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GLEICHHEIT/3430: Im Irak nach neun Monaten Regierung gebildet


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Im Irak nach neun Monaten Regierung gebildet

Von James Cogan
29. Dezember 2010


Am Dienstag vor Weihnachten stimmte das irakische Parlament dem neuen Kabinett von Ministerpräsident Nuri al Maliki zu. Seit der Wahl am 7. März sind mehr als neun Monate vergangen.

In seiner Zusammensetzung entspricht das Kabinett den Forderungen der USA, alle großen religiös-ethnischen Gruppen im Parlament zu berücksichtigen und dem sunnitisch dominierten Irakija-Bündnis wichtige Positionen einzuräumen. An der Spitze dieses Bündnisses steht der frühere CIA-Informant Ajad Allawi. Gleichzeitig behält Maliki die Kontrolle über zentrale Ministerien, denen die Armee und die paramilitärische Nationale Polizei unterstehen. Maliki hat sich inzwischen als verlässlicher Diener der amerikanischen Besatzung erwiesen.

Von 45 Kabinettsposten besetzte Maliki nur 35, darunter seinen eigenen als Ministerpräsident und die dreier stellvertretender Ministerpräsidenten. Die übrigen zehn Ämter wurden auf amtierende Minister verteilt. Sich selbst teilte Maliki die Ministerposten für die Schlüsselressorts Verteidigung, Inneres und Nationale Sicherheit zu.

Der Sprecher des US-Außenministeriums, Philip Crowley, erklärte am Mittwoch, Washington habe "der Regierung keine Bedingungen diktiert". Die Wirklichkeit sieht aber so aus, dass im Verlauf der neunmonatigen Kabinettsbildung ständig Druck der USA auf Maliki, Allawi, die kurdischen Führer und andere prominente irakische Politiker ausgeübt wurde. Präsident Obama und Vizepräsident Biden führten ständig persönliche Telefongespräche und besuchten Bagdad.

Das zentrale Ziel der Obama-Regierung ist eine irakische Regierung, die um eine langfristige militärische Partnerschaft mit den USA bitten wird, wenn das geltende Stationierungsabkommen SOFA Ende 2011 ausläuft. Das SOFA ist die juristische Grundlage für die 50.000 noch im Irak stationierten amerikanischen Truppen. Sie operieren von großen strategischen Luftstützpunkten wie Balad, Tallil und Al Asad aus. Der US-Imperialismus hat Milliarden Dollar ausgegeben, um diese vorgeschobenen Stützpunkte aufzubauen. Sie sind Teil seiner breiteren strategischen Pläne, und er hat nicht die Absicht, sie aufzugeben.

Außerdem übte die Washingtoner Regierung Druck auf die schiitischen und kurdischen Parteien aus, die die bisherige Marionettenregierung bestimmten, dass sie dem sunnitischen Establishment größeren Einfluss und Privilegien einräumten. Die Sunniten hatten damals das Baathisten-Regime Saddam Husseins unterstützt. Nach der Invasion von 2003 waren sie ins Abseits gedrängt worden. Die Aufstandsbewegung gegen die US-Besatzung wurde zum größten Teil von den sunnitischen Provinzen getragen. Im Verlauf der Jahre 2007 und 2008 brachten systematische Massentötungen und finanzielle Bestechung den sunnitischen Widerstand praktisch zum Erliegen. Das ermöglichte es dem amerikanischen Militär, einige Truppenteile abzuziehen und nach Afghanistan zu schicken.

Die USA haben ihre Präsenz auf wenige große Basen verringert und sind natürlich daran interessiert, dass der Widerstand gegen die Besatzung nicht wieder aufflammt. Aus diesem Grund besteht Washington auf einem Machtteilungsabkommen, das die sunnitische Elite mit wichtigen Regierungspositionen zufriedenstellt.

In den vergangenen neun Monaten haben die USA von Maliki und Allawi verlangt, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die alle Fraktionen einbindet. Die Wahl hatte kein eindeutiges Ergebnis gezeitigt. Allawis sunnitische Koalition gewann 91 Sitze im 325-köpfigen Parlament, und Malikis schiitische Koalition 89 Sitze. Keine von beiden hatte eine Mehrheit. Daher mussten sie sich entweder zusammentun oder die Unterstützung von zwei weiteren parlamentarischen Blöcken gewinnen, der schiitischen Fundamentalisten um den Kleriker Moktada al-Sadr und der kurdischen Nationalisten. Letztere sind vor allem daran interessiert, den autonomen Status des kurdischen Nordiraks zu erhalten.

Im Großen und Ganzen haben die USA ihr Ziel einer Regierung der nationalen Einheit erreicht. Die Schlüsselministerien sind in den Händen der Koalitionen von Maliki und Allawi. Die Sadristen, die der Besatzung kritischer gegenüber stehen, erhalten weniger wichtige Ämter.

Saleh al-Mutlak, ein prominenter Vertreter von Irakija, der früher dem baathistischen Establishment nahestand, ist zu einem stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt worden. Noch im Januar war Mutlak aufgrund der Anti-Baath-Gesetze die Beteiligung an der Wahl und die Bekleidung irgendeines politischen Amtes verweigert worden. Diese Gesetze waren von der schiitisch-kurdischen Vorgängerregierung erlassen worden. Um Washington zufriedenzustellen und den Weg für seine Berufung ins Kabinett frei zu machen, wurde der Bann gegen Mutlak und zwei weitere sunnitische Politiker am Samstag per Parlamentsbeschluss aufgehoben.

Neun weitere Mitglieder von Irakija wurden ins Kabinett berufen, unter anderem als Finanzminister, Industrieminister und Kommunikationsminister. Allawi wurde nicht berücksichtigt, aber er soll an die Spitze eines Organs mit dem Namen Nationaler Rat für die Sicherheitspolitik treten. Der Rat ist bisher noch nicht gebildet worden, und sein genauer Aufgabenbereich muss noch in Verhandlungen zwischen den USA, Maliki und Allawi bestimmt werden. Es ist aber davon auszugehen, dass er Einfluss auf die Sicherheitskräfte und die irakische Außenpolitik ausüben wird und damit auch auf die Formulierung der langfristigen militärischen Beziehungen zu den USA.

Monatelang hatte Allawi immer wieder gefordert, Ministerpräsident zu werden, doch jetzt erklärte er Journalisten, die neue Regierung habe die "volle Unterstützung" Irakijas. Er versprach, "eine aktive, produktive und kooperative Rolle" zu spielen.

Für das Kabinett wurden zwanzig Mitglieder der beiden fundamentalistisch-schiitischen Koalitionen nominiert. Der Sadr-Block erhielt acht Posten, aber auf Drängen der USA sind keine Ämter in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik darunter.

Die Sadristen hatten 2004 einen kurzzeitigen Aufstand gegen die US-Besatzung geführt, und sie fordern auch heute noch offiziell den Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak. In den letzten Jahren hat Sadr enge Beziehungen zum iranischen Regime aufgebaut. Im Weißen Haus und im Pentagon sieht man in ihm vor allem ein trojanisches Pferd für Teheran. Es wird erwartet, dass Sadr die amerikanischen Ambitionen auf eine permanente Präsenz unterlaufen wird.

Amerikanische Politiker stimmten zu, den Sadristen eine gewisse Vertretung im Kabinett zu gewähren. Damit soll ihre soziale Basis in den städtischen Armenvierteln von Bagdad und anderen großen Städten im Südirak zufriedengestellt werden. Die Sadr-Bewegung ist sowohl für die USA als auch für die Maliki-Regierung wichtig, denn sie kann die schiitische Mehrheit, die nach wie vor mit Waffen gegen die Besatzung kämpfen möchte, unter Kontrolle halten. Maliki kennt diese Bedeutung der Sadristen; deswegen hat er ihnen das Arbeitsministerium und das Ministerium für Wohnungsbau übertragen.

Das Ölministerium erhält der Technokrat Abdul Karim al-Luaibi, der Maliki nahe steht. Er hat schon die ersten Verträge ausgehandelt, die großen transnationalen Energiekonzernen Zugang zu noch unerschlossenen Ölreserven des Irak verschaffen. Der prominente schiitische Fundamentalist Hussein al-Scharistani, bisher Ölminister, wurde zum stellvertretenden Ministerpräsidenten für Energiefragen und zum amtierenden Elektrizitätsminister befördert.

Es wird erwartet, dass Luaibi und Scharistani aggressiv die weitere Öffnung der Bodenschätze des Irak für ausländische Konzerne betreiben werden. Dadurch soll die Ölproduktion von 2,5 Millionen Fass am Tag auf zwölf Millionen Fass erhöht werden. Luaibi sagte Journalisten, eine seiner Prioritäten werde die Lösung eines lang andauernden Streites mit der autonomen kurdischen Regionalregierung im Norden sein, die das Recht in Anspruch nimmt, Ölverträge unabhängig von der Zentralregierung abzuschließen.

Obama und Biden sollen Maliki und Allawi angerufen haben, um ihnen zu der erfolgreichen Kabinettsbildung zu gratulieren. Der ehemalige US-Botschafter im Irak, Christopher Hill, sagte der New York Times: "Das ist ein guter Tag für die amerikanische Politik im Irak. Iraker pflegen normalerweise keine Weihnachtsgeschenke zu machen. Aber ich glaube, heute haben sie uns eins gemacht." Das Rückenklopfen und die Selbstgratulation in Washington unterstreichen den völlig korrupten Charakter der irakischen Regierung, die in den kommenden Monaten und Jahren systematisch für den Imperialismus arbeiten wird.

Die neue Regierung der "nationalen Einheit" hat unter intensivem Druck Washingtons die scharfen Differenzen im irakischen Establishment vorübergehend überkleistert, aber nicht gelöst. Umso weniger löst sie die akute wirtschaftliche und soziale Krise der arbeitenden Bevölkerung.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 29.12.2010
Im Irak nach neun Monaten Regierung gebildet
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2010