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GLEICHHEIT/3440: Unsicherheit in Ägypten nach Bombenanschlag auf koptische Kirche


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Unsicherheit in Ägypten nach Bombenanschlag auf koptische Kirche

Von Jean Shaoul
5. Januar 2011


Einem Bombenanschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria, wo mehr als 1.000 Menschen eine Silvestermesse besuchten, fielen 21 bis 25 Menschen zum Opfer. Mindestens 97 wurden nach verschiedenen Berichten verletzt. Auch eine Moschee in der Nähe wurde beschädigt. Unter den Verletzten befanden sich acht Muslime, drei Polizisten und ein Wachmann, der die Kirche bewachte.

Ägypten wurde am 3. Januar in der Vorbereitung auf das koptische Weihnachtsfest am 7. Januar in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Bei der Polizei wurde eine Urlaubssperre verhängt und bewaffnete Kontrollposten wurden an den Straßen eingerichtet. Sieben Verhaftungen wurden im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag vorgenommen.

Am Sonntag kam es vor der St.Markus Kathedrale in Kairo zu Zusammenstößen, bei denen 45 Polizisten verletzt und der Staatsminister für wirtschaftliche Entwicklung, Osman Mohammed Osman, mit einem Steinhagel eingedeckt wurde.

Der Bombenanschlag ist der bisher bei weitem schwerste Angriff auf die christliche Gemeinde in Ägypten. Die Kopten, die zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, leiden unter zunehmender wirtschaftlicher und religiöser Diskriminierung, die hauptsächlich von den Behörden zu verantworten ist. Sie versuchen damit, vom Ärger der Bevölkerung über soziale und politische Probleme abzulenken.

Weil Kirchen in Ägypten von der Polizei streng bewacht werden, tauchten Fragen auf, wie dieser Anschlag passieren konnte. Dem ägyptischen Innenministerium zufolge war der Anschlag das Werk eines Selbstmordattentäters und nicht durch eine Autobombe verursacht. Der im Land hergestellte Sprengsatz war mit Nägeln und kleinen Kugeln gefüllt. Er wurde von einem Attentäter getragen, der bei der Explosion getötet wurde. Niemand hat sich bisher zu der Tat bekannt.

Präsident Hosni Mubarak machte in einem seiner seltenen Fernsehauftritte den "internationalen Terrorismus" für den Anschlag verantwortlich. Er sagte, der Anschlag weise alle Merkmale "ausländischer Elemente" auf. Das ist ein beschönigender Ausdruck für islamische Militante aus dem Umfeld von al-Qaida, die Ägypten zu destabilisieren trachten. Diese Anschuldigung widerspricht früheren Behauptungen Mubaraks, dass al-Qaida in Ägypten über keinen nennenswerten Einfluss verfüge und noch nie eindeutig mit einem Anschlag im Land in Verbindung gebracht werden konnte.

Mubarak fügte hinzu, dass sich der Anschlag "gegen ganz Ägypten richtet". "Wir sind alle betroffen und werden uns dem Terrorismus entgegenstellen und ihn besiegen." Er forderte Christen und Muslime auf, gegen den gemeinsamen Feind "zusammenzustehen".

Die Regierungspresse warnte vor dem Ausbruch eines Bürgerkriegs. Die regierungsfreundliche Rose al-Youssef schrieb: "Jemand will, dass dieses Land explodiert... Wir müssen erkennen, dass es eine Verschwörung gibt, die versucht, einen religiösen Bürgerkrieg zu initiieren."

Der Sekretär der Arabischen Liga, General Amr Moussa, rief Kopten und Muslime auf, "sich zusammenzuschließen, um die Gefahren für die Sicherheit und Stabilität Ägyptens abwehren zu können".

Muslimische Führer sprachen den Kopten ihr Beileid aus und die wichtigste Oppositionspartei, die Muslimbruderschaft, sagte, dass keine Religion der Welt, ein solches Verbrechen billigen könne.

Zornige Gläubige kämpften nach Verlassen der Kirche gegen die Polizei und machten die Regierung und die Sicherheitskräfte dafür verantwortlich, sie nicht genügend geschützt zu haben.

Am nächsten Tag nahmen Tausende Menschen an den Trauerfeierlichkeiten teil und wiesen die Beileidsbekundungen von offiziellen Vertretern und Politikern zurück. Die Menge skandierte "Nein, Nein, Nein", als ein Kirchenvertreter das Beileidstelegramm Mubaraks verlesen wollte. Dann kam es zu wütenden Zusammenstößen. Protestierende riefen regierungsfeindliche Parolen und bewarfen Polizisten mit Steinen. Sie riefen: "Oh Mubarak, das Herz der Kopten steht in Flammen!" Die Polizei antwortete mit Tränengas und Gummigeschossen.

Viele forderten den Rücktritt des Gouverneurs von Alexandria, Adel Labib. Er hatte für den Bombenanschlag ausdrücklich al-Qaida verantwortlich gemacht, was großenteils zurückgewiesen wird. Am Sonntag weiteten sich die Proteste nach Kairo aus, wo Hunderte junger Kopten gegen die Polizei kämpften und stundenlang eingekesselt wurden.

Demonstranten vor der St. Markus Kathedrale, dem Sitz des orthodoxen Papstes Shenouda, riefen: "Revolution, Revolution in Ägypten, in allen Kirchen Ägyptens."

Religiöses Sektierertum hat sich parallel zur Stärkung des politischen Islam entwickelt, den das Regime nach dem Tod von Gamal Abd el-Nasser 1970 mit der Wiedereinführung der Schariah selbst beförderte. Im Folgenden einige Beispiele für Angriffe auf die Kopten:

Im vergangenen November brachen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Kopten aus, nachdem der Bau einer Kirche gestoppt worden war. Schon seit Jahren war es immer schwieriger geworden, eine Genehmigung für Reparatur, Erweiterung und den Neubau von Kirchen zu erhalten. Die Zusammenstöße weiteten sich zu religiöser Gewalt aus, als sich Dutzende Muslime mit ins Gefecht stürzten. Die Folge waren zwei tote Christen und die Verhaftung von mehr als 150 Kopten, die beschuldigt wurden, versucht zu haben, die Sicherheitskräfte im Einsatz zu töten.

Vor der Parlamentswahl gab es im September und Oktober genehmigte Massendemonstrationen von Muslimen im Zentrum von Kairo. Sie verlangten die Freilassung von Camillia Shehata und Wafa Constantine, den Frauen zweier koptischer Priester, von denen angenommen wurde, sie seien zum Islam konvertiert und in ihren Klöstern eingesperrt worden. Nach dem Angriff einer irakischen Gruppe mit Verbindungen zu al-Qaida auf eine Kirche in Bagdad, bei dem 53 Menschen starben, drohte die Gruppe, ägyptische Kopten anzugreifen, wenn die Frauen nicht frei gelassen würden.

Zu Beginn letzten Jahres wurden sechs Christen und ein muslimischer Polizist am Vorabend des koptischen Weihnachtsfestes vor einer Kirche in Oberägypten von einem fahrenden Motorrad aus getötet. Der Schütze war ein bekannter Krimineller, wurde aber von Leuten aus der Umgebung von Mubaraks regierender Clique geschützt. Muslime verwüsteten christliche Läden und Wohnungen, während die Polizei zuschaute.

Ein Bericht der Ägyptischen Initiative für Rechte des Individuums vom letzten Jahr beleuchtete die Zunahme religiöser Gewalt von 2008 auf 2009 und forderte die Strafverfolgung der Täter.

2009 reagierte die Regierung auf eine Schweinegrippeepidemie mit der Tötung von 300.000 Schweinen, obwohl bekannt ist, dass Menschen sich nicht anstecken können, wenn sie Schweinefleisch essen. Das wurde von den Kopten, den größten Schweinezüchtern in Kairo, als Angriff auf ihren Lebensunterhalt gesehen. Die Zabaleen, oder Müllsammler, sind meistens Kopten. Sie sammeln den Haushaltsmüll Kairos ein und sortieren und recyceln ihn. Sie füttern mit dem organischen Abfall die Schweine, die dann geschlachtet und als Schweinefleisch an Kairos Läden und Restaurants verkauft werden.

Mubaraks despotisches Regime steht vor einer innenpolitischen Krise. Er reagiert seit fast dreißig Jahren mit Notstandsgesetzen, die jede Opposition verbieten. Streiks und Demonstrationen sind illegal. Die Presse wird zensiert und immer wieder werden Zeitungen geschlossen. Das Verschwinden von Leuten, willkürliche Verhaftungen, Polizeibrutalität und Folter sind alltäglich. Die Masse der einfachen Bevölkerung ist mit ihrer Lage höchst unzufrieden. Vierzig Prozent der Ägypter leben unterhalb oder an der offiziellen Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bezahlbarer Wohnraum knapp und die Lebensmittelpreise steigen stark.

Ägypten ist von sozialen Unruhen erfasst. Im Zentrum von Kairo finden Streiks, Proteste und Demonstrationen statt. Die Unzufriedenheit kann durch die offiziellen Kanäle keinen politischen Ausdruck finden. Bei den Wahlen im November sparte die Regierung keine Mühen, um die Kandidaten der Muslimbruderschaft und anderer Parteien von der Teilnahme auszuschließen. Die Muslimbruderschaft ist die wichtigste Oppositionspartei, die bei der Wahl von 2005 zwanzig Prozent der Sitze errungen hatte. Die Wahl war von Gewalt, Betrug und Wahlfälschung geprägt.

Am Ende gingen bis auf zwölf alle Sitze an Mubaraks Neue Demokratische Partei. Weniger als fünfzehn Prozent der Wahlberechtigten nahmen an der Wahl teil, so sehr waren sie von der ganzen Scharade angewidert. Dazu kommt noch die Unsicherheit darüber, wer Mubarak nachfolgen wird. Mubarak versucht den Weg für seinen Sohn, den Geschäftsmann Gamal Mubarak, frei zu machen. Aber das trifft auf den Unwillen der alten Garde und des Militärs, die ihn an der Macht gehalten haben und einen großen Teil des Landes besitzen.

Der Bombenanschlag auf die koptische Kirche wird auch dazu benutzt, um international antimuslimische Stimmungen zu schüren.

Papst Benedikt erklärte in seiner Neujahrsansprache: "Diese bösartige Geste des Todes und die Bomben nahe den Häusern von Christen im Irak, mit denen sie zur Emigration bewegt werden sollen, verletzen Gott und die gesamte Menschheit."

Italiens Außenminister Franco Frattini drängte die Europäische Union mit Nachdruck, auf "religiöse Intoleranz, vor allem gegen Christen" zu reagieren.

In Deutschland forderte die stellvertretende CDU-Vorsitzende Annette Schavan: "Muslimische Autoritäten in Kairo und anderswo müssen eindeutig Stellung beziehen gegen jede Form von Gewalt im Namen ihrer Religion".

Stefan Müller, der parlamentarische Geschäftsführer der CSU, forderte Entwicklungshilfe davon abhängig zu machen, ob Christen in dem Land verfolgt werden, oder nicht. Der Menschenrechtsbeauftragte der Grünen, Volker Beck, erklärte, Deutschland habe seine Möglichkeiten zur Einflussnahme "bei weitem nicht ausgeschöpft". Die Deutsche Welle zitierte Beck mit der Bemerkung, dass Moslems in Deutschland "ihre Abscheu noch deutlicher formulieren müssten, als das anderswo in der Welt geschehen


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Quelle:
World Socialist Web Site, 05.01.2011
Unsicherheit in Ägypten nach Bombenanschlag auf koptische Kirche
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2011