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GLEICHHEIT/3924: Nach dem G-20-Gipfel - Die weltweite Rezession rückt näher


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Nach dem G-20-Gipfel: Die weltweite Rezession rückt näher

Von Nick Beams
8. November 2011


Das G-20-Treffen in Cannes hat einmal mehr die tiefen Gräben in der Weltwirtschaft und die Unfähigkeit der herrschenden Eliten gezeigt, die Probleme auch nur in Angriff zu nehmen, von ihrer Lösung ganz zu schweigen.

Der Beginn des Treffens wurde überschattet von Ängsten vor den Folgen eines Staatsbankrotts Griechenlands und seines möglichen Austritts aus der Eurozone. Das Treffen endete in heilloser Verwirrung angesichts der Sorgen, dass Italien Griechenlands Platz im Zentrum der europäischen Schuldenkrise einnehmen könne.

Der britische Guardian beschrieb den zweiten Tag der Gespräche als einen Tag "erbarmungslos düsterer Stimmung". Er warnte, dass eine "weltweite Rezession näher gerückt ist, nachdem ein zersplitterter G-20-Gipfel es nicht geschafft hat, sich auf frische Finanzhilfen für bedrohte Länder zu einigen und das schuldengeschüttelte Italien gezwungen wurde, die Überwachung seines Sparprogramms durch den IWF hinzunehmen."

Im Vorfeld des Gipfels hatte es geheißen, man werde sich darauf einigen, die Finanzmittel des IWF zur Abmilderung der Krise um 250 Milliarden US-Dollar aufzustocken. Aber Unstimmigkeiten wegen des Vorschlags - die USA und Großbritannien haben sich weiterer Stützung durch den IWF entschieden widersetzt - führten dazu, dass eine Entscheidung auf ein Treffen der G-20-Finanzminister im Februar verschoben wurde.

Der Beginn des Treffens stand ganz im Zeichen Griechenlands, nachdem Premierminister Georgios Papandreou angekündigt hatte, einen Volksentscheid über das vom Eurogipfel am 27. Oktober diktierte Sparprogramm abzuhalten. Unter heftigem Druck von Seiten Deutschlands und Frankreichs zog Papandreou den Plan zurück. Als die griechische Opposition ankündigte, sie werde das Sparprogramm unterstützen, begrüßte Papandreou die neugewonnene "Übereinstimmung".

Die griechische Krise beherrschte den G-20-Gipfel nicht nur, weil eine Zahlungsunfähigkeit und der Austritt aus der Eurozone eine finanzielle Kettenreaktion in Gang setzen würden - so ernst solche Folgen auch sein mögen. Läge das Problem nur in der griechischen 350-Milliarden-Dollar-Schuld, könnte es relativ einfach durch eine Finanzspritze vom Rest der Eurozone gelöst werden. Die Tatsache, dass das nicht geht, zeigt, dass die Krise tiefe Wurzeln in der Struktur der Eurozone selbst hat.

Die Errichtung der Eurozone 1999 wurde durch mächtige wirtschaftliche Kräfte angetrieben, die die Einführung einer gemeinsamen Währung notwendig machten, um Transaktionskosten zu senken und die Bewegung von Finanzströmen innerhalb der zunehmend integrierten europäischen Wirtschaft zu erleichtern.

Die finanzielle Integration ging aber nicht so weit, eine Zentralbank einzurichten, die bei Liquiditätsengpässen als Kreditgeber letzter Instanz hätte einspringen können. Dies wurde durch die stärkeren nordeuropäischen Volkswirtschaften, insbesondere Deutschland, mit dem Argument verhindert, dass die Eurozone eine "Transfer-Union" werden könnte, in der Finanzmittel ständig in Richtung ärmerer Regionen fließen würden.

Anders ausgedrückt verkörperte die Eurozone bereits in ihrer Anlage einen der grundlegendsten Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft: den zwischen dem integrierten Charakter wirtschaftlicher Aktivitäten und den aufeinanderprallenden Interessen rivalisierender Nationalstaaten.

Seit dem Ausbruch der Staatsschuldenkrise versucht man, dieses fatale Manko zu überwinden. Die European Financial Stability Facility (EFSF), die im Mai 2010 eingerichtet wurde, als sich die griechische Finanzkrise entfaltete und die seitdem auf den Gipfeln im Juli und im Oktober aufgestockt wurde, soll Rettungspakte für verschuldete Länder zur Verfügung stellen. Aber es handelt sich nicht um eine Einrichtung mit eigenen Geldern, die als Kreditgeber letzter Instanz aktiv werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine Zweckgemeinschaft zur Kapitalbeschaffung für verschuldete Länder auf den internationalen Kapitalmärkten.

Die EFSF überwindet die Widersprüche der Eurozone nicht, sie reproduziert sie nur in noch bizarrerer Form. Unter dem Dach der EFSF treten alle Länder der Eurozone als Bürgen auf den Finanzmärkten auf. Das heißt, dass die verschuldeten Länder als Gläubiger der Gelder auftreten, mit denen sie angeblich gerettet werden sollen. Sollte ein Land wie Italien - ein Hauptgläubiger - ein Rettungspaket benötigen, taucht über der Fähigkeit der EFSF, die notwendigen Gelder auf internationalen Märkten zu mobilisieren, ein riesiges Fragezeichen auf.

Das G-20-Treffen half nicht weiter. Die Vorstellung, dass der IWF der EFSF Geld leihen könnte, wurde im Keim erstickt, als die leitende Direktorin Christine Lagarde klarstellte, dass der IWF "Gelder an Länder und nicht an Einrichtungen vergibt".

Das explosive Potential der Widersprüche, in deren Würgegriff sich die Weltwirtschaft befindet, zeigte sich zu Beginn der Konferenz in den Kommentaren über den griechischen Volksabstimmungs-Vorschlag und die Aussicht einer Staatsinsolvenz. Der ehemalige britische Labour-Abgeordnete Lord Soley sagte: "Wenn die Geschichte dieser Epoche geschrieben wird, kann es gut sein, dass die griechische Entscheidung als ökonomisches Pendant zur Ermordung des Erzherzogs Ferdinand in Sarajewo 1914 betrachtet wird. Sie wird weit über die Grenzen Griechenlands oder auch Europas hinaus Folgen haben."

Ein Leitartikel der Financial Times erinnerte ebenfalls an den Funken, der den ersten Weltkrieg auslöste. "Vom ökonomischen Gesichtspunkt aus verfügt die Eurozone über die Mittel, die es braucht, um die Krise ohne Hilfe von außen zu lösen. Sie muss handeln. Das zwanzigste Jahrhundert begann damit, dass ein kleiner Balkanstaat die Welt in die Luft sprengte. Es darf der Geschichte nicht erlaubt werden, sich im 21. Jahrhundert zu wiederholen. Es stimmt etwas ganz Grundlegendes nicht mit der Weltwirtschaft, wenn ein kleines Land wie Griechenland zu einer solch großen Bedrohung werden kann."

Das ist in der Tat richtig. Die Widersprüche, die den weltweiten Kapitalismus zersetzen, schaffen an allen Ecken und Enden potenzielle "Sarajewo-Momente." Genau diese Konflikte bildeten den Kern des G-20-Treffens.

Die Europäer verlangen Gelder des IWF für die EFSF, doch das verhindern die USA und Großbritannien. Die USA verlangen, dass China den Renminbi aufwertet, aber das chinesische Regime kann das aus Sorge um seine internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht tun. Es herrscht fast weltweite Einigkeit darüber, dass ein "Überschuss"-Land wie Deutschland die heimischen Ausgaben erhöhen und den Konsum anfachen muss, um weltweite Ungleichgewichte auszugleichen. Deutschland wiederum besteht darauf, dass nicht seine Überschüsse, sondern die Schulden anderer Länder das Problem sind. Die Liste ließe sich fortsetzen... Jeder für sich und den Letzten beißen die Hunde.

Am Ende des Gipfels rief das offizielle Kommuniqué wie schon so oft zu Maßnahmen auf, "die das wirtschaftliche Wachstum beleben". Der "Aktionsplan" für Wachstum und Arbeitsplätze enthielt jedoch, wie die Financial Times anmerkt, "nichts, was die betroffenen Länder nicht ohnehin schon unternehmen." Der ehemalige IWF-Funktionär Eswar Prasad wurde mit den Worten zitiert, das G-20-Treffen enthalte nichts als "vage Versprechungen für die Zukunft und eine Reihe von kurzfristigen Reparaturmaßnahmen, die für die politische Lage in einzelnen Ländern brenzlig sind".

In anderen Worten: Eine Lösung der weltweiten Krise kann wegen des unüberbrückbaren Konfliktes nationaler Interessen unter den kapitalistischen Großmächten nicht einmal ansatzweise gefunden werden

Der Ausbruch dieses Konfliktes im Zentrum der Weltwirtschaft und der Weltpolitik hat die weitreichendste historische Bedeutung. Marx hat erklärt, dass eine revolutionäre Epoche eintritt, wenn "die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft mit den bestehenden Produktionsverhältnissen in Konflikt geraten". Eine solche Periode hat jetzt begonnen. Die herrschenden globalen Eliten haben keine Antwort auf die Krise ihres Systems - außer man betrachtet Krieg, Depression und die Verarmung von Millionen von Menschen als Lösung. Die Krise kann nur auf progressiver Grundlage nur durch den Kampf der weltweiten Arbeiterklasse für das Programm des internationalen Sozialismus gelöst werden.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 08.11.2011
Nach dem G-20-Gipfel: Die weltweite Rezession rückt näher
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2011