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GEGENWIND/860: Buchbesprechung - Die Deutschen und ihre Kolonien


Gegenwind Nr. 378, März 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
Übersicht über deutsche Kolonien
Die Deutschen und ihre Kolonien

von Reinhard Pohl


Diese Übersicht über die deutschen Kolonien erschien erstmals Anfang 2017. Damit sollte der "weiße Fleck" in der deutschen Geschichte gefüllt werden, denn vielen gilt der deutsche Kolonialismus als kurze und unbedeutende Episode, weil die Kolonialreiche erst der Spanier und der Portugiesen, später der Briten und Franzosen viel größer waren und die Herrschaft viel länger andauerte. Das Interesse war größer als erwartet, bereits Ende 2017 wurde die zweite Auflage gedruckt.

Bei dem Buch handelt es sich um einen Sammelband mit fünfzehn Beiträgen verschiedener Autorinnen und Autoren zum Thema. Das Buch startet mit einer Darstellung der preußischen Kolonie Großfriedrichsburg, mit der Preußen am weltweiten Sklavenhandel teilnehmen wollte und auch teilnahm, wenn auch mit geringerem Erfolg als erhofft. Es gab ja noch andere Versuche, so wurde nach Venezuela oder der Türkei gegriffen. Später konzentrierte man sich (wieder) auf Afrika.

Im nächsten Beitrag geht es um Bismarck. Der Kanzler des "Zweiten Reiches" war Europapolitiker, kein Kolonialpolitiker. Er wehrte lange die Forderungen nach der Eroberung von Kolonien ab, sah in der Kolonialpolitik lediglich die Kosten und verglich diese mit möglichen Erträgen in seiner Europapolitik. Zu seiner Zeit gab es immer wieder Kaufleute, die Stützpunkte bauten oder Land "erwarben", meistens durch Betrug. Oft wandten sie sich bei Schwierigkeiten an das Reich und baten um Schutz, was Bismarck lange Zeit ablehnte. Weitgehend unbekannt ist heute, dass Bismarck sich seinerseits an den Senat von Hamburg wandte, damit Hamburg die Kolonien übernähme - was Hamburg allerdings nach einigen Diskussionen auch ablehnte. Warum Bismarck schließlich nachgab, ist umstritten, vermutlich war die aktuelle Situation in der Kaiserfamilie und das Verhältnis zu Großbritannien ausschlaggebend. Die Rechtsregierung übernahm vier Kolonien in Afrika und drei in der Südsee, die Reichsmarine eine in China. Andere, so die deutschen Stützpunkte in Somalia, Kenia oder auch Uganda wurden wieder abgestoßen, an Großbritannien oder Italien übergeben. Letztlich geregelt wurde vieles auf der Kongo-Konferenz 1884 in Berlin, der einige weitere Konferenzen und Abkommen folgten.

Im Buch geht es weiter mit Beiträgen zu den deutschen Kolonien in Afrika, der Südsee und China sowie der wirtschaftlichen Bedeutung von Kolonien. Sie blieben - entgegen den Versprechungen der Kaufleute - ein Verlustgeschäft, nur wenige Teilbereiche waren wirtschaftlich zumindest neutral. Allerdings blieben sie auch unbedeutend. Der deutsche Außenhandel mit Indien oder Ägypten war um ein mehrfaches größer als der mit den eigenen Kolonien.

Die Kolonien gingen auch schnell wieder verloren, die meisten in den ersten Tagen und Wochen des Ersten Weltkrieges. Im Friedensvertrag musste Deutschland endgültig auf alle Kolonien verzichten.

Es begann ein Kolonialismus ohne Kolonien. Während der Weimarer Republik trauerten große Kolonialvereinigungen den Kolonien nach und betrieben Propaganda für den Wiedererwerb oder die Gründung eines neuen Kolonialreiches. Unter Hitler wurden diese Vereine zu einer Vereinigung zusammengefasst, die erst von der Partei, später einem Regierungsamt und letztlich während des Krieges von einem Ministerium geführt wurden. Aber die Kolonialpropaganda wurde schließlich verboten, weil die Ziele Hitlers die Kolonisierung des Ostens, der Sowjetunion, war.

Eine Reihe von Beträgen beschäftigt sich noch mit dem Alltag in den Kolonien. Hier geht es um die Verwaltung, um die dortige Justiz, um Frauen und Mischehen, um Gewalt, um Mission oder auch um die Völkerschauen, die es in Deutschland gab - mit Carl Hagenbeck als erfolgreichstem Veranstalter, er kombinierte bald die Menschenschauen mit Tierschauen in Hamburg.

Zwei Beiträge am Schluss widmen sich der heutigen Erinnerung und Bewertung der Kolonien. Dabei widersprechen die Autoren der weit verbreiteten Einschätzung, die Kolonialzeit wäre eine unbedeutende Episode in der deutschen Geschichte gewesen. Denn die Ideologie wirkt bis heute.

Es ist, das sei noch angemerkt, ein Sammelband ausschließlich deutscher Autorinnen und Autoren, die aus deutscher Sicht schreiben.

Horst Gründer, Hermann Hiery (Hg.):
Die Deutschen und ihre Kolonien.
be.bra-Verlag, Berlin 2018,
352 Seiten, 24 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 378, März 2020, Seite 66
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2020

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