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GLEICHHEIT/3935: Syrien - Ausschluss aus Arabischer Liga erhöht Wahrscheinlichkeit einer Militärintervention


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Syriens Ausschluss aus der Arabischen Liga erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Militärintervention

Von Chris Marsden
15. November 2011


Die Entscheidung der Arabischen Liga, Syrien auszuschließen, vergrößert die Wahrscheinlichkeit einer Militärintervention ausländischer Mächte in einen Konflikt, der praktisch bereits ein Bürgerkrieg ist.

Bei einem Treffen in Kairo am Samstag wurde Syrien darüber in Kenntnis gesetzt, dass es aus der Arabischen Liga ausgeschlossen und mit Sanktionen belegt werde, wenn es sein gewaltsames Vorgehen gegen Regierungsgegner nicht einstellt.

Seit Mittwoch stimmten insgesamt achtzehn Länder für den Ausschluss. Nur Syrien, Libanon und der Jemen stimmten dagegen, der Irak enthielt sich.

In den Städten Damaskus, Aleppo, Raqqa, Lattakia, Tartous, Hasaka und Sweida demonstrierten zehntausende gegen den Beschluss. Es kam außerdem zu Übergriffen auf die Konsulate von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei.

Der Grund für den Rückhalt, den das baathistische Regime von Bashir Assad trotz seines repressiven Charakters in Damaskus und anderen Städten genießt, ist hauptsächlich die Angst vor der Alternative: - ein religiös dominiertes sunnitisch-islamisches Regime, das Aleviten, Christen und andere Minderheiten verfolgen würde, und die wachsende Gefahr einer Militärintervention durch ausländische Mächte.

Der vorgeschobene Grund für Syriens Ausschluss aus der Arabischen Liga - die Zahl von über 3.500 Opfern in dem Konflikt- ist unglaubwürdig. Nicht nur, dass viele der despotischen Regimes, die die Resolution unterzeichnet haben, darunter auch das Gastgeberland Ägypten, ihre eigenen Völker brutal unterdrücken, sondern sie sind auch direkt daran beteiligt, die Widerstandsbewegung in Syrien mit Waffen zu versorgen und zu organisieren.

Der Ausschluss Syriens erinnert an die Entscheidung vom 23. Februar, Libyen aus der Arabischen Liga auszuschließen, was es der Nato erleichterte, einen Aufstand zu unterstützen und damit den Regimewechsel herbeizuführen. Bisher ist der scheinbar einzige Unterschied, dass die Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien und die anderen Großmächte sich diesmal verdeckt Stellvertretern aus der Region bedienen könnten, wie der Türkei, Saudi-Arabiens und Ägyptens.

Bezeichnenderweise war der Stellvertretende US-Außenminister Jeffrey Feltman bei dem Treffen in Kairo anwesend. Der Premier- und Außenminister von Katar Hamad bin Jassem bin Jabr al Thani, sah sich gezwungen, wegen der offensichtlichen Parallele zwischen Libyen und Syrien anzumerken: "Niemand spricht von einer Flugverbotszone. Das muss eine Verwechslung sein."

Vertreter Syriens, darunter Assad, haben wiederholt erklärt, dass die Widerstandsbewegung in Syrien in hohem Maße von ausländischen Mächten finanziert und mit Waffen versorgt wird, und wiederholten das nach der Abstimmung. Der syrische stellvertretende Außenminister Faisal al-Mikdad sagte, die Terrorgruppen in Syrien "werden auf inoffiziellen Wegen von der Türkei, Saudi-Arabien, dem Libanon und Jordanien finanziert." Durch den bewaffneten Aufstand hat Syrien "mehr als 1.150 Märtyrer aus Armee und Sicherheitskräften zu beklagen."

Mehrere Kommentatoren haben offen darüber geschrieben, was in den vergangenen Monaten hinter den Kulissen passiert ist, und was zu der Entscheidung in Kairo geführt hat. Ben Wedeman von CNN wies die fadenscheinige Begründung zurück, die versammelten arabischen Staatschefs seien plötzlich "von der Macht des Volkes überzeugt... Die alten arabischen Autokraten fürchten ihr Volk genauso sehr wie den Iran."

Wedeman listete eine Reihe von Aktionen Washingtons auf, die die Stellung des Iran im Nahen Osten verbessert haben. Dazu gehörte die Entmachtung der Taliban in Afghanistan - diese sunnitische Bewegung war ein erbitterter Gegner des schiitischen Iran; der Sturz von Saddam Hussein im Irak, der zweiten dominierenden Macht der Region; dessen Ersetzung durch eine pro-iranische Regierung und den desaströsen Krieg Israels gegen die Hisbollah im Libanon.

Er warnte: "Vor diesem Hintergrund ist eine allgemeine Schwächung der amerikanischen Macht im Nahen Osten nicht nur ein regionales Problem. Die amerikanische Wirtschaft - und damit ihr politisches Gewicht - befinden sich im Niedergang... Kurz gesagt: In der Region droht ein Machtvakuum, und der Iran könnte davon profitieren."

Deshalb erscheint ein Regimewechsel in Syrien, dem wichtigsten Verbündeten des Iran, den arabischen Staaten attraktiv.

Es ist für sie auch wichtig, mit dem wachsenden Einfluss der Türkei im Nahen Osten zu konkurrieren. Der Syrische Nationalrat (SNC) wurde unter der Schirmherrschaft der Türkei aufgebaut, und die Freie Syrische Armee, eine ausschließlich sunnitische Gruppe mit angeblich zehntausend bis fünfzehntausend Mitgliedern, hat ihr Hauptquartier in der Türkei.

Der SNC besteht aus zwei Hauptgruppen: der 'Erklärung von Damaskus', die von amerikanischen Marionetten dominiert ist, und der Moslembruderschaft. Die Türkei, Ägypten und andere arabische Mächte konkurrieren darum, die Ereignisse mittels der Bruderschaft zu beeinflussen. Sie lehnt den Dialog mit dem Assad-Regime ab. Nicht alle Teile der Bruderschaft unterstützen eine Intervention des Westens, aber viele tun es - in Form von Forderungen nach einer "Flugverbotszone" wie in Libyen.

Es gibt auch mehrere salafistische Gruppen, die Saudi-Arabien und Katar nahestehen.

Gleichzeitig mit dem Ausschluss Syriens wurde auch beschlossen, erstmalig den Syrischen Nationalrat anzuerkennen.

Zvi Bar'el kommentierte in der Zeitung Ha'aretz: "Damit nimmt die Arabische Liga die Rolle eines 'Regime-Machers' ein, der nicht nur reagiert, sondern auch agiert."

Die Entscheidung könnte dazu führen, dass auch westliche Mächte, Russland und andere Staaten ihn anerkennen. Auch das erinnert an die Ereignisse in Libyen und den Nationalen Übergangsrat.

Am 4. November erschien im Guardian eine Analyse von Alastair Crooke, einem britischen Diplomaten, Offizier des Geheimdienstes MI6 und führenden Berater britischer und europäischer Regierungen: "Ein Regimewechsel in Syrien ist strategisch noch wichtiger als in Libyen."

Er schrieb von einem Treffen im Sommer, auf dem ein "hoher saudischer Diplomat dem ehemaligen Stabschef von Dick Cheney, John Hannah, sagte, dass der König schon seit Beginn der Unruhen in Syrien glaubt, dass ein Regimewechsel sehr günstig für die Interessen Saudi-Arabiens sei: 'Der König weiß, dass, abgesehen vom Zusammenbruch der Islamischen Republik selbst, nichts den Iran so sehr schwächen würde wie der Verlust des Verbündeten Syrien."

"In dem großen Spiel geht es heute um den Verlust von Syrien. Und so wird es gemacht: Man stellt schnell einen Übergangsrat zusammen, macht ihn zum alleinigen Vertreter des syrischen Volkes, egal ob er wirklich Rückhalt in Syrien hat. Man holt bewaffnete Aufständische aus Nachbarländern, verhängt Sanktionen, die der Mittelschicht schaden; man startet eine Medienkampagne, um alle Versuche Syriens, Reformen durchzuführen, schlecht zu reden; man versucht, Spaltungen im Militär und in der Elite zu verursachen; und letzten Endes wird Präsident Assad fallen - so stellen sich die Verantwortlichen das vor."

Nach Libyen ist es das Ziel, "die Aufstände in der arabischen Welt nach dem Vorbild der westlichen Kultur zu formen". Auf hypothetische Pläne für Regimewechsel "folgten erst in diesem Jahr nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mubarak konkrete Handlungen. Plötzlich schien Israel angreifbar und die Schwächung Syriens bekam erhöhte strategische Priorität. Parallel dazu trat Katar in den Vordergrund. Azmi Bishara, ein Anhänger des Panarabismus, der aus der israelischen Knesset ausgetreten und ins selbstverhängte Exil in Doha gegangen war, ist laut lokalen Meldungen an einem Plan beteiligt, bei dem Al-Dschasira nicht nur über Revolutionen in der Region berichten, sondern sie hervorrufen soll. Katar war als wichtigste Kraft der Opposition direkt daran beteiligt."

Crooke ist in der Position, in der er das wissen sollte. Er schreibt weiter, nachdem Präsident Nicolas Sarkozy einem Regimewechsel in Syrien zustimmt, "schaltet sich Barack Obama ein, und überredet den türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan, der bereits erbost auf Assad ist, den Part des Übergangsrates an der syrischen Grenze zu spielen und der 'Widerstandsbewegung' Legitimität zu verleihen."

Zwar geben viele Kommentatoren, wie Bar'el, zu, dass die Entscheidung der Arabischen Liga "den Weg zu einer militärischen Offensive gegen Syrien ebnen könnte, ähnlich wie diejenige gegen Libyen", und "auch auf die Absicht hindeutet, den Iran anzugreifen". Allerdings halten es die meisten für unwahrscheinlich, da sich daraus ein größerer regionaler Krieg entwickeln könnte.

Solch scheinbar "logische" Folgerungen sind fadenscheinig. In der imperialistischen Politik bedeutet die Tatsache, dass etwas "zu schrecklich ist, um es sich vorzustellen", nicht, dass es nicht passieren wird.

Der Obama-Regierung ist die schwindende globale Stellung der USA genauso bewusst wie Wedeman, deshalb verstärkt sie ihre militärische und politische Einmischung im Nahen Osten, um den "Arabischen Frühling" sowohl einzudämmen, als auch in ihrem Interesse zu beeinflussen. Der Regimewechsel in Libyen war nur der erste Schritt in ihrem fortdauernden Streben, sich die Kontrolle über den Ölreichtum des Nahen Ostens und Zentralasiens zu sichern - ein Preis, um den die imperialistischen Mächte auch kämpfen werden, wenn er ein beispielloses Blutvergießen erfordert.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 15.11.2011
Syriens Ausschluss aus der Arabischen Liga erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Militärintervention
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2011