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GEHEIM/247: Damals Vietnam - heute Irak - morgen Iran?


GEHEIM Nr. 1/2009 - 6. April 2009

USA
Damals Vietnam - heute Irak - morgen Iran?
Rückblick auf eine Niederlage, die sich wiederholen könnte

Von Gerhard Feldbauer


Am 1. November 1968 mussten die USA ihre Luftaggression gegen Nordvietnam einstellen und damit ihre Niederlage eingestehen. An diesen Jahrestag sollte man sich unter mehreren Gesichtspunkten und vor allem unter Bezug auf aktuelle Aspekte erinnern.

Den Luftkrieg hatten die USA am 5. August 1964 unter Bruch der Haager Landskriegsordnung, ohne Kriegserklärung und damit völkerrechtswidrig mit den Angriffen von 64 Jagdbombern auf Kriegsschiffe der DRV, Ortschaften im Golf von Tongking und zivile und militärische Objekte in Nordvietnam begonnen. Die Luftaggression wurde in den folgenden Monaten auf das gesamt Gebiet der DRV zu einem mörderischen Bombenkrieg ausgeweitet. Im Sommer 1965 flogen bereits 4.000 Flugzeuge monatlich 12.000 bis 15.000 Angriffe. Es handelte sich um Vergeltungsaktionen für die Niederlagen, welche die Befreiungskämpfer den USA in Südvietnam zufügten. Strategisches Ziel war, den Krieg von Südvietnam zunächst mittels der Luftangriffe auf Nordvietnam auszudehnen, um dann das ganze Land der neokolonialen Herrschaft Washingtons zu unterwerfen.

Im weitgesteckten strategischen Kalkül ging es den USA darum, die weltweit zu ihren Ungunsten verlaufene Entwicklung umzukehren. Dem lag die Anfang 1953 von Eisenhower und Foster Dulles verkündete Doktrin des "roll back" des Sozialismus zu Grunde, die eine Zurückdrängung und schließlich Niederschlagung nationaler Befreiungsbewegungen bzw. die Unterwerfung unabhängiger Nationalstaaten unter die Vorherrschaft der USA einschloss. Bestandteil dieser Doktrin war, in Asien ein militärisches Stützpunktsystem von Japan über Okinawa, Südkorea, Taiwan, die Philippinen bis nach Australien auf- bzw. auszubauen. Vietnam sollte darin nach Südkorea, wie Foster Dulles es im Januar 1954 formulierte, zum zweiten amerikanischen "Brückenkopf" auf dem asiatischen Festland werden, um so die Einkreisung der VR China und der Sowjetunion zu vervollständigen. Am 9. September 1954 wurde mit der SEATO das asiatische Pendant zur NATO gegründet, die nach klassischer Kolonialmanier Vietnam, Laos und Kambodscha zu ihren "Schutzgebieten" erklärte. Die Stoßrichtung gegen die UdSSR und die VR China kam in der Charakterisierung als "Verteidigungsbund gegen die kommunistische Gefahr" zum Ausdruck. Die "Schutzgebiets"-Klausel diente später als Vorwand, dass sich Australien, Neuseeland, Thailand und die Philippinen mit Truppen an der USA-Aggression gegen Vietnam beteiligten bzw. dazu auch ihr Territorium zu Verfügung stellten.

Mit meiner Frau und Fotoreporterin Irene arbeitete ich seit Juli 1967 als Korrespondent in Nordvietnam. Unzählige Male wurden wir Augenzeugen dieses barbarischen Luftkrieges, der Zerstörung von Wohnvierteln, Krankenhäusern, Schulen und Betrieben, Kirchen und Pagoden, Straßen und Brücken, Bewässerungsanlagen der Reisfelder. 30 Städte Nordvietnams wurden buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht, Unzählige Dörfer erlitten das gleiche Schicksal. Wir sahen blutbefleckte Kleider, zerfetzte Schulbücher, Krankenbetten, die aus Trümmern ragten, verstümmelte Menschen, Arme, Beine abgerissen, unzählige Tote, Opfer der Zivilbevölkerung, vor allem immer wieder Frauen, Kinder, alte Menschen. Ein Leid, das man kaum beschreiben konnte.


Beispiel der SS-Überfall auf den Sender Gleiwitz

Als Vorwand der Luftaggression diente der von Präsident Lyndon B. Johnson persönlich inszenierte sogenannte "Zwischenfall von Tongking". Gemäß diesem Szenario okkupierten Einheiten der Saigoner Marionettenarmee am 30. Juli die zur DRV gehörenden Inseln Hon Me und Hon Nieu im Golf von Tongking. Zur Absicherung des Aggressionsaktes drangen der US-Zerstörer "Maddox" und später die "Turner Joy" bis unterhalb drei Meilen in die Hoheitsgewässer der DRV ein, wo es zum Zusammenstoß mit nordvietnamesischen Torpedobooten kam.

Provokationen wie die im Golf von Tongking gehörten während des gesamten Kriegsverlaufs zur Strategie des Pentagon und der CIA. Sie orientierten sich an dem Angriff eines deutschen SS-Kommandos am 31. August 1939 in polnischen Uniformen auf den Sender Gleiwitz, der als Vorwand des Überfalls Hitlerdeutschlands auf Polen diente. Um ihre verbrecherische Okkupationspolitik in Südvietnam und die Entsendung ihrer Militärberater, später ihrer Truppen zu verdecken, erfanden sie bereits seit 1954/55 die These vom "Aggressionskrieg des Nordens". Es war eine plumpe Lüge. Denn "die meisten derjenigen, die zur Waffe griffen, waren Südvietnamesen, und die Gründe, um derentwillen sie kämpften, wurden durchaus nicht in Nordvietnam erfunden", hieß es in den Pentagon-Papieren. Einem Geheimbericht war zu entnehmen, dass 80-90 % des "Vietcong" in Südvietnam angeworben werden und "wenig für eine Verstärkung des Vietcong von außen spricht."


Die verlogenen Behauptungen Präsident Johnsons

Bereits im Februar 1964 hatte Präsident Johnson für die im August des Jahres gegen die DRV begonnen Kriegsakte einen von der CIA ausgearbeiteten Operationsplan 34-A bestätigt. Am 17. März autorisierte der Nationale Sicherheitsrat ihn, innerhalb von 72 Stunden "Vergeltungsaktionen" gegen Nordvietnam zu führen und "binnen 30 Tagen das Programm des 'abgestuften militärischen Drucks' zu starten". Nach Auslösung der Provokation im Golf von Tongking und den ersten Luftangriffen ermächtigte der Kongress am 16. August den Präsidenten mit nur zwei Gegenstimmen "jeden bewaffneten Schlag gegen die Streitkräfte der Vereinigten Staaten zurückzuweisen und weitere Aggressionen zu verhindern".

Im Januar 1968 enthüllte eine Untersuchung des Außenpolitischen Ausschusses des US-Senats, dass sich Präsident Johnson mit geradezu ungeheuerlichen verlogenen Behauptungen, die seine Geheimdienste stützten, die Ermächtigung des Kongresses erschlichen hatte. Senator Albert Gore enthüllte, dass die US-Zerstörer in nordvietnamesische Hoheitsgewässer eingedrungen und, wie er formulierte, "unmittelbar vor der Küste die Wellen gepflügt" hatten. Es kam ebenso heraus, dass keiner der beiden angeblich von nordvietnamesischen Torpedos getroffenen Zerstörer irgendwelche Beschädigungen aufwies. Unter den Schiffsbesatzungen hatte es keine Verluste gegeben. Die Enthüllung der ungeheuerlichen Provokation wurde zu einem Faktor, der Präsidenten Johnson zur Einstellung des Luftkrieges gegen die DRV zwang. Im Juni 1970 annullierte der Kongress das Ermächtigungsgesetz.


McCain vom Himmel geholt

Ein weiterer Aspekt war die katastrophale militärische Niederlage, welche die USA im Luftkrieg erlitten. Nach Beginn der Aggression rüstete die Sowjetunion die Volksarmee der DRV mit den zu dieser Zeit modernsten Luftabwehrsystemen, darunter Raketen, radargesteuerte Rohrflak und hochmoderne MIG-Jäger, aus. Bis zum 1. November 1968 wurden über der DRV 3.243 zum großen Teil hochmoderne Düsenbomber des Aggressors abgeschossen, dazu gehörten über Vinh Linh an der Demarkationslinie am Ben Hai strategische B 52. Allein im Gebiet von Hanoi holte die Luftabwehr 256 Flugzeuge vom Himmel, darunter übrigens am 26. Oktober 1967 den soeben gescheiterten republikanischen Präsidentschaftskandidaten, Kapitän John Sydney McCain, in seiner F4 "Phantom". Der am 16. September 1965 abgeschossene Oberst Robinson Risner, ein Flieger-Ass aus dem Koreakrieg, gab an, dass bei einem Angriff seines Geschwaders von 18 "Thunderchief" fünf vom Himmel geholt wurden. Im Herbst 1967 erklärte Oberst Robin Olds, der über der DRV im Einsatz war, vor der Presse in Washington, die Luftabwehr Nordvietnams habe sich "enorm verstärkt, sowohl durch Flakfeuer als auch MIGs und Boden-Luftraketen". Zu letzteren gestand er ausdrücklich ein, "es sind furchterregende Raketen, wenn sie es wissen wollen." Bereits am 3. April 1965 kam es, wie die Nachrichtenagentur AP schrieb, über der legendären Ham Rong-Brücke bei Than Hoa 150 km südlich von Hanoi "zur ersten Feindberührung mit der nordvietnamesischen Luftwaffe, bei der die Amerikaner eine Schlappe erlitten". Die in der UdSSR ausgebildeten Piloten in den MIG 21, so hieß es in weiteren Presseberichten, griffen mit hohem taktischen Geschick unerschrocken an und schossen 12 Jagdbomber ab. Zuletzt litt die US-amerikanische Luftwaffe selbst unter Pilotenmangel.


Offensive des Affen leitete Wende ein

Am 1. Februar 1968 begannen die Kampfhandlungen der wochenlang anhaltenden Tet-Offensive der Befreiungskämpfer in Südvietnam, welche die über eine halbe Million Mann starken Bodentruppen der USA und ihre 700.000 Bajonette zählende Saigoner Marionettenarmee in 20 US-Stützpunkten, über 40 Provinz- und Kreisstädten und Hunderten Ortschaften angriffen und ihnen schwere Verluste zufügten. Westliche Presseberichte räumten ein, dass Kampfhandlungen dieses Ausmaßes nur mit Unterstützung der Bevölkerung möglich waren. Die Offensive des Mondneujahrs, das im Zeichen des Affen stand, offenbarte, dass es durch den mörderischen Luftkrieg gegen die DRV nicht gelungen war, die Unterstützung aus dem Norden für den seit über zehn Jahren im Süden gegen die USA geführten Befreiungskampf zu brechen.


De Gaule für ein Ende des Krieges

Ein weiterer Faktor war die umfangreiche materielle wie moralische Solidarität des damals existierenden sozialistischen Lagers sowie der wachsende Druck der weltweiten Friedensbewegung und der Öffentlichkeit auf Washington, seinen völkerrechtswidrigen Luftkrieg einzustellen und einer Friedenslösung in Vietnam zuzustimmen. Selbst NATO-Mitglied Frankreich spielte unter Präsident Charles De Gaule eine beträchtliche Rolle in den internationalen Bemühungen zur Beendigung dieses USA-Kriegs. Unter diesem Druck musste Washington am 13. Mai 1968 der Aufnahme von Friedensgesprächen in Paris zustimmen, die zunächst zwischen Vertretern der USA und Nordvietnams begannen. Die DRV stellte als Bedingung, die Luftangriffe auf Nordvietnam einzustellen und die gleichberechtigte Teilnahme der FNL. Im Gegenzug akzeptierte sie die Saigoner Regierung am Verhandlungstisch. Gleichzeitig wies Hanoi die USA-Forderungen nach Einstellung der Unterstützung des südvietnamesischen Befreiungskampfes zurück und forderte, alle USA- und Satellitentruppen aus Südvietnam abzuziehen und die Bevölkerung Südvietnams ihre eigenen Angelegenheiten ohne fremde Einmischung selbst regeln zu lassen. Nachdem Präsident Johnson zunächst nur die Einstellung der Luftangriffe nördlich des 19. Breitengrades erklärt hatte, musste er dann am 1. November 1968 die Beendigung des Luftkrieges gegen ganz Nordvietnam bekannt geben.


Bis dahin schwerste militärische Niederlage der USA

Die USA sabotierten die 1973 in Paris geschlossenen Friedensvereinbarungen. Der Befreiungskampf ging weiter. Im April 1975, scheiterte der USA-Imperialismus auch in Südvietnam. Sozialismus und nationale Befreiungsbewegung fügten ihm die bis dahin schwerste Niederlage bei.


Kriegsverbrecher Bush gehört vor Gericht

Ähnliche verlogene Behauptungen Präsident George W. Bushs, dass Bagdad über Massenvernichtungswaffen verfüge, dienten als Vorwand für den 2003 begonnenen Aggressionskrieg gegen Irak. Längst ist bekannt, dass Bush ebenso ungeheuerlich gelogen hat, wie einst Johnson. Doch kein US-Senator bringt heute den Mut auf, eine Untersuchung darüber einzuleiten. Dabei hat einer der zur Zeit bekanntesten Anwälte der USA Vincent Bugliosi angekündigt, George W. Bush nach seinem Ausscheiden aus dem Amt wegen dieser wie zur Zeit der Tongking-Provokation ungeheuerlichen Lügen, mit denen er den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Irak begann und des damit herbeigeführten Todes von bisher 4.000 US-amerikanischen Soldaten wegen Mordes anzuklagen. Der Anwalt fragte: "Wenn wir Anklage gegen einen Präsidenten (Bill Clinton) erheben, weil er einvernehmlichen Sex außerhalb der Ehe vertuschen wollte, was tun wir dann, wenn ein Präsident sein Land auf der Basis einer Lüge in einen Krieg treibt?"

Ähnlich wie gegen Irak hat Bush ein Lügengebäude für eine Aggression gegen Iran zusammengezimmert, dessen Kern in der Behauptung besteht. Teheran produziere Nuklearwaffen, mit denen es die USA und ihre Verbündeten bedrohe. Kein Geringerer als Dr. William R. Polk, einst hochrangiges Mitglied im außen- und verteidigungspolitischen Stab von Präsident John F. Kennedy, danach Gründer des Middle Eastern Studies Center an der University von Chicago, verwies darauf, dass bereits Ende 2007 ein US-Geheimdienstbericht feststellte, dass der Iran schon seit einigen Jahren keine Entwicklungen betreibt, die einer solchen Produktion dienen könnten und es auch keine "operationalen Pläne" gibt, sich Nuklearwaffen anzueignen.

Bei der Wahl des neuen US-Präsidenten ist der an den Kriegsverbrechen gegen Vietnam 1967 beteiligte McCain gescheitert. Es bleibt abzuwarten, ob der Wahlsieger Barak Obama als neuer Präsident den weltweiten Hoffnungen nachkommen und dem Aggressionskurs seines Vorgängers Einhalt gebieten wird. In diesem Prozess ist auch nicht auszuschließen, dass seine Gegner versuchen könnten, ihm das Schicksal John F. Kennedys zu bereiten.


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Quelle:
GEHEIM Nr. 1/2009, 6. April 2009, Seite 21-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2009