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GLEICHHEIT/2970: Hamburg - Flüchtling begeht Selbstmord in Abschiebehaft


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Hamburg: Flüchtling begeht Selbstmord in Abschiebehaft

Von Martin Kreickenbaum
17. März 2010


Der Selbstmord eines georgischen Flüchtlings in einer Hamburger Abschiebehaftanstalt wirft ein grelles Licht auf die menschenverachtende Politik des schwarz-grünen Senats der Hansestadt. Der aus Georgien stammende David M. erhängte sich am 7. März in seiner Zelle. Er war in Abschiebehaft genommen worden, obwohl er bei seiner Asylantragstellung gegenüber den Behörden angegeben hatte, dass er erst 17 Jahre alt sei. Die Inhaftierung eines Minderjährigen, dem nichts anderes vorgeworfen wird, als sich illegal in Deutschland aufzuhalten, steht im jähen Widerspruch zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen.

David M. hatte Anfang Februar in Hamburg eine Polizeistreife angehalten, weil er einen Asylantrag stellen wollte. Da er zuvor schon in Polen und in der Schweiz Asyl beantragt hatte, griff das Dublin-II-Abkommen, laut dem er automatisch ohne Einzelfallprüfung in das Land des Erstantrags zurückgeschoben wird. Die Ausländerbehörden gehen dabei gewohnheitsmäßig davon aus, dass sich Flüchtlinge der Abschiebung entziehen wollen. Sie werden daher in Abschiebehaft genommen, obwohl ihnen nichts anderes vorzuwerfen ist, als sich den komplizierten Asylverfahrensregeln der Europäischen Union, teils aus Unkenntnis, widersetzt zu haben. So wurde auch David M. in die Jugendhaftanstalt Hahnöfersand gebracht, in der regelmäßig minderjährige Flüchtlinge bis zu ihrer Deportation inhaftiert werden.

Als sich David M. seiner ausweglosen Lage bewusst wurde, trat er am 9. Februar in den Hungerstreik. Am 25. Februar wurde er in das Krankenhaus des Untersuchungsgefängnisses Holstenglacis gebracht, wo er die Nachricht bekam, dass seine Abschiebung nach Polen beschlossen und für den 9. März terminiert worden sei. Am 6. März soll er wieder feste Nahrung zu sich genommen haben, doch bereits einen Tag später zerriss er seine Bettlaken und nahm sich das Leben.

David M. verzweifelte an der unmenschlichen Praxis deutscher Asyl- und Ausländerbehörden, von denen er geglaubt hatte, sie würden ihm ein Entrinnen aus einem Leben in Furcht und Elend ermöglichen. Voller Hoffnung nach Westeuropa geflüchtet, erlebte er auf dramatische Weise, wie Menschenrechte durch die restriktive Auslegung von Gesetzen mit Füßen getreten werden.

Der Innensenator von Hamburg, Christoph Ahlhaus (CDU), äußerte sich erst zwei Tage nach dem Suizid des Flüchtlings und sprach sein "tiefes Bedauern über den Tod des jungen Mannes aus". Doch seine Krokodilstränen sind völlig unglaubwürdig, denn in Hamburg hat die Drangsalierung und rücksichtslose Abschiebung von Flüchtlingen Methode, auch wenn diese minderjährig sind. Daran hat sich auch unter dem schwarz-grünen Senat unter der Führung von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) nichts geändert.

Im Jahr 2008 ist Innensenator Ahlhaus von der Organisation "Jugendliche ohne Grenzen" zum Abschiebeminister ernannt worden, da Hamburg gemessen an der Einwohnerzahl und der aufgenommen Flüchtlinge mit über 1.300 Abschiebungen an der Spitze der Bundesländer steht. Doch nicht nur in nackten Zahlen, auch im Umgang mit Flüchtlingen sticht Hamburg durch seine unmenschliche Praxis der Flüchtlingsabwehr heraus. Ahlhaus betrachtete die Auszeichnung von "Jugendliche ohne Grenzen" daher auch als "Kompliment", da sie deutlich mache, "dass die Hamburger Ausländerbehörde Recht und Gesetz konsequent durchsetzt".

Das heißt im Klartext, dass die Hamburger Ausländerbehörde angewiesen ist, den Spielraum, den ihr die Gesetze lassen, schamlos auszunutzen, um die unerwünschten Flüchtlinge loszuwerden. Hamburg ist auch Vorreiter bei Abschiebungen in den Irak, Afghanistan und andere Krisengebiete der Welt. Und auch vor Minderjährigen macht die Behörde nicht halt.

Obwohl die UN-Kinderrechtskonvention das Kindeswohl als maßgebliches Kriterium für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen vorschreibt, werden in Hamburg auch unbegleitete Minderjährige kriminalisiert und in Abschiebehaft gesteckt. Möglich macht dies ein Vorbehalt, den die Bundesregierung bei der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention angemeldet hat, dass nämlich das Kindeswohl ausländerrechtliche Regelungen nicht beeinträchtigen dürfe. Mit anderen Worten wird der Abschiebung von minderjährigen Flüchtlingen Vorrang vor den spezifischen Bedürfnissen dieser häufig traumatisierten Menschen eingeräumt.

Während die Abschiebehaft von Jugendlichen auch in anderen Bundesländern allgemeine Praxis ist, geht die Hamburger Ausländerbehörde noch weiter, indem sie den Altersangaben der Kinder und Jugendliche regelmäßig misstraut.

"Wenn die Behörde den Verdacht hat, dass der Jugendliche älter ist, wird er ins Universitätskrankenhaus geschickt", erklärte Conni Gußler vom Hamburger Flüchtlingsrat der tageszeitung. Dort werden zur Altersfeststellung Weisheitszähne, Kieferknochen und Schlüsselbeine untersucht und die Handwurzelknochen geröntgt. "Systematisch wird das so nur in Hamburg praktiziert", berichtet Niels Espenhorst vom Verein "Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge". Die Methode ist dabei höchst umstritten und wissenschaftlich nicht haltbar, worauf der Deutsche Ärztetag bereits 2007 hingewiesen hat. Verweigern die Jugendlichen diese Prozedur, wird in Hamburg ihr Alter per Augenschein geschätzt.

Es ist dabei eine Besonderheit, dass in Hamburg nicht Gerichte, Clearingstellen oder Jugendämter die Altersfeststellung vornehmen, sondern die Ausländerbehörde selbst, die ein ureigenes Interesse daran hat, Minderjährige zu Volljährigen zu erklären, um sie möglichst rasch abschieben zu können, oder sie zumindest als 16-Jährige zu deklarieren, da sie dann nach dem Asylrecht bereits als voll "geschäftstüchtig" gelten. Auch kann in Hamburg kein Widerspruch gegen die Altersfeststellung eingelegt werden. Im letzten Jahr wurde so die Hälfte der eingekerkerten Flüchtlinge zu Volljährigen erklärt.

Selbst wenn David M. bereits 25 Jahre alt gewesen sein sollte, wie die georgische Botschaft erklärte und er selbst bei seinem Asylantrag in Polen angegeben haben soll, trägt die Praxis der Hamburger Ausländerbehörde die volle Verantwortung für seinen Tod. Sie musste davon ausgehen, dass sie es mit einem 17-Jährigen zu tun hat. Bei David M. wurde auch auf eine Altersfeststellung verzichtet, da die Abschiebung in den "sicheren Drittstaat" Polen davon unberührt gewesen wäre.

"Statt Rechte und Schutzbedürfnis der Jugendlichen zu bedenken, wie es minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen gesetzlich zusteht, werden sie ohne Dolmetscher isoliert, zurückgeschoben oder gleich mit einem fiktiven Geburtsdatum für erwachsen erklärt", beschreibt Hermann Hardt vom Flüchtlingsrat Hamburg die Praxis der dortigen Behörden.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl griff auch die Verschickung von Asylsuchenden quer durch Europa an, die durch das Dublin-II-Abkommen mittlerweile groteske Ausmaße angenommen hat. Die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) hatte in Person von Innenminister Otto Schily (SPD) auf das Abkommen gedrängt, da Deutschland durch seine geografische Lage inmitten sogenannter Drittstaaten Asylanträge als "offensichtlich unbegründet" ablehnen kann, indem es auf die Zuständigkeit von EU-Staaten mit EU-Außengrenzen verweist.

Die Deportationsmaschinerie macht dabei auch vor Kindern und Jugendlichen nicht halt, wie Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl herausstellt: "Der Tod des Jugendlichen zeigt, dass alle kinderrechtlichen Sicherungen in Hamburg außer Kraft gesetzt wurden. Kinder und Jugendliche gehören nicht ins Gefängnis und dürfen nicht wie Stückgut durch Europa verschickt werden."

Der Selbstmord von David M. ist aber auch weit entfernt davon, ein "tragisches Ereignis" zu sein, wie der grüne Innensenator Hamburgs, Till Steffen, lapidar meinte. Die Kriminalisierung und Illegalisierung von Migranten und Flüchtlingen fordert stetig neue Opfer, statt von Tragik sollte daher eher von systematischen Folgen einer ausländerfeindlichen Praxis gesprochen werden. Zwischen 1993 und 2008 haben sich 150 Flüchtlinge angesichts der ihnen drohenden Abschiebung das Leben genommen, davon starben 56 in Abschiebehaft. 814 verletzten sich, um der Abschiebung zu entgehen oder gegen sie mittels Hungerstreik zu protestieren, mehr als die Hälfte davon tat dies in Abschiebehaft. Diese Zahlen dürften auch einem grünen Innensenator, der bei Abschiebungen Amtshilfe leistet, nicht entgangen sein.

Der Hamburger Innensenator hat zwischenzeitlich zwar erlassen, dass minderjährige Flüchtlinge zukünftig nicht mehr in Abschiebehaft genommen werden sollen, doch dies wird wenig ändern und auch nur geringe Verbesserungen der Lage der betroffenen Kinder und Jugendliche mit sich bringen. Zum einen sind straffällig gewordene Jugendliche von der neuen Regelung ausgenommen, und zum anderen erhalten die Betroffenen nur eine kurzfristige Duldung, wodurch sie weiterhin der ständigen Bedrohung der Abschiebung ausgesetzt werden.

Der grüne Koalitionspartner zeigte sich über die Regelung jedoch "sehr erfreut". Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion in Hamburg, Antje Möller, regte gar an, "jetzt auch zur Einzelfallbetrachtung bei Erwachsenen zu kommen". An der Praxis der Abschiebehaft, die ihre historischen Wurzeln in der Ausländerpolizeiverordnung des Nazi-Regimes aus dem Jahr 1938 hat, wolle sie jedoch nicht rütteln. Sie halte zwar eine grundsätzliche Regelung für besser, aber man sei nun mal in einer Koalition, wird Möller in der Frankfurter Rundschau zitiert.

Die Partei, die sich einst Menschenrechte, Antirassismus und Multikulturalismus auf die Fahnen geschrieben hat, opfert ihre Prinzipien, um weiter an den Fleischtöpfen der Regierungsbeteiligung zu bleiben. Die Grünen haben als selbsternannte Pazifisten 1999 nicht nur den Jugoslawienkrieg und damit den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr ermöglicht, sondern auch das rigide Zuwanderungsgesetz von Otto Schily unterstützt und auf den Weg gebracht. Im Hamburger Senat sorgen sie jetzt für seine Umsetzung. Daran vermag auch der Tod von David M. nichts zu ändern. Bereits wenige Tage nach seinem Selbstmord wurde ein 15-jähriger Flüchtling aus der Abschiebehaft nach Ungarn abgeschoben.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.03.2010
Hamburg: Flüchtling begeht Selbstmord in Abschiebehaft
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2010