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GLEICHHEIT/3373: Artillerieduell verschärft Spannungen auf koreanischer Halbinsel


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Artillerieduell verschärft Spannungen auf koreanischer Halbinsel

Von Bill Van Auken
25. November 2010


Ein Artillerieduell zwischen Nord- und Südkorea am Dienstag veranlasste Washington, Peking und Moskau zu besorgten Stellungnahmen und Warnungen, dass militärische Spannungen in ein Desaster führen könnten.

Jede Seite machte die andere für die Konfrontation verantwortlich, die nahe der Nördlichen Grenzlinie stattfand, der umstrittenen Grenze im Gelben Meer. Die Grenze wurde nach dem Ende des Koreakriegs 1953 einseitig vom amerikanischen Militär festgelegt und von Nordkorea nie anerkannt. Die Grenzlinie war wiederholt Schauplatz von Zusammenstößen.

Dutzende nordkoreanische Artilleriegranaten trafen die Insel Yeonpyeong, die nur zwei Meilen südlich der umstrittenen Grenze und acht Meilen vor der nordkoreanischen Küste liegt (und fünfzig Meilen vor Südkoreas Küste). Die Salven trafen vor allem eine Militärbasis auf der Insel. Zwei südkoreanische Marinesoldaten starben und siebzehn weitere wurden verwundet. Darüber hinaus auch drei Zivilisten. Rund 70 Häuser standen in Flammen und Rauchsäulen stiegen auf der ganzen Insel in den Himmel.

Nach dem Bombardement evakuierte Südkorea 5.000 Zivilisten von Yeonpyeong und den benachbarten Inseln.

Danach feuerte Südkorea etwa 80 Granaten nach Nordkorea ab und ließ Kampfflugzeuge über die Insel fliegen. Es gab keine unmittelbaren Berichte über Opfer des südkoreanischen Angriffs, aber das südkoreanische Militärkommando berichtete über "beträchtliche Schäden", die auf Stützpunkten in den Küstenstädten Gaemeori und Mudo im Norden angerichtet worden seien.

Die Regierung in Seoul beschuldigt Nordkoreas Militär, unprovoziert losgeschlagen zu haben. Die Regierung in Pjöngjang dagegen wirft dem Süden vor, die Konfrontation begonnen zu haben, als Geschosse in nordkoreanische Gewässer einschlugen.

"Der südkoreanische Feind hat trotz wiederholter Warnungen eine verantwortungslose Provokation begangen, als er Artilleriegranaten in unser Seegebiet abfeuerte", ließ das nordkoreanische Oberkommando in einer Erklärung verlautbaren, die von der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA zitiert wurde.

In jeden Konflikt auf der koreanischen Halbinsel sind sofort die Großmächte verwickelt, an der Spitze die Vereinigten Staaten und China. US-Präsident Barack Obama erklärte am Dienstag, seine Regierung stehe an der Seite Südkoreas. "Südkorea ist unser Verbündeter. Es ist seit dem Koreakrieg unser Verbündeter", sagte er. "Wir bekräftigen nachdrücklich unsere Entschlossenheit, Südkorea als Mitglied dieses Bündnisses zu verteidigen."

Die jüngste Konfrontation platzte mitten in die laufende jährliche Truppenübung "Hoguk", an dem 70.000 südkoreanische Soldaten teilnehmen. Das neuntägige Manöver, das am 30. November zu Ende geht, probt die Landung südkoreanischer Truppen. Nordkorea verurteilte das als Übung für eine Invasion des Nordens. Die Vereinigten Staaten nehmen normalerweise an dem Manöver teil, sagten ihre Teilnahme aber Anfang des Monats ab.

Nordkorea behauptet, dass die Marine des Südens im Verlauf ihrer Übungen Granaten in die Küstengewässer des Nordens geschossen habe. Südkorea betont jedoch, Richtung Westen geschossen zu haben, d.h. gerade nicht in Richtung Festland und der umstrittenen Grenze. Die südkoreanische Marine bestätigte, am Morgen des Artillerieduells einen Telefonanruf aus dem Norden mit der Warnung erhalten zu haben, Nordkorea werde "nicht zuschauen, wenn der Süden Schüsse auf nordkoreanische Gewässer abfeuert."

Das Pentagon gab am Dienstag bekannt, dass der Flugzeugträger USS Washington von seiner Basis in Japan aus in das Gelbe Meer aufgebrochen ist - eindeutig eine Machtdemonstration gegen Nordkorea.

Das jüngste Manöver gehört zu einer ganzen Serie gemeinsamer Übungen des amerikanischen und südkoreanischen Militärs in der Region seit der Versenkung des südkoreanischen Kriegsschiffs Cheonan im März diesen Jahres, bei der 46 Matrosen ihr Leben verloren. Auch dieses Schiff ging nahe der Nördlichen Grenzlinie unter. Eine südkoreanische Untersuchung kam zu dem Schluss, dass ein nordkoreanischer Torpedo die Ursache war. Pjöngjang streitet jede Verantwortung ab.

Manöver im Juli und September führten zu Protesten Pekings, denn die territorialen Gewässer Chinas grenzen ebenso an das Gelbe Meer. Chinesische Truppen kämpften auch im Koreakrieg vor fast sechzig Jahren. Der Krieg endete mit einem Waffenstillstand, nicht mit einem Friedensvertrag. Das bedeutet, dass formell auf der koreanischen Halbinsel immer noch Kriegszustand herrscht.

Der südkoreanische Präsident Lee Myung-bak berief ein Dringlichkeitstreffen seines Kabinetts ein und traf sich nach den Zusammenstößen mit seinen Militärkommandeuren. Lee warnte vor einer Verschärfung der Spannungen, drohte aber Nordkorea mit Vergeltung, wenn es zu "weiteren Provokationen" kommen sollte. Er sagte, der nordkoreanische Beschuss Yeonpyeongs "könnte als Invasion südkoreanischen Territoriums verstanden werden".

Seit seiner Amtsübernahme 2008 verfolgt Lee eine harte Linie gegenüber Nordkorea. Er ist Mitglied der rechten Grand National Party (GNP). Er ließ die so genannte Sonnenschein-Politik seiner Vorgänger fallen, die mittels Hilfen und Diplomatie versuchten, Spannungen abzubauen und den Norden für kapitalistische Investitionen zu öffnen. Unter Lee sind neue Investitionen praktisch versiegt und Hilfen mehr oder weniger gestoppt worden.

In westlichen Medien und Denkfabriken wird heftig über die Motive Nordkoreas spekuliert. Kurz vor dem Zusammenstoß im Gelben Meer zeigte Pjöngjang einer amerikanischen Wissenschaftlergruppe, dass es eine Anlage zur Anreicherung von Uran mit 2.000 Zentrifugen gebaut hat. Das Land betont zwar, dass die Anlage friedlichen Zwecken dienen solle, aber sie eröffnet neue Möglichkeiten zum Bau einer Atomwaffe.

Viele sehen das Vorgehen Nordkoreas als Versuch, Seoul und die beteiligten Großmächte zu veranlassen, die so genannten Sechs-Parteien-Gespräche über nukleare Abrüstung wieder aufzunehmen, die vor zwei Jahren begannen. Außerdem solle so die Wiederaufnahme von Hilfslieferungen und eine Aufhebung der Sanktionen erreicht werden, die die Wirtschaft des verarmten Landes erdrosseln.

Weiterhin wird gemutmaßt, dass die Militäraktionen die Unterstützung im nordkoreanischen Militär für Kim Jong Un festigen sollen, der ausgewählt ist, seinem Vater Kim Jong Il, dem kränkelnden Führer des Landes, nachzufolgen. Er ist erst Mitte zwanzig. In der Woche machten Gerüchte die Runde, dass Kim Jong Il gestorben sein könnte. "Ich kann weder bestätigen, noch dementieren, dass er noch am Leben ist", sagte Pentagon-Sprecher Oberst David Lapan am Dienstag.

Der amerikanische Think Tank Stratfor, der enge Beziehungen zu amerikanischen Geheimdiensten unterhält, streut die Vermutung, das nordkoreanische Militär handele auf eigene Kappe. "Angesichts des andauernden Machtübergangs in Nordkorea soll in den Streitkräften Unzufriedenheit aufgekommen sein. Die aktuellen Vorkommnisse könnten das Ergebnis von schlechter Kommunikation oder Schlimmerem in der Kommando- und Kontrollstruktur des Nordens sein, oder von Meinungsverschiedenheiten in der nordkoreanischen Führung", heißt es bei Stratfor.

Der ehemalige stellvertretende US-Außenminister Christopher Hill, der die US-Delegation bei den Sechs-Parteien-Gesprächen geleitet hatte, äußerte sich ähnlich. "Nordkorea befindet sich in einem sehr schwierigen innenpolitischen Übergang", sagte er. "Es ist völlig klar, dass das nordkoreanische Militär alles andere als begeistert ist, dass Kim Jong Un seinem Vater nachfolgen soll. Ich denke, dass es da eine Menge Probleme gibt, die wir an ihrem Verhalten gegenüber der Außenwelt erkennen."

Washington reagierte auf den Zusammenstoß mit einer scharfen Verurteilung Pjöngjangs und bedingungsloser Unterstützung Südkoreas.

Präsident Obama nannte den nordkoreanischen Artilleriebeschuss "empörend und provokativ". In einer Erklärung verlangte das Weiße Haus von Pjöngjang, "die kriegerischen Handlungen zu beenden", und erklärte Washingtons "feste Unterstützung für unseren Verbündeten, die Republik Korea, und für die Erhaltung von Frieden und Stabilität in der Region."

Vertreter des Pentagon sagten jedoch, es gebe keine Pläne, zusätzliche Truppenkontingente in die Region zu verlegen, und die 29.000 in Südkorea stationierten amerikanischen Soldaten seien nicht in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden.

Hohe US-Kommandeure betonten, die USA verfügten über ausreichend Kräfte in der Region, um Nordkorea anzugreifen. "Es steht außer Frage, dass wir über beträchtliche Luftstreitkräfte und kombinierte Kapazitäten im Westpazifik verfügen. Diese Abschreckungskraft sollten die Nordkoreaner respektieren", sagte der Stabschef der Air Force, General Norton Schwartz, Reportern in Washington.

Washington schloss eine Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche als Reaktion auf die jüngste Konfrontation aus. An den Gesprächen waren die beiden koreanischen Staaten, die USA, China, Russland und Japan beteiligt.

Auch Japan nahm eine harte Haltung ein. Der japanische Ministerpräsident Naoto Kan sagte, er habe seine Minister angewiesen, "Vorbereitungen zu treffen, damit wir entschlossen reagieren können, wenn es unerwartete Entwicklungen gebe. Wir werden uns vorbereiten, damit wir für alle Eventualitäten gerüstet sind."

China und Russland hingegen betonten übereinstimmend, dass der Zusammenstoß die Notwendigkeit einer sofortigen Wiederaufnahme der Gespräche zeige.

Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Hong Lei, sagte vor Reportern in Peking: "Es ist unumgänglich, die Sechs-Parteien-Gespräche sobald wie möglich wieder aufzunehmen."

China stellte sich in seiner Erklärung auf keine der beiden Konfliktseiten. "Wir hoffen, dass sich die beteiligten Seiten Mühe geben, mehr zu Frieden und Stabilität auf der koreanischen Halbinsel beizutragen", sagte der Ministeriumssprecher. Er fügte hinzu, China bemühe sich immer noch, die Ereignisse nachzuvollziehen, die zu dem Zusammenstoß führten. "Die Fakten müssen noch geklärt werden", sagte er.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte bei einem Besuch in der weißrussischen Hauptstadt Minsk beide Seiten auf, "sofort alle Angriffe einzustellen". Er sagte vor Reportern: "Das ist eine große Gefahr, die entschärft werden muss. Die Spannungen in der Region nehmen zu."

Washington nutzt den jüngsten Zwischenfall, um den Druck auf China zu erhöhen. Der Nachrichtensender ABC News zitierte am Dienstagabend einen ungenannten amerikanischen Sprecher mit den Worten, dass die Obama-Regierung "ein sehr starkes Signal an China sendet, Nordkorea in die Schranken zu weisen".

China, der wichtigste Handelspartner und politische verbündete Nordkoreas, hat kein Interesse an einer militärischen Stärkung der USA in der Region unter dem Vorwand, nordkoreanischen Provokationen entgegenzutreten. Peking fürchtet einen politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch, der zur Auflösung Nordkoreas führen könnte, wenn die Daumenschrauben bei Pjöngjang weiter angezogen werden. Millionen Flüchtlinge könnten dann über die chinesische Grenze strömen.

Der zunehmende Streit zwischen den USA und China über ihre strategischen Interessen in ganz Asien überschattet das Artilleriegefecht zwischen Nord- und Südkorea. Diese Spannungen zwischen den Großmächten sind der Grund, warum sich die Scharmützel an der Grenze, die vor fast sechzig Jahren nach dem Koreakrieg gezogen wurden, zu einem größeren Konflikt ausweiten könnten.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 25.11.2010
Artillerieduell verschärft Spannungen auf koreanischer Halbinsel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2010