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GEHEIM/280: Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Putschversuch in Quito


GEHEIM Nr. 3/2010 - 18. Oktober 2010

ECUADOR
"Nach antiimperialistischem Lehrbuch"
Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Putschversuch in Quito

Von Ingo Niebel


In ihrer vorherigen Ausgabe stellte GEHEIM die Frage "Von Cuba Sí zu Cuba No". Im Mittelpunkt des Artikels stand die Analyse diverser Texte zu Kuba, die von Mitgliedern der Partei Die Linke (PdL) und ihr nahestehender Institutionen wie die "sozialistische Tageszeitung" Neues Deutschland (ND) und die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) stammten. Der Beitrag endete mit der Feststellung: "Die Ausrichtung der PdL wird Folgen für die Solidaritätsbewegung mit Kuba und den anderen ALBA-Staaten haben. Eine entsprechende Aussage im Parteiprogramm, der Taten folgen, kann Klarheit schaffen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass aus dem Motto Cuba Sí in absehbarer Zeit Cuba No werden kann."

Dass dieses Risiko weiter existiert und an Virulenz zugenommen hat, ergibt sich aus dem jüngsten Bericht "Ecuador nach dem Putschversuch" (Standpunkte International 23/2010), den die Leiterin des regionalen RLS-Büros in Quito, Miriam Lang, verfasst hat.


Staatsstreich in Quito

Kurz zur Erinnerung: Am 30. September 2010 erhoben sich landesweit Polizei und Teile der Streitkräfte gegen ihren Präsidenten und Oberbefehlshaber Rafael Correa. Als dieser sich im offenen Gespräch den Angehörigen eines in Quito meuterndes Polizeiregiments stellte, griffen Beamten ihn und seine Begleiter tätlich an. Nach der Explosion einer Tränengasgranate brachten die Leibwächter den Präsidenten ins nahe Polizeikrankenhaus. Correas neuerlichen Versuch mit den Meuterern zu sprechen, schrie die aufgebrachte Menge nieder. Im weiteren Verlauf verhinderten die Aufständischen, dass das Staatsoberhaupt das Hospital verlassen und sich in den Regierungssitz zurückziehen konnte. Abgefangene Funksprüche belegen, dass die Order kursierte: "Bringt den Hurensohn um!" Schusslöcher im Wagen des Präsidenten beweisen, dass diesen Worten Taten folgten. Schlimmeres verhinderte ein Spezialkommando des Militärs, das Correa gewaltsam befreite. Parallel dazu fanden größere Mobilisierungen statt, in denen Anhänger des populären Präsidenten auf den Straßen ihrer Städte für die Demokratie und gegen den Putsch demonstrierten. Nach offiziellen Angaben starben mindestens acht Personen bei den Auseinandersetzungen.


Versierte US-Botschafterin

In der Folge der Ereignisse kam die Verwicklung der US-Botschaft, der CIA und der staatlichen Organisationen USAID und NED in den Staatsstreichversuch ans Licht. Die venezolanisch-US-amerikanische Eva Golinger fand unter anderem heraus, dass einerseits die beiden Vorfeldorganisationen der US-Außenpolitik diverse indigene Gruppen finanziell unterstützt hatten, die dann am 30. September für den Sturz von Correa aufriefen. Andererseits verweist die Expertin auf die Tatsache, dass mit Heather Hodges seit 2008 ein Fachfrau für Destabilisierung als US-Botschafterin in Ecuador vor Ort ist. Einschlägige Erfahrungen erwarb sie 1991 als Subdirektorin des Büros für kubanische Angelegenheiten im State Departement. 1993 ging sie nach Nicaragua, wo sie der Präsidentin Violeta Chamorro zur Hand ging, die Errungenschaften der sandinistischen Revolution zu beseitigen. Bis 2008 war Hodges in Moldawien tätig, wo sie einer "bunten Revolution" den Weg bereitete, die aber im Endeffekt scheiterte.

Der kanadische Journalist Jean-Guy Allard erinnerte des Weiteren in einem Artikel, dass der ecuadorianische Verteidigungsminister, Javier Ponce, in einem Bericht 2008 öffentlich anprangerte, dass "US-Diplomaten" Militär und Polizei korrumpierten und unterwanderten. (Diese und weitere Artikel stehen auf der Internetseite von GEHEIM-MAGAZIN.DE).


"Nach antiimperialistischem Lehrbuch"

Aus der Perspektive von RLS-Büroleiterin Lang sieht die Lage ganz anders aus:

"International wird meistens, streng nach antiimperialistischem Lehrbuch und aus einer rein geopolitischen Perspektive, die einen genaueren Blick auf die ecuadorianischen Verhältnisse gar nicht erst versucht, den USA und der CIA die Schuld für den Putschversuch gegeben, die Parallele zu Honduras hergestellt, und die Regierung Correa als sozialistische Regierung dargestellt, die es bedingungslos zu verteidigen gelte."

Wer sich mit der Methodik US-amerikanischer Zersetzungs- und Putschmethoden in Lateinamerika beschäftigt hat, weiss, dass es für die Analyse aktueller Ereignisse nicht des Rückgriffs auf ein nicht näher benanntes "antiimperialistisches Lehrbuch" bedarf, sondern allein US-amerikanische Quellen genügend Belastungsmaterial liefern. Darauf greifen Golinger und Allard in der Regel zurück, da es öffentlich zugänglich ist. Es zeugt bestenfalls von Unvermögen, wenn die geopolitischen Interessen der USA in Ecuador und ihr Hang zu gewaltsamen Lösungen à la Chile 1973 bei der Analyse eines Putsches in Lateinamerika außen vor bleiben. Lang verschiebt aber den Schwerpunkt der Betrachtung von Washington weg auf die ecuadorianische Innenpolitik. Letztere hat die US-Politik aber nur soweit interessiert, wie ihre Akteure ihr zu Diensten waren. Die Leitlinien der Washingtoner Außenpolitik werden nicht im bilateralen Dialog geschaffen, sondern aus dem Weißen Haus über diverse Kanäle in diesem Fall nach Quito kommuniziert. Spätestens wenn eine US-Institution die beiderseitigen Beziehungen als "nicht gut" einstuft, können sich linke Regierungen in der Region aufs Schlimmste gefasst machen. Erst recht, wenn sie, wie Correa es 2009 tat, eine strategisch wichtige US-Militärbasis schließen.

Statt diese Aspekte zu vertiefen schreibt Lang:

"In Ecuador streiten verschiedene politische Strömungen gerade darum, wie die Ereignisse des 30. September in die Geschichte eingehen werden: Als Putschversuch, oder aber als mediale Inszenierung der Regierung im eigenen Interesse. Während die Regierungsmedien die Version des Putschversuchs mit Video- und Tonaufnahmen untermauern, vertreten nicht nur einige private Medien und die politische Rechte, sondern nach wie vor auch erhebliche Teile der Linken die zweite These."

Hierzu heißt es weiter:

"Die Argumente sind oft etwas schematisch, zu einem klassischen Putschversuch hätte die klare Komplizität der Streitkräfte gehört, die politische Unterstützung aus den USA und ein Konsens innerhalb der herrschenden Klasse."

Und:

"Dass aber der 30. September kein Tag war, an dem bereits ein fertiges Drehbuch für einen Putsch umgesetzt wurde, sondern tatsächlich spontane Proteste des öffentlichen Diensts am Vormittag langsam übergingen in einen politisch motivierten Aufstand der Polizei [...]"

Das Scheitern zu benutzen, um den Putsch auf das Niveau von "spontanen Protesten" und einen auf die Polizei begrenzen Aufstand zu reduzieren, bedeutet, die Belege von Golinger und Allard zu verkennen und den Ablauf anderer US-Putsche in der Region zu ignorieren.

Erwähnenswert ist, dass Lang - wenn auch im Konjunktiv - die Möglichkeit in den Raum stellt, Correa hätte den Putsch selbst inszeniert, um seine Popularität zu steigern.

"Außerdem habe man Correa nicht einmal das Telefon abgenommen und er habe im Militärhospital diverse Besucher empfangen, was nicht für eine ernsthafte Entführung spreche. Während die Rechte diese These aus politischem. Interesse unterfüttert, tun es die entsprechenden Teile der Linken aus Ressentiment gegenüber dem Präsidenten und aus Enttäuschung darüber, dass ihr politisches Projekt zwar anfangs von Alianza País übernommen, inzwischen aber größtenteils enteignet wurde."

Welche "Teile der Linken" das sind, schreibt die Stiftungsmitarbeiterin nicht.


Putsch oder "mediale Inszenierung"

Dafür erweckt Langs Text aber den Eindruck, als würde sie der "medialen Inszenierung der Regierung" den Vorrang vor der Putschthese geben. Die Verfechter des "Autogolpe" (Selbstputsch) dürfen sich in bester Gesellschaft fühlen.

Am 3. Oktober 2010 schrieb der venezolanische Kolumnist der spanischen Tageszeitung El País, Moisés Naím, hierzu: "Da die Staatsstreiche heutzutage allgemein abgelehnt werden, gibt es keinen größeren politischen Segen für einen Regierenden als den, einen Putschversuch zu überleben. Das widerfuhr Hugo Chávez in Venezuela und das hat Rafael Correa gerade in Ecuador erlebt." Der Kommentar erschien unter dem Titel "Putsche: Das neue Rezept".

Auch die lateinamerikanische Rechtspresse versucht die Ereignisse herunterzuspielen.

Eine wichtige Rolle spielt dabei wieder die US-gesteuerte Interamerikanische Pressegesellschaft SIP. "Correa sagt, dass es einen Putschversuch gegeben habe", titelte die in Miami erscheinende Zeitung Diario Las Américas. Ihr Eigentümer, Alejandro Aguirre, leitet gerade die SIP. Der Titel des Blatts folgt der Leitlinie des Weißen Hauses, das die Ereignisse in Ecuador verurteilte, sich aber wie im Fall Honduras 2009 weigerte, von einem Putsch zu sprechen.

Diese Informationen fehlen gänzlich in Langs Stellungnahme, weil sie die geopolitische Bedeutung der Ereignisse in Ecuador nicht mit berücksichtigt.

Abschließend hält die RLS-Vertreterin fest:

"In diesem Sinn ist in Ecuador nach dein 30. September politisch absolut alles möglich. Umso notwendiger ist es, dass InternationalistInnen wachsam bleiben und den Transformationsprozess weiter verteidigen. Im Sinne der kritischen Solidarität darf der Transformationsprozess Ecuadors aber nicht mit der Regierung von Rafael Correa gleichgesetzt werden. Gleichzeitig muss auch klar sein, dass eine Alternative zu ihm nicht in Sicht ist - jeder politische Wechsel wäre derzeit ein riesiger Rückschritt in die 'lange neoliberale Nacht' oder in quasi-feudale Verhältnisse."

Die Erfahrungen aus dem Putsch in Venezuela 2002 lehren, dass die Umstürzler in Ecuador eine Schlacht, aber noch nicht den Krieg verloren haben. Ergo werden sie ein zweites Mal versuchen, Correa aus dem Weg zu räumen. Dass der Präsident und seine Regierung in einer solchen Situation nicht "bedingungslos" auf die Hilfe der RLS zählen können, entspricht nicht nur dem Standpunkt, den Miriam Lang formuliert hat.

Ihre Sichtweise unterstützt auch ihr Parteigenosse Bodo Ramelow mit einer Erklärung, die er am 12. Oktober 2010 auf seiner Internetseite veröffentlichte. Aus Langs Bericht folgert der Fraktionsvorsitzende im thüringischen Landtag, "dass es weiter sehr wichtig ist, den Transformationsprozess in Ecuador gegen rechte Angriffe zu verteidigen - so wie es beim Putschversuch vor anderthalb Wochen gelungen ist. Allerdings sollte eine internationalistische Linke nicht bei der bedingungslosen Solidarität mit der Regierung stehenbleiben, sondern die Lage im Land genau analysieren - mit den entsprechenden Spannungen und Spaltungen zwischen Regierung und außerparlamentarischer Linke, die sich in eine schwierige Lage manövriert haben."

Das Problem ist hierbei, wenn einmal die Kugeln fliegen - wie am 30. September geschehen - dann muss man sich entscheiden, auf welcher Seite der Barrikade man steht. Andernfalls besteht die Gefahr ins Kreuzfeuer zu geraten oder gar als Konterrevolutionär da zu stehen.

Bei der Positionierung zu ALBA im Allgemeinen und Ecuador im Besonderen geht es nicht, wie Lang und Ramelow unterstellen, um "kritische" beziehungsweise "bedingungslose" Solidarität, sondern um eine uneingeschränkte, die in diesem Fall von den Linken ausgehen muss. Dass aber letztere nicht gewollt ist, zeigte schon das ND in der Auseinandersetzung um seine Kuba-Berichterstattung. In dieser Kontinuität stehen Langs und Ramelows jüngste Ausführungen. Ob sie den Grundkonsens der Partei ausdrücken, ist unklar, aber anzunehmen, da bisher jeglicher wahrnehmbare Protest fehlt. Falls diese Annahme stimmt, dann haben sich PdL und RLS dem Kodex der übrigen parteinahen Stiftungen angeschlossen und werden wohl bald als Vorfeldorganisationen der deutschen Außenpolitik gelten dürfen.

Wie real dieses Szenario ist, zeigt der jüngste Lateinamerika-Bericht der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP-aktuell 71).

Unter dem Dach des Think Tanks der Bundesregierung vertreten Daniel Brombacher und Günther Maihold Ansichten, die mit denen von Lang und Ramelow kompatibel sind. Ihr Beitrag "Die Grenzen charismatischer Politischer Führung" sieht "Lateinamerikas Linke vor neuen Kursbestimmungen". Darin reduzieren die SWP-Mitarbeiter den "mutmaßlichen Putschversuch" auf eine "Eskalation eines simplen Konflikts zwischen der Regierung und einer Interessengruppe [...]". Abschließend raten sie: "Die deutsche Politik sollte es als Chance begreifen, den sich anbahnenden Klärungsprozess innerhalb der Linken, die Neuordnung der Rechten und das Entstehen starker grüner Initiativen durch Kooperationsangebote zu begleiten. Die Arbeit der politischen Stiftungen sollte erweitert oder ergänzt werden durch Angebote der Beratung im Hinblick darauf, wie demokratische Repräsentationsstrukturen aufgebaut und innerparteiliche und innergesellschaftliche Moderationsprozesse etabliert werden können."

Wessen Part es wohl sein wird, die nicht näher definierten "Linken" in Lateinamerika in ihrem "Klärungsprozess" zu "begleiten", dürfte wohl auf der Hand liegen.


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Quelle:
GEHEIM-Magazin Nr. 3/2010 - 18. Oktober 2010, Seite 25-26
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2010