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GLEICHHEIT/4672: 70.000 dänische Lehrer ausgesperrt


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

70.000 dänische Lehrer ausgesperrt

Von Helmut Arens und Christoph Dreier
23. April 2013



In einem historisch einmaligen Akt hindert die dänische Regierung die 70.000 Gesamtschullehrer des Landes seit über drei Wochen daran, ihrer Arbeit nachzugehen. Mit der Aussperrung gefährdet sie nicht nur die fast 800.000 betroffenen Schüler, die auf Betreuung und Bildung angewiesen sind, sondern verweigert den arbeitswilligen Pädagogen auch jeglichen Lohn.

Der Kommunale Arbeitgeberverband verhängte die Angriffsaussperrung am 2. April, nachdem er Verhandlungen mit der Lehrergewerkschaft DLF über neue Tarifverträge hatte platzen lassen. Die Lehrer sollen so lange unter Druck gesetzt werden, bis sie einer Flexibilisierung und Verlängerung ihrer Wochenarbeitszeit zustimmen.

Konkret will der Arbeitgeberverband eine Regelung festschreiben, nach der die Leiter der jeweiligen Schulen freie Hand haben, das Verhältnis von Lehr- und Vorbereitungsstunden sowie die Gesamtarbeitszeit festzulegen. Die bisherige Obergrenze von 25 Lehrstunden in der Woche soll dabei aufgehoben werden.

Auf diese Weise soll die Betreuungszeit in den Schulen bis 16 Uhr verlängert werden, ohne dass neue Lehrer eingestellt werden. Für die Qualität des Unterrichtes und für die Arbeitsbedingungen der Lehrer hätten diese Pläne katastrophale Folgen. Das einst hochwertige Bildungssystem Dänemarks würde systematisch zerschlagen.

Hinter dem Vorgehen des Kommunalen Arbeitgeberverbands steht die rot-grüne Regierung Dänemarks. Das geht aus einem Vertrag zwischen dem Finanzministerium und einer seiner Unterabteilungen hervor, die für die Modernisierung und die Steigerung der Effizienz des öffentlichen Dienstes verantwortlich ist.

Arbeitsmarktexperten zufolge belegt das Dokument, dass die Regierung eine Offensive gegen die Gehälter und Arbeitszeiten des öffentlichen Dienstes eröffnet hat. "Das Dokument beweist, dass die Regierung das klare und eindeutige Ziel verfolgt, Tarifverhandlungen als Mittel zur Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz zu nutzen", erklärte der Politikforscher Jörgen Christensen gegenüber der Zeitung Politiken. "Hier haben Sie es schwarz auf weiß, dass sie Tarifverhandlungen als Hebel nutzen wollen, um Kosten zu senken. Ich habe so etwas noch nie vorher gesehen", ergänzte Arbeitsmarktforscher Flemming Ibsen.

Die Koalition aus Sozialdemokraten, Sozialistischer Volkspartei und den Sozialliberalen, die von der pseudolinken Rot-Grünen Einheitsliste (EL) toleriert wird, setzt sich damit über die in Dänemark geltende Tarifautonomie hinweg, nach der die Regierung nicht befugt ist, in Tarifverhandlungen Partei zu ergreifen.

An den Lehrern will die Regierung auf diese Weise ein Exempel für den gesamten öffentlichen Dienst statuieren: Wer sich dem Spardiktat nicht beugt, wird ausgesperrt und von der Gehaltsliste gestrichen. Die Wahl eines so sensiblen Bereiches wie des Bildungssystems, bei dem die Aussperrung verheerende Auswirkungen auf nahezu jede Familie des Landes hat, soll die Entschlossenheit und Brutalität der Regierung demonstrieren. Auch Pfleger, Ärzte oder Erzieher sollen nicht glauben, dass sie vor solchen Maßnahmen geschützt sind.

Die Regierung bereitet sich darauf vor, die Arbeiter des gesamten öffentlichen Diensts anzugreifen und die Bildungs-, Gesundheits- sowie Sozialsysteme im Interessen der Finanzelite zu plündern. Bereits im Februar hat das Kabinett die Senkung der Unternehmenssteuer von 25 auf 22 Prozent beschlossen. Die Vorgängerregierung hatte 2009 den Spitzensatz der Einkommenssteuer von 63 auf 56 Prozent gesenkt. Diese Millionengeschenke an die Reichen sollen jetzt bei den Lohnabhängigen wieder eingetrieben werden. Der EU-Schuldenbremse entsprechend hat sich die Regierung zudem verpflichtet, das strukturelle Haushaltsdefizit Dänemarks jährlich um 1,5 Prozent zu senken.

Das brutale Vorgehen der dänischen Regierung verdeutlicht das Ziel der herrschenden Elite, in ganz Europa griechische Verhältnisse zu schaffen und das Lebens- und Lohnniveau der gesamten europäischen Arbeiterklasse auf jenes in China zu drücken. Das gilt für Dänemark, die Niederlande und Deutschland ebenso wie für Portugal, Spanien und Frankreich.

Der Bildungsbereich spielt dabei eine entscheidende Rolle. Hier hofft die Finanzelite, Milliarden Euro an Steuergeldern abziehen und in ihre Taschen umlenken zu können. Die sozialen Angriffe in Griechenland begannen mit der Abschaffung der Lehrmittelfreiheit und erleben mit der Schließung von Universitäten und Schulen sowie der Streichung von 13.000 Dozentenstellen ihren vorläufigen Höhepunkt.

In Deutschland werden neu eingestellte Lehrer von Jahr zu Jahr immer schlechter bezahlt. Ein Streik im öffentlichen Dienst, der dies beenden sollte, wurde von den zuständigen Gewerkschaften ausverkauft. In Spanien wurden tausende Vertretungslehrer entlassen und die Arbeitsstunden der Festangestellten im Gegenzug erhöht. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Wie ihre Kollegen in ganz Europa sind die dänischen Kollegen kampfbereit und genießen in der arbeitenden Bevölkerung breite Unterstützung. Täglich finden Proteste und Solidaritätsaktionen statt. Am 11. April versammelten sich 50.000 Menschen vor dem Parlamentsgebäude Christiansborg, um gegen die Aussperrung der Lehrer zu demonstrieren. Die Demonstranten sprachen sich zudem gegen die Verschlechterung der Lernbedingungen aus.

Doch die DLF-Gewerkschaft setzt alles daran, die Proteste zu isolieren und in harmlose Kanäle zu lenken. Mit Spaßaktionen vor den Rathäusern versucht sie, von dem brutalen Ausmaß der Regierungsmaßnahmen abzulenken und sie als gewöhnlichen Tarifkonflikt darzustellen. Weder die übrigen dänischen Gewerkschaften, noch die internationalen Lehrergewerkschaften haben ernsthafte Solidarität organisiert, sondern arbeiten selbst daran, ihre Mitglieder zu isolieren und auszuliefern.

Unterstützung erhält die Regierung bei ihren sozialen Angriffen auch von der Rot-Grünen Einheitsliste (EL), einem Wahlbündnis der Linken Sozialisten (VS), der stalinistischen Dänischen Kommunistischen Partei (DKP), der maoistischen Kommunistischen Arbeiterpartei (KAP) und der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), der dänischen Sektion des pablistischen Vereinigten Sekretariats, das bei den letzten Wahlen 6,5 Prozent der Stimmen erhielt.

Die EL stimmte schon mit der Regierung für die Sparhaushalte der Jahre 2012 und 2013 und sicherte ihr so die notwendige Mehrheit - immer mit dem Argument, dass sie die Regierung auf diese Weise nach links drücken könne. Tatsächlich schaffte sie damit die Voraussetzung für die historischen Angriffe, die die Regierung mit der Offensivaussperrung der Lehrer nun durchsetzt.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 23.04.2013
70.000 dänische Lehrer ausgesperrt
http://www.wsws.org/de/articles/2013/04/23/daen-a23.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2013