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GLEICHHEIT/3633: Die Auswirkungen des Streiks der Lastwagen-Fahrer in Schanghai


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die Auswirkungen des Streiks der Lastwagen-Fahrer in Schanghai

Von John Chan
3. Mai 2011


Der dreitägige Streik von Tausenden von Lkw-Fahrern in Shanghai in der vergangenen Woche gegen die steigenden Kraftstoffpreise und Gebühren hat in den herrschenden Kreisen in China und international erneut Befürchtungen über die Möglichkeit einer breiteren Rebellion in der riesigen Arbeiterklasse des Landes aufgeworfen.

Nachdem es der Polizei nicht gelungen war, die Proteste mittels Einschüchterungen und Verhaftungen zu beenden, kündigte Shanghais Stadtverwaltung eine Reduzierung der Hafengebühren an, um das Risiko der Ausweitung des Streiks auf andere Arbeiter einzudämmen. Die Proteste kamen vergangenes Wochenende zwar zu einem unbefriedigenden Ende, doch keines der zugrunde liegenden Probleme konnte gelöst werden.

Die größten Unternehmen der Welt sind sich völlig bewusst, dass die weltweite Produktion und ihre Gewinne stark von der Ausbeutung der billigen Arbeitskräfte Chinas abhängig sind und jede Unterbrechung des Nachschubs von Halbfabrikaten und Produkten katastrophale ökonomische Auswirkungen haben könnte. Wie die New York Times am Donnerstag gewarnt hatte, wird Chinas "gewaltiger Export durch hocheffiziente Fabriken, niedrige Lohnkosten und eine Flotte von Containerschiffen angetrieben", aber eine Schwachstelle sei das LKW-Transport-System, das die Fabriken mit den Seehäfen verbindet.

Trotz der hohen öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur sind die Kosten für den LKW-Transport in Chinas zwei wichtigsten Export-Zonen, dem Jangtse-Fluss-Delta in der Nähe von Shanghai und dem Perlfluss-Delta in Hongkong, weit höher als in den USA, obwohl chinesische Lastwagenfahrer weniger als 25 Cent pro Stunde verdienen.

Als Folge davon werden unabhängige Lkw-Betreiber ausgequetscht. Trotz der steigenden Kosten für Treibstoff aufgrund höherer internationaler Preise und Kürzungen der staatlichen Subventionen, weigern sich die Fabrikbesitzer, den LKW-Fahrern mehr zu bezahlen. Mit zehn Millionen Lastwagen auf Chinas Straßen besteht ein riesiges Überangebot an Fahrern, die um Transportaufträge konkurrieren.

Der Streik der Lkw-Fahrer ist symptomatisch für die extremen sozialen Spannungen in der chinesischen Gesellschaft. Wie auf der ganzen Welt, wirken sich die steigenden Preise für Nahrungsmittel und Treibstoff auch in China auf die arbeitende Bevölkerung aus. Ein aktueller Bericht der Entwicklungs-Bank Asiens (Asian Development Bank, ADB) ergab, dass sich die weltweiten Lebensmittelpreise von Juni 2010 bis Februar 2011 um 40,4 Prozent erhöht hatten, wobei Zucker um 85,9 Prozent, Getreide um 67,9 Prozent und Speiseöle um 65,9 Prozent stiegen.

Der ADB-Bericht kam zu dem Schluss, dass zusätzlich 64 Millionen Menschen in den Entwicklungsländern in Asien unterhalb die Armutsgrenze von 1,25 Dollar pro Tag fallen, wenn die Lebensmittelpreise in diesem Jahr um zehn Prozent steigen. Viele von diesen Betroffenen leben in China, wo im März eine jährliche Inflationsrate von 11,7 Prozent bei den Nahrungsmitteln verzeichnet wurde. Chinesische Arbeiter sind infolge der grassierenden Immobilienspekulation auch stark von steigenden Wohnkosten betroffen.

Die irreführend "kommunistisch" genannte Regierungspartei Chinas (KPCh), die über die rasende und instabile kapitalistische Entwicklung des Landes wacht, betrachtet jede unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse mit Besorgnis. Millionen von Arbeitern schlossen sich im Jahr 1989 den studentischen Demonstrationen auf Beijings Tiananmen-Platz und in anderen Städten aufgrund der Wut über steigende Preise und die staatliche Korruption an.

In China hat alles riesige Ausmaße. Die Armee und der Sicherheitsapparat, die die Arbeiter und Studenten auf dem Tiananmen-Platz gewaltsam unterdrückt hatten, spielen eine große Rolle. Doch angesichts der chinesischen Arbeiterklasse, die an Größe und Anteil an der Bevölkerung in den vergangenen 20 Jahren zugenommen hat, sind sie winzig. Die letzte Volkszählung beziffert die städtische Bevölkerung auf 665 Millionen Menschen oder fast 50 Prozent der gesamten Bevölkerung, im Vergleich zu 298 Millionen Menschen oder 26 Prozent der Bevölkerung im Jahr 1990.

Das stalinistische Regime in Peking verfolgt die Ausbreitung der "Jasmin-Revolution" in Nordafrika und dem Nahen Osten mit Besorgnis. Es hat Internet-Aktivisten verhaftet, die über das Internet die arbeitenden Menschen dazu aufgerufen hatten, die Aufstände in Ägypten und Tunesien nachzuahmen. Bereits haben verschiedene Websites und Blogger die Lastwagenfahrer in Shanghai gegrüßt, wobei ein Blogger anmerkte, dass "der Sturm der Shanghaier Arbeiter China erschüttert" habe.

Die Lehre aus Ägypten und Tunesien ist jedoch, dass spontane Proteste und Streiks die grundlegenden Probleme der Arbeiter nicht lösen können. Der ägyptische Führer Hosni Mubarak mag gezwungen worden sein zurückzutreten, aber die Macht blieb in den Händen des Offizierskorps, das nicht zögern wird, Repression einzusetzen, um die kapitalistische Herrschaft in Ägypten zu verteidigen.

Chinesische Arbeiter sollten sich an das Ergebnis der Proteste von 1989 erinnern. Millionen schlossen sich den Demonstrationen an, aber die Führung der Bewegung blieb in den Händen der "Demokraten" und Personen wie Han Dongfang, dem Leiter der Vereinigung der Unabhängigen Arbeiter von Beijing, die allesamt eine Einigung mit dem Regime der Kommunistischen Partei Chinas suchten, statt dessen Umsturz. Ihre Perspektive war die Ausweitung des chinesischen Kapitalismus, nicht dessen Abschaffung. Ihre Manöver gaben der Regierung Zeit, sich neu zu formieren und Truppen und Panzer zu entsenden.

Im vergangenen Mai und Juni streikten junge Arbeiter in einer Reihe von Fabriken, beginnend in der Getriebe-Fabrik von Honda in Foshan, für höhere Löhne und das Recht, unabhängige Gewerkschaften zu bilden. Um die Ausbreitung der Bewegung zu verhindern, gewährten die Unternehmen mit dem Segen Beijings begrenzte Lohnerhöhungen, die jedoch von der Inflation schnell wieder aufgefressen wurden. Aber sie gewährten den Arbeitern keine eigenständigen Organisationen. Beijing fürchtet alles (Gewerkschaften, Vereine, Internetseiten, sogar religiöse Organisationen), was sich zu einer Basis für die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiter entwickeln könnte.

Die Kommunistische Partei Chinas hat die Warnzeichen, die sich in dem Lastwagenfahrer-Streik offenbart haben, erkannt und sie bereitet ihren Staatsapparat entsprechend vor. Neben den Polizeistaats-Maßnahmen benötigt das Regime dringend auch politische Mechanismen, um eine Rebellion der Arbeiterklasse zu zerstreuen und einzudämmen. Kong Xianghong, ein leitender Beamter der staatlichen Gesamtchinesischen Vereinigung der Gewerkschaften (All China Federation of Trade Unions), bemerkte kürzlich gegenüber der Washington Post: "Wir erkennen die Gefahr, dass unsere Gewerkschaft sich von den Massen abhebt." Anfang dieses Jahres eilte er rasch herbei, um einen weiteren Streik der Honda-Arbeiter zu verhindern, indem er eine 30-prozentige Lohnerhöhung aushandelte.

Bezeichnenderweise veröffentlichte die offizielle Zeitung People's Daily in einem ungewöhnlichen Kommentar in dieser Woche, zeitgleich mit dem aktuellen Vorgehen der Regierung gegen Dissidenten, einen Aufruf für mehr Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen. Die Zeitung kritisierte Beamte, die "zum Vorwurf der Verleumdung gegriffen und sogar ihre Macht eingesetzt haben, um solche abweichenden Stimmen zu unterdrücken." Dieser Appell an die Toleranz ist eine vorsichtige Annäherung an die verschiedenen "Demokraten", die ein entscheidendes Sicherheitsventil zur Verhinderung eines Aufstands der Arbeiterklasse darstellen könnten, wie sie es im Jahr 1989 taten.

Die Arbeiter müssen daraus ihre eigenen Schlüsse ziehen. Der Kampf für demokratische Rechte und einen anständigen Lebensstandard bedeutet zwangsläufig einen politischen Kampf gegen das Regime der Kommunistischen Partei Chinas und das kapitalistische System, auf das sie sich stützt. Ein solcher Kampf erfordert den Aufbau einer politischen Partei auf der Grundlage der historischen Erfahrungen der arbeitenden Klasse, vor allem auf den Lehren aus dem politischen Kampf der trotzkistischen Bewegung gegen den Stalinismus. Das bedeutet den Aufbau einer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in China.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 03.05.2011
Die Auswirkungen des Streiks der Lastwagen-Fahrer in Schanghai
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2011