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GEHEIM/288: Warum scheiterte der prowestliche "Putsch von Minsk" 2010?


GEHEIM Nr. 1/2011 - 29. März 2011

WEISSRUSSLAND I
Alle Hemmungen abgelegt
Warum scheiterte der prowestliche "Putsch von Minsk" 2010?

Von Robert Medernach


Ob es 26 oder 28 Nationalstaaten und staatliche Institutionen gewesen sind, die auf Einladung der polnischen Regierung offiziell an der "Konferenz für die Finanzierung der weißrussischen Opposition" teilgenommen haben, spielt eigentlich keine Rolle: Skandalös daran ist, dass ein souveräner Staat zu einer Konferenz einlädt, die sich offiziell in die inneren Angelegenheiten eines anderen souveränen Staates einmischt. Dies verstößt nicht nur gegen das internationale Völkerrecht und die derzeit immer noch währenden diplomatischen Gepflogenheiten, sondern stellt zudem, angesichts der Tatsache, dass Belarus eine gemeinsame Grenze mit Polen hat, eine regelrechte Herausforderung an die derzeitig immerhin demokratisch gewählte Regierung Belarus dar.

Dass neben diesen staatlichen Institutionen aus Westeuropa auch die Vertreter der belarussischen Opposition, eine ganze Reihe von sogenannten "Regierungsunabhängigen Organisationen" aus Belarus und Vertreter der verschiedenen Parteistiftungen aus Westeuropa sowie den sogenannten "demokratischen Think-Tanks" teilgenommen haben, ist schon ein starkes Stück. Im Kampf um die Unterwerfung von Belarus unter die Interessen des EU-Imperialismus scheint man inzwischen alle Hemmungen abgelegt zu haben. Es geht nur noch um offene Konfrontation. Es ist daher kein Wunder, dass der versuchte "Putsch von Minsk" nach den Präsidentschaftswahlen von Dezember 2010 von den bürgerlichen Medien mit offener Parteinahme und mit nachherigem Bedauern zur Kenntnis genommen wurde.

Dass dieser Putsch scheiterte, war eigentlich vorherzusehen. Er kann daher nur als Verzweiflungstat der westlichen Mächte gesehen werden.


Die äußeren Umstände des Putsches

Die Regierung von Belarus hat in den letzten zwei Jahren Hunderte von zwischenstaatlichen Verträgen und Abkommen mit einer ganzen Reihe von Staaten abgeschlossen und damit ihre Isolation durchbrochen.

Die Zusammenarbeit mit der Republik Venezuela hat zu Energielieferungsverträgen und Versorgungsgarantien geführt, die es Belarus erlauben, zu günstigen Preisen ihre Energieversorgung zu sichern. Darüber hinaus wurden Verträge abgeschlossen, die es erlauben, die Verarbeitung von Rohöl zu Industrieprodukten auf gegenseitiger Basis auf eine höhere technologische Ebene zu stellen. Dergleichen Verträge wurden mit allen anderen ALBA-Staaten, vor allem mit Brasilien, abgeschlossen.

Die intensive Zusammenarbeit zwischen Belarus und Kuba haben vor allem auf dem Gebiet der medizinischen Versorgung, der Ausbildung der Ärzteschaft und der Entwicklung hochtechnologischer medizinischer Apparate zu einem enormen Fortschritt bei Medizin und Volksgesundheit geführt.

Die Verträge zwischen der Islamischen Republik Iran und Belarus haben zu einer engen technologischen Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten geführt, vor allem auf den Gebieten des Maschinenbaus, der Transformation von Rohöl und der Informationstechnologie. Mit der Volksrepublik China wurde die Zusammenarbeit mittels mehr als 200 Verträgen auf allen Gebieten intensiviert. Eine ganze Reihe von Verträgen finanztechnischer Natur haben Belarus in die Lage versetzt, erweiterte Kreditmöglichkeiten dank Garantieverträgen in Anspruch zu nehmen. Dazu kommt eine enge Zusammenarbeit der VR China und Belarus auf militärischem und nachrichtendienstlichem Gebiet. Auch mit anderen Schwellenländern wie Indien wurden eine Fülle von Kooperationsverträgen ausgehandelt.

In anderen Worten: Belarus ist Moment keineswegs isoliert, sondern im Gegenteil: die Abhängigkeit sowohl von der Russischen Föderation wie von den Zwängen der EU-Verwaltung wurde in einem Maß verringert, dass man jetzt, nach Angaben der Regierung von Belarus, "von einer zunehmenden Unabhängigkeit von den ausländischen Mächten" reden kann.


Die inneren Umstände des Putsches

Diese äußeren günstigeren Bedingungen haben selbstverständlich der belarussischen Regierung einen gewissen Freiraum verschafft. Dies wirkt sich vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet aus. Sowohl die wirtschaftliche Zusammenarbeit wie die garantierte Kreditaufnahme haben es der belarussischen Regierung erlaubt, die Investitionen in Produktion und Infrastruktur weiterzutreiben. Die gemeinsamen Joint-Ventures zwischenstaatlicher Natur und die Erweiterung der Legislation in Bezug auf die Joint-Ventures zwischen den staatlichen belarussischen Institutionen und Privatfirmen haben den Finanzinvestitionen einen breiteren Raum verschafft und damit eine Reihe von neuen Arbeitsplätzen geschaffen. Neue Fabrikanlagen und Infrastrukturen entstehen auf Grund der internationalen Zusammenarbeit.

Zugleich hat die neue Kreditzufuhr es erlaubt, die infrastrukturelle Basis in Belarus innerhalb kürzester Zeit merklich zu verbessern: Fabriken wurden renoviert, ganze Wohnviertel erneuert, Straßen und Brücken an die Bedürfnisse angepasst. Der öffentliche Transport wurde so verallgemeinert, dass es jetzt in jedem Dorf zumindest eine Autobushaltestelle gibt.

Die allgemeinen Lebensbedingungen haben sich seit den letzten zwei Jahren rapide verbessert. Löhne und Renten wurden erhöht (letztere zum großen Teil um 100%), die Subventionen für Grundnahrungsmittel und Kinderbedarf wurden ebenfalls verdoppelt. Die medizinische Versorgung wurde ausgebaut und ist derzeit nahezu kostenlos.

Das hatte zur politischen Folge, dass die Unterstützung für die Regierung in Belarus selbstverständlich anstieg. Die wichtigste Frage dabei aber war vor allem die Einbindung der städtischen Mittelklassen in diesen nationalen Konsens. Dazu gehörten selbstverständlich auch eine Reihe von Kompromissen an die Lebensvorstellungen dieser Mittelklassen. Alle vorherigen Beschränkungen wurden großteils aufgehoben: Diskotheken dürfen die ganze Nacht über offenhalten, Polizeistunden gibt's nicht mehr, Filme auf DVD und das Internet sind frei zugänglich usw. usf.

In der Folge rückte ein großer Teil dieser Mittelklassen, die die letzten Demonstrationen gegen die Regierung noch unterstützt hatten, von diesen einseitigen pro-westlichen Positionen ab, besonders da sich jetzt unter der studierenden Jugend der Mittelklassen die Erkenntnis herumgesprochen hatte, dass der "goldene Westen" und ihre potenziellen Karrieren im Ausland auf einer eher brüchigen Basis stehen, und dass man jetzt auch innerhalb von Belarus eine erwartungsgemäße Karriere anstreben kann.


Die neuen Charakteristika der Opposition

Diese massive Abkehr der städtischen Mittelklassen von der Opposition und ihre Integration in den nationalen Konsens hatte und hat natürlich zur Folge, dass es den pro-westlichen Kräften immer schwerer wird, diese Schichten für ihre eigenen Ziele zu instrumentalisieren. Die Resultate der Präsidentschaftswahlen zum Beispiel haben gezeigt, dass im Süden von Minsk, dem Reichen- und Villenviertel, 50% an Lukachenko und 50% an die Opposition gingen (dieses Ergebnis von Süd-Minsk wurde selbst von den OSZE-Beobachtern nicht in Frage gestellt!): dies ist eigentlich sensationell, war es doch früher 80 zu 20 für die Opposition. Dies spricht eine mehr als deutliche Sprache, und das wussten die pro-westlichen Kräfte ganz genau.

Die politische und sozio-kulturelle Basis der Opposition hat sich sehr verengt. Der "Putsch von Minsk" war eigentlich im nachhinein betrachtet nichts als eine Verzweiflungstat. Dies ist auch sichtbar an den Formen der Demonstration auf dem Platz der Republik in Minsk. Die Opposition beschränkt sich zunehmend, und daran wird auch keine internationale Konferenz etwas ändern, auf einen immer kleiner werdenden Kreis von Menschen, die auf Teufel komm raus westeuropäische Verhältnisse haben möchten, damit sie ihre Ziele vom schnellen Geld, vom angenehmen Leben auf Kosten anderer, von der Ausbeutung der Schwächsten, von Prostitution und Drogenhandel durchsetzen können. Man kann dies an Hand der Fakten, die jetzt bekannt wurden, genau belegen.


Die Fakten

Bereits eine Woche vor der eigentlichen Präsidentschaftswahl wurde eine Demonstration gegen die Wahlfälschung angemeldet. Die OSZE bescheinigte kurz nach der Wahl, dass diese unter "europäischen Standards" stattgefunden hat und damit korrekt war. Zwei Stunden später wurde dies widerrufen von einer Reihe polnischer Beobachter und unter der Firmierung "OSZE-Beobachter" an die Öffentlichkeit gebracht.

Die Demonstration war auf dem Platz der Republik angemeldet. Nun ist vor Weihnachten, also zur Zeit der Präsidentschaftswahl 2010, dieser Platz von einem Eislaufplatz belegt. Dazu kommen noch Karusselle und andere Spiele für Kinder, sowie selbstverständlich Ess- und Trinkbuden. Auf dem Platz der Republik wurde es somit ziemlich eng.

Die Gemeindeverwaltung von Minsk hat ein Dokument vorgelegt - es wurde öfters im Fernsehen gezeigt - mit dem genau eingezeichneten Platz, der den Demonstranten zur Verfügung gestellt war. Mehr als 5.000 Menschen konnten auf diesem Teil des Platzes kaum zusammenkommen, selbst wenn sie Schulter an Schulter gestanden hätten. Dies belegt die Absurdität der Behauptung der bürgerlichen Medien Westeuropas, Zehntausende hätten an der Demonstration teilgenommen.

Bereits Tage vorher hatte vor allem die Organisation "Europäisches Weißrussland" mehrere PKW mit 20.000 Fahnen ihrer Organisation (der Umriss von Weißrussland auf blauem Feld mit den 12 Sternen Marias) wenige Straßen vom Platz der Republik entfernt abgestellt: alles war also bestens organisiert für eine Massendemonstration, die aber dann so massiv nicht stattfand.

Sicherlich ist nicht nur der mangelnde Massenerfolg der angekündigten Demonstration der Grund gewesen, weshalb die Demonstranten zur offenen Gewalt übergingen, obwohl dieser Verlust an Unterstützung sicherlich zur Wut der aus ganz Belarus Angekarrten beitrug. Diese Gewaltanwendung war sicherlich vorprogrammiert. Auch hierzu konnten eine Reihe von Beweisen geliefert werden. Nach der Demonstration wurden über 50 technologisch hochwertige Instrumente, zum Teil batteriebetrieben, zur Aushebelung von Türen, Fenstern und Tresore von der Polizei sichergestellt. Diese Instrumente werden einzeln und handwerklich hergestellt und sind auf dem freien Markt nicht erhältlich. Das heißt im Klartext: diese Instrumente kann man nur im kriminellen Milieu erwerben, was zeigt, dass die Verbindung zwischen den Organisatoren der Demonstration und der Unterwelt belegt ist. Von den 600 Festgenommenen waren mehr als 200 polizeilich Gesuchte, Vorbestrafte oder geflüchtete Gefängnisinsassen. Zudem wurden über 100 stadtbekannte Zuhälter vorläufig verhaftet. Ein großer Teil der Verhafteten kommt zudem aus dem Milieu der Türwächter der stadtbekannten Discos und Nachtklubs. Ein anderer bedeutender Teil hatte mit allen möglichen kriminellen Geschäften zu tun, war aber im politischen Leben völlig unbekannt.

Am nächsten Morgen konnte der Putzdienst der Gemeinde Minsk über 1.000 leere Wodka-Flaschen abtransportieren, von den zerbrochenen ganz zu schweigen. Ebenfalls wurden Hunderte von Bierflaschen und Dosen zusammengefegt: der Putzdienst der Gemeinde hat dies und den ganzen Scherbenhaufen filmisch und auf Fotos festgehalten. Das wurde öfters im Fernsehen gezeigt und auch ins Internet gestellt.


Der misslungene Putsch und seine Folgen

Dass die Kräfte, die von der pro-westlichen Opposition noch übrig geblieben sind, sich nicht nur durch diesen Putsch, vor allem durch seine Träger und seine Formen, in Belarus diskreditiert haben, dürfte wohl kaum von der "Prager Konferenz zur Unterstützung der weißrussischen Opposition" relativiert werden, im Gegenteil. Beide Ereignisse zeigen, dass die Opposition in Belarus einerseits vom Ausland finanziell und ideologisch abhängig ist, und im Lande selbst nur noch über eine Basis verfügt, die kaum das Vertrauen der Menschen in Belarus gewinnen kann. Mit solchen Leuten ist sicherlich kein Staat zu machen. Das Problem wäre eigentlich gelöst, würden nicht Millionen Euro in das Aufrechterhalten der Fiktion einer Opposition gepumpt werden.

Jedenfalls wird diese so genannte Opposition die Zusammenarbeit zwischen Belarus, Venezuela, Kuba, den ALBA-Staaten und den anderen Staaten und Völkern der Welt außerhalb der imperialistischen Zentren nicht weiter behindern können. Dieser Putsch zeigt, zu welch kriminellen Methoden die imperialistischen Mächte greifen und auf welche Basis sie sich stützen, um ihre Ziele zu erreichen. Es gilt daher wachsam zu bleiben, und all jene Kräfte zu unterstützen, die sich dagegen wehren, dass die Barbarei sich allumfassend durchsetzt.


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Quelle:
GEHEIM-Magazin Nr. 1/2011 - 29. März 2011, Seite 21-22
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2011