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GLEICHHEIT/4067: WikiLeaks-Gründer Julian Assange erwartet Gerichtsentscheidung über seine Auslieferung


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

WikiLeaks-Gründer Julian Assange erwartet Gerichtsentscheidung über seine Auslieferung

Von Robert Stevens
10. Februar 2012


Am Donnerstag beendete der britische Supreme Court [Oberster Gerichtshof] eine zweitägige Anhörung in dem Berufungsverfahren von WikiLeaks-Gründer Julian Assange. Assange wehrt sich mit diesem Verfahren gegen seine Auslieferung nach Schweden aufgrund unbewiesener und strittiger Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe im August 2010.

Die Anhörung fand vor sieben Richtern statt, die - nachdem die Verteidigung und die Anklage Schriftsätze eingereicht hatten - ihr Urteil erst einige Wochen später verkünden werden.

Assange wurde am 7. Dezember 2010 aufgrund eines Europäischen Haftbefehls (EuHB) in London festgenommen. Bis heute hat er 424 Tage unter Hausarrest verbracht.

In jeder Phase dieses Auslieferungsverfahrens wurden Assange seine demokratischen Grundrechte verweigert. Bisher ist er noch nie - weder in Schweden noch in irgendeinem anderen Land - eines Verbrechens angeklagt, geschweige denn verurteilt. Selbst auf seinem Haftbefehl wird er nicht als "Beschuldigter" bezeichnet.

Der Supreme Court ist das höchste Gericht im Vereinigten Königreich. Nach der Entscheidung des High Courts [Obersten Zivilgerichts] vom 5. Dezember, das seine Auslieferung erlaubte, ist das Berufungsverfahren die letzte ihm offen stehende rechtliche Möglichkeit in dem EuHB Verfahren, seine Auslieferung zu verhindern.

Nur widerwillig erlaubte der High Court Assange im Dezember, den Supreme Court anzurufen und das auch nur wegen einer speziellen Frage, die möglicherweise von "allgemeinem öffentlichen Interesse" sein könnte. Die Frage ist die "ob ein von einem Staatsanwalt erlassener Europäischer Haftbefehl ('EuHB') ein zulässiger Part 1 Haftbefehl ist, der von einer 'Justizbehörde' im Sinne von Abschnitt 2 (2) & 66 des Auslieferungsgesetzes von 2003 erlassen wurde?"

Assanges Anwaltsteam hat festgestellt, dass die schwedische Staatsanwältin Marianne Ny den EuHB für Assange ausgestellt hat, obwohl in einem früheren Verfahren klargestellt wurde, dass nur die nationale schwedische Polizeibehörde einen solchen ausstellen darf.

Assanges Anwaltsteam erstellte ein Dokument, in dem es seine Gründe gegen die Auslieferung darstellt. Darin wird festgestellt, "dass die schwedische Staatsanwaltschaft keine 'Justizbehörde' im Sinne von Abschnitt 2 (2) & 66 des Auslieferungsgesetzes von 2003 ist."

Dementsprechend "kann [sie] keinen gültigen EuHB ausstellen, weil ihr die Unparteilichkeit und die Unabhängigkeit sowohl von der Exekutive als auch den Parteien fehlt. Diese sind aber nach nationalem und europäischem Recht wesentliche Voraussetzungen für die Ausübung juristischer Autorität.... Kurz gesagt, der Staatsanwalt in seiner Eigenschaft als die Partei, die mit der Durchführung der strafrechtlichen Untersuchung der Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer betraut ist, kann in Bezug auf dieselbe Aktion nicht gleichzeitig als Richter handeln."

Das Dokument gibt einen Überblick über die provokativen und parteiischen Aktionen Nys und stellt in seiner Zusammenfassung fest: "Wie die Fakten dieses Falles demonstrieren, steht die Staatsanwältin in einem gegnerischen Verhältnis zum Beschwerdeführer. Zum Beispiel hat sie bei dem schwedischen Gericht einen Haftbefehl gegen ihn beantragt; und sie hat Eingaben gegen seine Rechtsmittel gegen diesen Beschluss gemacht. Im Gegensatz zu den Feststellungen des High Court, kann sie unter diesen Umständen in seinem Fall keine rechtsgültige 'Justizbehörde' darstellen."

Am Mittwoch argumentierte Dinah Rose, eine Anwältin Assanges und Expertin für Bürgerrechte und europäisches Recht, vor Gericht, dass die Einbeziehung von Staatsanwälten in die Ausstellung von Haftbefehlen mit Auslieferungsersuchen gegen ein "elementares und grundlegendes Prinzip der Rechtsstaatlichkeit" verstößt.

Rose zitierte historische Gesetzestexte, einschließlich des römischen Corpus Iuris Civilis, in dem es heißt: "Wir verordnen durch dieses allgemeine Gesetz, dass niemand sein eigener Richter sein oder sich selbst Recht sprechen solle. Denn es würde sehr unbillig sein, wenn man jemandem die Befugnis erteilen wollte, in seiner eigenen Sache ein Urteil zu sprechen."

In einem detaillierten Überblick über die Geschichte des Auslieferungsverfahrens erklärte Rose, dass die Entwicklung der Auslieferungsgesetzgebung "großen Wert darauf legte", dass "Entscheidungen mit gravierenden Folgen für persönliche Freiheiten nur von unabhängigen Justizbehörden getroffen werden sollten."

Auf die Formulierung der endgültigen EuHB Rahmenvereinbarung, wie sie in ganz Europa gebraucht wird, eingehend, erklärte sie, dass "ständig und immer wieder" das Wort gerichtlich verwendet wird. Sie fügte hinzu: "Es ist schlichtweg nicht möglich, zu folgern", dass die ausstellende Justizbehörde ein Staatsanwalt sein könnte. Eine ausführende Justizbehörde könne nur ein Richter sein.

Einige europäische Staaten haben sich "außerordentlich unklar und oberflächlich" der Frage gewidmet, was eine Justizbehörde ist und was nicht, sagte sie.

Am Donnerstag widersprach Clare Montgomery, die die schwedischen Behörden vertritt, der Argumentation von Rose und behauptete, dass die schwedische Staatsanwältin nicht zwischen zwei Parteien zu entschieden gehabt habe und es deshalb keine Frage der Befangenheit gab.

Diese Behauptung ist nicht stichhaltig.

Aufgrund einer Überprüfung der Vorwürfe wurde am 21. August 2010 von der Oberstaatsanwältin von Stockholm, Eva Finne, ein erster Haftbefehl gegen Assange abgelehnt. Sie erklärte: "Ich glaube es gibt keinen Grund für den Verdacht, er habe eine Vergewaltigung begangen."

Innerhalb von zehn Tagen nach seiner Abweisung, wurde der Fall nach der Intervention von Claes Borgström, einem führenden Politiker der der Sozialdemokratischen Partei, wiederaufgenommen, ohne dass irgendwelche neuen Beweise vorgelegen hätten. Borgström ist der Anwalt der zwei Frauen und ist mit einer von ihnen befreundet.

Nach der Befragung durch die Polizei wurde Assange während seiner Zeit in Schweden zu keinem Zeitpunkt irgendeines Verbrechens beschuldigt. In jeder Phase arbeitete er mit der Polizei zusammen, die die Vorwürfe untersuchte. Er blieb sogar länger in Schweden, als er geplant hatte. Erst nachdem Assange die Genehmigung zur Ausreise erhalten und Schweden verlassen hatte, erließ Ny einen neuen inländischen Haftbefehl gegen ihn.

Am 1. September erklärte Ny, dass die Revidierung der Entscheidung eines anderen Staatsanwalts "kein gewöhnlicher, aber auch kein völlig außergewöhnlicher" Vorgang sei.

Normalerweise ist Ny nicht mit der Bearbeitung einzelner Fälle befasst. Einzig und allein wegen ihrer Position als leitende Staatsanwältin - das ist eine Besonderheit des schwedischen Rechts - war Borgström in der Lage, bei ihr Beschwerde einzureichen, um die Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen.

Assange ging immer noch, ohne dass irgendeine Anklage gegen ihn erhoben worden wäre, auf Nys Verfahrensweise ein und erklärte sich zu einer Befragung per Telefon, Video-Link, etc. bereit - ein Angebot, dass von den schwedischen Behörden konsequent abgelehnt wurde.

Im Februar 2011 wurde vom Amtsgericht von Belmarsh verfügt, Assange auszuliefern, obwohl die angeblichen Straftaten im Vereinigten Königreich keine auslieferungsfähigen Vorwürfe darstellen.

Es stellte eine extreme Einschränkung seiner rechtlichen Möglichkeiten dar, dass die Anhörung vor dem Supreme Court nur auf eine Debatte darüber reduziert wurde, ob der europäische Haftbefehl von Ny hätte ausgestellt werden dürfen, ohne zuallererst den Haftbefehl an sich in Frage zu stellen.

Der undemokratische und willkürliche europäische Haftbefehl wurde im Rahmen des "Kriegs gegen den Terror" eingeführt. Dies räumte Montgomery in ihrer Eingabe an das Gericht ein. Sie fügte erklärend hinzu, dass die Vereinbarung über den Europäischen Haftbefehl "in großer Eile erzielt wurde, zu der es als unmittelbare Folge der Ereignisse vom 11. September kam."

Mit der Verfolgung Assanges werden schwerwiegende Präzedenzfälle geschaffen.

Der EuHB wurde mit dem Auslieferungsgesetz von 2003 ins britische Recht eingearbeitet. Aber auch dieses Gesetz schreibt ummissverständlich vor, dass die Inhaftierung und Auslieferung an EU-Länder nur mit dem Ziel ausgeführt werden darf, eine Person anzuklagen, gegen die Beschuldigungen erhoben worden sind.

Falls der Supreme Court Assanges Beschwerde zurückweist, könnte er innerhalb weniger Tage nach Schweden ausgeliefert werden. Dort könnte ihm seine Auslieferung in die Vereinigten Staaten und eine Strafverfolgung wegen terroristischer Handlungen bevorstehen. Schweden hat mit den USA ein Abkommen über "zeitweise Auslieferung".


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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.02.2012
WikiLeaks-Gründer Julian Assange erwartet Gerichtsentscheidung über seine Auslieferung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2012