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GLEICHHEIT/3540: Regierungen in USA und Europa erwägen Militärintervention in Libyen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Regierungen in USA und Europa erwägen Militärintervention in Libyen

Von Patrick O'Connor und Patrick Martin
4. März 2011


Spitzenbeamte der Obama-Regierung und des Kongresses sprachen bei Anhörungen am Dienstag und Mittwoch und in Erklärungen an die Medien offen über die Aussichten einer US-Militärintervention in Libyen. Gleichzeitig verlegte das Pentagon Kriegsschiffe und Militärflugzeuge in Richtung des nordafrikanischen Landes. Dieselbe Debatte wie in Washington findet auf der anderen Seite des Atlantiks unter den europäischen Mächten statt, die Teile ihrer eigenen Streitkräfte in der Region stationiert haben.

In dieser offiziellen Debatte zählen die Rechte und Interessen des libyschen Volkes überhaupt nicht. Die Imperialisten in den USA und Europa zerbrechen sich die Köpfe wegen der praktischen Schwierigkeiten bei der Stationierung militärischer Kräfte in einem riesigen und weitgehend aus Wüste bestehenden Land. Sie sorgen sich um die politischen Auswirkungen eines weiteren militärischen Eingreifens in einem überwiegend muslimischen Land, falls Libyen nach dem Irak und Afghanistan zum dritten kriegerischen Hexenkessel werden sollte.

US-Verteidigungsminister Robert Gates mahnte gestern bei einer Fragestunde des Unterausschusses für Verteidigungsfragen im Repräsentantenhaus, "es gebe derzeit, offen gesagt, viel Geschwätz über einige dieser Militäroperationen." Er fuhr fort: "Nennen wir die Dinge doch beim Namen - eine Flugverbotszone beginnt mit einem Angriff auf Libyen, um die Luftabwehr zu zerstören. Das ist die Art, wie man eine Flugverbotszone einrichtet... Ein solcher Angriff erfordert mehr Flugzeuge als ein einzelner Flugzeugträger transportieren kann. Es wäre also eine große Militäraktion in einem großen Land."

Gates wies auf die langfristigen Folgen einer Intervention in Libyen hin: "Wenn wir weitere Kräfte dahin verlegen, was wären dann die Konsequenzen für Afghanistan und für den Persischen Golf?" fragte er. "Und welche Verbündeten wären bereit, mit uns zusammenzuarbeiten?" Er schloss mit den Worten: "Wir müssen, offen gesagt, auch über den Einsatz militärischer Gewalt in einem weiteren Land des Mittleren Ostens nachdenken."

Der Chef des Pentagon beantwortete damit einen Angriff auf die Politik der Obama-Regierung durch Senator John McCain, den republikanischen Präsidentschaftskandidaten von 2008, und Senator Joseph Lieberman vom rechten Flügel der Demokraten, beide glühende Unterstützer der Bush-Administration während des Irakkrieges. McCain forderte am Dienstag gegenüber dem Atlantic Council, einem Think Tank in Washington, die USA sollten umgehend eine Flugverbotszone über Libyen einrichten.

"Natürlich brauchen wir eine Flugverbotszone", erklärte McCain. "Wir geben, Irak und Afghanistan nicht eingerechnet, mehr als 500 Milliarden Dollar für unsere nationale Verteidigung aus. Erzählt mir nicht, wir könnten keine Flugverbotszone über Tripolis einrichten." Er kritisierte die Pentagonführung, "sie forsche nach Gründen, etwas nicht zu tun, statt nach Gründen zu suchen, warum man etwas tun könne."

Der demokratische Senator John Kerry, Vorsitzender des Komitees für Auswärtige Beziehungen, bediente sich einer weniger kriegerischen Sprache, um die gleiche politische Linie zu verfolgen. Er sagte bei einer Anhörung am Mittwoch, dass, auch wenn eine Flugverbotszone "kein langfristiger Vorschlag" sei, das US-Militär bereit sein sollte, sie durchzusetzen. Er behauptete, das libysche Volk "brauche ein solches Mittel, um das Abschlachten Unschuldiger auf den Straßen Libyens zu verhindern, und ich glaube, die globale Gemeinschaft darf nicht dabeistehen und zusehen, während es Flugzeugen gestattet ist, Bomben abzuwerfen."

Vertreter der Obama-Regierung haben Mutmaßungen, eine Flugverbotszone über Libyen stehe unmittelbar bevor, heruntergespielt. Vor dem Komitee für Auswärtige Beziehungen des Senats erklärte Außenministerin Hillary Clinton: "Wir sind noch weit davon entfernt uns festzulegen, ob eine Flugverbotszone für Libyen gebraucht wird." Sie gab zu, dass sie sich sorge, "dass das Land ins Chaos fällt und zu einem gigantischen Somalia wird". Nichtsdestoweniger betonte sie: "Wir lassen große Vorsicht walten, was irgendwelche Maßnahmen betrifft, die wir ergreifen könnten und die nicht der Unterstützung humanitärer Missionen dienen."

Libyen hat ein relativ hochentwickeltes Flugabwehrsystem. Um es zerstören, wären weitflächige Bombenangriffe notwendig, die unvermeidlich zu zivilen Opfern führen würden.

Gates spricht für einen Teil des Militärestablishments, der sich angesichts der desaströsen Situation an anderen Orten über die möglichen Folgen eines weiteren potenziell lang andauernden Krieges Sorgen macht. Letzte Woche erklärte er, jeder, der auf die Stationierung großer amerikanischer Bodentruppen in Asien, dem Mittleren Osten oder Afrika dränge, sollte "seine geistige Gesundheit überprüfen" lassen.

Ähnliche Sorgen sind in Europa laut geworden. Der britische Premierminister David Cameron scheint sich von seiner kriegerischen Rhetorik verabschiedet zu haben. Zuvor hatte er die Bewaffnung der Oppositionskräfte in Libyen erwogen. Der Guardian berichtete: "Führende britische Militärs haben ihrer Sorge Ausdruck verliehen, dass Downing Street die Gefahren übersehen könne, in eine lange und potenziell gefährliche Aktion hineingezogen zu werden... zu einer Zeit, da britische Kräfte in Afghanistan überbeansprucht sind und man vor einer ernsten Haushaltskrise der Streitkräfte steht."

James Hackett vom Internationalen Institut für Strategische Studien ihn London sprach mit der Financial Times über die Bewaffnung der Oppositionskräfte in Bengasi. "Das Problem besteht darin, dass man sich fragen muss, wen man bewaffnet", warnte er. "Vermutlich hat man es mit einer Reihe verschiedener Stämme und Gemeinschaften zu tun, die nach Gaddafis Abgang sehr verschiedene Ziele verfolgen."

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle sagte, eine Flugverbotszone solle erwogen werden, warnte aber davor, "dass auf keinen Fall der Eindruck entstehen dürfe, es gehe hierbei um militärische Intervention." Er fügte hinzu, dass die öffentliche Diskussion einer europäischen oder US-amerikanischen Militäraktion nur "der Propaganda des Diktators in die Hände spiele" und den libyschen Führer Muammar Gaddafi politisch stärke.

Medienberichte über flächendeckende Luftangriffe durch Gaddafi-treue Streitkräfte haben den Ruf nach militärischer Intervention von außen weiter angefacht. Aber Admiral Mike Mullen, Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs, sagte bei einer Kongress-Anhörung in Washington, dass das US-Militär solche Angriffe nicht bestätigen könne.

Die Washington Post zitierte ebenfalls einen Spitzenbeamten der Obama-Regierung, der abstritt, dass solche Angriffe mit Ausnahme des Versuches, Waffenlager zu bombardieren, stattgefunden hätten. "Ich glaube nicht, dass wir Anzeichen dafür gesehen haben... dass sie Menschen bombardieren", sagte er der Zeitung.

Diese Eingeständnisse unterstreichen den verlogenen Charakter der von Teilen der amerikanischen und der internationalen Medien geführten Kampagne, die eine "humanitäre Intervention" in Libyen fordern.

Seit Einsetzen der Krise sind Washington und seine europäischen Verbündeten vor allem damit beschäftigt, ihre wertvollen Pfründe in der libyschen Ölindustrie zu schützen und ihre regionalen geostrategischen Interessen zu verfolgen. Die Obama-Regierung wartete zunächst ab, um zu sehen, ob es Gaddafi gelingen würde, den Aufstand niederzuschlagen. Sie wandte sich erst gegen ihren Verbündeten in Tripolis, nachdem das Regime die Kontrolle über große Teile des Landes verloren hatte.

Danach begann die Kriegshetze mit einer abgestimmten Propagandakampagne, die Libyen in die Nähe des Balkans und sogar Ruandas und des Sudans stellte. Auf diese Wiese wollte man einen Vorwand für eine Intervention schaffen, die den nordafrikanischen Staat in eine Semikolonie verwandeln soll, die sich dem Geschäft der großen Ölkonzerne bereitwillig unterwirft.

Dass kürzlich taktische Differenzen und Bedenken innerhalb der amerikanischen und der europäischen herrschenden Elite aufgetreten sind, bedeutet keinesfalls ein Ende der Bedrohung durch ausländisches Eingreifen.

Der gewaltige militärische Aufmarsch im Mittelmeer dauert an. Der amerikanische Zerstörer USS Barry und zwei Amphibien-Angriffsboote, die in der Lage sind, Hubschrauber zu tragen, Landungsboote und Hunderte von Marines sind in Stellung gebracht worden, nachdem sie vom Roten Meer aus hierher verlegt wurden. Französische, britische und andere europäische See- und Luftstreitkräfte haben ebenfalls vor der libyschen Küste Position bezogen.

Hillary Clinton hat betont, dass potenzielle logistische Schwierigkeiten bei der Einrichtung einer Flugverbotszone die Option nicht ausschließen. "Sie haben dasselbe über den Balkan gesagt", sagte sie dem Komitee für Auswärtige Beziehungen des Senats. "Zu schwierig, zu kompliziert aufrechtzuerhalten. Aber schließlich wurde entschieden, dass es im Interesse der Sicherheit lag, eine Flugverbotszone einzurichten."

Gestern reagierte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, auf die Bemerkungen der Außenministerin und sagte Reportern, "Die Tatsache, dass die Flugverbots-Idee komplex ist, heißt nicht, dass sie nicht auf dem Tisch liegt... Wir ziehen unterschiedliche Optionen aktiv in Erwägung. Wir haben noch keine Option ausgeschlossen."

In Libyen dauern die Zusammenstöße zwischen der Regierung und Oppositionskräften an. Pro-Gaddafi-Kämpfer griffen gestern den im Osten gelegenen Hafen von Brega an, der etwa 240 Kilometer von Bengasi entfernt liegt, wurden aber nach schweren Gefechten zum Rückzug gezwungen. Es wird angenommen, dass die Regierungstruppen aus Gaddafis Heimatstadt Sirte kamen, die weiterhin fest in den Händen der Regierung liegt. Sie wurden von Düsenjägern der Luftwaffe unterstützt, die den Berichten zufolge Militärlager in der Stadt bombardierten.

Martin Chulov vom Guardian berichtete aus Brega: "Der Angriff auf Brega schien eher strategisch, denn als Racheakt angelegt. Der Bereich, den die regierungstreuen Kräfte am Mittwoch hielten, bestand aus einer Universität, einem Flughafen, einer Werft und einigen Fabriken. Der Zugang zur Stromversorgung Bengasis ist nicht weit entfernt, ebenfalls liegt dort eine Ölraffinerie und die Sirte Oil Company, bei der vor der Revolution vom 17. Februar mehr als 300 Ausländer angestellt waren. Dies machte nicht den Eindruck, als ob ein beleidigter starker Mann wütend um sich schlage. Es erscheint eher wie eine kühl kalkulierte Reihe von Aktionen, die darauf abzielen, ein Gleichgewicht zu verändern, das vor einer Woche als unumkehrbar galt."

Bei anderen Zusammenstößen eroberten Gaddafis Kräfte Dehiba zurück, einen Grenzposten an der Grenze zu Tunesien. Zu schweren Kämpfen kam es auch in Ajdabiya, südlich von Bengasi, wo Oppositionskämpfer einen Angriff der Regierungstruppen zurückschlugen.

Gaddafi hielt am Dienstag eine dreistündige vom Fernsehen übertragene Rede, in der er der Opposition Zugeständnisse anbot, einschließlich einer Amnestie für kapitulierende oppositionelle Kräfte, eine neue Verfassung und freiere Medien. Er kündigte auch Niedrigzinsdarlehen und andere Maßnahmen an, um den Leuten zu helfen, ihre Häuser zu kaufen. Den USA und den europäischen Mächten drohte Gaddafi mit Krieg, falls sie eingreifen sollten und sagte, er werde chinesische und indische Ölfirmen ermutigen, ihre Geschäfte in Libyen zu übernehmen.

Die wichtigste Botschaft des Diktators jedoch lag in einem Appell an Washington, die guten Beziehungen mit seiner Regierung wieder aufleben zu lassen. Gaddafi warnte vor Al Qaida und islamistischen Kräften - wobei er das Ausmaß, in dem er an dem sogenannten "Krieg gegen den Terror" beteiligt gewesen war, unterstrich - und spielte auf die Angst der europäischen Regierungen vor einer massiven Flüchtlingswelle an. "Wir müssen verstehen, dass Libyen das Sicherheitsventil des Mittelmeerraums ist", erklärte er. "Wir sind diejenigen, die illegale Einwanderung nach Europa und den Einfluss von Bin Laden eindämmen. Seid nicht so dumm wie der Mann, der sein Haus niederbrannte, nur weil er darin eine Maus fand."

Die selbsternannte Führung einer der wichtigsten Anti-Gaddafi-Oppositionsgruppen bildete gestern einen "vorläufigen Nationalen Regierungsrat" und rief zur Einsetzung einer Flugverbotszone auf, die durch Bombardierungen US-europäischer Luftstreitkräfte abgesichert werden solle.

Der vom früheren Justizminister Mustafa Abdel-Jalil angeführte Rat, besteht zum großen Teil aus ehemaligen Militärs und Mitgliedern der Gaddafi-Regierung. Dessen Sprecher Abdel-Hafiz Hoga teilte auf einer Pressekonferenz mit, der Rat dränge auf "spezifische Angriffe" und "strategische Luftschläge" gegen Gaddafis afrikanische Söldnertruppen.

Die Haltung dieses sogenannten vorläufigen Nationalen Regierungsrates in Bengasi unterstreicht den reaktionären Charakter der bürgerlichen Führung der Opposition und die Dringlichkeit für die libysche Arbeiterklasse, ihre eigene revolutionäre Orientierung zu entwickeln. Sie muss unabhängig von allen Teilen der libyschen Bourgeoisie sein und sich auf ein sozialistisches Programm stützen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 04.03.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2011