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GLEICHHEIT/4908: Internationale Gespräche über iranisches Atomprogramm festgefahren


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Internationale Gespräche über iranisches Atomprogramm festgefahren

Von Peter Symonds
12. November 2013



Am frühen Sonntagmorgen wurden die Gespräche in Genf über das iranische Atomprogramm ohne Zwischenergebnis abgebrochen. Der Iran und die P5+1-Gruppe (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China und Deutschland) hatten sich ursprünglich getroffen, um den langjährigen Streit um Teherans Atomprogramm möglicherweise beizulegen, und hatten die eigentlich auf zwei Tage ausgelegten Gespräche bis zum Wochenende verlängert. Die Außenminister der P5+1-Staaten waren mit der Perspektive nach Genf geflogen, ein Abkommen zu erzielen, aber Frankreich blockierte effektiv jede Einigung.

Die USA und ihre europäischen Verbündeten haben die ganze Zeit über gefordert, dass der Iran einen Großteil seines Atomprogramms einstellt. Sie unterstellen der Regierung in Teheran die Absicht, Atomwaffen zu bauen. Obwohl bisher keine Details der Verhandlungen veröffentlicht wurden, war der Iran war offenbar bereit, die Anreicherung von Uran auf zwanzig Prozent zu begrenzen, die raffinierten IR-2-Gaszentrifugen nicht zur Urananreicherung zu nutzen und seinen Schwerwasserreaktor bei Arak nicht in Betrieb zu nehmen. Die iranische Regierung hat immer wieder dementiert, den Bau von Atomwaffen zu betreiben.

Als Gegenleistung forderten die iranischen Unterhändler eine Aufhebung der Sanktionen, die die Wirtschaft des Landes völlig zum Erliegen gebracht hat. Die Ölexporte sind um die Hälfte zurückgegangen, Arbeitslosigkeit und Inflation stark angestiegen. Die Obama-Regierung weigert sich jedoch, die schwersten Sanktionen, die den Öl- und Finanzsektor des Iran betreffen, aufzuheben. Allerdings hat sie Teheran Zugriff auf die eingefrorenen Konten angeboten, auf denen die Gewinne aus den Ölexporten liegen; außerdem darf der Iran mit Edelmetallen, Petrochemie und Autoteilen handeln.

Die israelische Regierung verurteilte das vorgeschlagene Abkommen und betonte, der Iran müsse alle Anreicherungen einstellen und seine Atomanlagen demontieren, bevor Sanktionen aufgehoben würden. Laut dem Guardian hatte US-Präsident Obama am Freitagabend mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu gesprochen, um ihn davon zu überzeugen, keinen Widerstand gegen das Abkommen zu leisten. Aber Netanjahu widersetzte sich dem Abkommen weiter, und der britische Premierminister David Cameron, der russische Präsident Wladimir Putin, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande stellten sich auf seine Seite.

Offenbar blockierte Frankreich das Abkommen. Außenminister Laurent Fabius sagte im Interview mit einem Pariser Radiosender, Frankreich werde sich nicht zum Narren halten lassen. Ohne Rücksicht auf die Übereinkunft, keine Details der Gespräche an die Öffentlichkeit zu geben, erwog Fabius öffentlich harte neue Maßnahmen: Der Iran solle sein zu zwanzig Prozent angereichertes Uran außer Landes schaffen und den Bau des Reaktors bei Arak ganz einstellen. Dabei weiß Fabius genau, dass sie für den Iran nicht annehmbar sind. Ein westlicher Diplomat erklärte dem Guardian zu Frankreichs Entscheidung, sich nicht an das Abkommen zu halten: "Es geht um Frankreichs Interessen am Golf und um die Tatsache, dass Hollande Ende des Monats nach Israel fährt und nicht will, dass die Reise zum Alptraum wird."

Die Spannungen innerhalb der P5+1-Gruppe zeigen, dass trotz allem Gerede über die Atomfrage für alle Großmächte wirtschaftliche und strategische Interessen auf dem Spiel stehen. Sergei Rjabkow, der Stellvertreter des russischen Außenministers, erklärte auf die Frage, warum dieser nach Genf geflogen war: "Viele Fragen betreffen die tiefsitzenden Interessen mehrerer Länder." Kein Land will ins Hintertreffen geraten, wenn ein Abkommen mit Teheran getroffen wird.

Außerdem würde eine Annäherung zwischen den USA und dem Iran nach mehr als dreißig Jahren ununterbrochener Feindseligkeit die Verhältnisse im ganzen Nahen Osten verändern. (Vor dreißig Jahren wurde die berüchtigte Marionette der USA, Schah Reza Pahlavi durch die iranische Revolution von 1979 gestürzt.) Israel und Saudi-Arabien, die mit den USA verbündet sind und den Iran als regionalen Rivalen betrachten, fürchten, dass ihre eigenen Interessen leiden könnten. Alle Großmächte, inklusive Frankreichs, wollen in einer Neuordnung ihre Positionen behaupten.

Weitere Gespräche in Genf sind für den 20. November angesetzt. Der iranische Außenminister Javad Zarif stellte das Ergebnis im bestmöglichen Licht dar und erklärte: "Es ist zwar klar, dass die sechs Staaten unterschiedliche Sichtweisen haben, aber wir arbeiten zusammen und erzielen hoffentlich eine Einigung, wenn wir uns wieder treffen."

Der neue iranische Präsident Hassan Ruhani, der auf eine Annäherung an Washington drängt, erklärte dem iranischen Parlament am Sonntag jedoch, seine Regierung werde sich nicht von Drohungen einschüchtern lassen. "Wir haben unseren Verhandlungspartnern in Worten und Taten klargemacht, dass die Anwendung von Drohungen, Sanktionen, Erniedrigungen und Diskriminierungen unter keinen Umständen Erfolg haben wird." Er bekräftigte, der Iran werde nicht zulassen, dass seine "rote Linie", nämlich sein Recht, Uran auf iranischem Boden gemäß dem Atomwaffensperrvertrag anzureichern, überschritten werde.

Die iranische Presse reagierte wütend auf die Nachricht, dass Frankreich die Vorschläge zurückweise, und warf Paris vor, auf der Seite Israels zu stehen. Ein Leitartikel in der Hardliner-Zeitung Keyhan verurteilte "das schändliche Verhalten des französischen Außenministers bei den Gesprächen in Genf und seine Bemerkungen im Auftrag des zionistischen Regimes". Die Zeitung ist eng mit dem Obersten Führer Ajatollah Ali Chamenei verbunden, der Ruhanis Fortführung der Verhandlungen unterstützt.

US-Außenminister John Kerry lehnte am Sonntag in einem Interview in der NBC-Sendung Meet the Press die Vorstellung von Meinungsverschiedenheiten mit Frankreich zurück: "Ich behaupte, einige Nationen - nicht nur die Franzosen, sondern auch wir selbst und andere - wollten sicherstellen, dass unser Ton die notwendige Schärfe habe (...) und nichts versprechen oder etwas Unvorsichtiges tun, das sich als Fehler erweisen könnte."

Kerry versuchte auch, Israel und die Gegner des Abkommens im amerikanischen Kongress zu beruhigen: "Wir sind absolut entschlossen, ein gutes Abkommen zu erzielen, andernfalls wird es keine Einigung geben. (...) Wir haben die Sache in den letzten Tagen nicht beendet, weil wir zusammenstehen und uns gemeinsam für Dinge einsetzen, von denen wir glauben, dass sie die Garantien schaffen, die Israel und der Rest der Welt verlangen."

Nach den Gesprächen flog die oberste Unterhändlerin der USA, Wendy Sherman, nach Israel, um Netanjahu und seine Minister zu unterrichten. Ihnen wurde sicherlich ein frostiger Empfang bereitet. Der israelische Premierminister erklärte am Sonntag bei einem Kabinettstreffen, er werde alles tun, um eine "schlechte Einigung" zu verhindern, d.h. eine, die es dem Iran erlauben würde, seine bestehenden Atomanlagen zu behalten. Wirtschaftsminister Naftali Bennett erklärte in einem Radiointerview, er habe jüdische Organisationen in den USA und anderen Ländern angewiesen, sich bis zur Fortsetzung der Gespräche in Genf nächste Woche gegen das Abkommen einzusetzen.

Trotz der Appelle der Obama-Regierung an den Kongress, keine weiteren Sanktionen zu verhängen, erklärte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses Robert Menendez am Sonntag, der Senat werde weitere Gesetze verabschieden, die im Repräsentantenhaus bereits verabschiedet worden seien. Weitere Schritte zu neuen, harten Sanktionen in Genf könnten effektiv alle iranischen Ölexporte bis 2015 blockieren und jedes Abkommen gefährden.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 12.11.2013
Internationale Gespräche über iranisches Atomprogramm festgefahren
http://www.wsws.org/de/articles/2013/11/12/iran-n12.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2013