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GLEICHHEIT/3513: Jemen und Algerien - Gewaltsame Zusammenstöße von Polizei und Tausenden Demonstranten


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Jemen und Algerien:
Gewaltsame Zusammenstöße von Polizei und Tausenden Demonstranten

Von David Walsh
16. Februar 2011


Am Wochenende beteiligten sich im Jemen und in Algerien Tausende Menschen an eindrucksvollen Straßenprotesten gegen Regierungskorruption, Armut und Arbeitslosigkeit. Die Unruhen in vielen Teilen des Nahen Ostens und Nordafrikas, in Tunesien, Jordanien, im Irak und nun auch in Bahrain schwelen weiter.

An den drei Tage dauernden Protestaktionen im Jemen, die am Freitag mit Feiern zum Sturz Hosni Mubaraks in Ägypten begonnen hatten, beteiligten sich an den Demonstrationen am Sonntag in der Hauptstadt Sanaa die meisten Menschen.

Am Samstag schwoll der Marsch von ein paar Hundert Studenten zur ägyptischen Botschaft auf Tausende Teilnehmer an, die riefen: "Nach Mubarak ist Ali an der Reihe", so die BBC. Präsident Ali Abdullah Saleh ist ein äußerst verhasster Despot und ein wichtiger Verbündeter der USA in ihrem "Krieg gegen den Terror".

Am Samstag griffen regierungstreue Elemente die Demonstranten mit Messern und Stöcken an und vertrieben sie.

Bis zum Sonntag waren die Protestaktionen in Sanaa noch angewachsen und es kam zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten, unter denen sich viele Jugendliche befanden, und der Polizei und regierungsfreundlichen Schlägern. Associated Press berichtete: "Jemenitische Polizisten, ausgerüstet mit Schlagstöcken und Dolchen, schlagen in der Hauptstadt Tausende Demonstrierende zurück... uniformierte Polizei setzt Gummiknüppel ein, um die Protestierenden, darunter viele Universitätsstudenten, zu stoppen, bevor sie den zentralen Hada-Platz in der Hauptstadt erreichen. Augenzeugen berichten, dass Zivilpolizisten die Sicherheitskräfte unterstützten und die Demonstranten mit Dolchen und Stöcken zurücktrieben."

Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, dass bei "der großen Demonstration gegen die Regierung" die Sicherheitskräfte die Demonstranten mit Elektroschockern und Gewehrkolben angriffen. Wie ein Reporter von Xinhua berichtete, gab es viele Verletzte, etwa 120 Menschen wurden verhaftet.

Nach der Darstellung des chinesischen Nachrichtendiensts versuchten die Demonstranten am Sonntag zum Präsidentenpalast zu gelangen. Sie forderten den Sturz Salehs und die Entfernung seiner Familienmitglieder aus dem Militär- und Sicherheitsapparat, so auch des Sohnes von Saleh, Ahmed Ali, der Chef der Geheimpolizei ist.

Die Menge skandierte: "Das Volk verlangt den Sturz des Regimes. Nach Mubarak ist Saleh an der Reihe".

Die Polizei brachte rund um den Tahrir-Platz (Platz der Befreiung) in Sanaa Stacheldrahtzäune an. Anhänger der Regierung sollten im Inneren ein Zeltlager errichten, sodass die Demonstranten den Platz nicht besetzen konnten.

Auch im Südwesten des Jemen protestierten 5.000 Menschen in der 460.000 Einwohner-Stadt Taiz nahe der Straße von Mandab, die das Rote Meer mit dem Golf von Aden verbindet. In den Städten Taiz und dem 140 km entfernten Aden gab es in den letzten Wochen zahlreiche Proteste.

Wie nicht anders zu erwarten, beschuldigte das jemenitische Innenministerium, dem die brutal vorgehenden nationalen Sicherheitskräfte unterstehen, die meist jugendlichen Demonstranten, sie würden "Sabotage und Chaos verbreiten" und bedrohten "Sicherheit und Stabilität".

Was für ein Kaliber die offizielle Opposition im Jemen hat, zeigte sich am Sonntag, als sie einem Reformangebot Salehs von Anfang Februar zustimmte. Ihre Zustimmung knüpfte sie an die Bedingung, dass er 2013 zurücktritt, ohne die Macht auf seine Nachkommenschaft zu übertragen. Weiter erklärte die Oppositionskoalition ihre Bereitschaft, erneut Verhandlungen mit Saleh aufzunehmen.

Reuters berichtet, ein Führungsmitglied dieser Koalition sei der ehemalige Außenminister Mohammed Basindwa und zitiert seine Kompromissbereitschaft: "Die Opposition weist die Einladung des Präsidenten nicht zurück und ist bereit, in einer Zeitspanne von nicht mehr als einer Woche eine Vereinbarung zu unterschreiben."

Auch wenn Washington das Saleh-Regime weiter mit Geld und Waffen versorgt, sind für breite Schichten der jemenitischen Bevölkerung Armut und Verelendung gewiss. Mehr als 45 Prozent der Bevölkerung haben täglich 2 Dollar oder weniger zum Leben. Das Internationale Institut für Ernährungspolitik berichtet, dass 32 Prozent der Jemeniten nicht genug zu Essen haben und fast 58 Prozent der Kinder unterernährt sind. Im Entwicklungsindex der UN (HDI), der Lebenserwartung, Bildung und Lebensstandard misst, liegt der Jemen unter 177 Ländern auf Platz 151. Von allen arabischen Ländern hat der Jemen den niedrigsten HDI-Wert.


Proteste in Algier

Die Angaben von Regierung und Opposition über die Größe der Demonstrationen am Samstag in Algier unterscheiden sich beträchtlich. Associated Press (AP) berichtete jedoch, in Algeriens Hauptstadt hätten am Samstag etwa 100.000 Menschen demonstriert, bevor sie von Polizeikräften auseinandergetrieben wurden. Seit der Ausrufung des nationalen Notstands 1992 sind Demonstrationen in Algerien verboten.

Das Regime von Präsident Abdelaziz Bouteflika setzte als massive Machtdemonstration zur Einschüchterung der Protestierenden etwa 30.000 Polizisten und Sicherheitskräfte ein. In ganz Algier wurden an "strategischen Punkten" gepanzerte Fahrzeuge postiert, so berichtete BBC. "Auch einsatzbereite Wasserwerfer waren darunter", während über dem Zentrum "ein Hubschrauber am Himmel kreiste".

Schwerbewaffnete Polizisten versuchten jegliche Ansammlung von Demonstranten in Algier zu unterbinden. Sie stellten sich entlang der Demonstrationsroute auf und errichteten Straßenblockaden, um vollbesetzte Busse am Erreichen der Innenstadt zu hindern. Dennoch gelang es Tausenden, die Polizei zu umgehen und auf dem Platz des 1. Mai gegen das Regime zu demonstrieren.

Die algerische Zeitung El Watan beschrieb die Ereignisse um 15:30 Uhr: "Auf dem Platz des 1. Mai führt die Polizei eine wahre Menschenjagd durch. Sie zerstreut die Demonstranten gewaltsam und nimmt viele von ihnen fest. Die Polizei versucht, die Demonstranten zu Gejagten zu machen. Deren Zahl nimmt jedoch immer mehr zu und die Polizisten rechnen nicht mit der Entschlossenheit dieser jungen Menschen, denen es gelingt, das Feld wieder zurück zu erobern. Polizei und Demonstranten spielen Katz und Maus. Demonstrantengruppen bleiben in Bewegung, sodass sie nicht zwischen Polizeieinheiten eingekeilt werden können."

In drastischen Worten beschrieb El Watan auch eine Szene, die früher am Tag stattfand: "Schläge von Polizeiknüppeln prasseln auf viele Demonstranten nieder. Keiner geht leer aus."

Über Premierminister Ahmed Ouyahia riefen die Demonstranten: "Dieb Ouyahia!" und "Nein zum Polizeistaat!" "Das Volk will den Sturz des Regimes" und "Bouteflika raus!" Weiter skandierten sie: "Wir bleiben Revolutionäre!"

Ein Sprecher der Opposition erklärte, etwa 400 Menschen seien bei den Protesten verhaftet worden. Ali Jahaia Abdenour, Vorsitzender der algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte, hob hervor, dass sich am Samstag auch Frauen und ausländische Journalisten unter den Festgenommenen befanden.

Zum Marsch an diesem Wochenende hatte die Nationale Koordination für Erneuerung und Demokratie (CNCD) aufgerufen, eine bürgerliche Oppositionskoalition aus politischen Parteien, Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften.

"Diese Demonstration ist ein Erfolg, da die Bevölkerung nunmehr seit zehn Jahren nicht mehr in der Lage war, in Algier zu demonstrieren, es gibt eine Art psychologischer Hürde", erklärte Ali Rachedi, ehemaliger Vorsitzender der Front Sozialistischer Kräfte, einer sozialdemokratischen Gruppierung. "Die Angst ist weg", fügte er noch hinzu.

Said Sadi, Vorsitzender der oppositionellen Sammlung für Kultur und Demokratie (RCD) und Mitglied der CNCD, betonte, der Umfang des Polizeieinsatzes zeige "die Angst dieser Regierung, die sich in höchster Not befindet... Wir werden weiter demonstrieren und den Autoritäten trotzen, bis sie untergehen." Die Opposition forderte jedoch nicht den Rücktritt Bouteflikas, der nach einer manipulierten Wahl 2009 zum dritten Mal ins Amt kam.

Außerdem gab es kleinere Demonstrationen in Oran, Annaba und Constantine.

Der CNCD gab einen Aufruf zu einer Massendemonstration am 19. Februar heraus und sprach sich grundsätzlich für einen Aufruf zum Massenstreik in den nächsten Tagen aus.

In einem weiteren Fall organisierten mehr als 400 Jugendliche am Sonntagmorgen ein Sit-in in einem Büro der Verwaltung in Mezaourou, 480 km südwestlich der Hauptstadt Algeriens. Außerdem blockierten Protestierende die Hauptverbindungsstraße zwischen Mezaourou und Telagh mit alten Reifen und Schutt. Die Jungendlichen forderten Arbeitsplätze und prangerten die Korruption an.

Durch eine Selbstverbrennung starb ein 36jähriger arbeitsloser Mann in der Stadt El Oued, in Ostalgerien nahe der tunesischen Grenze. Der sechsfache Vater namens Lofti Maamir übergoss sich am 17. Januar in einem Regierungsbüro, wo er um Arbeit und Unterkunft nachsuchte, mit Benzin. Seit Ausbruch der Krise im Januar sind vier Menschen in Algerien diesen Weg gegangen.

Etwa 23 Prozent der Algerier leben unter der offiziellen Armutsgrenze. Besonders die algerische Jugend leidet unter Massenarbeitslosigkeit. Die offizielle Armutsrate Jugendlicher liegt bei 23 Prozent (ist jedoch vermutlich viel höher). 70 Prozent der Arbeitslosen sind unter 30 Jahre alt.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 16.02.2011
Jemen und Algerien: Gewaltsame Zusammenstöße von Polizei und Tausenden Demonstranten
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2011