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GLEICHHEIT/2950: Die Bedeutung der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die Bedeutung der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen

Von Ulrich Rippert
5. März 2010


Am 9. Mai wird in Nordrhein-Westfalen der Landtag neu gewählt. Die Wahl entscheidet nicht nur über die Stimmenverteilung im Düsseldorfer Landtag und die Zusammensetzung der Landesregierung in der Rhein-Metropole, sie hat auch große bundespolitische Bedeutung.

Mit einer Bevölkerungszahl von 18 Millionen - mehr als die fünf östlichen Bundesländer zusammen - und einer Wählerschaft von über 13 Millionen ist NRW das mit Abstand bevölkerungsreichste Bundesland. Mit dem Ruhrgebiet befindet sich dort auch das größte Industriezentrum. Viele Zechen und Stahlwerke an Rhein und Ruhr sind zwar seit langem stillgelegt, doch noch immer ist das Ruhrgebiet oder, wie es im Volksmund heißt, das "Revier" zwischen Dortmund und Duisburg das größte industrielle Ballungszentrum der Bundesrepublik.

Nicht umsonst wurden die NRW-Wahlen auch schon früher als "kleine Bundestagswahl" bezeichnet. 1966 war die SPD-FDP-Koalition unter Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) der Vorreiter für die 1969 etablierte sozialliberale Koalition auf Bundesebene unter Kanzler Willy Brandt. Im Mai 1995 schloss Johannes Rau (SPD) ein Regierungsbündnis mit den Grünen, das zum Testlauf für die rot-grüne Bundesregierung wurde, die dann drei Jahre später von Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer (Grüne) gebildet wurde.

Besonders deutlich zeigte sich die bundespolitische Bedeutung der NRW-Wahlen vor fünf Jahren, als Kanzler Schröder angesichts dramatischer Verluste der SPD gemeinsam mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering noch in der Wahlnacht das Ende der rot-grünen Bundesregierung und vorgezogene Neuwahlen verkündete.

Diese Tradition, an Rhein und Ruhr bundespolitische Weichen zu stellen, prägt auch den gegenwärtigen Wahlkampf.

Während im Bund erst seit Herbst vergangenen Jahres eine Koalition aus CDU/CSU und FDP regiert, ist in Nordrhein-Westfalen bereits seit fünf Jahren eine schwarz-gelbe Regierung an der Macht, die auf wachsenden Widerstand in der Bevölkerung stößt. Bei der Kommunalwahl im vergangenen September verlor die CDU 4,8 Prozent. Verglichen mit der Kommunalwahl 1999 lag der Verlust sogar bei 13,5 Prozent.

Nach Umfragen der führenden Meinungsforschungsinstitute (Forsa und Infra) werden CDU und FDP aller Voraussicht nach im Mai ihre Mehrheit verlieren. Vor allem die Liberalen sind in den Umfragen regelrecht abgestürzt. Hatten sie bei der Bundestagswahl 2009 noch 14,6 Prozent erreicht, liegen sie zwei Monate vor der NRW-Wahl gerade noch bei 6 Prozent und könnten möglicherweise sogar an der Fünfprozenthürde scheitern.

Verliert Schwarz-Gelb in Düsseldorf die Mehrheit, wäre auch die Mehrheit von Union und Liberalen im Bundesrat dahin. Das hat heftige Spekulationen über alternative Regierungsbündnisse ausgelöst.

Selbst führende Wirtschaftsvertreter, die sonst der FDP besonders nahe stehen, kritisieren seit mehreren Wochen die Bundesregierung. Sie werfen ihr vor, sie erschöpfe sich in inneren Streitereien, anstatt die von der Wirtschaft geforderten "Reformen" anzupacken. Die verbalen Attacken von FDP-Chef Guido Westerwelle auf den Sozialstaat erachten sie dabei als wenig hilfreich.

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vergangene Woche, die Regierungspolitik sei "auch fünf Monate nach der Bundestagswahl" von Orientierungslosigkeit geprägt. Die Regierung wisse selbst, "dass sie an verschiedenen Stellen nicht optimal agiert, und zwar fahrlässig, denn bei ausreichender Ernsthaftigkeit könnte es besser laufen". Ohne FDP-Chef und Vizekanzler Westerwelle direkt beim Namen zu nennen, mahnte Keitel: "Man darf sich nicht unter dem Druck von Umfragen in eine populistische Ecke flüchten."

Angesichts der heftigen Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrise, einem angekündigten Sparprogramm von "mindestens 10 Milliarden Euro jährlich" (Finanzminister Wolfgang Schäuble) und wachsendem Widerstand aus der Bevölkerung drängen die Wirtschaftsvertreter auf eine stabilere Regierung, die mit größerer Autorität ausgestattet ist und nicht mit unnötigen Provokationen à la Westerwelle Widerstand provoziert, bevor der Kampf begonnen hat.

Die NRW-Wahlen könnten also durchaus erneut zum Hebel für eine "Neujustierung" der Bundespolitik werden. Daher werden gegenwärtig alle Parteienkombinationen durchgespielt.

Kanzlerin Merkel favorisiert eine Zusammenarbeit mit den Grünen, falls sich das Schwächeln von CDU und FDP am Wahltag bestätigen sollte. Am vergangenen Sonntag konferierte sie an einem vertraulichen Ort im Essener Süden "mit Blick auf den Baldeneysee" (Bildzeitung) mit ihrem CDU-Vorstandkollegen Ministerpräsident Jürgen Rüttgers über einen so genannten Plan-B, in dessen Mittelpunkt die Einbindung der Grünen steht. Schon der Vorstoß von CDU-Umweltminister Norbert Röttgen für einen raschen Atomausstieg, der Anfang Februar viele CDU-Funktionäre überrascht hatte, war als Offerte an die Grünen gedacht.

Die Grünen haben deutliches Interesse signalisiert. Ihre Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann gehörte schon 1995 zu den Gründern der so genannten "Regierungslinken", die sich in heftigen Auseinandersetzungen mit den "Fundamentalisten" für eine Regierungsbeteiligung der Grünen einsetzten. Doch auch Bärbel Höhn, die sich als "linke Grüne" bezeichnet, hatte sich schon 2004, als sie noch Landwirtschaftsministerin in der damaligen rot-grünen NRW-Regierung war, zu einem "Waldspaziergang" mit CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers getroffen, der damals viel Aufsehen erregte. Als Rüttgers im darauf folgenden Jahr die Landtagswahl gewann, buhlten die Grünen um seine Gunst und versuchten die FDP auszustechen.

Nicht erst seit vor zwei Jahren in der Hamburger Bürgerschaft eine schwarz-grüne Koalition gebildet wurde, ist bekannt, dass die Grünen zur Aufgabe sämtlicher Wahlversprechen bereit sind, um an die Fleischtröge der Macht zu gelangen. Schon in der Schröder-Fischer-Regierung (1998-2005) hatten die ehemaligen Pazifisten eine Schlüsselrolle dabei gespielt, die Beteiligung der Bundeswehr am Nato-Krieg gegen Serbien und an anderen Auslandseinsätzen durchzusetzen. Sie waren und sind vehemente Verteidiger von Schröders Agenda 2010 und sahen ihre Hauptaufgabe in der rot-grünen Koalition darin, der SPD gegen den Druck der Straße den Rücken zu stärken.

Doch eine schwarz-grüne Koalition ist nicht unumstritten. Denn ungeachtet des grenzenlosen politischen Opportunismus der Parteiführung, ist es nicht sicher, ob die Mitgliedschaft und das grüne Wahlvolk den Abbau von Sozialstandards und demokratischen Rechten mittragen werden.

Deshalb häufen sich die Bemühungen. die SPD wieder zu beleben. Medienkommentare und Wirtschaftssprecher machen darauf aufmerksam, dass die wichtigsten sozialen Angriffe, wie die Hartz-Gesetze, von einer sozialdemokratischen Bundesregierung durchgeführt wurden. Während die Finanzpraktiken der CDU, die Gespräche mit dem Ministerpräsidenten an Parteispenden gekoppelt hatte, als illegale Parteienfinanzierung hochgespielt werden, finden die Medien für die SPD fast nur lobende Worte. Als SPD-Chef Sigmar Gabriel zum Wahlauftakt gegen die FDP polemisierte und Westerwelle vorwarf, er zündele "wie Kaiser Nero am Staat und am Gemeinwesen", wurde seine Rede als rhetorisches Meisterwerk gefeiert.

Diese Versuche, die SPD auch in den Umfragen aufzuwerten, gehen von den Medien aus und haben wenig mit der realen Stimmung der Wähler zu tun. Bei der NRW-Kommunalwahl vor einem halben Jahr hatte die SPD nicht im Geringsten von den Verlusten der CDU profitiert. Während die CDU fast fünf Prozentpunkte eingebüßt hatte, verlor auch die SPD 2,3 Prozent ihrer Wähler.

In dieser Situation bietet sich die Linkspartei als Steigbügelhalter für die SPD an. Umfragen gehen davon aus, dass sie gute Chancen hat, über die Fünfprozent-Hürde zu kommen. Auf der Landesdelegiertenversammlung der Linken am vergangenen Wochenende in Duisburg wurden die bekannten Wahlkampfphrasen gedroschen: Mindestlohn, Reichensteuer und Vergesellschaftung der großen Energiekonzerne. Was davon zu halten ist, machte die Landesvorsitzende der Linkspartei Katharina Schwabedissen am Abend vor dem Treffen deutlich. Sie traf sich mit dem stellvertretenden SPD-Landesvorsitzenden Jochen Ott zu einem vertraulichen Gespräch.

Gesprächsinhalte wurden bisher nicht bekannt. Schwabedissen erwiderte Kritikern aus den eigenen Reihen, es habe sich nur um ein "zwangloses Kaffeetrinken" gehandelt. Der SPD-Landesvorstand ließ verlauten, Ott sei zu derartigen Gesprächen nicht autorisiert gewesen. Die SPD sei allerdings in alle demokratischen Richtungen offen.

Zwei Monate vor dem Urnengang in Nordrhein-Westfalen sind zwei Dinge klar: Erstens hat die Wahl vom 9. Mai große bundespolitische Bedeutung, und zweitens stimmen alle Parteien in den Grundfragen überein. Es geht nur darum, die beste Konstellation zu finden, um die Last der Wirtschaftskrise auf die Bevölkerung abzuwälzen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 05.03.2010
Die Bedeutung der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2010