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GLEICHHEIT/2561: Großbritannien - Für einen Kriegsverbrecherprozeß über die Invasion im Irak


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Großbritannien:
Für einen Kriegsverbrecherprozess über die Invasion im Irak

Von Julie Hyland
27. Juni 2009
aus dem Englischen (20. Juni 2009)


Premierminister Gordon Brown hat eine neue Untersuchungskommission zum Irakkrieg eingesetzt. Wenn sie dazu dienen sollte, Fragen zu der umstrittenen Invasion zu begraben, dann ist sie jetzt schon fehlgeschlagen.

Brown kündigte die neue Untersuchung Anfang dieser Woche an. Es ist die fünfte Untersuchung seit 2003, die sich mit dem Irakkrieg beschäftigt. Dazu gehören auch die Hutton-Untersuchung, die die Umstände des angeblichen Selbstmords des führenden Waffeninspekteurs David Kelly untersuchte, und die Buttler-Untersuchung, die sich mit den Geheimdienstinformationen beschäftigte, mit denen die Invasion gerechtfertigt wurde.

Diese früheren Untersuchungen beschäftigten sich nur mit speziellen Fragen im Zusammenhang mit diesem Krieg und nicht mit dem Krieg selbst. Und alle führten zu nichts.

Diese Untersuchung soll angeblich anders werden. Sie soll den Zeitraum von 2001 bis zum Abzug der britischen Truppen aus dem Irak Anfang des Jahres umfassen. Brown betonte jedoch, dass ihr Zweck "darin besteht, Lehren zu ziehen. Der Ausschuss wird es sich nicht zur Aufgabe machen, Schuld zuzuweisen oder Fragen der zivil- und strafrechtlichen Verantwortung zu erörtern."

Zu diesem Zweck, erklärte Brown, werde die Untersuchung hinter geschlossenen Türen stattfinden, wobei die "geheimsten Informationen" der Öffentlichkeit mit Berufung auf die " nationale Sicherheit" vorenthalten werden. Den Vorsitz der Kommission hat ein Komitee aus Geheimräten unter der Leitung von Sir John Chilcot. Die Ergebnisse werden erst nach den nächsten Unterhauswahlen im März 2010 veröffentlicht werden.

Dass Brown gezwungen ist, eine weitere Untersuchung einzuleiten, ist symptomatisch für die politische Krise, in der diese Regierung steckt. Labour hat nicht nur die Unterstützung in der Bevölkerung eingebüßt, sondern auch von Teilen der herrschenden Elite, die angesichts der offenkundigen Unfähigkeit der Regierung, die für nötig gehaltenen Maßnahmen entschlossen durchzusetzen, die Geduld verlieren.

Nachdem Brown einer Untersuchung schließlich zustimmen musste, die er jahrelang zu verhindern suchte, hofft er nun die Ergebnisse unter Verschluss halten zu können. Aber auch das erwies sich sofort als undurchführbar und er soll zugestanden haben, Teile der Untersuchung öffentlich zu verhandeln.

Tory-Chef David Cameron kritisierte den durch und durch geheimnistuerischen Charakter der geplanten Untersuchung. Er argumentierte, dass "ohne einige öffentliche Sitzungen das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht gewonnen werden kann".

Die Konservative Partei hat die Invasion des Iraks unterstützt. Cameron räumte ein, "der Irak-Konflikt hat große Spaltungen verursacht". Aber, fuhr er fort, "gemeinsam sind wir uns einig über die Professionalität und die Tapferkeit unserer Armee, den Dienst, den sie unserem Land geleistet haben und den Dank, den wir denen schulden, die ihr Leben verloren haben."

Auch Befürworter des Kriegs beschwerten sich über den restriktiven Charakter von Browns Konzept. Sie wandten sich vor allem dagegen, dass dem Ausschuss keine Militärs angehören.

Diese Kritik an den geheimen Anhörungen hat nichts mit dem Eintreten für wirkliche demokratische Verantwortlichkeit zu tun. Für die Mächtigen sind die "Wiederherstellung" des Ansehens der britischen Armee und die "Lehren" aus dem Irak-Krieg unerlässlich für ihre langfristigen Ziele.

Die auf dem rechten Flügel stehende Zeitung Telegraph stimmt mit Brown überein, dass die "vorrangige Aufgabe der Untersuchung nicht 'Schuldzuweisung' sein darf". Aber sie schreibt in ihrem Leitartikel, dass eine Untersuchung "dieser kostspieligen außenpolitischen Intervention" erforderlich sei. Besonders wichtig sei, die Lehren aus dem Fehlen eines Plans für die Zeit nach dem Krieg zu ziehen", was dazu führte, dass Großbritannien in eine lange Besetzung hineingezogen wurde.

"Da britische Truppen für die absehbare Zukunft in Afghanistan stationiert sind, ist es wichtiger denn je, aus den Fehlern, die im Irak gemacht wurden, zu lernen", warnt sie.

Im Guardian erklärte Jonathan Steele, es gäbe zwei mögliche Modelle für eine Untersuchung. Die eine Möglichkeit, "die viele Familien gefallener britischer Soldaten fordern, besteht darin, abzurechnen, d.h. diejenigen beim Namen zu nennen, die die wichtigen Entscheidungen getroffen haben, Beamte wie Minister. Die zweite Art der Untersuchung würde darauf abzielen, die Lehren zu ziehen", schreibt er.

Steele fährt fort: "Meiner Ansicht nach ist eine Abrechnung nicht der beste Weg. Das würde der Untersuchung im Wesentlichen den Anstrich einer Strafexpedition geben und bestenfalls zu einer gegenseitigen Schuldzuweisung zwischen Beamten und Ministern führen und schlimmstenfalls würden die Medien fordern, dass Köpfe rollen."

Für den Kommentator des Guardian, "besteht das umfassendere Ziel darin, dafür zu sorgen, dass Großbritannien, nicht wieder in einen solchen,selbst gewählten Krieg` eintritt".

In der Times drückt der Ressortleiter für Verteidigungsfragen Michael Evans die Hoffnung aus, dass die Untersuchung überprüft, "in welchem Stadium die Regierung Blair entschieden hat, dass die Beseitigung der angeblichen Massenvernichtungsmassen nicht mehr das einzige Ziel war und dass ein Regimewechsel das wirkliche Ziel war" Und was ist wirklich "hinter den Kulissen passiert", als - angesichts der Opposition aus Frankreich und Deutschland - die britische Regierung den Versuch aufgab, eine zweite Resolution der Vereinten Nationen zur Genehmigung der Invasion zu bekommen.

"Selbst gewählter Krieg", "Regimewechsel", Machenschaften "hinter den Kulissen"? Diese Ausdrucksweise verweist auf den wahren Sachverhalt: Die Invasion und Besetzung des Iraks war ein Akt der Aggression. Nicht Saddam Hussein stellte eine ernste Gefahr für die Welt dar, sondern Gewalt, Tod und Zerstörung gingen vom US-Imperialismus und seinem britischen Speichellecker aus.

Die Behauptung, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen, diente als Vorwand für den verzweifelten Kampf der USA, ihren wirtschaftlichen Niedergang im Verhältnis zu ihren wichtigsten Rivalen wettzumachen. Diesem Ziel diente der Einsatz der überlegenen Militärmacht Amerikas, um gewaltsam ihre geostrategischen Interessen im ölreichen Nahen Osten durchzusetzen.

Großbritannien hoffte einen Anteil an der Beute zu bekommen, und so brüteten die politischen Vertreter der Finanzoligarchie in den USA und Großbritannien eine Verschwörung gegen die unterdrückten Völker des Nahen Ostens und gegen ihre eigene Bevölkerung aus.

Beweise, die jetzt schon frei zugänglich sind, belegen, dass Premierminister Tony Blair die amerikanischen Kriegsziele hinter den Kulissen abgesegnet hat. In der Öffentlichkeit bastelte und fabrizierte seine Regierung jedoch an Geheimdienstberichten über Iraks angebliche Massenvernichtungswaffen herum.

Angesichts weit verbreiteter Ablehnung des Kriegs, erklärte Blair, die Bewährungsprobe für eine Regierung bestünde in ihrer Fähigkeit, den Willen der Bevölkerung zu ignorieren. Dabei hatte er die Unterstützung nahezu des gesamten Establishments und der Medien.

Schätzungen, wie viele Iraker als Folge des Kriegs und der Besetzung ums Leben gekommen sind, liegen bei einer Million. Der Irak wurde in Schutt und Asche gelegt, seine Infrastruktur zum größten Teil zerstört; Millionen wurden zu Flüchtlingen gemacht und weitere Millionen leben in Arbeitslosigkeit und drückender Armut. Etwa 179 britische und 4315 US-Soldaten wurden getötet.

Die schlichte Tatsache besteht darin, dass selbst eine Untersuchung, die nur zum Ziel hat, "die Lehren" für weitere Eroberungskriege "zu ziehen", die britische Bourgeoisie und die Labour-Regierung im Besonderen sofort mit der Gefahr konfrontiert, dass gerichtliche Schritte gegen die Architekten des Kriegs eröffnet werden.

Bei den Verfahren gegen hochrangige Nazis am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Prinzip etabliert, dass das bewusste Führen eines Aggressionskriegs eine kriminelle Verletzung internationalen Rechts darstellt.

Das war tatsächlich die Hauptanklage, die gegen die Nazi-Führung erhoben wurde. Der Internationale Gerichtshof in Nürnberg erklärte: "Einen Aggressionskrieg zu beginnen ... ist nicht nur ein internationales Verbrechen, es ist das größte internationale Verbrechen; es unterscheidet sich dadurch von anderen Kriegsverbrechen, dass es das akkumulierte Böse des Ganzen in sich trägt. "

Im Fall des Irakkriegs hat dieses "akkumulierte Böse" seinen heimtückischen Ausdruck in Massenmorden, Folterungen, "außerordentlichen Überstellungen", illegalen Internierungen und weitreichenden Angriffen auf grundlegende demokratische Rechte der Arbeiterklasse gefunden

Notwendig ist nicht eine weitere von der Regierung durchgeführte Untersuchung über den Irakkrieg, sondern die Einberufung von Kriegsverbrechertribunalen, um Bush, Blair und ihre Mitverschwörer für ihr mörderisches Vorgehen strafrechtlich zu verfolgen.

Dabei geht es nicht einfach um Vergeltung an diesen Politikern. Wenn Verbrechen von diesem Ausmaß ungesühnt blieben, dann hätte das katastrophale Auswirkungen auf das politische, soziale und moralische Leben in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und der ganzen Welt. Es würde neue und noch schrecklichere Aggressionskriege und die Gräueltaten, die sich aus ihnen ergeben, erleichtern.

Siehe auch:
Gordon Brown besucht Washington
(6. März 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.06.2009
Großbritannien:
Für einen Kriegsverbrecherprozess über die Invasion im Irak
http://wsws.org/de/2009/jun2009/brit-j27.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2009