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GLEICHHEIT/4207: Griechische Parteien verhandeln über Regierungskoalition


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Griechische Parteien verhandeln über Regierungskoalition

Von Christoph Dreier
12.‍ ‍Mai 2012



Nachdem in Griechenland am vergangenen Sonntag eine überwältigende Mehrheit für Parteien gestimmt hat, die sich gegen die Kürzungspolitik ausgesprochen haben, dauern die Verhandlungen über eine Regierungskoalition an. Es geht darum, einen Mechanismus zu finden, mit dem sich das Spardiktat der Europäischen Union gegen den massiven Widerstand durchsetzen lässt, der im Wahlergebnis zum Ausdruck kam.

Die bisherigen Regierungsparteien, die sozialdemokratische PASOK und die konservative Nea Dimokratia (ND), die für die historischen sozialen Kürzungen der letzten Jahre verantwortlich zeichnen, verloren bei den Wahlen mehr als die Hälfte ihrer Stimmen.

Demgegenüber konnten die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA) und ihre Abspaltung Demokratische Linke (DIMAR), die sich im Wahlkampf gegen die Sparpolitik ausgesprochen hatten, ihren Stimmenanteil mehr als vervierfachen. Obwohl sie wegen ihrer Ablehnung der Kürzungen gewählt wurden, fordern diese beiden Parteien, das Land müsse "unter allen Umständen" in der EU und der Eurozone verbleiben. Am Donnerstag erklärte SYRIZA-Führer Alexis Tsipras gegenüber dem US-Fernsehsender CNBC, dass ein Austritt Griechenlands "desaströs" wäre und er "so weit gehe, wie ich kann", um das zu verhindern.

Doch das bedeutet nichts anderes, als das Diktat der EU umzusetzen. Vertreter der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Europäischen Parlaments hatten den griechischen Parteien bereits vor der letzten Verhandlungsrunde damit gedroht, Griechenland aus der Eurozone zu werfen, sollte eine neue Regierung auch nur ansatzweise vom Sparkurs abweichen. Eine Neuverhandlung der Konditionen käme nicht in Frage.

In den letzten Tagen verschärfte sich der Ton. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle erklärte öffentlich: "Wenn der verbindlich vereinbarte Reformweg verlassen werden sollte, dann ist die Auszahlung weiterer Hilfstranchen nicht mehr möglich."

Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte, die Eurozone habe ausreichend Stabilitätsmechanismen geschaffen, um einen Austritt Griechenlands verkraften zu können. Er forderte Griechenland auf, den vereinbarten Sparkurs umzusetzen. Auch der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Banken, Michael Kemmer, verkündete, eine Verkleinerung der Eurozone lasse sich durchführen.

Der Euro-Rettungsschirm ESFS überwies nur einen Teil der bereits vor zwei Wochen genehmigten 5,2 Milliarden Euro umfassenden Tranche an Hilfszahlungen und hielt eine Milliarde Euro bis Juni zurück. Ob diese Summe dann ausbezahlt wird, hänge davon ab, ob es bis dahin eine Vereinbarung mit der Troika aus EZB, EU-Kommission und IWF gebe, sagte der Chef des Fonds, Klaus Regling.

Das sind die Bedingungen, unter denen in Griechenland über die Regierungsbildung verhandelt wird.

Nachdem der ND-Vorsitzende Antonis Samaras am Montag das Verhandlungsmandat überraschend schnell abgab, scheiterte am Mittwoch auch der SYRIZA-Führer Alexis Tsipras damit, eine Koalition zu bilden. Er hatte sowohl mit DIMAR, der Kommunistischen Partei (KKE) und den Rechtspopulisten von den Unabhängigen Griechen als auch mit PASOK und ND verhandelt.

Seit Donnerstag hat nun Evangelos Venizelos von der PASOK als Vertreter der drittstärksten Fraktion das Verhandlungsmandat. Sein Ziel ist es, eine Koalition zwischen den vier Parteien zu bilden, die sich für den Verbleib in der EU aussprechen.

Rechnerisch würde bereits eine Koalition aus PASOK, ND und DIMAR ohne SYRIZA für eine Regierungsmehrheit reichen. Nachdem der DIMAR-Vorsitzende Fotis Kouvelis am Freitag einer solchen Koalition zunächst zugestimmt hatte, machte er wenige Stunden später einen Rückzieher und erklärte, dass er nur zusammen mit SYRIZA in eine solche Koalition eintreten werde. Innerhalb seiner Partei gibt es darüber anscheinend Auseinandersetzungen, so dass auch eine Spaltung der Fraktion möglich erscheint.

Auch Samaras hatte am Freitag erklärt, dass er die Beteiligung SYRIZAS begrüßen würde, um eine stabile Regierung bilden zu können. "Es muss eine beständige Regierung geben", sagte er und betonte, dass die Entscheidung nun "in ihren Händen" liege. Offensichtlich sind breitere Teile der herrschenden Elite Griechenlands einig, dass sie SYRIZA brauchen, um den Sparkurs fortsetzen zu können.

Tsipras hat sich derweil mit einem Brief an die EU-Institutionen auf eine Regierungsbeteiligung vorbereitet. In dem Brief tritt er für eine Neuverhandlung der Bedingungen ein. "Wir müssen dringend die wirtschaftliche und soziale Stabilität in unserem Land absichern", schreibt er. Die bisherige Politik habe die Rezession verschärft und die Staatsschulden erhöht. Er fordert die EU-Institutionen auf, jede nur erdenkliche politische Initiative zu ergreifen, "um die Kürzungen und die Rezession umzukehren".

Würde dies nicht gelingen, stünde nicht nur "der soziale Zusammenhalt und die Stabilität Griechenlands" auf dem Spiel, sondern wäre Griechenland auch "eine Quelle der Instabilität für die gesamte EU". Die Krise sei europäisch und könne deshalb auch nur auf europäischem Niveau gelöst werden.

In dem Brief vermeidet Tsipras jede konkrete Forderung. Angesichts der Rolle, die die EU-Institutionen bisher bei der Zerschlagung der Rechte der Arbeiter in ganz Europa gespielt haben, bedeutet dieser Brief nicht anderes, als das Angebot einer Beteiligung an diesem Vorhaben.

Dabei könnte SYRIZA noch eine weit wichtigere Rolle zukommen, als einer ND-PASOK-Koalition als linkes Feigenblatt zu dienen. Sollte nämlich keine Koalition zustande kommen, stehen Neuwahlen an. Erste Umfragen sehen dabei einen Sieg SYRIZAs mit 28 Prozent der Stimmen (128‍ ‍Sitze) voraus. Die ND würde mit 20 Prozent (57 Sitze) auf dem zweiten Platz landen, gefolgt von PASOK (13 Prozent, 36 Sitze), den Unabhängigen Griechen (10 Prozent, 29 Sitze), der KKE (7 Prozent, 20 Sitze), den Faschisten (6 Prozent, 16 Sitze) und schließlich der DIMAR (5‍ ‍Prozent, 14 Sitze).

Auch wenn solche Umfragen mit Vorsicht zu genießen sind, zeichnet sich doch ab, dass SYRIZA nach Neuwahlen eine Regierung führen könnte. Um die 151 Sitze für eine Regierungsmehrheit zu erlangen, bräuchte sie dann nur noch einen weiteren Koalitionspartner.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 12.05.2012
Griechische Parteien verhandeln über Regierungskoalition
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2012