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GLEICHHEIT/2385: Kunst und Sozialismus - die wirklichen Grundlagen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Kunst und Sozialismus: die wirklichen Grundlagen
Ein öffentlicher Vortrag in Großbritannien von David Walsh

Von David Walsh
21. Februar 2009
aus dem Englischen (26. November 2008)


Im Folgenden veröffentlichen wir eine geringfügig redigierte Fassung eines Vortrags von David Walsh vor Zuhörern in Glasgow (14. November), Sheffield (16. November) und London (18. November)


Der heutige Abend gehört zu einer Reihe von Diskussionsveranstaltungen über das Thema Kunst und Sozialismus. Wir organisieren drei Veranstaltungen in Großbritannien, doch natürlich geht die Diskussion weiter. Wir versuchen, Künstler, Studenten und andere zu bewegen, dem gesellschaftlichen Leben mit größerer Ernsthaftigkeit gegenüberzutreten. Gleichzeitig versuchen wir, das kulturelle Niveau unserer eigenen Bewegung, und mittels derer, die wir beeinflussen, auch das der fortgeschrittensten Elemente in der Arbeiterklasse und unter den Studenten zu heben.

Auf der Linken finden wir vorzugsweise zwei Typen, hierzulande gewiss ebenso wie in anderen Ländern. Da gibt es die Praktiker, die sich mit ökonomischen Fragen, Gewerkschaftsthemen und ähnlichem herumschlagen. Und dann gibt es noch die Akademiker, die sich um das geistige und kulturelle Leben kümmern sollen.

Beide Tendenzen teilen die feste Überzeugung und versuchen, diese anderen zu vermitteln, dass der Aufbau einer kulturell hochstehenden, politisch entschieden sozialistischen Bewegung in der Arbeiterklasse ein Ding der Unmöglichkeit ist. Doch genau dieses Ziel streben wir an. Die sozialistische Revolution ist nicht einfach das Produkt eines unmittelbar politischen Programms, noch viel weniger kluger Slogans und bestimmter ökonomischer Forderungen. Wie das Beispiel der russischen Revolution gezeigt hat, ist sie das Ergebnis einer umfassenden sozialistischen Kultur, die sich mit unzähligen komplexen Fragen befasst.

Daher kommt man nicht darum herum, über Geschichte und Persönlichkeiten zu sprechen, die Ihnen bekannt sein mögen oder nicht, vor allem über die Frankfurter Schule, eine Gruppe von deutschen Intellektuellen, die immer noch einen beträchtlichen Einfluss ausüben. Es handelt sich um Leute, die durch die Ereignisse des 20. Jahrhunderts zutiefst entmutigt wurden, und deren wesentliche Bedeutung darin besteht, Künstler und andere von einer historisch-materialistischen Analyse des gesellschaftlichen Lebens, von der Arbeiterklasse und den Problemen der sozialistischen Revolution fernzuhalten.

Es wäre gedankenlos, wenn ich nicht zu Beginn einiges zu den jüngsten wichtigen Ereignissen in den USA sagte, zur Wahl von Barack Obama und zu der anhaltenden Wirtschaftskrise. Auf eigentümliche Weise wird mich das zu einem zentralen Thema dieses Abends hinführen: der Macht des Objektiven.

Unsere Bewegung, das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die Socialist Equality Party, kam in jüngster Zeit wegen ihres angeblichen 'Objektivismus' unter Beschuss, weil sie zu große Aufmerksamkeit auf die objektiven Kräfte verwende, die in der Gesellschaft am Werk sind. Tatsächlich bestehen wir darauf, dass sich eine revolutionäre Partei nur auf eine sorgfältige Analyse der sozialen Beziehungen und des wirtschaftlichen und politischen Lebens gründen kann. Es lohnt sich, diesen Punkt im Gedächtnis zu behalten, denn er hat auch für die Kunst Bedeutung.

Kurz zurück zur amerikanischen Politik. Vor vier Jahren, zur Zeit der Präsidentschaftswahlen 2004, die Bush gewann - zumindest wahrscheinlich gewann -, war viel von Werten die Rede und davon, wie sehr die Amerikaner an kulturellen Werten, Familienwerten, moralischen Werten, etc. hängen. Das Land war scheinbar völlig der Reaktion verfallen. 'Was war los mit Kansas?', mit den USA überhaupt?

Jedes Land bekommt die Führung, die sie verdient, sagte man uns. Amerika verdiente Bush, vielleicht sogar den 11. September. Das haben wir immer abgelehnt.

Plötzlich, 2008, ist es ein ganz anderes Land. Viele derselben Leute begeistern sich nun für Obama und beglückwünschen sich selbst und die Bevölkerung. Ist es ein anderes Land geworden? Oder ist jedes Land von Widersprüchen geprägt, und die Aufgabe besteht darin, ernsthaft zu untersuchen, wie die Beziehungen zwischen den Klassen sich verändern, wenn die äußeren Umstände sich ändern?

Die Wahl zeigt die wirklich treibenden Kräfte am Werk, die ökonomischen und materiellen Faktoren des Lebens. Heute spricht kaum einer über Werte. Stattdessen sind wir mit der schlimmsten Krise seit der Großen Depression hautnah konfrontiert. Die Arbeitslosenquote und die Quote der Unterbeschäftigten liegen gegenwärtig bei fast 12 Prozent und drohen anzuschwellen. Massenentlassungen gehören praktisch zur Tagesordnung, die Autoindustrie ist vom Bankrott bedroht. Die Industrieproduktion erlebte gerade ihren schlimmsten monatlichen Rückgang der letzten 34 Jahre. Immobilienpreise gehen in den Keller. Der Aktienmarkt hat innerhalb eines Jahres etwa 40 Prozent an Wert verloren.

In einem neueren Bericht von Wirtschaftsexperten von Merrill Lynch lesen wir, dass "nie dagewesene Dinge" geschehen, und "Diese Rezession ist anders als irgendeine der letzten fünf Jahrzehnte." Gerade in dem Moment also, da uns vorgeworfen wird, den objektiven Entwicklungen zuviel Aufmerksamkeit zu schenken, bricht der objektive Faktor passenderweise mit Macht in unser Leben ein, verändert bereits das Bewusstsein und beeinflusst das politische Leben.

In diesen US-Wahlen musste nach dem Desaster der Bush-Regierung in den Augen der Herrschenden eine Veränderung her - ein neues Gesicht im wörtlichen Sinn. Für sie ist das neue Gesicht, mit dunklerer Hautfarbe, die Veränderung.

Doch die bisherige Politik wird fortgesetzt werden, abgesehen von taktischen Veränderungen.

Barack Obama versprach im Fernsehen, dass es in Fragen der nationalen Sicherheit einen "nahtlosen Übergang" von den Republikanern zu seiner Regierung geben werde. Aber Dutzende Millionen Wähler stimmten gerade für eine Veränderung in diesen Fragen - Krieg, Folter, Bespitzelung, etc.

Die Bevölkerung hat Hoffnungen, Erwartungen, Illusionen. Zum bevorstehenden Ende der Bush-Regierung, des verhasstesten Präsidenten der amerikanischen Geschichte, konnte man ehrliche Euphorie beobachten. Wenn die Wirklichkeit der Wirtschaftskrise und die wahre Bedeutung von Obamas Programm zu Tage treten, stehen Zusammenstöße mit der Demokratischen Regierung über grundlegende Lebensbedingungen, Krieg und die anhaltenden Angriffe auf demokratische Rechte auf der Tagesordnung.

Die Entfaltung der Wirtschaftskrise wird allen Annahmen und Illusionen über das Wunder des kapitalistischen Marktes einen vernichtenden Schlag versetzen.

Allerdings gehen die ideologischen Implikationen noch weit darüber hinaus. Die Erzeugung ungeheurer Mengen fiktiven Kapitals, das nun die Stabilität des Weltimperialismus bedroht, findet ihre intellektuelle Entsprechung in der Strömung des Postmodernismus. Eine beachtliche Zahl von Akademikern kam in den letzten Jahrzehnten zu der Auffassung, dass die objektive Realität und Wahrheit Erfindungen oder Halb-Erfindungen seien, und nahmen eine 'lockere' Haltung gegenüber der Geschichte ein, mokierten sich darüber, dass es "große Fragen" gebe und gelangten pauschal zu dem Ergebnis, man könne sich jederzeit eine neue Version ausdenken, ganz nach Art der Hedge Fonds-Manager und Investmentbanker.

Die objektiven Fakten werden es der herrschenden Elite und auch den akademischen Neunmalklugen bald heimzahlen.

Die Situation der Kunst wird sich dadurch nicht schlagartig, aber doch unweigerlich ändern,

Die Probleme werden sich kaum von selbst erledigen. Die Radikalisierung unter Künstlern wird sehr komplex und widersprüchlich verlaufen. Es ist fraglich, ob die 1930er Jahre als Vorbild dienen können. 1941 äußerte Orwell über die Situation in England, "Seit 1930 [dem Beginn der Depression] ist praktisch jeder, der als 'Intellektueller' gilt, chronisch unzufrieden mit der bestehenden Ordnung." Ist es wahrscheinlich, dass sich das so wiederholt?

In der Welt der Kunst hat eine Polarisierung stattgefunden, die dem allgemein stattfindenden Prozess in der Gesellschaft als Ganzer entspricht. Eine dünne Schicht hat sich dem Kapitalismus angepasst, sich enorm bereichert und identifiziert sich uneingeschränkt mit dem Status quo. Die jüngeren, kreativeren, mit stärker ausgeprägtem gesellschaftlichem Bewusstsein, die eher marginalisierten Schichten, werden im Wesentlichen zur Arbeiterklasse hingetrieben, ökonomisch wie politisch. Diese soziale Spaltung wird sich vertiefen, nicht verschwinden.

Die heutige Generation von Künstlern erbt alle Probleme der Vergangenheit. Radikalisierung allein wird nicht ausreichen; in vielerlei Hinsicht wird eine Klärung in künstlerischen, politischen, auch moralischen Fragen stattfinden müssen. Vieles muss überwunden werden, auch die moralische Degeneration. England hat sie von der schlimmsten und zynischsten Seite kennengelernt. Jahrzehnte der Reaktion und das Trommelfeuer der allerschlimmsten Einflüsse, dem die Künstler ausgesetzt sind, haben wie in jedem anderen gesellschaftlichen Bereich ihren Preis gefordert.

2009 steht die Arbeiterklasse einer neuen Situation gegenüber. Auch die Künstler. Soziale Spannungen, dramatische Entwicklungen, weltgeschichtliche Ereignisse, Höhen und Tiefen menschlicher Gefühle - die Zukunft wird reich daran sein.

Was werden die Künstler daraus machen? Wie werden sie reagieren?

Man darf wohl zu Recht annehmen, dass die Künstler nicht mehr, ja vielleicht sogar weniger als andere Teile der Gesellschaft, auf die herannahende Krise vorbereitet sind. Die Kunst hinkt hinterher, die Aufmerksamkeit der Künstler richtet sich auch bei günstigen Umständen nicht hauptsächlich auf die Tagesereignisse in Politik und Wirtschaft. Die letzten Jahrzehnte politischer Reaktion und kulturellen Niedergangs haben sie, von wenigen ehrenwerten Ausnahmen abgesehen, noch weiter zurückgeworfen.

Soweit Künstler mit "linken" Ideen in Kontakt kommen, sind es oft verschiedene Spielarten postmodernistischen Denkens, das die Möglichkeit bestreitet oder es für fehl am Platz hält, in der Kunst die Welt zu erkennen, oder um die Ideologie des so genannten "westlichen Marxismus" (Kritische Theorie, Frankfurter Schule), auf die wir später noch zu sprechen kommen.

Was heutzutage allgemein unter der "Linken" verstanden wird, hätte Trotzki nicht als solche anerkannt. Das ist genau genommen nicht die Schuld der Beteiligten, vielmehr sprechen wir über die Ergebnisse einer vielschichtigen und schwierigen historischen Periode.

Und immer noch sind auch stalinistische und linke nationalistische Kräfte am Werk, die unterschiedliche Theorien über "Volkskunst" propagieren, welche weder viel mit dem Volk noch sehr viel mit Kunst zu tun haben, eher kleinbürgerlich-bürokratische Grenzen setzen für das, was die Unterdrückten sehen und hören dürfen.

Wir Marxisten haben ebenfalls unsere Vorstellungen, und wollen durchaus selbstbewusst für sie eintreten. Uns geht es darum, die internationale sozialistische Kultur, die vom Stalinismus so beschädigt wurde, neu zu beleben und wieder aufzubauen. Wir halten dies für äußerst wichtig für das Projekt der Weltrevolution. Freiheraus gesagt: Ohne ein höheres kulturelles Niveau wird die Arbeiterklasse den Sieg nicht davontragen.

Natürlich machen wir nicht die Bevölkerung für ihre gegenwärtige missliche Lage verantwortlich. Die heutige Situation ist eine Anklage gegen den Kapitalismus - der in seinem Niedergang kein Interesse und auch nicht die Fähigkeit hat, die breite Masse aus Erniedrigung und Unwissen zu befreien - und gegen die sogenannte Arbeiterbewegung, die vielen Sozialistischen und Kommunistischen und Labour-Parteien, gegen die Gewerkschaften, die im letzten Vierteljahrhundert ihre vollständige Verkommenheit unter Beweis gestellt haben.

Jedoch machen wir kein Hehl daraus, dass aus unserer Sicht die Hebung des kulturellen, moralischen und geistigen Niveaus eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung eine unabdingbare Voraussetzung für eine tiefgehende gesellschaftliche Umgestaltung darstellt.

Die World Socialist Web Site gibt kulturellen Fragen viel Raum. Und wir haben vor, hier noch zuzulegen. Um mit Trotzki zu sprechen, wir sind davon überzeugt, dass der Leser durch die Begegnung mit Kunst und Kunstkritik, wenn diese Kritik gelungen ist, eine "kompliziertere Vorstellung von der menschlichen Persönlichkeit, von deren Leidenschaften und Gefühlen (entnehmen wird). Er wird ihre psychischen Kräfte, die Rolle des Unbewussten in ihr u.a.m. besser verstehen." Letztlich, so Trotzki, "wird er (der Leser) reicher" ( Literatur und Revolution, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1994, S. 224).

Den fortschrittlichsten Künstlern selbst bieten wir eine Perspektive an, und, so hoffen wir, eine kritische Erhellung des allgemeinen Gangs der Entwicklung. Wir können niemandem etwas vorschreiben, und wäre die Partei der Arbeiterklasse an der Macht, würde sie die Künstler nicht herumkommandieren. Weiterhin gilt, dass die Kunst ihren eigenen Weg mit ihren eigenen Mitteln finden muss.

Doch wie ich schon sagte, haben wir sehr konkrete Vorstellungen, und wollen sie auch kämpferisch vertreten.

Es gibt widerstreitende Theorien, was revolutionäre oder "progressive" bzw. "subversive" Kunst ausmacht. Unsere Auffassung ist relativ einfach: Kunst ist wahrhaft radikal vor allem, soweit sie mit den ihr eigenen Mitteln die Wahrheit über das Leben und die Wirklichkeit transportiert, wie schmerzlich oder kompliziert dies auch sein mag. Ein tiefes Verständnis und Empfinden der Welt gehört zur Grundausstattung derer, die eine radikale Veränderung anstreben. Mit dieser Auffassung, so meine ich, stehen wir in der Tradition des klassischen Marxismus und auch nahe an den Standpunkten ernsthafter Künstler.

Der Prozess, in der Kunst die Wahrheit mitzuteilen bzw. zu beweisen, ist ein anderer als bei einem Vortrag über Geschichte oder in einer politischen Streitschrift. Der Künstler behandelt die Realität mit besonderen Methoden und Techniken, die Elemente des Lebens werden von ihm verwandelt, aufgelöst und neu arrangiert in konkrete Bilder, die seine Gedanken und Gefühle mitteilen. Intuition, das Nicht-Rationale, das Unbewusste spielen in der Kunst eine sehr viel größere Rolle als in der Politik oder der Wissenschaft; jedoch beharren wir darauf, dass in der Erschaffung und Assimilierung des künstlerischen Werkes ein rationales, bewusstes Element eine wichtige Rolle spielt.

Hegel sagt, es sei "absurd anzunehmen", dass Gedichte wie die Homers "dem Poet im Schlaf eingefallen sind...es ist töricht, anzunehmen, dass der wirkliche Künstler nicht weiß, was er tut" (Ästhetik, Bd. 1). Der Leser bzw. Betrachter hat ebenfalls die Verantwortung zu wissen, was er tut.

Daneben gibt es die Auffassung eines Teils der kleinbürgerlichen Intelligenz, dass Kunst radikal sei, sofern sie die Realität flieht, sofern der Künstler sich aus einem unerträglichen Leben zurückzieht und mittels Form oder Inhalt ein Reich der Utopie andeutet. Danach besteht das bewusste Ziel des Künstlers darin, die Realität aufzuheben, sich so weit als möglich von ihrem albtraumhaften Einfluss zu befreien. Die Abwendung selbst soll auf die Unerträglichkeit der gegenwärtigen Situation und darauf hindeuten, dass die Welt sich verändern muss.

Menschen, die sich für diese Herangehensweise entscheiden, gehen davon aus, dass die bestehenden Verhältnisse keinerlei Ansatzpunkt für eine Revolution beinhalten. Es gibt, anders ausgedrückt, keinen objektiven Anstoß in den heutigen gesellschaftlichen Gegebenheiten, die als Ausgangspunkt dienen könnten, darüber hinauszugehen. Dies bleibt dann der Vorstellungskraft oder der Intuition vorbehalten, einem ästhetischen Akt, der mit den biologischen Bedürfnissen und den "Lebensinstinkten" des Menschen zusammenhängt. Darauf werden wir zurückkommen, wenn wir über Herbert Marcuse von der Frankfurter Schule sprechen.

Diese beiden Positionen stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Aus guten Gründen steht der Marxismus in der Kunst seit jeher dem Realismus nahe. Mit diesem Begriff meinen wir nicht 'Realismus' in einem formalen Sinn, sondern ein äußerst gewissenhaftes Bemühen, mit welchen künstlerischen Mitteln auch immer, ein tiefes Verständnis des Lebens und seiner sozialen Organisation zu erreichen.

Ein kubistisches Gemälde kann eine eindringliche und ernsthafte Aussage über die Welt enthalten. André Bretons surrealistisches Gedicht Free Union gehört zu den schönsten Gedichten, die ich kenne.

Trotzki sprach mehrmals von der "künstlerischen Akzeptanz der Realität", nicht in dem Sinn, dass Künstler sich dem Bestehenden, den heutigen gesellschaftlichen Institutionen und Verhältnissen anpassen sollten. Er meinte damit, dass nichts Wertvolles erreicht werden könne, wenn man vor dem Leben zurückscheut, nach einem Zufluchtsort sucht oder sich mystisch über die Wirklichkeit erhebt.

Auch wir glauben, dass ein kraftvolles Empfinden für das Leben für den Künstler unverzichtbar ist.

Auf die Welt, und auf sich selbst, mit großer Ehrlichkeit blicken; die Formen, Töne und Konturen, in denen sich das Leben zeigt, mit wachem Auge und Ohr wahrnehmen; menschliches Verhalten und Gefühle in ihren vielfältigen Erscheinungsformen einschätzen; Dinge schonungslos beim Namen nennen - insgesamt, "das Bestreben...dieses Leben in unseren drei Dimensionen als ausreichende, vollwertige und eigenwertige Materie für die schöpferische Gestaltung anzuerkennen" (Literatur und Revolution, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1994, S. 233)

Spricht man in der Kunst heute allgemein über Realismus, handelt man sich den Vorwurf des Philistertums und Stalinismus ein. Hierin zeigen sich einige der gegenwärtigen Schwierigkeiten.

Viele große Künstler haben viel Mühe darauf verwandt, ihr Verständnis der Welt, in der sie lebten, so lebendig und konkret wie möglich auszuarbeiten und es nach außen zu kommunizieren. Sie haben das beinahe als eine heilige Pflicht betrachtet. Sie waren bereit, ihre Gesundheit und sogar ihr Leben dafür zu opfern. Flaubert identifizierte sich so ausschließlich mit seiner Dichtung, dass er krank wurde, als er über Emma Bovarys Selbstvergiftung schrieb.

Dass die Kunst ihre Wurzeln in der Realität hat, war sicherlich die Auffassung des großen russischen Literatur- und Sozialkritikers, revolutionären Demokraten und utopischen Sozialisten V.G. Belinsky [1] und der Marxisten Plechanow, Leo Trotzki und Alexander Woronski.

Für diese Persönlichkeiten, die sich alle mit großem Engagement für eine bessere Welt einsetzten, existierte die Kunst nicht in einem vom sonstigen Leben der Menschen getrennten Reich. Sie achteten ihren besonderen Charakter und ihre eigenen Gesetze; doch künstlerisches Arbeiten galt als Teil des allgemeinen Bestrebens des gesellschaftlichen Menschen, sich in der Welt zurechtzufinden, das Wesen der Dinge tiefer zu erfassen und ein befriedigenderes und harmonischeres Leben zu führen.

Der Marxismus hat, ungeachtet der Karikierung durch seine Gegner, die Kunst niemals als reine Ideologie angesehen oder als Element des Überbaus, hervorgebracht durch das Bestreben der herrschenden Klasse, die Bevölkerung zu unterdrücken. Wie die Wissenschaft, erkennt auch Kunst die Welt. Die großen Künstler haben durch die Tiefe und Schönheit ihrer Bilder wichtige, objektive, relativ allgemeingültige Wahrheiten hervorgebracht.

Der bemerkenswerte sowjetische Kritiker und Stalin-Gegner Alexander Woronski schrieb: "...die Frage aller Fragen", im Hinblick auf die Kunst lautet: "Haben unsere subjektiven Empfindungen objektive Bedeutung?" Alle postmodernistischen und viele der akademischen Strömungen antworten mit einem lautstarken 'Nein!' oder aber sie antworten gar nicht, weil sie die Frage selbst für absurd und hoffnungslos überholt halten.

Die Marxisten allerdings beantworten diese Frage aller Fragen mit einem 'Ja'. Wer versteht, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, fährt Woronski fort, muss antworten, "dass unsere subjektiven Empfindungen auch eine objektive Bedeutung haben können... dass wir die objektive, von uns unabhängige Welt mittels unserer Empfindungen erkennen. Unsere Abbilder von der Welt sind keine exakten Kopien, aber sie sind auch keine unverständlichen Hieroglyphen der Welt, und schon gar nicht haben sie nur subjektiven Charakter. Die Praxis bestimmt, was in unseren Abbildern lediglich persönliche Bedeutung hat und was authentische, unbestreitbare Aussagen und Wahrheiten sind" (Alexander Woronski, "Über künstlerische Wahrheit", in: Die Kunst, die Welt zu sehen, Arbeiterpresse Verlag, Essen 2003, S. 344).

Gleichzeitig lebt der einzelne Künstler natürlich in einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Land und er gehört vor allem einer Klasse an, so dass seine Arbeit einen bestimmten sozio-historischen Charakter hat. Niemand kann diese Beschränkung ganz überwinden. Je größer der Künstler, desto tiefer seine Einsichten, desto weniger ist sein Kunstwerk von Klassenvorurteilen belastet. Dies ist nicht lediglich das Ergebnis eines individuellen Genius oder Willens; historische Umstände gestatten es dem Künstler manchmal, eine größere Vision zu haben, einen größeren Blick auf menschliche Beziehungen als andere.

Wir ermutigen eine Kunst, die heute, da die Widersprüche des Kapitalismus sich explosiv Bahn brechen, zur Förderung von Wissen und Fühlen unter breiten Schichten der Bevölkerung beiträgt. Um das zu leisten, müssen Künstler unserer Meinung nach neben Eindrücken und Intuition auch über Wissen verfügen.

Künstler verleihen ihrer Subjektivität Ausdruck. Kunstwerke kommen, oder sollen aus dem tiefen Inneren von Menschen kommen, wo wir sämtlichen Arten von Gefühlen und Gedanken, die wir nicht alle gutheißen, begegnen. Doch es gibt Subjektivität und Subjektivität. Es geht darum, ob im konkreten Fall etwas Wichtiges und Erhellendes durch das persönliche Bemühen des Künstlers transportiert worden ist.

In seinem Artikel von 1928, der als letzter veröffentlicht wurde, kommentierte Woronski, der 1937 von den Stalinisten ermordet wurde: "Sehr oft bieten uns die Künstler statt einer Darstellung der an sich schönen Dinge ihre Interpretation dieser Dinge..." (Alexander Woronski, "Die Kunst, die Welt zu sehen", in: Die Kunst, die Welt zu sehen, Arbeiterpresse Verlag, Essen 2003, S. 389)

In der zeitgenössischen Kunstwelt würde man sicher nur sehr wenige Leute finden, die mit dieser Kritik übereinstimmen; daher weise ich auf sie hin. Größtenteils, vor allem in der visuellen Kunst, ist der Künstler und seine Interpretation alles, und die Welt ist nichts oder fast nichts.

Verrät man etwas Neues, wenn man sagt, dass eine Art "schlechter Subjektivismus" der Kunst im letzten halben Jahrhundert oder schon länger Schaden zugefügt hat? Wir drängen energisch auf größere Objektivität in der Kunst.

Geht es dabei darum, der Erforschung des Selbst die Erforschung der Welt entgegenzusetzen? Nein, es lässt sich nicht einfach darauf reduzieren. Wir interessieren uns für das äußere und das innere Leben (das für uns kein "Unsinn" ist). Wir wollen keine Kunstwerke, die sich auf einen Bereich beschränken.

Wir gestehen auch sofort ein, dass es von Belang ist, um wessen inneres Leben es geht. Das innere Leben von manchen ist, offen gesagt, interessanter als das von anderen.

Es gibt verschiedene Arten von Individualismus. Der kleinbürgerliche Intellektuelle besitzt ihn gewöhnlich im Übermaß. In der Arbeiterklasse sieht es etwas anders aus. Wie Trotzki bemerkte, mangelt es "dem durchschnittlichen Proletarier" an Individualismus. Wir versuchen, hier Abhilfe zu schaffen.

Heutige Künstler werden sich vielen Fragen aufmerksam zuwenden müssen. Nicht weil wir das sagen, sondern weil das Leben es erfordern wird.

Unsere Herangehensweise befindet sich in Übereinstimmung mit der materialistischen Auffassung der Geschichte und des gesellschaftlichen Lebens, die Marx und Engels erstmals in den 1840er Jahren entwickelten. Wir steigen empor von der Erde zum Himmel, und gehen nicht von dem aus, was die Menschen sagen oder sich einbilden, sondern von den wirklichen, tätigen Menschen und ihrem Lebensprozess. Wir beginnen mit den wirklichen Grundlagen - Menschen in ihrer Entwicklung unter bestimmten sozialen und historischen Bedingungen -, und "geben sie nie auch nur einen Moment verloren".

Was sich an den Universitäten als Marxismus ausgibt und als marxistische Kunstkritik gilt, ist ein anderes Thema, mit dem wir uns befassen müssen.

Das Nachdenken über Kunst im Allgemeinen spielt sich momentan auf sehr niedrigem Niveau ab; Künstler und Kunststudenten werden nicht dazu angeregt, über die Quelle ihres eigenen künstlerischen Schaffens nachzudenken, darüber, was ihren spontanen Motiven und Impulsen zugrunde liegt. Kunst wird oft nur als eine Frage des Ausdrucks der individuellen Persönlichkeit, der Phantasie und Vorstellungskraft betrachtet. Diese Elemente spielen mit hinein, doch wir meinen, dass der Kunst eine wichtigere Rolle zukommt.

Kunst ist ein Weg, in Bildern über die Welt nachzudenken und zu fühlen. Wissenschaft und Kunst erkennen dasselbe Universum, aber mit unterschiedlichen Mitteln und zu unterschiedlichen Zwecken, und auch in unterschiedlichen Aspekten. Manche Bereiche des Lebens können mit wissenschaftlichen Axiomen und Gesetzmäßigkeiten nicht erfasst werden, manche Bereiche können nicht mit Gedichten erfasst werden. Intuitiv verstehen wir den Unterschied.

Kunst lediglich als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit anzusehen, der nur von einer persönlichen Bedeutung abhängig ist, stellt eine besonders banale Herangehensweise dar. Es gibt allerdings auch andere Ansätze, die als 'links' oder gar 'marxistisch' gelten.

Im Allgemeinen trennt das akademische linke Denken die Kunst vom Leben, insbesondere vom gesellschaftlichen Leben.

Der Postmodernismus ist aus meiner Sicht nicht sonderlich an Kunst interessiert. Die Postmodernisten lassen natürlich ständig Bezüge zur Kunst anklingen, doch sie nehmen die Kunst nicht ernster als irgendeinen beliebigen anderen Bereich menschlicher Tätigkeit. Sie sehen sie als narzistisches, auf das Selbst bezogenes Tun. Kunst handelt von anderer Kunst, von Texten, Kunst ist eine Art 'virtueller Realität' oder 'Hyper-Realität', alles, nur keine Widerspiegelung, keine Einbeziehung des Lebens. Es gibt nur die Erzählungen von Einzelnen, und jede ist allen anderen gleichwertig oder gleich wenig wert. Es gibt keine objektive Realität, jeder macht sich seine eigene Wahrheit.

Wie könnte Kunst in einer so zynischen und verderbten Atmosphäre entsprechende Wertschätzung erfahren? Künstler widmen sich mit ihrer ganzen Person der Aufgabe, zum Kern der Dinge vorzudringen. Der Postmodernist, für den alles relativ ist, ohne Tiefe, ohne Allgemeingültigkeit, ist der natürliche Feind des Künstlers.

Wie ich bereits sagte, werden auch noch andere Standpunkte vertreten, die in der einen oder anderen Weise immer noch Anklang finden. Eine Auffassung, die ziemlich linksstehend erscheint, lautet, dass Kunst nichts als Klassenideologie ist. Demzufolge ist die Ideologie der herrschenden Klasse wie Luft, die einen umgibt und die man weder sehen noch bekämpfen kann, weil sie jeder Wahrnehmung von vornherein ihren Stempel aufdrückt. Sie bestimmt sogar den Charakter jedes Protests. Diese Anschauung leugnet, dass es einen ernsthaften Künstler überhaupt gibt, und reduziert den Menschen auf einen bloßen Schatten, eine Widerspiegelung der bürgerlichen Ideologie.

Diese Ansichten sind eine Karikatur auf den klassischen Marxismus und auf die Haltung der großen Marxisten zur Kunst.

Am anderen Ende dieses Spektrums befinden sich Leute wie Herbert Marcuse von der Frankfurter Schule. Er und seinesgleichen verwandeln die Gesellschaft und die Geschichte in passive Gegebenheiten und erheben die individuelle oder kollektive Psyche zur Triebkraft großer Veränderungen.

Diese Kritiker insistieren, dass Kunst von relativ konstanten Elementen der menschlichen Erfahrung und Möglichkeiten abhänge. Die Gesellschaft sei ein statisches Element und es sei die angeborene psychisch-biologische Verfassung des Menschen, die künstlerisches Schaffen hervorbringe.

Ich möchte einiges über Marcuse und diese Art von Ideen sagen. Ob Sie ihn kennen oder nicht, sein Einfluss macht sich nach wie vor geltend, wenn auch in abgeschwächter oder indirekter Form. Er wurde 1898 geboren, kam schließlich auf der Flucht vor Hitler in die USA, und übte einen bedeutenden Einfluss auf die von der Neuen Linken getragene Studentenbewegung in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren aus.

Ein Verweis auf die Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts und auch die Zeit davor ist hier angebracht. Die ersten großen Parteien der Arbeiterklasse entstanden im letzten Teil des 19. Jahrhunderts, vor allem die Sozialdemokratische Partei in Deutschland, eine Massenpartei mit vielen Unterorganisationen, Zeitungen, etc. Ihr größter Widerspruch bestand darin, dass sie zwar für ein scheinbar revolutionäres Programm eintrat, revolutionäre Bedingungen aber nicht gegeben waren. Zum Festhalten an der Theorie des Marxismus gesellte sich immer stärker eine opportunistische oder reformistische Praxis, eine Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft Deutschlands. Dieser Opportunismus führte zu dem katastrophalen Verrat im August 1914, als die SPD, zusammen mit den anderen sozialdemokratischen Parteien Westeuropas, die Arbeiterklasse in die Schlächterei des Ersten Weltkrieges führte.

Marcuse und andere spätere Vertreter der Frankfurter Schule wuchsen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf.

Es entwickelte sich auch eine marxistische Tendenz, die schließlich Lenin, Luxemburg, Trotzki und andere Führer hatte. Sie betonte immer wieder, dass man die Arbeiterklasse vorbereiten müsse auf das unvermeidliche Aufbrechen der Widersprüche des Kapitalismus, die der revolutionären Partei die Möglichkeit geben würden, die Macht zu ergreifen. Diese Ansicht wurde 1914 und 1917 vorgebracht.

Natürlich gab es auch andere, die die Sozialdemokratie kritisierten. In seinem Pamphlet Der "linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus erklärte Lenin, dass sich der Bolschewismus in Russland "im langjährigen Kampf gegen den kleinbürgerlichen Revolutionarismus " entwickelte...Die Unbeständigkeit dieses Revolutionarismus, seine Unfruchtbarkeit, seine Eigenschaft, schnell in Unterwürfigkeit, Apathie und Phantasterei umzuschlagen, ja sich von dieser oder jener bürgerlichen "Mode"strömung bis zur "Tollheit" fortreißen zu lassen - all das ist allgemein bekannt" (Lenin, Der "linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: W: I. Lenin, Ausgewählte Werke, Verlag Progress, Moskau 1986, S. 573-74).

Diese Art der Opposition zur Sozialdemokratie, die die Ungeduld und Unbeständigkeit des Kleinbürgertums widerspiegelte, war im wesentlichen eine Opposition, die für linke unkonventionelle Künstlerkreise typisch war.

Lenin, Luxemburg und Trotzki kannten die Sünden der Sozialdemokratie. Es waren aber auch die Probleme einer Massenbewegung der Arbeiterklasse. Mit der Kritik der Sünden übersahen die linken Bohémiens oft auch die Stärken der Arbeiterbewegung und schütteten so das Kind mit dem Bade aus.

Die Massenorganisationen der Arbeiterklasse schienen diesen Intellektuellen schwerfällig zu sein; außerdem zeigten sie sich uneinsichtig gegenüber ihren Ratschlägen.

Diese Opposition der Intellektuellen nahm eine philosophische Form an. Denker wie Marcuse und weitere Vertreter der so genannten Frankfurter Schule, Georg Lukàcs und andere, gelangten in den 1920er Jahren zu der Auffassung, dass die Probleme der Sozialdemokratie, für die sie auch Engels verantwortlich machten, in ihrem angeblich passiven oder vulgären mechanischen Materialismus begründet seien, der die sozialistische Revolution auf ein historisch unvermeidliches Ereignis reduziere, auf das die Arbeiterbewegung mit verschränkten Armen warten konnte. Das stellt eine Karikatur auf die Position von Engels und der besten Elemente in der Sozialdemokratie dar.

Diese Schicht von Intellektuellen war Zeitzeuge einer Reihe von Niederlagen, die ihr Leben und Denken erheblich prägten. Der Mord an Luxemburg und Liebknecht während der gescheiterten Revolution von 1918 raubte der neugegründeten Kommunistischen Partei ihre führenden Köpfe. Ehe ihr die nötige Zeit vergönnt war, eine neue marxistische Führung aufzubauen, erlitt sie durch den Stalinismus in der Kommunistischen Internationale irreparablen Schaden. Die Niederlage der deutschen Revolution 1923 verstärkte die verhängnisvolle Verwirrung und Demoralisierung. Der Todesstoß folgte 1933 mit der Machtergreifung Hitlers mit all ihren grauenhaften Konsequenzen.

Unter diesen Bedingungen eines wachsenden politischen Vakuums und von Rückschlägen für die internationale Arbeiterklasse entwickelten Teile des philosophisch geschulten Kleinbürgertums gestützt auf unehrliche und unzutreffende Argumente eine Kritik am Marxismus, die an Einfluss gewann.

Marcuse scheint ganz besonders empfänglich für Desillusionierung und Distanz zur Arbeiterklasse gewesen zu sein. Er war in die Sozialdemokratie eingetreten und verließ sie nach dem Mord an Luxemburg. Schon 1922 äußerte er in seiner Dissertation, dass der Künstler "keine Erfüllung finden" werde, wenn er sich "auf die Seite der revolutionären Massen" stellte, denn "diese Massen kämpfen für alles, nur nicht dafür, wonach der Künstler sich sehnt."

Er war ein prominenter Vertreter derer, die schließlich am Marxismus Kritik übten, weil dieser angeblich der subjektiven menschlichen Erfahrung zu wenig Beachtung schenkt. Dieser Auffassung zufolge waren die Kategorien des historischen Materialismus von Natur aus unfähig, 'die Wirklichkeit des menschlichen Wesens' zu erfassen. Die Vorstellung eines dem Menschen innewohnenden Wesens wies Marx in seinen Thesen über Feuerbach ausdrücklich zurück. Die menschliche Natur, betonte Marx, sei vielmehr "das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse."

Das Lamentieren an der Wende zum 20. Jahrhundert zur Verteidigung der 'Authentizität' und 'wahrhaft gelebter Existenz' stellte teilweise die Reaktion einer Schicht der entfremdeten Intelligenz auf das Wachstum der industriellen Massenproduktion, der großen Städte und der Massenorganisationen der Arbeiterklasse dar. Wenn sich die Intellektuellen beschwerten, dass der Marxismus keine Antwort auf die Fragen der 'subjektiv gelebten menschlichen Existenz' habe, meinten sie oft, dass der wissenschaftliche Sozialismus nicht befriedigend genug erkläre, wie sie die Welt erlebten.

Die Sozialisten sprachen und schrieben natürlich sehr gut über die Geschichte, über den Klassenkampf und die Aussichten der sozialen Revolution, aber wo blieben da die täglichen Frustrationen und die Angst der Intellektuellen, ihre unerfüllten Wünsche und Ziele?

Wir weisen die Vorstellung zurück, dass der Marxismus ein zu grobes Instrument sei, um ein soziales Phänomen zu verstehen und darzustellen. Es hängt natürlich davon ab, wer dieses Instrument benutzt. In den Händen eines Marx, der die verschiedenen Kräfte in der französischen Revolution und Konterrevolution von 1848 bissiger Ironie aussetzte, oder eines Trotzki, der die nachrevolutionären Dichter und Romanciers treffend und einfühlsam charakterisierte...? Dies sind unauslöschliche Beiträge zur Sozialpsychologie, und brillante Literatur gleichermaßen.

Marcuses Denken machte gewiss auch Veränderungen durch, doch kann man in seinen Anschauungen manche Konstanten entdecken. Die Hohlheit und geistige Armut der bürgerlichen Existenz stießen ihn ab, und er fühlte sich zur Kunst hingezogen, deren formale Eigenschaften eine konkrete, sinnliche Alternative in der Gegenwart zu bieten schienen, und auch einen Anhaltspunkt, wie das Leben aussehen könnte, wenn es denn nach anderen Kriterien organisiert wäre.

Marcuse bekundete auch zeit seines Lebens eine Feindschaft gegenüber jeglichem Determinismus und der Idee eines von Gesetzmäßigkeiten regierten gesellschaftlichen Prozesses. Er bestritt energisch die Existenz einer objektiven Grundlage für die soziale Revolution und machte sich lustig über die Ansicht, der Sozialismus könne im Schoß der alten Gesellschaft heranreifen. Aus seiner Sicht kam der Impuls für die Revolution aus dem Konflikt zwischen dem Wesen des Menschen - aufgefasst als die Befriedigung biologischer Bedürfnisse, des "Lebensinstinkts", des Lusttriebes - und seiner gegenwärtigen Existenz, die von einem repressiven "Leistungsprinzip" beherrscht werde.

Nach Marcuse spielt die Kunst eine wichtige Rolle, weil sie dem Menschen die Möglichkeit einer befreiten Existenz erhält und aufzeigt.

Der philosophisch-ästhetische Kern vieler Auffassungen von Marcuse entstammt den Lehren von Schopenhauer [2], Nietzsche, Wilhelm Dilthey [3] und den Vitalisten bzw. 'Lebensphilosophen' - und später von Heidegger [4] und Freud. Marcuse nahm gegenüber dem Werk Freuds und allgemein gegenüber den theoretischen Traditionen, die den Rahmen seines Wirkens bildeten, eine ungenügend kritische Haltung ein

Den Vitalisten zufolge ist das Leben ein dunkler Strom, der nur der Intuition zugänglich ist, nicht aber dem bewussten rationalen Denken. Die Existenz einer vom Bewusstsein unabhängigen Welt, die sie verächtlich als "Gegenstände und Fakten" bezeichnen, wird zurückgewiesen oder zu einer sinnlosen Frage erklärt. Dementsprechend erklärte Marcuse in einem Essay aus dem Jahr 1932, dass Objekte nur wirklich werden als Ergebnis menschlicher Aktivität. "Die objektive Welt...ist Teil des Menschen selbst" ("Die Grundlage des Historischen Materialismus"). Man hört hier Schopenhauer heraus: "Man muss die Natur aus sich selbst heraus verstehen, nicht sich selbst aus der Natur."

Die "Vermenschlichung" des Denkens auf diese Art schließt aus, dass die Natur, das materielle Universum unabhängig von der Existenz der Menschheit ist und vor der Menschheit existiert hat. Die amerikanische Socialist Equality Party erklärte in ihrem Dokument über die historischen und internationalen Grundlagen unserer Partei: "Es war (und ist) die Pseudodialektik einer subjektiv aufgefassten Interaktion unzufriedener Intellektueller und ihrer sozialen Umgebung, in der das Individuum - unabhängig vom Wirken objektiver Gesetze, die die Entwicklung von Natur, Gesellschaft und Bewusstsein bestimmen - frei ist, die Welt so zu "erschaffen", wie es ihm oder ihr gerade passt. "

Das trifft genau auf Marcuse zu.

Ich sagte bereits, dass das IKVI für seinen 'Objektivismus' angegriffen wurde. Marcuse benutzte diesen Begriff; er bedeutete anzuerkennen, dass eine Welt der Objekte unabhängig von unserem Bewusstsein existiert. Wir bestehen andererseits darauf, dass die Analyse der Entwicklung der Weltwirtschaft und der gesellschaftlichen Beziehungen die Grundlage für revolutionäre Praxis darstellt - nicht unser Wille, unsere utopischen, ästhetisch-erotischen Fantasien, unser Wunsch nach einer besseren Welt, sondern die Logik der wirklichen Situation.

Die Behauptung, Marcuse stehe für eine ærevolutionäre marxistische Tradition', ist Unsinn. Er hätte diese Auffassung weit von sich gewiesen. Marcuse wollte mit dieser Tradition nichts zu tun haben. Uns bereiten weniger diese Leute selbst, Marcuse und die anderen, Kopfschmerzen als die Behauptungen, die zu ihren Gunsten aufgestellt werden.

Die Vertreter der Frankfurter Schule - Marcuse, Theodor Adorno, Max Horkheimer und andere - waren sehr kultivierte Menschen von hohem Intellekt. Doch genau genommen waren sie überfordert. Sie waren keine Politiker, worin eine gewisse Tragik liegt. Sie standen der Arbeiterklasse sehr fern und blieben ihrem Milieu verhaftet. Hätte die Arbeiterklasse in Deutschland in den 1920er Jahren die Macht erobert, wäre ihre Entwicklung anders verlaufen, und sie hätten in der kulturellen Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft eine Rolle gespielt. Zumindest möchten wir das gerne annehmen.

Letztlich liegt die soziohistorische Quelle von Marcuses Ideen darin, dass die kleinbürgerlichen Intellektuellen nach den Niederlagen der 1920er und 1930er Jahre jede Hoffnung in die revolutionären Fähigkeiten der Arbeiterklasse verloren hatten. Statt das katastrophale Schicksal der deutschen Arbeiterklasse auf Programme und Praxis bestimmter Parteien und politischer Führungen zurückzuführen, schrieben Marcuse und seine Mitstreiter der Frankfurter Schule das Desaster dem Versagen der deutschen Bevölkerung zu, ihrer angeblichen Autoritätsgläubigkeit und anderen Schwächen.

In der Nachkriegszeit argumentierten Marcuse und seine Anhänger, die bürgerliche Gesellschaft sei jetzt eine Überflussgesellschaft und die Arbeiter seien mehr oder weniger ins System integriert. Einige dieser Kommentare wirken heute einfach lächerlich. Marcuse stellte sich eine Gesellschaft vor, in der der technische Fortschritt, den er missbilligte, das Ende von Arbeitslosigkeit, Überstunden und Armut bedeute.

(Erwähnenswert ist, dass Marcuse von 1942 bis 1951 für drei US-Regierungen als Geheimdienstmitarbeiter tätig war. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges diente er noch sechs Jahre den US-Geheimdiensten, und legte 1949 einen 500 Seiten starken vertraulichen Geheimdienstbericht vor mit dem Titel "The Potentials of World Communism.")

Jedenfalls sah Marcuse in verschiedenen seiner Schriften aus der Nachkriegszeit eine vollständig verwaltete, bürokratisierte, industriell-technologische Gesellschaft, einen 'eindimensionalen' Albtraum vorher, dem sich die Menschen kaum entziehen konnten; die Kunst bot eine solche Möglichkeit. Es versteht sich von selbst, dass das nicht unsere Auffassung vom modernen Leben ist. Der Kapitalismus steht für viele schreckliche Dinge, und er ist ein System, das seine grundlegenden Widersprüche nicht lösen kann; doch die Produktivkräfte der Menschheit sind eine Errungenschaft, die für die künftige Entwicklung der Gesellschaft von größter Bedeutung sind.

Wenn einem ein Supermarkt, eine Autobahn oder das Internet nur als etwas Steriles, Unpersönliches, Angst einflößendes oder Albtraumhaftes erscheint, dann wird man es schwer haben, sich zurechtzufinden. Das ist nicht unsere Sichtweise. Mit der sozialistischen Perspektive hat das nichts zu tun.

Marcuses Ansichten zur Kunst kommen mit ganzer Klarheit in seinem abschließenden Werk Die ästhetische Dimension zum Ausdruck, das 1977 erschien.

Gleich zu Beginn macht er seinen Standpunkt klar: Er sieht das politische Potential, das Subversive an der Kunst "in der ästhetischen Form als solcher". Als Ergebnis ihrer Form ist die Kunst weitgehend autonom von den gegebenen gesellschaftlichen Beziehungen; sie lehnt sich gegen diese Beziehungen auf und geht über sie hinaus.

Man möchte darüber eher traurig sein, als sich ärgern. Dieser Standpunkt bedeutet Defätismus, Resignation, Rückzug vom Leben.

Die Behauptung, Form sei alles, ist ein jämmerlicher Standpunkt. Die Kunst ist ein besonderer Weg, sich über das Leben klarzuwerden, Menschen zu bereichern und sie elastischer zu machen, indem man ihnen die verschiedenen Seiten der Realität zeigt, und ihre eigenen Seiten, die sie nie erkannt haben oder denen sie bisher keine Aufmerksamkeit schenkten, Aspekte der Realität, die Wissenschaft, Politik und Philosophie nicht oder nur weniger konkret erfassen können.

Argumente für den Vorrang der Form sind Zeichen intellektuellen Niedergangs. Was heißt das denn wirklich? Das Leben ist zu schmerzhaft, man mag es nicht ansehen, und wenn man es doch täte, käme man zu äußerst entmutigenden Schlussfolgerungen.

Wir spielen nicht den moralisch Überlegenen in Bezug auf die Geschichte der Kunst. Es kann Umstände geben, in denen Künstler von vielem abgeschnitten und gezwungen sind, sich auf sich selbst und die formalen Eigenschaften ihres Arbeitens zurückzuziehen. Beispiele dafür sind die Dichter Charles Baudelaire in den 1850er und 1860er Jahren und Alexander Puschkin nach 1825, oder die Maler des Abstrakten Expressionismus in New York City nach dem Zweiten Weltkrieg.

Wenn aber ein quasi-politischer Führer oder politischer Theoretiker im späten 20. Jahrhundert diese Position einnimmt, dann ist das schändlich.

Diese Art, vom Leben zurückzuscheuen, läuft auf eine Anpassung an "das Bestehende, in seiner ganzen Hässlichkeit" (Trotzki) hinaus, weil es unser reales dreidimensionales Leben unerforscht, unkritisiert und unerhellt lässt.

Bedeutende Kunst hat auch bedeutende Substanz, nicht in pauschaler Form, Inhalt als einfache 'Botschaft', sondern eine soziale Zielsetzung, "ein lebendiger Komplex von Stimmungen und Ideen", die Ausdruck suchen. Der Künstler hat immer eine Vorstellung vom Leben, die er mitteilen will und muss. Van Gogh schrieb: "Ich stelle mir die ärmsten Hütten und die schmutzigsten Ankömmlinge als Gemälde und Zeichnungen vor. Mein Geist wird mit unwiderstehlicher Kraft von diesen Dingen angezogen." (The Letters of Vincent Van Gogh, aus dem englischen)

Ganz sicher deuten die formalen Eigenschaften der Kunst an sich auf etwas "anderes" als das Bestehende hin, doch das ist nicht alles und auch nicht vorrangig das, was Kunst tut. Es ist ein zusätzliches Element. Ihre viel wichtigere und konkret subversive Rolle besteht darin, dass sie das Denken und Fühlen von Lesern und Betrachtern durch die umfassendste und kritischste Untersuchung dessen entwickelt, was ist.

Doch für Marcuse ist ein derartiges Unterfangen weitgehend Zeitverschwendung - denn schließlich gibt es ja keine objektiven Grundlagen für eine soziale Revolution. Etwa in der Mitte seines Buches The Aesthetic Dimension verdeutlicht er seinen Standpunkt: Das Proletariat, auf das Marxisten ihre theoretischen Bemühungen konzentrieren, schreibt er, ist "in einem großen Maße" in die bestehende Gesellschaft "integriert". Eine Seite weiter wiederholt er dieses Argument, der heutige Zustand sei "die Integration des Proletariats unter dem fortgeschrittenen Monopolkapitalismus". Und so geht es immer weiter.

Da es keine gesellschaftliche Kraft gibt, die eine neue Gesellschaft verwirklichen kann, spielt sich die 'revolutionäre Theorie' vorwiegend in der Einbildung und Phantasie, in utopischen Träumereien über 'Potentiale' und 'Möglichkeiten' ab. Nur ganz weniges an dieser Welt, außer vielleicht unsere 'Lebensinstinkte' und unsere Intuition, können für den revolutionären Prozess überhaupt hilfreich sein. Warum sollte man sich lange damit aufhalten? Tatsächlich äußerte Marcuse in den 1960ern: "was bereits vorhanden ist, hat für die Kunst keine Bedeutung" ("Kunst in der eindimensionalen Gesellschaft"). Ein erstaunlicher Kommentar. So erklärt sich die heftige Feindschaft gegen den Realismus in der Kunst bzw., wie er ihn nannte, "das realistisch-konformistische Denken".

Es zeigt sich also, dass Marcuse aus den entgegengesetzten Gründen wie wir zur Kunst neigt; gerade weil die Kunst seiner Meinung nach nicht an die Realität gebunden ist, nicht verpflichtet ist, in einem bedeutsamen Sinn 'realistisch' zu sein.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der positive Charakter der "Flucht nach innen". Marcuse sagt: "Mit der Bejahung der Innerlichkeit der Subjektivität geht das Individuum einen Schritt heraus aus dem Netzwerk von Austauschbeziehungen und Tauschwerten, zieht sich aus der Realität der bürgerlichen Gesellschaft zurück und betritt eine neue Dimension der Existenz (Die ästhetische Dimension)."

In Wirklichkeit tut das Individuum nichts dergleichen. Marcuse erkennt nicht, was Marx und Engels erstmals in den 1840er Jahren klärten - dass Befreiung ein historischer, kein geistiger Akt ist. Anstatt in der eigenen Einbildung aus einem 'Netzwerk der Austauschbeziehungen und Tauschwerte' auszusteigen, ist praktisches Handeln angesagt, um einen Zustand zu beenden, der eine solche 'Innerlichkeit' verlangt. Eine Welt, von der man sich in derart drastischer Weise zurückziehen muss, ist eine Welt, die geändert werden muss.

Das politische Element halte ich hier für entscheidend: Entmutigung, Resignation, und, unerfreulicherweise, Zynismus. Davon wird sein Werk angetrieben. Ein Jahrzehnt zuvor hatte Marcuse ehrlicherweise eingestanden, dass er aus "einer Art völliger Verzweiflung" heraus sich stärker der Kunst zugewandt hatte.

Hier ist nicht nur Marcuses Werdegang wichtig. Es geht um ein Berufsrisiko derer, Marxisten eingeschlossen, die auf dem Gebiet der Kunst arbeiten. Bei einer schwierigen politischen Situation, zeitweiligen Rückschlägen, einer Veränderung in der Stimmung der Bevölkerung, kann die Versuchung groß sein, bei der Kunst Zuflucht zu suchen, dem Reich der Schönheit, Kultiviertheit und großer Gefühle.

Auch kann die Begeisterung von Künstlern für Schopenhauer, Nietzsche und andere nicht einfach als ein großes Missverständnis abgetan werden. Die kreative Persönlichkeit kann durchaus Gefallen finden an dem überschwänglichen Appell an Emotionen, Intuition, 'ursprüngliches Sein'. Die Dichtung scheint dort beheimatet zu sein und nicht im Kampf der Arbeiterklasse, der prosaischer, langwieriger ist und nicht spontan vom 'freigeistigen' Individuum verstanden oder gelöst wird.

Darüber hinaus macht ihre Lebensaktivität (bei der vorherrschenden Trennung zwischen geistiger und manueller Arbeit in der Gesellschaft), die ihnen die scheinbare Freiheit verleiht, zu schaffen, was immer ihnen in den Sinn kommt, es den Künstlern schwer, den historischen Materialismus zu begreifen, der auf dem Primat des Seins über das Bewusstsein und dem von Gesetzmäßigkeiten regierten Charakter des sozialen und geistigen Lebens besteht.

In jedem Fall, fährt Marcuse in The Aesthetic Dimension fort, verliert der Künstler weitgehend das Interesse an der Bedeutung der künstlerischen Form und Subjektivität für die Revolution, weil er zu dem Ergebnis kommt, dass die Revolution - die höchstwahrscheinlich nicht eintritt - unsere größten Probleme, die Teil der unvermeidlichen, düsteren menschlichen Existenz sind, ohnehin ignoriert. Auf den letzten Seiten des Buches sagt uns der Autor: "Kunst bezeugt die Notwendigkeit der Befreiung, zeigt aber auch ihre Grenzen auf. Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden, was vergangen ist, kann nicht zurückgeholt werden."

Und schließlich: der Sozialismus "konnte niemals alle Konflikte zwischen dem Universellen und dem Besonderen lösen, zwischen dem Menschen und der Natur, zwischen Individuum und Individuum. Der Sozialismus wird und kann nicht den Eros von Thanatos befreien." Die Revolution "ist der Kampf für das Unmögliche, gegen das Unbezwingbare, dessen Herrschaft vielleicht dennoch eingeschränkt werden kann." Mit anderen Worten, der Sozialismus kann nicht den Tod und die Naturgesetze überwinden. Das hat auch noch nie jemand behauptet.

Abschließend möchte ich wiederholen, dass die Standpunkte von Marxisten und der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule zu Kunst und Gesellschaft einander diametral entgegengesetzt sind. Wir kämpfen dafür, dass in der Kunst unsere Realität auf diesem Planeten im vollsten Ausmaße berücksichtigt und dargestellt wird, was von größter Bedeutung ist.

Wir treten in eine Periode gewaltiger Umwälzungen, schneller Verschiebungen und Veränderungen ein. Unserer Meinung nach müssen auch Künstler ihren Ausgangspunkt in der Epoche wählen, in der wir leben. Macht daraus, was ihr wollt, bearbeitet sie, verwandelt sie, arrangiert sie nach Belieben neu, doch nichts Gutes wird dabei herauskommen, wenn ihre unbestreitbare Wirklichkeit ignoriert wird.

Künstler sollten Bescheid wissen über Geschichte und Gesellschaft, ein tiefes Empfinden für die leidende und kämpfende Menschheit verspüren und in ihrer Behandlung des Lebens aus der gesamten Geschichte künstlerischen Arbeitens schöpfen. Wir werden ernsthafte Arbeiten ermutigen und in jeder nur erdenklichen Weise dazu beitragen.


Anmerkungen

[1] V.G. Belinsky (1811-1848): Russiascher Literatur- und Gesellschaftskritiker, Herausgeber eines wichtigen literarischen Journals, bezeichnete sich 1841 selbst als Sozialist.

[2] Arthur Schopenhauer (1788-1860): Deutscher Philosoph, antidemokratisch und pessimistisch, Autor von Die Welt als Wille und Vorstellung (1819).

[3] Wilhelm Dilthey (1833-1911): Deutscher Historiker und Philosoph, legte Wert auf eine strikte Scheidung von Naturwissenschaften und "Geisteswissenschaften."

[4] Martin Heidegger (1889-1976): Deutscher Philosoph, nahm Einfluss auf den Existentialismus, ein früher Mentor von Marcuse; Autor von Sein und Zeit (1927). In den 1930er Jahren unterstützte er Hitlers NSDAP.

Siehe auch:

Künstlerische und kulturelle Probleme in der
gegenwärtigen Situation
(10. Mai 2006)
http://www.wsws.org/de/2006/mai2006/dw2-m10.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 21.02.2009
Kunst und Sozialismus: die wirklichen Grundlagen
Ein öffentlicher Vortrag in Großbritannien von David Walsh
http://wsws.org/de/2009/feb2009/wals-f21.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2009