandersetzungen mit dem gemeinsamen Vorgängerregime verliefen in der DDR offensichtlich konsequenter. Nach dem Anschluss waren auch noch zahlreiche DDR-Juristen durch den "Rechtsstaat BRD" verfolgt, angeklagt und verurteilt worden. Hans Bauer hebt die Bedeutung des Antifaschismus, der Friedenspolitik und der Soziale Gerechtigkeit in der DDR hervor. Mit diesen Grundpfeilern ihrer Politik errang die DDR internationale Anerkennung. Abschließend weist der Autor darauf hin, dass nach der staatlichen Vereinigung gemäß § 146 des Grundgesetzes eigentlich eine neue Verfassung hätte ausgearbeitet werden müssen.

In einem weiteren Beitrag "War die DDR-Wirtschaft pleite, marode und unproduktiv?" von Klaus Blessing, ehemals Mitglied des Zentralkomitees der SED und später stellvertretender Minister für Schwerindustrie, spannt der Autor den Bogen vom Aufbau der DDR-Wirtschaft bis zur Abwicklung durch die Treuhand. Anders als verschiedene andere Autoren, genannt werden u.a. der Theologe und Politiker Richard Schröder und auch der Rechtsanwalt und Politiker Gregor Gysi, kommt er zu einem positiven Gesamtbild der wirtschaftlichen Leistungen von Staat und Gesellschaft. Einleitend weist der Autor ebenfalls auf die anfängliche enorme Aufbauleistung hin, die unter erschwerten Bedingungen erfolgen musste. Zum Zeitpunkt der Staatsgründung betrug der Rückstand der Arbeitsproduktivität noch 70 % gegenüber der BRD. Viele Industriebereiche mussten neu aufgebaut werden. Teilweise wurden die notwendigen Anlagen aus dem Westen importiert. Das Produktivitätsniveau konnte dann bis 1989 auf 55 % gegenüber der BRD gesteigert werden. Die DDR lag damit an 14. Stelle im Vergleich zu den führenden kapitalistischen Ländern. Der Westen hat ab 1989 durch die Bildung des Gesamtstaates Bundesrepublik Deutschland enorm profitiert. Waren vor 1989 bereits rund 3 Millionen in der Regel gut ausgebildete Menschen abgewandert, so kamen danach nochmals über 3 Millionen hinzu. Das Bruttoinlandsprodukt Westdeutschlands konnte durch neue Absatzmärkte deutlich gesteigert werden. Durch die Privatisierung wurden rund 2 Billionen DM Volksvermögen vernichtet bzw. weit überwiegend an westdeutsche oder ausländische Investoren und Privatleute übertragen. Der Wirtschaftsexperte, Klaus Blessing, kommt zudem zu dem Schluss, dass die DDR 1989 netto keine Auslandsschulden angehäuft hatte. Mit umgerechnet 1.800 Euro pro Kopf war die innere DDR-Verschuldung deutlich geringer als die Verschuldung der BRD mit 8.100 Euro. Ausführlich befasst sich Blessing mit der Rolle der Kommerziellen Koordinierung (KOKO) unter Alexander Schalck-Golodkowski, die ein Eigenleben führte und der DDR-Wirtschaft nach seiner Auffassung u.a. durch überhöhte Zinsen schadete. Schalck-Golodkowski setze sich noch im Dezember 1989 in den Westen ab. Die Einführung der DM in einem Verhältnis 1:1 am 1. Juli 1990 war, wie seriöse Experten meinen, ein großer Fehler, mit verheerenden Folgen für die Wirtschaft auf dem ehemaligen Gebiet der DDR, deren Konkurrenzfähigkeit sich dramatisch verschlechterte. Schließlich wird in dem Beitrag von Klaus Blessing auch noch die Rolle der Treuhand beleuchtet. Die Aktivitäten der Treuhand sind in verschiedenen Berichten und in einem Untersuchungsausschuss aufgearbeitet worden. Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages stellte fest: "Die Bundesregierung und die Treuhandanstalt haben ihre unerlässliche Aufsichtspflicht verletzt und die parlamentarische Kontrolle in einem Ausmaß außer Kraft gesetzt, wie es keine demokratisch legitimierte Regierung in Deutschland seit 1846 gewagt hat." Die Treuhandanstalt schloss ihre Aktivitäten bei einem eingebrachten Vermögen von 584 Milliarden DM mit einem Verlust von 254 Milliarden DM.


Aus einer aktuellen Umfrage

Eine im Auftrag der Wochenzeitung DIE ZEIT durchgeführte Umfrage bestätigt übrigens, dass, anders als in einer früheren Umfrage aus dem Jahr 2000, mehr der ehemaligen DDR-Bürger unzufriedener mit den herrschenden Verhältnissen sind und sogar die früheren Verhältnisse in Teilbereichen besser einstufen als die gegenwärtigen. Besonders eklatant sind die Bewertungen der freien Meinungsäußerung (41 % geben an, die Möglichkeiten seien schlechter geworden) und der Schutz vor staatlichen Willkür (51 % geben an, dass er schlechter geworden sei). Ähnlich negativ waren die Ergebnisse bei der Bewertung der persönlichen Situation, zur sozialen Gerechtigkeit, zum Schutz vor Kriminalität, zur Sicherheit am Arbeitsplatz, zu Löhnen und Gehältern und zum Rentenniveau oder zur Beurteilung der Entwicklung des Verhältnisses zu Russland. (DIE ZEIT vom 2. Oktober 2019)


Freidenker Nr. 3/19, September 2019, 70 Jahre DDR, 63 Seiten, 2,50 Euro (Deutscher Freidenker-Verband e:V., c/o Klaus Hartmann, Schillstrasse 7, 03067 Offenbach)

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Quelle:
Gegenwind Nr. 374, November 2019, Seite 53-55
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2020

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