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GLEICHHEIT/4783: Berlusconis Partei droht mit Sturz der italienischen Regierung


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Berlusconis Partei droht mit Sturz der italienischen Regierung

Von Marianne Arens
6. August 2013



Die rechte Berlusconi-Partei PdL (Volk der Freiheit) droht, ihre Minister und Abgeordneten aus der italienischen Regierung abzuziehen und damit die Koalition unter Enrico Letta (PD) zu Fall zu bringen. Die neue Regierung ist knapp hundert Tage im Amt.

Grund ist das Urteil gegen Silvio Berlusconi. Am ersten August wurde der ehemalige Regierungschef erstmals rechtskräftig verurteilt. Der milliardenschwere Medien-Tycoon hatte beim Kauf von Filmrechten für seinen TV-Konzern Mediaset in den Jahren 2002 und 2003 mehr als 350 Millionen Dollar Einnahmen am Fiskus vorbei auf Auslandskonten verschoben.

Der Oberste Gerichtshof in Rom bestätigte am Freitag das frühere Urteil wegen Steuerbetrug auf vier Jahre Haft, wies jedoch den zweiten Teil des Urteils, nämlich eine fünfjährige Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, an das nächst niedrige Mailänder Berufungsgericht zurück. Der Verlust der Ehrenrechte hätte zur Folge, dass Berlusconi von all seinen politischen Ämtern zurücktreten müsste.

Die Medien feierten das Urteil als wichtigen Schritt, und Beppe Grillo behauptete gar, es sei "mit dem Fall der Berliner Mauer vergleichbar". In Wirklichkeit wird Berlusconi niemals ein Gefängnis von innen sehen.

Von seinen vier Jahren Haft wurden ihm drei Jahre sofort erlassen, gemäß einem Amnestiegesetz der Prodi-Regierung von 2006. Auch das eine Jahr Haft muss der 77-Jährige nicht im Gefängnis absitzen. Dafür sorgte Anna Maria Cancellieri, die von Mario Monti zur Innenministerin berufen wurde und heute Lettas Justizministerin ist.

Cancellieri ist eigentlich berüchtigt für ihre gnadenlose Haltung, jedenfalls wenn es um protestierende Arbeiter oder Flüchtlinge ohne Papiere geht. Nun hat sie zum ersten Juli 2013, pünktlich zu Berlusconis Verurteilung, aus "humanitären" Gründen ein weiteres neues Gesetz, das so genannte decreto carceri (Gefängnisgesetz) auf den Weg gebracht. Dieses kann Haftstrafen für leichte Vergehen von Tätern über siebzig Jahren in Sozialarbeit oder Hausarrest umwandeln.

Was die beiden andern noch laufenden Prozesse gegen Berlusconi betrifft - den Fall Ruby wegen Sex mit einer Minderjährigen und Amtsmissbrauch, sowie einen Prozess wegen Abgeordnetenbestechung -, so haben dessen Anwälte eine Eingabe gemacht, diese Prozesse auszusetzen oder das Strafmaß pauschal zu erheben und deutlich zu verringern. Am Ende könnte die gesamte Strafe sich auf einige Monate Hausarrest belaufen, die Berlusconi dann bequem in einer seiner zwanzig Luxusvillen verbringen kann.

Berlusconis Anwälte halten es für ein ermutigendes Zeichen, dass der Oberste Gerichtshof sich entschieden hat, weder über alle drei noch offenen Fälle gleichzeitig, noch über den Fall Ruby zuerst zu urteilen. Allein im Fall Ruby hätten die Richter sieben Jahre Gefängnis bestätigen müssen, und die Höchstgrenze für das Decreto carceri wäre bei weitem überschritten worden. Dann hätte es praktisch keine Möglichkeit gegeben, den korrupten Politiker vor dem Gefängnis zu bewahren.

Am Ende haben also die von Berlusconi verteufelten "roten Roben" den korrupten ex-Regierungschef vor dem Gefängnis bewahrt.

Auch die Frage, ob Berlusconi seine Ämter niederlegen müsse, ist keineswegs entschieden. Erst einmal ist das Urteil vertagt, und wird es noch bestätigt, dann muss der Senat seinem Rücktritt erst zustimmen, was keineswegs sicher ist. Dann wäre Berlusconi fünf Jahre lang nicht wählbar. Wie er bereits ankündigte, will er in dieser Zeit seine erste Partei aus den 1990er Jahren, Forza Italia, von Grund auf neu aufbauen.

Das äußerst milde Urteil ist der Tatsache geschuldet, dass Berlusconi für den Erhalt der aktuellen Regierung von entscheidender Bedeutung ist: Seine Partei PdL (Volk der Freiheit) bildet gemeinsam mit der Demokratischen Partei (PD) eine Koalitionsregierung, die von Enrico Letta (PD), dem Neffen des Berlusconi-Vertrauten Gianni Letta, geleitet wird.

Berlusconi selbst ist zwar nicht Minister, doch läuft in seiner Partei Volk der Freiheit (PdL) nichts ohne ihn. An seiner Stelle bekleidet sein engster Vertrauter und früherer Justizminister, Angelino Alfano, das Amt des Vizepremiers und Innenministers.

Die zwei Parteien, Demokraten und Volk der Freiheit, die sich zwanzig Jahre lang bekämpft hatten, haben sich zur gemeinsamen Regierung zusammengefunden, um eine akute politische Krise zu überwinden und den kapitalistischen Kurs der Monti-Regierung fortzusetzen. Die Wähler hatten im Februar sämtliche Parteien praktisch abgewählt, die den Sparkurs der EU verfolgt hatten.

In Berlusconis Volk der Freiheit erhob sich am Freitagabend, unmittelbar nach dem Schuldspruch und ungeachtet seiner Milde, ein Zetergeschrei. Die PdL-Abgeordneten drohten, die Regierung zu stürzen.

Berlusconi befahl seine Parteigänger zu sich, bezeichnete die Justiz als "unverantwortlich" und das Urteil als "Beschädigung der Demokratie" und fragte in einer Videobotschaft pathetisch: "Ist das die Art und Weise, wie Italien die Opfer seiner besten Bürger belohnt?" Er forderte eine sofortige Justizreform. Andernfalls sei er zu Neuwahlen bereit.

Später traten die PdL-Senatoren und Abgeordneten gemeinsam vor die Presse und forderten, mit ihren Rücktrittsgesuchen in der Hand, Staatspräsident Giorgio Napolitano auf, Berlusconi zu begnadigen. Sonst würden sie geschlossen zurücktreten und die Regierung zu Fall bringen.

Am Samstag bestätigte Parteichef Angelino Alfano, seines Zeichens Vizepremier und Innenminister, dass sämtliche PdL-Minister und Parlamentarier zum Rücktritt bereit seien, falls Berlusconi nicht begnadigt werde. Für den Sonntag rief er alle Anhänger Berlusconis zu einer Protestkundgebung in Rom auf.

Als darauf die Börsenkurse kurzfristig in einen wilden Zickzack verfielen, fürchteten zahlreiche Politiker neue Turbulenzen und mahnten zur "Besonnenheit". "Es wäre dramatisch, wenn die Regierung stürzen würde", erklärte der frühere Premier Mario Monti der Zeitung Corriere della Sera.

Die PD ist stark zerstritten, und ihrem seit April amtierenden Premierminister Enrico Letta will es nicht gelingen, aus der Krise herauszukommen. Seine Popularitätswerte sind sofort nach der Regierungsbildung stark gesunken, weil er nicht nur Montis Austeritätskurs fortsetzt, sondern auch mit Berlusconis PdL zusammen regiert.

Ein immer größerer Parteiflügel der Demokraten unterstützt die Stimmen, die das Experiment der Letta-Regierung abbrechen möchten. Diese Kräfte wären den Medienzaren und seinen unberechenbaren, mafiösen Anhang gerne los, um den Austeritätskurs, den die Banken fordern, ungehindert durchsetzen zu können.

In einem Kommentar der Zeitung Repubblica vom 2. August heißt es, das Urteil gegen den PdL-Führer habe eine neue politische Situation herbeigeführt. Die Demokratische Partei wurde darin aufgefordert, eine Regierung ohne die PdL zu wagen. Das sei "eine Frage ihrer Identität" und betreffe "nicht nur die Justiz, sondern auch die Sauberkeit des Parlaments und vor allem Wesen und Qualität der Politik".

Auch der Parteichef der Demokraten, Guglielmo Epifani, früher Chef der größten Gewerkschaft CGIL, erklärte: "An Berlusconi sind wir nicht gebunden", und forderte den Senat dazu auf, Berlusconis Rücktritt von allen Ämtern zuzustimmen.

Auf ähnliche Weise wurde vor zwei Jahren der öffentliche Hass auf Berlusconis Korruption benutzt, um die "Technokraten"-Regierung von Mario Monti an die Macht zu bringen. Seither wird in Italien schon über zweieinhalb Jahre lang eine drastische Sparorgie im Interesse der italienischen und europäischen Banken durchgesetzt.

Dies hat sich mit der Letta-Regierung im Grundsatz nicht geändert, wenn auch die neu verhängte Immobiliensteuer erst einmal gestoppt wurde, weil Berlusconi dies seinen Wählern versprochen hatte.

In letzter Zeit fordern Wirtschafts- und Bankenkreise immer lauter, Letta müsse den Sparkurs strikter befolgen, um die hohe Verschuldung abzubauen. Die Rezession verschärft sich, und die Staatsschulden haben mit 130 Prozent der Bruttoinlandsprodukts (BIP) und über Zwei Billionen Euro neue Höhen erreicht.

Die Ratingagentur Standard & Poor's stufte erneut Italiens Kreditwürdigkeit herab, und vor kurzem appellierte die OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) an die Letta-Regierung, den Arbeitsmarkt endlich deutlich zu reformieren, was ein Euphemismus für einen rücksichtslosen Angriff auf die sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiter ist.

Die Arbeiterklasse bezahlt die Kosten der Krise und wird mehr und mehr ins offene Elend getrieben. Die offizielle Arbeitslosigkeit beträgt 12,2 Prozent, und die Jugendarbeitslosigkeit nähert sich der Vierzig-Prozent-Marke. Von den schrecklichen Existenzbedingungen der arbeitenden Bevölkerung zeugen nicht zuletzt die vielen Selbstmorde [1], über die in den Zeitungen immer neue Berichte auftauchen.


[1] Anmerkung:
http://www.wsws.org/en/articles/2013/06/21/suic-j21.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 06.08.2013
Berlusconis Partei droht mit Sturz der italienischen Regierung
http://www.wsws.org/de/articles/2013/08/06/berl-a06.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2013