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GLEICHHEIT/4062: Merkel in China


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Merkel in China

Von Johannes Stern
8. Februar 2012


Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte am vergangenen Donnerstag und Freitag China. Es war ihre erste Auslandsreise in diesem Jahr und schon die fünfte Chinareise im Laufe ihrer Amtszeit. Merkel hielt in Peking eine Rede an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften und traf den chinesischen Regierungschef Wen Jiabao und den Staats- und Parteichef Hu Jintao. Am Freitag reiste sie in südchinesische Industrie- und Handelsstadt Kanton, die oft als "Fabrik der Welt" bezeichnet wird.

Merkel wurde von einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation begleitet, der u. a. der Volkswagen-Chef Martin Winterkorn, Siemens-Chef Peter Löscher in seiner Funktion als Vorsitzender des Asien-Pazifik Ausschusses und Kurt Bock, Chef des weltweit größten Chemiekonzerns BASF angehörten.

Die Reise ist ein Ausdruck der immer enger werdenden wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China.

In den letzten Jahren haben sich die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern rasant entwickelt. Vor allem für die deutsche Wirtschaft wächst die Bedeutung Chinas. Laut dem Ifo-Institut ist China im Jahr vergangenen Jahr nach Frankreich, den USA und den Niederlanden zum viertwichtigsten Exportland für deutsche Waren aufgestiegen. In diesem Jahr wird China voraussichtlich auf Platz zwei vorrücken. Im Jahr 2010 lag China noch auf Rang sieben. Insgesamt lag das deutsch-chinesische Handelsvolumen 2011 bei 145 Milliarden Euro.

Vor allem in Bereichen wie Chemie, Automobilindustrie und Anlagen- und Maschinenbau wächst der Export nach China rasant. Die deutsche Autoindustrie erzeugt einen großen Teil ihrer Gewinne in Fernost. Für den Volkswagen-Konzern ist China bereits jetzt der größte Einzelmarkt. Im Jahr 2011 stiegen die Verkäufe um 18 Prozent, die von BMW sogar um 38 Prozent.

Auch andere deutsche Unternehmen expandieren massiv in China. So plant etwas der hessische Edelkamerahersteller Leica bis 2015 ein Drittel seines Umsatzes in China zu erwirtschaften. BASF investiert Milliarden in alte und neue Standorte in China, darunter ein Forschungszentrum in Shanghai. Eine Umfrage der deutschen Handelskammer hat ergeben, dass jede zweite in China aktive deutsche Firma plant, dort weitere Investitionen zu tätigen und neue Niederlassungen zu eröffnen.

Insgesamt sind die deutsche und die chinesische Wirtschaft immer enger miteinander verknüpft. Ohne Taiwan und Hongkong ist Deutschland Chinas viertgrößter Handelspartner. Momentan importiert Deutschland noch mehr Waren aus China als es dorthin exportiert, aber der Abstand wird geringer.

Im ersten Halbjahr 2010 beliefen sich die deutschen Exporte nach China auf 30 Milliarden Euro, die Importe betrugen 34 Milliarden Euro. Deutschland ist damit mit Abstand der wichtigste Handelspartner von China innerhalb der EU und exportiert fast genau so viel nach China wie alle anderen 26 EU-Staaten zusammen. Auf Platz zwei liegt Frankreich mit einem Exportvolumen von knapp 7 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2010.

Neben der engen wirtschaftlichen Beziehungen gibt es auch auf politischer Ebene eine immer engere Zusammenarbeit der beiden Länder. Bereits im letzten Jahr fanden die ersten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen statt. Solche hochrangigen Beziehungen, an denen Regierungschefs und Minister teilnehmen, unterhält Deutschland außerhalb Europa sonst nur mit Israel und Indien.

Neben der Pflege der wirtschaftlichen Beziehungen ging es auf Merkels Chinareise auch um die europäische Schuldenkrise, die Lage der Weltwirtschaft und internationale politische Fragen. So sollen der Ausbau der bilateralen Beziehungen, die Entwicklungen in Nordkorea, die Konflikte in Syrien und das iranische Atomprogramm diskutiert worden seien. Ende des Monats wird der siebte EU-China Gipfel in Peking stattfinden. Die Reise Merkels wurde von Beobachtern als Möglichkeit für Deutschland und China gesehen, zentrale Themen bereits im vorab zu besprechen.

Über die Inhalte der Gespräche drangen nicht alle Details nach außen. Am Donnerstag kündigte Wen Jiabao bei einer Pressekonferenz mit Merkel jedoch an, dass China darüber nachdenke, Europa bei der Überwindung der Schuldenkrise finanziell zu unterstützen. China hält mit 3,18 Billionen US-Dollar die bei weitem größten Devisenreserven weltweit, und die EU hofft seit langem, dass China mit einem Teil dieser riesigen Summe die europäischen Rettungsschirme unterstützt.

Trotz der Bitten aus Europa verhält sich China aber bislang zurückhaltend. Es wird vermutet, dass China Gegenleistungen verlangt. In einem Kommentar der China Daily am Donnerstag wurde angesprochen, dass die EU rechtliche Hürden für chinesische Billig-Exporte abschaffen könnte. Ein anderer Vorschlag ist die Aufhebung des europäischen Waffenembargos für China, das seit dem Massaker vom Tiananmen-Platz 1989 in Kraft ist.

Experten gehen davon aus, dass China auch bereit wäre, sich an der Euro-Rettung zu beteiligen, wenn es dabei kein Risiko eingehen würde. Um das zu ermöglichen - so wird in Fachkreisen diskutiert - könnten die EU-Staaten China Sicherheiten für die Rückzahlung des von China investierten Gelds geben, falls ein Krisenstaat Pleite gehen sollte. Einem solchen Deal wird jedoch bislang von Deutschland mit Sorge begegnet, das nicht Garant für die Schulden anderer EU-Länder sein möchte.

Auf der Pressekonferenz betonte Jiabao, dass "der Schlüssel zur Bewältigung der Schuldenkrise die eigenen Anstrengungen Europas" seien. Er forderte "schmerzhafte Entscheidungen". Vor dem Hintergrund der kritischen Situation der Weltwirtschaft sei die Überwindung der europäischen Schuldenkrise "dringend". Er verwies darauf, dass die EU die größte Volkswirtschaft der Welt und der wichtigste Handelspartner von China sei. Es gehe nicht nur "um das Schicksal Europas", sondern "um den Rest der Welt".

Die Forderungen Chinas nach einer kompromisslosen Austeritätspolitik in Europa liegen auf einer Linie mit der Politik Merkels. Die deutsche Bundesregierung ist die treibende Kraft hinter dem sozialen Kahlschlag in Europa, mit dem die Forderungen der internationalen Finanzmärkte durchgesetzt und überschuldete Euro-Staaten ausschließlich auf Kosten der Arbeiterklasse saniert werden.

Die Süddeutsche Zeitung kommentierte, dass in Peking "genau wahrgenommen [werde], wer den Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin durchgesetzt hat" und Merkel "als Vertrauensperson Chinas ganz zufrieden nach Hause fahren" dürfe.

Etwas missmutig wurde in der deutschen Presse zur Kenntnis genommen, dass China nicht sofort bereit sei, die gewünschten Milliarden zur Euro-Rettung bereit zu stellen. China wolle "die Schwäche vieler Euro-Staaten eher dazu nutzen, industrielle Filetstücke zu kaufen, die es in normalen Zeiten nie erwerben könnte" (Süddeutsche Zeitung). Seit Ausbruch der Finanzkrise hat China seine Investitionen in Europa massiv gesteigert. Chinesische Investoren haben beispielsweise den Hafen von Athen gekauft und arbeiten daran, das größte Energieunternehmen Portugals, Energias de Portugal, zu übernehmen.

Auch innenpolitische Gründe dürften bei Chinas Überlegungen eine Rolle spielen. Chinesen verdienen durchschnittlich nur ein Zehntel des deutschen Lohns. Das hohe Wirtschaftswachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft weltweit (9,2 Prozent im Jahr 2011) kommt nur einer schmalen Elite an der Spitze der Gesellschaft zugute, und die sozialen Konflikte sind bis zum Zerreißen gespannt. In den letzten Wochen und Monaten brachen immer wieder Streiks und Proteste im ganzen Land aus und das Verschieben von Milliardensummen nach Europa könnte den sozialen Unmut weiter verstärken.

Medienberichten zu Folge versuchte Merkel während ihres Besuches auch, China davon zu überzeugen, den Druck auf Iran zu erhöhen und die Resolution gegen Syrien im UN-Sicherheitsrat zu unterstützen. Als Reaktion auf den "arabischen Frühling" versuchen die USA im Bündnis mit anderen westlichen Staaten die Region unter ihre direkte Kontrolle zu bringen und in allen arabischen Ländern pro-westliche Regierungen zu installieren. Ziel der USA ist es, den Einfluss des Iran in der Region einzudämmen, wobei die Kriegsvorbereitungen gegen das Land bereits weit fortgeschritten sind.

China unterhält enge Handelsbeziehungen mit Iran. Mehr als ein Fünftel der iranischen Ölexporte gehen nach China. Der Handel der beiden Staaten wuchs 2011 um 55 Prozent. Die Kriegsvorbereitungen gegen Syrien und Iran sind zudem Teil einer langfristigen Strategie der USA, China einzukreisen.

Die Bundesrepublik Deutschland war in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lange uneingeschränkter Verbündete der USA. Die rasche Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen hat Deutschland jedoch vor ein Dilemma gestellt. Bereits die beiden letzten US-geführten Kriege gegen den Irak und Libyen hatte Deutschland nicht unterstützt und sich damit faktisch auf die Seite Chinas und Russlands gestellt.

Nun hat der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) China zwar kritisiert, weil es im UN-Sicherheitsrat gemeinsam mit Russland ein Veto gegen die Syrienresolution einlegte. Er bezeichnete dies als "großen Fehler". In Berlin hofft man offenbar inständig, sich in einer Konfrontation mit dem Iran nicht zwischen Washington und Peking entscheiden zu müssen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 08.02.2012
Merkel in China
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2012