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GLEICHHEIT/2517: Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen in Großbritannien werden lauter


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen in Großbritannien werden lauter

Von Ann Talbot
27. Mai 2009
aus dem Englischen (26. Mai 2009)


Die Finanzoligarchie und ihre Vertreter in den Medien nutzen den Spesenskandal der Abgeordneten in Westminster, um die offizielle Politik nach rechts zu drücken. Der Daily Telegraph hatte den Spesenskandal aufgedeckt und dadurch eine parlamentarische Krise ausgelöst. Unter dem Deckmantel hehrer Deklarationen, Korruption aus der Politik zu verbannen, wird ein Frontalangriff auf den Sozialstaat und den Lebensstandard von Millionen arbeitender Menschen vorbereitet. Das ist die wirkliche Absicht hinter der Agitation der Konservativen und Teilen der Medien für vorzeitige Parlamentswahlen.

In jedem Fall müssen spätestens in zwölf Monaten Wahlen stattfinden. Warum also diese Eile? Ein Hinweis findet sich in dem negativen Bericht der Kreditratingagentur Standard and Poors über die britischen Staatsfinanzen und in dem jüngsten Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF), der ebenso auf die gefährlich hohe Verschuldung der Labour-Regierung unter Premierminister Gordon Brown verwies.

Der Gouverneur der Bank von England, Mervyn King, äußerte ähnliche Bedenken. Er warnte die Regierung öffentlich, sie könne sich kein weiteres staatliches Konjunkturpaket mehr leisten. Die Zentralbank, der IWF und Standard and Poors weisen darauf hin, dass die Verschuldung Großbritanniens inzwischen so hoch ist, dass internationale Investoren der britischen Regierung möglicherweise bald kein Geld mehr leihen. Die Verschuldung ist vor allem wegen der Bankenrettungsprogramme so stark angestiegen.

Das Scheitern des Auktionsverfahrens im vergangenen Monat um britische Staatsanleihen zu platzieren, war ein Zeichen dafür, dass die Gefahr einer Insolvenz nicht mehr ausgeschlossen wird. Schuldverschreibungen der britischen Regierung waren bisher immer eine sichere Investition. Aber weil die Staatverschuldung inzwischen bei 49 Prozent des BIP angelangt ist, haben diese Papiere definitiv ihren Glanz verloren.

Noch vor wenigen Monaten badete Brown in den Bewunderung der Medien. Er wurde als der Mann gelobt, der die Banken, oder wie er selbst es in einem Freud'schen Versprecher ausdrückte, die Welt gerettet hatte. Bei inzwischen wieder steigenden Aktienkursen ist die Frage nicht, wer die Banken rettet, sondern wer den Preis für das Rettungsprogramm zahlen wird. Wenn es nach der globalen Finanzaristokratie geht, dann muss die arbeitende Bevölkerung bezahlen.

Der kürzlich vorgelegte Haushaltsentwurf Labours war in den Augen der Finanzelite völlig unbefriedigend. Schatzkanzler Alistair Darling ließ nicht nur den Mut vermissen, deutliche Ausgabenkürzungen zu planen, sondern er besaß sogar die Kühnheit, einen kleinen Teil des Einkommens der reichsten Mitglieder der Gesellschaft mit 50 Prozent zu besteuern. Die meisten werden der Steuer sowieso aus dem Wege gehen können, aber sie sandte das völlig falsche politische Signal aus. Während einflussreiche Schichten der herrschenden Klasse neue Angriffe auf die Arbeiterklasse vorbereiten, versuchten Brown und Darling Arbeiter damit zu beruhigen, dass sie den Eindruck erweckten, die Staatsausgaben könnten auf dem gewohnten Niveau gehalten werden.

Seit ihrer Amtsübernahme 1997 hat die Labour-Regierung alles getan, um die Interessen der City und der globalen Finanzkapitalisten zu schützen. Labour wurde ihr bevorzugter politischer Vertreter. Labour-Regierungen haben an Kolonialkriegen auf dem Balkan, im Irak und in Afghanistan teilgenommen, haben die Steuerlast von den Reichen auf die Armen verlagert, haben neue Schichten der Gesellschaft in Billiglohnjobs gedrängt und öffentliche Dienstleistungen dem Diktat des privaten Profits unterworfen. Aber selbst ein Jahrzehnt Liebedienerei hat nicht gereicht, sich die Loyalität oder Dankbarkeit der Finanzelite zu erkaufen. Brown ist schon wieder aus der Mode gekommen.

Standard and Poors stufte das AAA Kreditrating Großbritanniens auf Abwertung herunter, weil die Agentur befürchtet, dass die britischen Staatsschulden mittelfristig auf 100 Prozent des BIP steigen. Die Maastricht Obergrenze von 60 Prozent wird Großbritannien wahrscheinlich schon im nächsten Jahr reißen. Das ist der höchste Stand seit Mitte der 1970er Jahre, als Großbritannien sich Geld vom IWF leihen und scharfe Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben vornehmen musste.

Es gibt die verbreitete Meinung, dass Alistair Darlings Annahmen für das kommende Jahr zu optimistisch sind. Es wird erwartet, dass die Wirtschaft dieses Jahr um 4,1 Prozent schrumpft - das ist der höchste Wert in Friedenszeiten seit der großen Depression der 1930er Jahre.

Die Arbeitslosigkeit steigt schon jetzt schneller als erwartet. Die Staatsausgaben werden infolgedessen jedes Jahr um zehn bis fünfzehn Prozent zunehmen, statt um fünf bis sieben Prozent, wie Darling in seinem Haushaltsentwurf unterstellte. Die Steuereinnahmen werden wegen der höheren Arbeitslosigkeit dagegen sinken.

Das Haushaltsdefizit Großbritanniens steht inzwischen bei 93,4 Mrd. Pfund. Die Regierung geht davon aus, dass es im nächsten Jahr auf 175 Mrd. Pfund steigen wird, aber es könnte auch noch größer werden. Vor einem Jahr stand es erst bei 37 Mrd. Pfund. Weil der IWF für die nächsten Monate ein weiteres Bankenrettungspaket erwartet, kann sich das Defizit nur noch mehr erhöhen.

Professor Robert Shiller von der Yale Universität, der den Zusammenbruch der Dot.Com Blase vorhergesehen hatte, warnt, dass Großbritannien mit einem weiteren Wirtschaftsrückgang rechnen müsse. Platzende Hypothekenkredite, steigende Arbeitslosigkeit und eine weitere Welle von Firmenpleiten "könnten noch ein böses Erwachen bringen", sagte Shiller der Sunday Times. Die Banken, warnte er, hätten immer noch toxische Papiere in ihren Büchern. Er zog eine Parallele zu 1931, als eine kurze Erholung der Aktienkurse von einem weiteren Zusammenbruch abgelöst wurde.

Angesichts der Aussicht auf eine längere Rezession hat sich die Bank von England auf die Seite der Tories gestellt. Die Financial Times berichtet von "kaum verhüllter Abneigung" zwischen Brown und King. Ein Beobachter sagte der Zeitung: "Man sitzt in einem Raum mit den beiden und man fühlt, wie sie darüber nachdenken, auf welche Weise der eine den anderen loswerden möchte. Die Financial Times schreibt: "Die Sichtweise der Bank, die manchmal eine alternative Wirtschaftsphilosophie zur Regierung vertritt, scheint zunehmend mit der des Schattenschatzkanzlers George Osborne übereinzustimmen.

Die beispiellose politische Rolle der Bank geht auf die Macht zurück, die ihr die Labour Party gegeben hat, als sie sie von der Regierung unabhängig machte und damit die Wirtschaftspolitik praktisch in die Hände einer nicht-gewählten Institution legte. Solange die City mit der Labour-Regierung zufrieden war, war die Beziehung zwischen Downing Street und Threadneedle Street (dem Sitz der Bank of England) relativ harmonisch. Unter dem Druck des Finanzdebakels und weil die Regierung nicht die Maßnahmen ergreift, die die Superreichen erwarten, kriselt die Beziehung.

Der Telegraph verkündet, dass "der Staat zu viel Schulden gemacht und zu viel ausgegeben hat. Selbst jetzt noch tun die Haushalte genau das. Dem Einzelhandel geht es immer noch überraschend gut, obwohl kaum zu erwarten ist, dass der kleine Mann so widerstandsfähig bleibt, wenn die Arbeitslosigkeit auf die drei Millionen-Marke steigt, besonders wenn sich auch noch die Sparrate verbessert... Schmerzhafte Erfahrungen in diesem Prozess werden sich nicht vermeiden lassen und sind vielleicht sogar ein notwendiges Korrektiv."

Rupert Murdochs Berater Irwin Stelzer erläuterte präzise, was die Wünsche der Finanzelite sind. In der Times forderte er den Führer der Konservativen Partei David Cameron auf, "härter zu sein, als die eiserne Lady".

Cameron muss Thatchers Eisen mit einem Schuss Stahl härten", betont Stelzer. "Zuerst muss er die Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in die Knie zwingen, wenn er vermeiden will, dass der Internationale Währungsfond wieder bei Downing Street Nr. 11 anklopft."

Er nennt die Bezahlung im öffentlichen Dienst, die Renten und die Arbeitsplätze als die Baustellen, die eine künftige Tory-Regierung angreifen müsste. ""Die Herausforderung wird sein", schreibt er, "den Sozialstaat zurückzudrängen."

Für Stelzer steht absolut fest, dass der kostenlose Nationale Gesundheitsdienst (NHS) nicht zu halten ist. "Entweder wird der Mann [Cameron], der zum akzeptablen Gesicht des britischen Tory-Konservatismus aufgestiegen ist, zum harten Mann des 21. Jahrhunderts der britischen Politik, oder er wird zu dem Premierminister, der den IWF die schmutzige Arbeit machen ließ."

Stelzer lässt keinen Zweifel daran, was die Aufgabe der nächsten Regierung sein wird: die völlige Zerstörung des Sozialstaats.

Er weiß, dass ein solches Programm zu schweren Zusammenstößen mit der Arbeiterklasse führen muss. Er ist bereit, "einen Sommer, Winter, Frühjahr oder Herbst der Unzufriedenheit" in Kauf zu nehmen.

Cameron wird nicht mal als Zückerchen einen "Volkskapitalismus" bieten können, mit dem Thatcher hausieren ging. Das war die kurze Periode, in der die Mittelschichten einen kleinen Teil der Beute aus dem Ausverkauf der Privatisierung öffentlicher Unternehmen abbekamen. Er muss den Lebensstandard breitester Schichten der Bevölkerung angreifen, die auf die Löhne oder Dienstleistungen des Staatssektors angewiesen sind. Die globale Finanzaristokratie und ihre politischen Vertreter bereiten sich auf soziale Konflikte vor, die unvermeidlich die Folge solcher Maßnahmen sein werden.

Weder Labour noch irgendwelche Überreste der Partei können den Widerstand gegen diesen Angriff führen. Sie kann nicht als kleineres Übel gegenüber den Tories unterstützt werden.

Labour ist gerade deswegen von der politischen Vernichtung bedroht, weil Arbeiter massenhaft der Partei den Rücken zuwenden, die unter Blair und Brown in vollem Umfang die Politik von Thatcher übernommen hat. Die gesamte ökonomische Perspektive der Labour Party ist zusammengebrochen. Obwohl sie sich in letzter Zeit bemühte, sich ein linkes Image zu verschaffen, wird sie alle Angriffe gegen die arbeitende Bevölkerung durchführen, die ihre Herren verlangen.

Die erschreckende wirtschaftliche Lage stellt in akuter Form die Notwendigkeit einer neuen Partei auf die Tagesordnung, die die arbeitende Bevölkerung international mit einem sozialistischen Programm für die Verteidigung von Arbeitsplätzen, Löhnen und Dienstleistungen vereint.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.05.2009
Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen in Großbritannien werden lauter
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2009