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GLEICHHEIT/2313: Obama bereitet weitgehende Kürzungen bei Sozialprogrammen vor


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Obama bereitet weitgehende Kürzungen bei Sozialprogrammen vor

Von Patrick Martin
9. Januar 2009
aus dem Englischen (8. Januar 2009)


Bei seinem ersten Pressetermin in Washington zeigte sich der künftige Präsident Barack Obama entschlossen, eine Politik strikter Haushaltsdisziplin zu verfolgen. Dazu werde auch die Streichung ganzer Programme der Bundesregierung gehören, wie auch Kostensenkungen bei der Rente und bei den Gesundheitsprogrammen Medicare und Medicaid für Rentner und einkommensschwache Familien. Diese Hilfsleistungen sind bisher für Dutzende Millionen Arme und Rentner von großer Bedeutung.

Obama gab die Nominierung von Nancy Killefer, einer Direktorin der Unternehmensberatungsfirma McKinsey & Co., für den neu geschaffenen Posten eines Oberkontrolleurs im Weißen Haus bekannt. Killefer war unter der Clinton-Regierung im Finanzministerium beschäftigt. Ihre Aufgabe wird sein, Bundesbehörden Vorgaben zu machen und die Leiter dieser Behörden zu zwingen, diese Ziele durchzusetzen. Programme, die diese Vorgaben nicht erfüllen, sollen umorganisiert oder gestrichen werden.

Der gewählte Präsident gab diese Erklärung am Vorabend einer Rede ab, in der er am Donnerstag sein Konjunkturprogramm vorstellen will. Sie wurde als Versuch interpretiert, die Kongress-Republikaner und eine nicht unbedeutende Fraktion von haushaltspolitisch konservativen Demokraten für sich zu gewinnen. Ihnen versucht er zu versichern, dass der Wirtschaft zwar unbegrenzte Mittel zur Verfügung gestellt werden, dass aber der Gürtel für Ausgabenprogramme für die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung eng geschnallt wird.

Obamas Bemerkungen vom Mittwoch werfen auch ein grelles Licht auf den grundlegenden Charakter seines Konjunkturprogramms, das auf die Bedürfnisse der Finanz- und Wirtschaftselite zugeschnitten ist und zusätzlich Hunderte Milliarden Dollar für die Sicherung der Profite der Wirtschaft bereitstellt. Millionen Arbeiterfamilien, die mit der tiefsten Krise seit der Großen Depression konfrontiert sind, werden fast nichts davon haben.

Obama erwähnte die Schätzung des Haushaltsbüros des Kongresses(Congressional Budget Office, CBO). Dieses beziffert das Defizit der Bundesregierung in diesem Haushaltsjahr mit 1,2 Billionen Dollar. Dabei sind die zusätzlichen Kosten für das Konjunkturprogramm, das die Obama-Regierung und der Kongress nach seiner Amtseinführung auf den Weg bringen will, noch nicht berücksichtigt. "Billionen-Dollar- Defizite werden mehrere Jahre lang nicht zu vermeiden sein", warnte er. Daher müssten eine Eingrenzung des Defizits und eine Deckelung der Ausgabenprogramme der Regierung "zu einem grundlegenden Prinzip der Regierung werden".

Als ein Reporter des Wall Street Journal nach Medicare und den Renten fragte und darauf hinwies, dass diese Programme zu den größten Ausgabenbrocken der Bundesregierung gehörten, entgegnete Obama: "Wir befinden uns schon in Konsultationen mit dem Kongress, um eine Haltung zu dem Defizit zu erarbeiten. Wir erwarten, dass die Diskussion über die Sozialprogramme Bestandteil dieser Gespräche sein wird, sogar ein zentraler Bestandteil." Er fügte hinzu, unmittelbar nach Verabschiedung des Konjunkturprogramms Mitte Februar "werden wir mehr zu den Sozialprogrammen zu sagen haben".

Diese Bemerkungen und andere Äußerungen von führenden Demokraten im Kongress lassen einen Frontalangriff auf die wichtigsten noch verbliebenen Säulen des sozialen Netzes in den Vereinigten Staaten erwarten - auf jene Hilfsprogramme, die wenigstens eine minimale Rente und Gesundheitsversorgung für Dutzende Millionen Rentner und eine Krankenversicherung für Millionen Familien mit geringem Einkommen ermöglichen.

Die Rentenversicherung und Medicare haben gegenwärtig keine finanziellen Probleme, weil sie mehr Steuereinnahmen haben, als sie Leistungen auszahlen. Aber der Social Security Trust Fund, der die Beiträge von drei Generationen von Arbeitern verwaltet, ist praktisch geplündert worden, um die Steuergeschenke der Bush-Regierung für die Reichen, zwei Kriege und die gewaltige amerikanische Militärmaschinerie zu finanzieren.

Von den 10,7 Billionen Dollar Schulden der Bundesregierung wurden 40 Prozent oder 4,3 Billionen von der Rentenversicherung geliehen. Der Trust Fund ist der größte Gläubiger des Staates, gefolgt von privaten US-Investoren mit 3,4 Billionen Dollar und ausländischen Investoren, viele von ihnen Regierungen, die drei Billionen beigesteuert haben.

Die Zahl des CBO von 1,2 Billionen Dollar unterschätzt das Defizit des laufenden Haushaltsjahres wahrscheinlich erheblich. Darin ist das Konjunkturprogramm überhaupt nicht berücksichtigt, das die Regierung noch im Detail beziffern muss, und auch keinerlei zusätzliche Aufwendungen für den von Obama angekündigten amerikanischen Truppenaufbau in Afghanistan. Reuters berichtete am Mittwoch, dass Obamas Verteidigungsminister Robert Gates, der schon in der Bush- Regierung diente, jetzt schon zusätzlich 70 Mrd. Dollar für die Kriege im Irak und in Afghanistan beantragt hat. Auch darin ist die Verdopplung der US-Truppen in Afghanistan auf ca. 60.000 Mann noch nicht berücksichtigt.

Das CBO geht davon aus, dass die Arbeitslosenrate, die im November noch bei 6,7 Prozent stand, zum Jahresende neun Prozent beträgt. Viele Ökonomen kalkulieren allerdings mit zehn Prozent oder mehr. Eine zweistellige Arbeitslosenrate würde aber die Aufwendungen für Arbeitslosengeld, Lebensmittelmarken und Medicaid steigen lassen, was das Defizit weiter anschwellen ließe.

Das CBO setzte außerdem die Kosten für das Rettungsprogramm des Finanzministeriums für die Wall Street für 2009 mit 180 Mrd. Dollar an, obwohl der Kongress vermutlich weitere 350 Mrd. Dollar bewilligen wird, nachdem seit Oktober schon 350 Mrd. ausgegeben wurden. Die Rettung von Fannie Mae und Freddy Mac, den beiden halb öffentlichen Hypothekenfinanzierern, denen die Subprime Hypothekenkrise das Genick gebrochen hat, wird das Defizit um weitere 240 Mrd. Dollar in die Höhe treiben.

Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Senat, Kent Conrad, ein Demokrat aus Dakota, schloss sich Obamas Warnung vor einem Billionen- Dollar-Defizit über mehrere Jahre an und unterstützte auch sein Versprechen, die langfristigen Finanzierungsprobleme der Rentenkasse und von Medicare in Angriff zu nehmen. Er sagte der Presse: "Der Präsident würde den Märkten und der amerikanischen Bevölkerung eine sehr gesunde Botschaft senden, wenn er gleichzeitig ein Wirtschaftsbelebungsprogramm und den Beginn eines überparteilichen Prozesses bekannt gäbe, unsere langfristigen Ungleichgewichte in den Griff zu bekommen."

Der Fraktionsvorsitzende im Repräsentantenhaus Steny Hoyer, der enge Verbindungen zum rechten Flügel der Demokratischen Fraktion, den sogenannten Blue Dogs, unterhält, fiel in den Chor derer ein, die Maßnahmen zur langfristigen Rückführung des Defizits fordern. Er ging sogar so weit und brachte die Idee ins Spiel, die Obama-Regierung müsse möglicherweise dem Beispiel der Republikanischen Regierungen der 1980er Jahre folgen und Haushaltskürzungen nach dem Rasenmäherprinzip per Regierungsdekret erlassen.

Vor zwanzig Jahren hatten die Kongress-Demokraten diese Methode noch abgelehnt und darauf hingewiesen, dass die Regierung nach der Verfassung kein Recht habe, ohne Zustimmung des Kongresses so zu handeln. Es ist ein Maßstab für die Rechtswende der Demokraten, wenn einer ihrer führenden Vertreter heute solche Maßnahmen selbst vorschlägt.

Robert Bixby, Direktor der überparteilichen Concord Coalition, die sich für strenge Haushaltsdisziplin einsetzt, gab einen Hinweis darauf, was man sich darunter vorzustellen habe. Er sagte: "Ich würde eine Parallele zu dem ziehen, was die Regierung heute mit der Autoindustrie macht. Der Kongress hat gesagt, wir geben euch das Geld, aber ihr müsst einen Wirtschaftlichkeitsplan vorlegen." Für Notkredite für die Autoindustrie verlangte der Kongress Zehntausende Entlassungen, Dutzende Werksschließungen und drakonische Kürzungen der Löhne und Sozialleistungen der Autoarbeiter.

Vor vier Jahren schlug George W. Bush am Beginn seiner zweiten Amtszeit eine weitgehende Privatisierung der Rentenversicherung vor. Dieses Projekt wurde aufgrund überwältigender Opposition in der Öffentlichkeit nie formell in den Kongress eingebracht. Nachdem die Bush-Regierung beim Debakel um Hurrikan Katrina eine beängstigende Inkompetenz und völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal armer Amerikaner aus der Arbeiterklasse an den Tag gelegt hatte, verschwand der Plan still in den Schubladen. Es bleibt jetzt also Obama vorbehalten, der sich gelegentlich als Erbe Franklin Roosevelts geriert, die Verantwortung für die Beseitigung des letzten Erbes des New Deal zu übernehmen.

Siehe auch:
Obama und Guantanamo
(29. November 2008)

Obamas Justizministerkandidat und die Illusion
vom Wandel (21. November 2008)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 09.01.2009
Obama bereitet weitgehende Kürzungen bei Sozialprogrammen vor
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2009