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GLEICHHEIT/3646: Griechenland-Krise löst heftige Konflikte in der EU aus


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Griechenland-Krise löst heftige Konflikte in der EU aus

Von Peter Schwarz
11. Mai 2011


Gerüchte über den möglichen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro und ein geheimes Treffen europäischer Finanzminister haben heftige Konflikte innerhalb der Europäischen Union ausgelöst.

Die Online-Ausgabe des Spiegels hatte am Freitag gemeldet, Griechenland überlege sich, aus der Eurozone auszutreten und die Drachme wieder als nationale Währung einzuführen. Die Finanzminister der größten Euroländer träfen sich in Luxemburg mit Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Jean-Claude Trichet und EU-Kommissar Olli Rehn, um darüber zu beraten.

Die Meldung löste heftige Turbulenzen an den Finanzmärkten aus. Der Euro verlor gegenüber dem Dollar deutlich an Wert. Jean-Claude Juncker leugnete das Treffen anfangs, obwohl er selbst dazu eingeladen hatte. Der griechische Regierungschef Giorgos Papandreou bestritt, dass es Ausstiegspläne aus dem Euro gebe, und tobte: "Solche Szenarien bewegen sich an der Grenze des Kriminellen." Auch andere Regierungen und die EZB dementierten das Vorhandensein von Ausstiegsplänen. "Kein Land der Euro-Zone will den Euro aufgeben", sagte EZB-Führungsmitglied Erkki Liikanen.

Trotzdem häufen sich seither Spekulationen über die möglichen Folgen eines griechischen Austritts aus der Eurozone. Ökonomen, Politiker und Redakteure diskutieren eifrig das Für und Wider eines solchen Schritts.

Der Umgangston zwischen den Hauptstädten wird dabei immer gereizter. Berlin wird wegen der Spiegel-Meldung beschuldigt, es verbreite gezielt vertrauliche Informationen. "In Deutschland gibt es Personen, die absichtlich Gerüchte und Halbwahrheiten streuen", zitiert die Süddeutsche Zeitung einen Kritiker. "Sie handeln entweder verantwortungslos oder verfolgen eine eigene Agenda." Einen anderen hochrangigen Vertreter der Euro-Länder zitiert die Zeitung mit den Worten, Berlin werfe "Griechenland und den Euro den Spekulanten zum Fraß vor".

Vor einem Jahr hatten die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds ein 110 Milliarden Euro schweres Rettungsprogramm für Griechenland beschlossen und der Regierung in Athen drastische Sparmaßnahmen diktiert. Inzwischen ist offensichtlich, dass Griechenland trotz - oder gerade wegen - dieses Programms immer tiefer in die Schuldenfalle rutscht.

Die Regierung Papandreou hat zwar drastische Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben verfügt. So sind die Einkommen im öffentlichen Dienst um 30 Prozent gesunken. Doch die Sparmaßnahmen haben eine Rezession ausgelöst, die alle Einsparungen wieder auffrisst. Nach Angaben des Finanzministeriums lagen die staatlichen Einnahmen in den ersten vier Monaten dieses Jahres mit 15,1 Milliarden Euro um 1,3 Milliarden unter der Summe, die zur Erfüllung der Vorgaben von EU und IWF nötig wäre.

Im vergangenen Jahr sank die Wirtschaftsleistung um 4,5 Prozent und die Gesamtverschuldung stieg auf 142 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es gab 65.000 Insolvenzen, über 200.000 Menschen verloren ihren Job. In Athen steht inzwischen jedes fünfte Geschäft leer. Auf dem Land ist die Lage noch schlimmer. Alle Zahlen deuten darauf hin, dass sich die Rezession weiter verschärft. So lag die Zahl der erteilten Baugenehmigungen im Januar 2011 um 62 Prozent niedriger als im selben Vorjahresmonat. Der Verkauf von Neuwagen halbierte sich in den ersten vier Monaten im Vergleich zur selben Periode des letzten Jahres.

Der Plan von EU und IWF sah vor, dass Griechenland seinen Kreditbedarf bis 2013 aus den 110 Milliarden des Rettungsprogramms deckt. Nach und nach sollte es dann über Staatsanleihen auch wieder Mittel am Kapitalmarkt besorgen. Doch inzwischen ist die Hälfte des Rettungsfonds aufgebraucht und die restlichen 55 Milliarden Euro reichen voraussichtlich nur noch bis zum Frühjahr 2012. Gleichzeitig ist der Zugang zum Kapitalmarkt versperrt. Die Ratingagenturen haben das Land so weit herabgestuft, dass es für zweijährige Anleihen 25 Prozent Zinsen zahlen muss - was die Verschuldung ins Gigantische steigern würde.

Geschieht nichts, muss Griechenland im kommenden Frühjahr Staatsbankrott anmelden. Auf die europäischen Regierungen kämen in diesem Fall erhebliche Kosten zu.

Das Rettungspaket hat nämlich bewirkt, dass ein wachsender Teil der griechischen Staatschulden nicht mehr von Privatbanken, sondern von öffentlichen Institutionen gehalten wird. Befanden sich die griechischen Staatsschulden 2009 noch zu 100 Prozent im Besitz privater Gläubiger, sind sie mittlerweile zu 37 Prozent in der Hand von EU, IWF und EZB. "Die Belastung verschiebt sich massiv von der privaten in die öffentliche Hand", kommentiert dies Unicredit-Banker Andreas Rees.

Bis 2013 soll der öffentliche Anteil über 50 Prozent steigen. Private Anleger werden dann voraussichtlich nur noch griechische Staatschulden im Wert von 180 Milliarden Euro halten, im Vergleich zu knapp 300 Milliarden im Jahr 2009. Das Rettungsprogramm für Griechenland entpuppt sich so als Rettungsprogramm für die Privatbanken.

Der drohende griechische Staatsbankrott hat zu heftigen Konflikten innerhalb der EU geführt. Vor allem in Deutschland mehren sich die Stimmen, die für eine Umschuldung oder für die Verdrängung Griechenlands aus dem Euroraum plädieren.

So warb der Chef des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, in den vergangenen Tagen in mehreren Interviews für eine Rückkehr Griechenlands zur nationalen Währung. "Jeder Versuch, Griechenland in der Eurozone zu stabilisieren und zu halten, ist ein Fass ohne Boden. Wenn man Griechenland drin lässt, wird das den Euro destabilisieren", sagte er. Mit der Rückkehr zur Drachme könne Griechenland abwerten und wieder wettbewerbsfähig werden.

Ähnlich argumentierte der Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Worms, Max Otte. "Ein Ausscheiden aus dem Euro würde Griechenland helfen, durch externe Abwertung seine Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen. Damit könnte sich das Land im Laufe der Zeit selber sanieren, ohne dies als Diktat vom Ausland zu empfinden", sagte er dem Handelsblatt.

Auch der Finanzexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Frank Schäffler, rief dazu auf, einen Ausstieg Griechenlands aus der Euro-Zone "positiv zu unterstützen, denn wir sehen jetzt, dass die Griechenland-Hilfe und die Sparauflagen wie Brandbeschleuniger gewirkt und die Krise weiter verschärft haben".

Andere Fachleute warnen dagegen vor den explosiven Folgen eines solchen Schritts: Gewaltige Preissteigerungen für Energieimporte und andere Einfuhren, ein Run auf die griechischen Banken und eine massive Kapitalflucht. Die öffentlichen und privaten Schulden würden zudem weiterhin in Euro gerechnet. "Deren Bedienung wäre unmöglich und der griechische Staat wäre sofort zahlungsunfähig", warnte der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn.

Die griechischen Banken und Pensionskassen, die dem griechischen Staat 75 Milliarden Euro geliehen haben, wären ebenfalls Pleite. Die Exportwirtschaft könnte dagegen von der Abwertung nur wenig profitieren, da die Ausfuhren in dem industriearmen Land lediglich 7 Prozent zum BIP beisteuern.

Mit anderen Worten, die Einführung der Drachme hätte den Staatsbankrott und eine massive Inflation zur Folge. Sie würde das Lebensniveau breiter Bevölkerungsschichten - ähnlich wie die große Inflation in Deutschland 1923 - dezimieren.

Regierungsvertreter warnen außerdem, ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone werde Irland, Portugal und Spanien mit in den Strudel ziehen und das Ende des Euro herbeiführen würde. "Wir wollen nicht, dass der Euro-Raum ohne Grund explodiert", kommentierte Euro-Gruppenchef Jean-Clause Juncker den Vorschlag.

Trotzdem hält in Deutschland eine kleine, aber einflussreiche Minderheit daran fest, Griechenland aus dem Euroraum zu drängen. Noch wesentlich breitere Unterstützung findet die Forderung nach einer Umschuldung Griechenlands. Die deutsche Regierung tritt nur deshalb nicht öffentlich dafür ein, weil sie eine heftige Reaktion der Finanzmärkte fürchtet, die auch auf Irland, Portugal und Spanien übergreifen könnte.

Über diese Frage gibt es scharfe Konflikte mit anderen Ländern, insbesondere mit Frankreich, dessen Banken und Regierung die mit Abstand höchsten Summen an Griechenland verliehen haben. Im Gegensatz zum bisherigen Rettungspaket, in dessen Rahmen lediglich Kredite an Griechenland vergeben wurden, wären im Falle einer Umschuldung Milliardensummen unwiderruflich verloren.

Die deutschen Banken sind offenbar zum Schluss gekommen, dass sie eine Umschuldung, bei der Griechenland bis zu 50 Prozent seiner Schulden erlassen werden, verkraften können. Für Frankreich und andere Länder dürfte eine Umschuldung dagegen wesentlich schwerer zu tragen sein. Für die griechische Bevölkerung wäre sie - wie schon das derzeitige Rettungspaket - mit weiteren Sparauflagen und Angriffen auf den Lebensstandard verbunden.

Nach Angaben von SpiegelOnline würde ein Schuldenerlass von 50 Prozent die deutschen Banken, die Bundesregierung und die Bundesbank insgesamt 27 Milliarden Euro kosten. Davon entfallen aber lediglich 9 Milliarden auf Privatbanken, von denen wiederum der Löwenanteil bei der Hypo Real Estate liegt, die sich in Staatsbesitz befindet.

Diese Summe ist nur relativ hoch. Vergleicht man sie mit den Kosten der deutschen Einheit, die sich in den vergangenen zwanzig Jahren auf weit über eine Billion Euro beliefen, ist sie eher bescheiden. Auch der deutsche Exportüberschuss von jährlich an die 200 Milliarden Euro beträgt ein Vielfaches dieser Summe. Hinzu kommt, dass eine Umschuldung für Deutschland umso teurer kommt, je länger sie hinausgeschoben wird.

Einige Kommentare sind zum Schluss gelangt, dass das eigentliche Problem in der Griechenlandkrise nicht finanzieller, sondern politischer Natur ist. Unter dem Druck der internationalen Finanzkrise setzen sich nationale Interessen immer stärker gegen gesamteuropäische Interessen durch.

So schreibt Europa-Kolumnist Wolfgang Münchau in der Financial Times: "Die Schlüsselfrage in der Krise der Eurozone ist nicht die Gesamthöhe der Staatsverschuldung der Länder an der Peripherie. Diese ist, gemessen am Bruttoinlandsprodukt der Währungsunion, relativ gering. Das Verhältnis der Schulden zum BIP in der gesamten Region ist geringer als im Vereinigten Königreich, den USA oder Japan. Aus makroökonomischer Sicht handelt es sich um einen Sturm im Wasserglas. Das Problem besteht darin, dass die Eurozone politisch unfähig ist, eine Krise zu handhaben, die mittlerweile ansteckend geworden ist und massive Kollateralschäden verursachen kann."

Ähnlich argumentiert Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt in der Zeit. Die angebliche Krise des Euro sei "vielmehr eine Krise der Handlungsfähigkeit der EU insgesamt", schreibt er. "Weder gibt es eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, noch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (siehe Libyen!) oder eine gemeinsame Energiepolitik."

Laut jüngsten Agenturmeldungen bereitet die EU jetzt eine Aufstockung des Rettungspakts für Griechenland um 30 bis 60 Milliarden Euro vor, verbunden mit weiteren Sparvorgaben an die griechische Regierung. Doch das wird das Problem nur hinausschieben und die Krise verschärfen, ohne sie zu lösen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 11.05.2011
Griechenland-Krise löst heftige Konflikte in der EU aus
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2011