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GLEICHHEIT/4218: Was will Syriza?


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Was will Syriza?

Von Christoph Dreier und Peter Schwarz
19.‍ ‍Mai 2012



Die Koalition der Radikalen Linken (Syriza) fällt in der griechischen Politik derzeit eine Schlüsselrolle zu. Sie wurde bei der Wahl vom 6. Mai mit 17 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft. Die anschließenden Regierungserhandlungen scheiterten an ihrer Weigerung, sich auf eine Koalition mit den bisherigen Regierungsparteien Nea Dimokratia (ND) und PASOK einzulassen.

Bei der Neuwahl, die deshalb am 17. Juni stattfindet, sehen Umfragen Syriza deutlich auf dem ersten Platz. Da die stärkste Partei aufgrund des griechischen Wahlrechts 50 zusätzliche Sitze bekommt, wäre die Bildung einer Regierung ohne Syriza dann kaum mehr möglich. Ihr Vorsitzender, der 38-jährige Alexis Tsipras, könnte Regierungschef werden.

Der Wahlerfolg Syrizas beruht auf ihrer Ablehnung der Sparmaßnahmen, die das Land in eine tiefe Rezession getrieben und seine Einwohner in Arbeitslosigkeit und Armut gestürzt haben. Die Partei verlangt, dass die Renten- und Lohnkürzungen, der Verkauf von Staatseigentum und die mit der EU und dem IWF vereinbarte Rückzahlung der griechischen Staatsschulden vorläufig gestoppt und neu verhandelt werden.

Die Syriza-Abgeordnete Despoina Charalambidou erklärte Spiegel Online: "Die Vereinbarungen mit der Troika müssen sofort gelöst werden. Der Rettungsplan verdammt das griechische Volk zu Armut, Arbeitslosigkeit und treibt die Menschen zur Auswanderung. Die Schulden wurden nicht von den einfachen Arbeitern gemacht, darum sollten sie auch nicht von ihnen bezahlt werden."

Die Europäisch Union und ihre Institutionen stellt Syriza aber ebenso wenig in Frage, wie den griechischen Staat und seine kapitalistische Grundlage. Ihr Ziel ist nicht eine sozialistische Umwälzung der Gesellschaft im Interesse der Arbeiterklasse, sondern bessere Bedingungen für die gehobene Mittelklasse und jene Teile der griechischen Bourgeoisie, die von den Auswirkungen der Austeritätsmaßnahmen besonders schwer betroffen sind.

Tsipras betont bei jeder Gelegenheit, das er auf keinen Fall mit der EU und dem Euro brechen wolle. So versicherte er am Mittwoch dem US-Nachrichtensender CNN: "Wir werden alles tun, was wir können, um Griechenland in der Eurozone und in Europa zu halten."

Tsipras glaubt allerdings, dass Pasok und ND, die ebenfalls unbedingt in der EU und der Eurozone bleiben wollen, dafür einen viel zu hohen Preis bezahlt haben. Er ist der Ansicht, dass Athen noch einige Trümpfe im Ärmel hat, um einen besseren Deal mit Brüssel und Berlin zu erreichen.

Zum einen setzt er auf die Unterstützung finanzschwacher EU-Länder und sozialdemokratischer Politiker - insbesondere des neu gewählten französischen Präsidenten François Hollande -, um die deflationäre Finanzpolitik der EU, auf der vor allem Deutschland beharrt, durch eine inflationäre abzulösen. Zum anderen versucht er die EU mit der Drohung unter Druck zu setzen, ein griechischer Staatsbankrott werde auch andere Länder und den Euro in den Abgrund ziehen.

In dem bereits zitierten Interview mit CNN-Chefkorrespondentin Christiane Amanpour sowie in weiteren Gesprächen mit dem Wall Street Journal und der BBC hat Tsipras diese Strategie erläutert.

Die Krise sei nicht nur ein griechisches, sondern ein europäisches Problem, sagte er CNN. Deshalb müsse das Memorandum annulliert und auf europäischer Ebene neu verhandelt werden. Zu diesem Zweck werde er "nach Partnern in Süd- und Zentraleuropa suchen". Bundeskanzlerin Angela Merkel warf er vor, "mit dem Leben der Menschen Poker zu spielen" und "die Eurozone aufs Spiel zu setzen".

Dem Wall Street Journal sagte Tsipras: "Unsere erste Wahl ist, die europäischen Partner zu überzeugen, dass in ihrem eigenen Interesse die Finanzierung nicht beendet werden darf. " Komme es jedoch dazu, werde Griechenland seine Schulden nicht mehr bedienen. Ein Finanzkollaps in Griechenland würde dann den Rest der Eurozone mit sich ziehen.

Auch auf BBC drohte Tsipras: "Wenn die Krankheit des Sparens Griechenland zerstört, wird sie sich auf ganz Europa ausbreiten."

Tsipras' Politik - eine Mischung aus Bitten und Drohungen in Richtung Brüssel - beruht auf Luftschlössern und Illusionen. Wie jeder kleinbürgerliche Politiker unterschätzt er völlig das Ausmaß der internationalen kapitalistischen Krise.

Das Spardiktat in Griechenland ist Bestandteil einer internationalen Offensive des Finanzkapitals gegen die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse, die sich seit der Finanzkrise 2008 enorm verschärft und alle kapitalistischen Länder erfasst hat - von den USA über England, Spanien und Italien bis hin zu Frankreich und Deutschland.

Eine inflationäre Politik - für die sich inzwischen auch die US-Regierung und die britische Regierung plädieren - würde diese Angriffe lediglich in anderer Form fortsetzen. Der "Wachstumspakt", über den derzeit in der EU diskutiert wird und auf den offenbar auch Tsipras seine Hoffungen setzt, besteht aus zusätzlichen Geldern für marode Banken und "Strukturreformen" zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit - d.h. flexibleren Arbeitsbedingungen und niedrigeren Löhnen. Die Einsparungen in den öffentlichen Haushalten würden unvermindert weiter gehen.

Sollte Syriza tatsächlich die griechische Wahl gewinnen, fiele ihr bei der Durchsetzung solcher Angriffe eine wichtige Rolle zu. Betrachtet man die europäischen Schwesterparteien Syrizas - Rifondazione Comunista in Italien, die Linkspartei in Deutschland, die Linksfront in Frankreich - so haben sie sich alle an Angriffen auf die Arbeiterklasse beteiligt, sobald sie Regierungsverantwortung übernahmen.

Auch Tsipras ist dazu fähig. Reuters berichtet bereits über Stimmen, "die Tsipras den Wandel vom Hitzkopf zum verantwortungsvollen Politiker zutrauen".

Auch die deutsche taz, die den Grünen nahe steht und sich in dieser Frage auskennt, kommentiert, es sei "kein Hindernis, dass Tsipras jetzt im Wahlkampf Unmögliches verspricht und den Griechen vermittelt, dass sie alles gleichzeitig haben könnten: den Euro, neue Transferzahlungen und ihren alten Klientelstaat. Gerade weil er ihre Interessen und Wünsche verkörpert, werden sie ihm abnehmen, wenn er dann als neuer Regierungschef einräumt, dass Reformen leider nötig sind."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.05.2012
Was will Syriza?
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2012