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GEGENWIND/871: Barlach und Heartfield aus dem Sessel anschauen - Zwei empfehlenswerte virtuelle Museumsbesuche


Gegenwind Nr. 380, Mai 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Barlach und Heartfield aus dem Sessel anschauen
Zwei empfehlenswerte virtuelle Museumsbesuche

von Günther Stamer


Der reale Kulturbetrieb (Theater, Konzerte, Clubs, Ausstellungen) hat in Zeiten von Corona Sendepause. Aber Not macht erfinderisch und ein Ausweg liegt in der virtuellen Welt. Viele Musiker geben ihre Konzerte nun auf Youtube und auch eine Reihe von Museen haben ihre nun nicht begehbaren Ausstellungen ins Netz gestellt und laden zu einem virtuellen Rundgang ein.


Ernst Barlach online

Im Museum für Kunst und Kulturgeschichte auf Schloss Gottorf wurde gerade an der Sonderausstellung zu Ernst Barlachs 150. Geburtstag gearbeitet. Gezeigt werden sollten gut vierzig Zeichnungen, Druckgrafiken und Plastiken aus allen Werkphasen, die ein eindrucksvolles Bild vom Schaffen dieses Einzelgängers unter den Expressionisten vermitteln. Darunter die berühmten, eindringlich-düsteren Selbstbildnisse des Künstlers ebenso wie die berührenden Arbeiten, die das massenhafte Sterben im Ersten Weltkrieg und die Notzeiten der Nachkriegsjahre zum Gegennstand haben.

Nicht zuletzt wegen dieser Werke ist der 1938 in Güstrow verstorbene Künstler von den Nazi-Oberen diffamiert und mit Ausstellungsverbot belegt worden, viele seiner Großplastiken im öffentlichen Raum wurden vernichtet.

Das Landesmuseum hat sich seit vielen Jahrzehnten ganz besonders für diesen Künstler eingesetzt. Das begann bereits in den 1930er Jahren mit den Bemühungen des damaligen Museumsdirektors um die Rettung des Kieler "Geistkämpfer"-Ehrenmals, das zwischenzeitlich im Landesmuseum untergebracht wurde.

Nach dem zweiten Weltkrieg führte das Museum in Schloss Gottorf das Engagement für den in Wedel/Holstein geborenen Künstler fort. Seit 1987 ist das Landesmuseum im Besitz eines Nachgusses der weltberühmten Bronze "Der Schwebende".

Nun muss mann/frau also ins Netz, um sich diese Ausstellung anzusehen [1]. Der virtuelle Rundgang über Youtube dauert zehn Minuten.


John Heartfield online

"Wenn ich Fotodokumente sammle und sie klug und geschickt gegenüberstelle, wird die agitatorisch-propagandistische Einwirkung auf die Massen enorm sein." So lautete das künstlerisch-politische Credo von John Heartfield (1891-1968). Frühzeitig hatte er als Mitglied der KPD in seinen Montagen die aufstrebende NSDAP, aber vor allem deren kapitalkräftige Unterstützer kenntlich gemacht.

Seine Bilder sind Ikonen des 20. Jahrhunderts geworden. Etwa die auf ein Bajonett gespießte weiße Taube. Auch jene Fotomontagen, die den Zusammenhang zwischen der deutschen Großindustrie und dem Aufstieg des Nationalsozialismus zeigen. Etwa: Thyssen mit einer Hitler-Marionette, darunter der Schriftzug: "Werkzeug in Gottes Hand? Spielzeug in Thyssens Hand!" Die Wirkung dieser Fotomontagen war enorm, auch weil viele von ihnen in Willi Münzenbergs Arbeiter-Illustrierten-Zeitung (AIZ) zu Titelbildern wurden. Auflage: eine halbe Million. Zudem schuf Heartfield vom Bühnenbild bis zum Plakat, etwa für Erwin Piscator, eine ganz eigene Theaterästhetik. Nebenbei entwarf er die Buchumschläge für den Malik-Verlag.

1933 gelang es Heartfield, sich seiner Verhaftung durch die Nazis mit einem Sprung vom Balkon seiner Wohnung zu entziehen, zu Fuß flüchtete er nach Prag, später nach London.

Doch seinem politischen Auftrag folgend kam er 1950 in die DDR - mitten hinein in die Formalismus-Kampagne. Fotomontage sei keine Kunst, sondern eine spätbürgerliche Verfallserscheinung, beschied man ihm. Als Westemigrant wurde er beargwöhnt. Zum Glück setzte sich u.a. Brecht für ihn ein. Für Brechts Berliner Ensemble begann er 1951 auch wieder Theaterpiakate zu gestalten, aber sie wirken merkwürdig zahm, fast altbacken.

Die für Ende März in Berlin geplante Ausstellung "John Heartfield - Fotografie plus Dynamit" ist jetzt unter www.johnheartfield.de zu sehen - ein Internetauftritt, sogar ein "interaktiver" mit einigen Zusatzfunktionen wie aufrufbaren Originaltondokumenten.

Im übrigen können 6.200 Werke und Objekte aus Heartfields Nachlass unter heartfield.adk.de online recherchiert und besichtigt werden.


Anmerkung:

[1] https://museum-fuer-kunst-und-kultur-geschichte.de/de/ernst-barlach

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Quelle:
Gegenwind Nr. 380, Mai 2020, Seite 72-73
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2020

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