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GLEICHHEIT/2987: Europäischer Gipfel beschließt Bailout für Griechenland


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Europäischer Gipfel beschließt Bailout für Griechenland

Von Alex Lantier
30. März 2010
aus dem Englischen (27. März 2010)


Ein zweitägiger Gipfel der Europäischen Union ging gestern in Brüssel zu Ende. Dort wurde ein Rettungspaket für Griechenland für den Bedarfsfall beschlossen und außerdem schärfere Sanktionen gegen Länder der Eurozone, die die europäischen Defizitrichtlinien verletzen. In den Wochen vor dem Treffen war es zwischen den europäischen Großmächten zu wachsenden Spannungen über den Umgang mit der griechischen Schuldenkrise gekommen.

Der Plan wurde am späten Donnerstagabend angenommen. Er griff wörtlich einen Entwurf auf, den Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy wenige Stunden vorher erarbeitet hatten. Darin steht, dass der Internationale Währungsfond (IWF) und die Länder der Eurozone Griechenland gemeinsam unter die Arme greifen können, sofern Griechenland brutale Sparmaßnahmen ergreift.

Der Plan lässt die Hilfen für Griechenland noch soweit in der Schwebe, dass der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou weiterhin finanziellen Druck als Rechtfertigung für Kürzungen bei Arbeitsplätzen, Löhnen und Renten anführen kann. Es wird aber von einem Rettungspaket von 22 bis 30 Milliarden Euro ausgegangen, von dem die Länder der Eurozone Zweidrittel schultern würden. Die Länder der Eurozone würden entsprechend ihrer Einlagen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) herangezogen.

Die sechzehn Länder der Eurozone müssen eine tatsächliche Rettungsaktion einstimmig beschließen. Das gibt Berlin, das sich am stärksten gegen einen europäischen Bailout-Plan wehrt, praktisch ein Vetorecht. In der Gipfelerklärung heißt es, dass der Rettungs-"Mechanismus nur die Ultima Ratio" sein könne, d.h. das allerletzte Mittel, um einen Staatsbankrott Griechenlands abzuwenden.

Der Plan legte keinen Zinssatz fest, zu dem die Eurozonenländer Griechenland Geld leihen werden. Es hieß nur, dass er "Marktzinsen und kein Subventionselement enthalten" werde, d.h. die Zinsen würden höher als bei der IWF-Hilfe sein. Griechenland muss im April und Mai Schulden in Höhe von 23 Milliarden Euro refinanzieren, was zu einer Kreditklemme führen könnte. Gegenwärtig muss das Land untragbar hohe Zinssätze von ca. 6,3 Prozent zahlen, das ist ungefähr doppelt so viel, wie Deutschland für seine Staatsanleihen bieten muss.

Um die Profite der Banken zu stützen und Befürchtungen der Finanzmärkte zu besänftigen, hat die EZB die Qualitätsanforderungen an Anleihen gesenkt, die sie als Deckung für Kredite akzeptiert. Das wird die Bereitschaft von Banken erhöhen, Griechenland Kredite zu gewähren, weil sie sogar Anleihen mit Ratings von nur BBB- bei der EZB in Bargeld tauschen können, d.h. auch die BBB+ Anleihen Griechenlands. Die Banken können riesige Profite aus der Differenz der hohen Zinsen, die ihnen Griechenland zahlen muss, und dem fast kostenlosen Geld ziehen, dass sie zu einem Zinssatz von nur einem Prozent bei der EZB aufnehmen können.

Zum Abschluss des Gipfels beschlossen die EU-Führer die Einsetzung einer Task Force, deren Aufgabe es sein wird, "eine bessere Haushaltsdisziplin" sicherzustellen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt der Eurozone fordert ein Etatdefizit von nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Pakt sieht Strafzahlungen für Haushaltssünder vor, aber diese Sanktionen sind bisher noch nie verhängt worden: Griechenland hat die Grenzen schon sechsmal verletzt und Portugal, Frankreich und Deutschland haben sie jeweils fünfmal verletzt.

"Es ist schlicht eine Tatsache, dass ... die Defizitverfahren gegenwärtig nicht ausreichend ernst genommen werden", sagte Kanzlerin Merkel auf einer Pressekonferenz. Sie forderte als Reaktion auf die Haushaltsprobleme in der Eurozone Änderungen am EU-Vertrag.

Der IWF hat hauptsächlich die Aufgabe, hochverschuldete Dritte-Welt-Länder zu retten. Im Gegenzug verlangt er enorme Haushalts- und Lohnkürzungen. In Europa hat er seit den 1970er Jahren nicht mehr eingegriffen. Sein Eingreifen in Griechenland ist ein deutliches Anzeichen dafür, in welche Richtung die Pläne der Bourgeoisie gehen. Der IWF finanzierte nach der Kreditkrise von 2008 die Rettung mehrerer osteuropäischer EU- und Nicht-EU-Länder wie Ungarn, Rumänien, die Ukraine und Lettland. Diese Fälle geben ein Bild davon, was für Maßnahmen in Griechenland und im übrigen Europa geplant sind.

Im vergangenen Monat erläuterte der Analyst Frank Gill von S&P gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg die Folgen der IWF-Intervention in Lettland. Nach phantastischen Lohnsenkungen von 45 Prozent im öffentlichen Dienst und fünf bis dreißig Prozent in der Privatwirtschaft "sind die Löhne wieder sehr wettbewerbsfähig". Die lettische Wirtschaft musste einen Rückgang um neunzehn Prozent hinnehmen, und die Arbeitslosigkeit erreichte im Dezember 22,8 Prozent. Das ist die höchste in der EU.

Die Armut, die in Lettland durchgesetzt wird, schließt eine Erholung der Wirtschaft oder der Staatsfinanzen aus. Gill erklärte: "Was fehlt, sind neue Arbeitsplätze. Nur neue Arbeitsplätze können die Wirtschaft auffangen. Bis dahin werden sinkende Löhne und steigende Arbeitslosigkeit die öffentlichen Finanzen fraglos schwer belasten." Gill erwartet, dass die lettische Wirtschaft 2010 erneut schrumpfen wird.

Die Regierungen der Eurozone haben einmütige Unterstützung für die Schaffung ähnlicher Verhältnisse in Griechenland bekundet - und verlangen höhere Zinsen für ihre Kredite. Die bürgerliche Presse lobte die Intervention des IWF im Wesentlichen als Chance, die Offensive der Regierungen gegen die Arbeiterklasse zu stärken.

Le Monde begrüßte die Beteiligung des IWF "als Unterstützung sowohl vom finanziellen Standpunkt, als auch vom 'psychologischen'. Die EU hat keine Übung, mit den unpopulären Folgen von Schocktherapien umzugehen, und könnte schnell geneigt sein, den Straßendemonstrationen in Athen nachzugeben. Der IWF würde andererseits nicht zögern, seinen Ruf als 'großer böser Wolf' in die Waagschale zu werfen, um der griechischen Regierung zu helfen, die Opfer von der Bevölkerung durchzusetzen."

Solche Pläne klagen den europäischen Kapitalismus an und entlarven die pseudodemokratische Fassade, die seine politischen Institutionen der Diktatur der Banken verleihen. Sie verschärfen außerdem die nationalen Konflikte innerhalb Europas.

Andere europäische Länder, besonders solche, die sich in einer schwächeren finanziellen Situation befinden, versuchen, eine weichere Haltung einzunehmen. Die spanische Wirtschafts- und Finanzministerin Elena Salgado erklärte, Spanien sei bereit, seinen Anteil an zwei Milliarden Euro als Hilfe für Griechenland bereit zu stellen. Der Wert dieses Versprechens ist allerdings unklar, da die anderen fünfzehn Eurozonenmitglieder gegenwärtig keinen Bailout planen.

In einem Interview in der Financial Times vom 15. März kritisierte die französische Finanzministerin Christine Lagarde die deutsche Wirtschaftspolitik: "Deutschland hat in den letzten zehn Jahren zweifellos enorme Fortschritte bei der Verbesserung seiner Konkurrenzfähigkeit gemacht. Wenn man sich die Lohnstückkosten anschaut, dann waren sie ungeheuer erfolgreich. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das langfristig ein nachhaltiges Modell für die ganze Gruppe ist."

Solche Stellungnahmen stoßen aber eher auf Ablehnung. Die deutsche Bourgeoisie hat nicht die Absicht, die Löhne zu erhöhen oder ihren Konkurrenten zu erlauben, Marktanteile zurück zu erobern. Der Generalsekretär der bayrischen CSU nannte Lagardes Äußerung "empörend" und "das Verhalten eines schlechten Verlierers".

Der Chefökonom der Deutschen Bank, Thomas Mayer sagte in einem Interview mit dem Spiegel : "Wir können uns ja schlecht für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie entschuldigen", und fügte hinzu, dass Deutschland "seine Konkurrenzfähigkeit nicht künstlich abbremsen" könne.

Er gestand allerdings zu, dass es auch für die deutsche Industrie eine Sackgasse sei. Denn alle Staaten in der EU müssten demnächst anfangen, ihre Schulden abzubauen. "Und dann können unsere Nachbarn uns zwangsläufig weniger abkaufen, weil dafür kein Geld mehr da ist."

Die Berliner Regierung weigert sich, die Vorteile aufzugeben, die das Land zu einer der weltweit führenden Exportmächte gemacht haben: den umfangreichen Niedriglohnsektor, den die Sozialgesetzgebung, wie die Hartz-IV-Gesetze, ermöglicht haben, und seine Exportmärkte in Europa, die seine eigene starke Währung, den Euro nutzen.

Der Daily Telegraph berichtete kürzlich, Deutschland erwarte für dieses Jahr einen Exportüberschuss von 142 Milliarden Euro. Gestützt auf Daten der EU schätzt der Telegraph : "Deutschland hat seit Mitte der 1990er Jahre gegenüber Italien und Spanien einen Kostenvorteil von dreißig bis vierzig Prozent und gegenüber Frankreich von über zwanzig Prozent erarbeitet."

Soll in Europa ein wirtschaftliches Gleichgewicht im Rahmen von Privatwirtschaft und Konkurrenz wiederhergestellt werden, dann bedeutet das verheerende Kürzungen der Löhne und des Lebensstandards. Es würde den Kontinent in die Depression stoßen.

Ein ähnlicher, wenn auch oberflächlich anders aussehender Vorstoß kam von vier Professoren (Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider und Joachim Starbatty), die am 25. Februar in der Zeitung Financial Times vorschlugen, den Euro abzuschaffen.

Um wieder konkurrenzfähig zu werden, schrieben sie, "müssten die Griechen um vierzig Prozent abwerten. Aber in einer Währungsunion geht das nicht". Sie forderten die Griechen auf, "aus dem Euroverbund auszuscheiden" und "die Drachme wieder einzuführen". Die Drachme würde im Wert sinken und griechische Exporte wieder wettbewerbsfähig machen, was die Arbeiter durch steigende Importpreise in Armut treiben würde.

Für den Fall, dass ein Bailout Griechenlands durch Schuldenmacherei zu Inflation führen würde, drohten sie: "Sollte die Hilfe der Eurozonenländer für Griechenland die No-Bailout-Regel des Euro-Vertrages verletzen" (d.h. den Spruch des Bundesverfassungsgerichts von 1993, der Deutschland die Teilnahme an der Währungsunion nur unter strikter Beachtung von Anti-Inflationsvorschriften erlaubte) "dann würden wir nicht zögern, erneut vor das Verfassungsgericht zu ziehen, um Deutschland zu zwingen, die Währungsunion zu verlassen."

Siehe auch:
Rettungsplan für Griechenland entzweit Europa
(20. März 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/mar2010/grie-m20.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.03.2010
Europäischer Gipfel beschließt Bailout für Griechenland
http://wsws.org/de/2010/mar2010/eu-m30.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2010