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GLEICHHEIT/3783: Finanzmärkte brechen aus Angst vor neuer Rezession ein


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Finanzmärkte brechen aus Angst vor neuer Rezession ein

Von Alex Lantier
6. August 2011


Gestern brachen die Aktienmärkte in Europa und den Vereinigten Staaten aufgrund der wachsenden Furcht vor einem weiteren Abschwung der Weltwirtschaft und einer großen Schuldenkrise in Europa, sowie wachsenden weltweiten Spannungen durch die Schwäche des US-Dollars ein.

Der amerikanische Aktienindex Dow Jones schloss mit einem Verlust von 4,3 Prozent, oder 512,61 Punkten. Dies ist der tiefste Absturz seit dem Zusammenbruch im Jahr 2008. Die anderen amerikanischen Aktienindizes fielen noch tiefer - der NASDAQ, der sich auf Technologieunternehmen konzentriert, fiel um 5,08 Prozent, der breiter aufgestellte Index S&P 500 verlor 4,78 Prozent an Wert. Es gab starke Rückgänge in allen Teilen der Wirtschaft, aber die schwersten Verluste hatten Rohstoff-, Energie-, Rüstungs- und Investitionsgüterunternehmen zu verzeichnen.

Die Aktienmärkte in Europa brachen ebenfalls stark ein. Der italienische Aktienindex verlor mit 5,16 Prozent am meisten. Die französischen, deutschen und spanischen Indizes fielen alle um mehr als drei Prozent. Die Aktien von Banken fielen aufgrund der Furcht vor einer erneuten Schuldenkrise in Europa besonders stark.

Die Nachrichtenagentur des Dow Jones beschrieb die Stimmung auf den Aktien-, Währungs- und Warenmärkten als "nahe an der Panik." Die Mailander Börse schloss 30 Minuten früher als normalerweise, und die transatlantische NYSE Euronext brachte kurzzeitig keine Aktualisierungen über die Lage an den Börsen von Paris, Amsterdam und Lissabon.

Die Ölpreise sanken stark, was auf Befürchtungen hindeutet, dass die industrielle und wirtschaftliche Aktivität weiter sinkt.

Ölhändler sind besorgt, dass der amerikanische Arbeitsmarktbericht, der heute veröffentlicht wird, einen deutlichen Einbruch der amerikanischen Wirtschaft zeigen wird. Amrita Sen, eine Ölmarktanalystin von Barclays Capital, korrigierte ihre Vorhersage der weltweiten Ölnachfrage von 1,56 Millionen Barrel auf 1,1 Millionen Barrel pro Tag und sagte der Financial Times: "Im Moment sehen die Zahlen aus den USA viel schwächer aus, und das beeinträchtigt die Stimmung sehr."

Die Politik, die die Finanzaristokratie in Europa und den Vereinigten Staaten verfolgt - darunter die schweren Angriffe auf die Arbeiterklasse, wie die kürzlich abgeschlossene Vereinbarung über Haushaltskürzungen in Höhe von 2,4 Billionen Dollar in den Vereinigten Staaten - verschlimmert die weltweite wirtschaftliche Rezession.

Nach einer Pressekonferenz des Chefs der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, sind Italien und Spanien die Hauptursachen der Furcht vor einer weiteren Schuldenkrise der europäischen Regierungen. Trichet sagte, die EZB würde Staatsanleihen europäischer Regierungen kaufen, wodurch diese Geld erhalten, um einen Staatsbankrott abzuwenden. Allerdings kamen Fragen auf, wie viel Geld die EZB zu geben bereit sei, und welche Länder es erhalten sollen. Trichet gab zu, dass die Entscheidung des EZB-Rates nicht einstimmig war - womit er andeutete, dass die EZB es auch ablehnen könne, Regierungen mit großen Geldmengen zu versorgen.

Unter Berufung auf "Quellen aus dem Markt", die die Transaktionen der EZB verwalteten - die offiziell geheim gehalten werden - meldeten Bloomberg News und AFP, dass die EZB nur irische und portugiesische Staatsanleihen kaufe. Laut diesen Meldungen erhalten die Regierungen Spaniens und Italiens kein Geld von der EZB. Trichet weigerte sich, zu bestätigen oder zu leugnen, dass die EZB Italien und Spanien unterstützt.

Der EZB-Chef stellte sich hinter die Forderungen der Finanzmärkte nach neuen und heftigeren Angriffen auf die Arbeiterklasse: Er forderte eine "erneute Verpflichtung aller Staats- und Regierungschefs der Eurozone, sich streng an die gesetzten finanziellen Ziele zu halten. Für mehrere Länder bedeutet dies die Ankündigung und Durchsetzung zusätzlicher, stärkerer finanzieller Sanierungsmaßnahmen."

Diese Warnung richtete sich besonders an die Regierungen von Spanien und Italien. Der spanische Premierminister José Zapatero hatte letzte Woche angesichts andauernder Proteste gegen die Sozialkürzungen, die seine zutiefst unpopuläre Regierung beschlossen hatte, für den November Neuwahlen angekündigt. Es ist noch nicht sicher, ob Zapatero vor dem Wahlkampf weitere Kürzungen durchsetzen wird.

Was den italienischen Premierminister Silvio Berlusconi angeht, so hat seine Regierung letzten Monat Kürzungen in Höhe von 79 Milliarden Euro durchgesetzt. Diese Summe kam hauptsächlich durch arbeiterfeindliche Maßnahmen wie Anhebung des Rentenalters, Anhebung der Gebühren für medizinische Behandlung und weitere Einschnitte im Sozial- und Kulturbereich zustande.

Angesichts des wachsenden Widerstandes der italienischen Arbeiterklasse hielt Berlusconi allerdings am 3. August eine Rede, in der er andeutete, es würde keine weiteren Sparmaßnahmen geben. Er bezeichnete die bisherigen Kürzungen als ausreichend und fügte hinzu: "Das ist keine italienische Krise, sondern eine weltweite... Wir werden uns nicht der Nervosität der Märkte beugen."

Die Investoren reagierten darauf, indem sie die Zinsen für italienische und spanische Staatsanleihen auf 6,19 Prozent für Italien und 6,28 Prozent für Spanien hochtrieben - auf diesem Niveau droht den beiden Staaten der Bankrott. Italien hat bereits ausstehende Schulden in Höhe von 1,6 Billionen Euro, weitaus mehr als kleine Länder wie Griechenland oder Irland, die sich seit 2009 in Schuldenkrisen befinden. Italien ist zu groß, als dass ihm mit dem 440 Milliarden Euro schweren Europäischen Stabilitätsfond geholfen werden kann.

Wenn sich die EZB weigert, Italien mit Geld auszuhelfen, käme es daher zu einer schweren Finanzkrise: Zu einem großen Staatsbankrott in Italien oder möglicherweise Italiens Austritt aus dem, Euro, damit es unabhängig von der EZB sein eigenes Geld drucken kann.

In den Vereinigten Staaten kamen zu dem Zusammenbruch der europäischen Märkte noch eine Reihe von schlechten Nachrichten aus der Wirtschaft und über die Stellung des US-Dollars hinzu - und zu allem noch die Nervosität wegen der Ergebnisse des heute erscheinenden Arbeitsmarktberichtes.

Das amerikanische Wirtschaftswachstum wurde vor kurzem auf nichtige 0,4 Prozent und 1,3 Prozent in den ersten zwei Quartalen dieses Jahres korrigiert. Die Verbraucherausgaben sanken im Juni um 0,2 Prozent, während die Löhne und Arbeitsplätze der amerikanischen Arbeiter weiter abnehmen. Durch die kürzlichen Verhandlungen über den Staatshaushalt drohen außerdem vielen amerikanischen Arbeitern tiefe Einschnitte in wichtige Sozialprogramme - darunter auch in Medicaid, Lebensmittelmarken, Medicare und bei den Renten, was deren finanzielle Lage und die allgemeine Wirtschaftslage weiter verschlechtern wird.

Erste wöchentliche Arbeitslosenzahlen von 400.000, die am Donnerstag veröffentlicht wurden, zeigen dass die amerikanische Arbeitslosenquote, die bereits (laut offiziellen Zahlen) bei 9,2 Prozent liegt, sich nicht verbessern wird. In einem Bericht des Congressional Joint Economic Committee heißt es, dass 42 Prozent der 14,2 Millionen Arbeitslosen in den Vereinigten Staaten länger als sechs Monate arbeitslos waren, und dass Arbeitgeber sich weigern, Langzeitarbeitslose einzustellen.

Der Dollar stieg kurzzeitig, was zum Teil eine Reaktion auf den leichten Fall des Euro aufgrund der schlechten Wirtschaftsnachrichten aus Europa war. Allerdings liegt es hauptsächlich an japanischen und schweizerischen Bemühungen, den schnellen Verfall des Dollars gegenüber ihren eigenen Währungen rückgängig zu machen. Dahinter steht die amerikanische Finanzpolitik, den Wert des Dollars durch niedrige Zinsen und das Drucken von Geld zu senken, das dann den Banken gegeben wird.

Diese Politik spielte nach der Wirtschaftskrise von 2008 eine wichtige Rolle bei der Umverteilung des Wohlstands von der Arbeiterklasse zur Wall Street. Sie hat auch die Wirtschaften mehrerer anderer Länder beschädigt, darunter Japan und die Schweiz. Deren Währungen nehmen schnell an Wert zu, da Investoren aus der Eurozone und den USA versuchen, Verluste zu vermeiden, indem sie in den relativ stabilen japanischen Yen und den Schweizer Franken investieren. Das droht allerdings, die japanische und schweizerische Exportwirtschaft zu schädigen.

Finanzanalyst Masafumi Yamamoto sagte der Financial Times, die japanischen Behörden könnten für bis zu 39 Billionen Yen auf dem Weltmarkt Dollars kaufen, allerdings würde dadurch die Wertsteigerung der japanischen Währung um nur einen Monat verzögert.

Die Schweizer Behörden sind in ähnlicher Weise eingeschritten, und haben am 3. August Dollars gekauft. Sie gaben 50 Milliarden Schweizer Franken aus, um den Dollar aus einem beispiellosen Tief von 0,77 Schweizer Franken zu holen. Die Schweizer Nationalbank (SNB), die den Ankauf durchführte, gab eine Erklärung ab, der Schweizer Franken sei "stark überbewertet". Sie fügte hinzu, dass die Stärke des Franken zu einer "substanziellen Verschlechterung" der schweizerischen Wirtschaftslage geführt habe.

Finanzanalysten wiesen auch auf die Möglichkeit hin, dass die US-Politik der Entwertung des Dollars zu einem unkontrollierten Zusammenbruch des Dollars und einer weltweiten finanziellen Kernschmelze führen könnte, da die Zentralbanken anderer Länder darum konkurrieren, den Wert ihrer Währungen herunterzutreiben.

Steve Barrow von der Standard Bank sagte der Financial Times, es bestehe die Möglichkeit eines "Wertverlustes des Dollars gegenüber dem Yen und dem Schweizer Franken, wodurch die weltweite Finanzstabilität bedroht wäre und nicht nur die Bank von Japan und die Schweizer Nationalbank mit hineingezogen würde, sondern auch andere Zentralbanken."


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Quelle:
World Socialist Web Site, 06.08.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2011