Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/4927: Vorläufiges Abkommen zum iranischen Atomprogramm


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Vorläufiges Abkommen zum iranischen Atomprogramm

Von Peter Symonds
26. November 2013



Nach viertägigen Gesprächen in Genf wurde am Sonntagmorgen ein vorläufiges Abkommen zu den iranischen Atomprogrammen erzielt, das die Bedingungen für ein längerfristiges umfassendes Abkommen schafft.

Die Verhandlungen zwischen dem Iran und den P5+1-Staaten (USA, Großbritannien, Frankreich, China, Russland und Deutschland) wurden ab letztem Mittwoch in Genf wieder aufgenommen, nachdem die Verhandlungsrunde Anfang des Monats ohne Ergebnis unterbrochen worden war. Obwohl der amerikanische Kongress androhte, neue Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, die weitere Gespräche zum Scheitern bringen könnten, wurde ein Abkommen verabschiedet, nach dem der Iran alle seine Atomprogramme praktisch einfriert und umfassende Inspektionen zulässt. Als Gegenleistung soll das verheerende Sanktionsregime in sehr begrenztem Maße gelockert werden.

Gemäß dem Abkommen, das während der nächsten sechs Monate gültig sein soll, verspricht der Iran:

• Uran nicht höher als bis zu fünf Prozent anzureichern - soviel wird benötigt, um das Atomkraftwerk Bushehr zu betreiben - und seine Bestände an solchem Material nicht zu erhöhen.

• Die Bestände an auf zwanzig Prozent angereichertem Uran für die weitere Anreicherung unbrauchbar zu machen, entweder indem sie zu Brennstoff für den Forschungsreaktor in Teheran verarbeitet werden, oder indem sie auf fünf Prozent verdünnt werden. Für Atomwaffen ist eine Anreicherung auf 90 Prozent notwendig.

• Er erhöht seine aktuellen Fähigkeiten zur Anreicherung nicht und baut keine weiteren Gaszentrifugen auf, damit werden mehr als die Hälfte der bestehenden 16.000 Zentrifugen unbrauchbar.

• Er stellt die Arbeit am Schwerwasserreaktor Arak ein, der im einsatzbereiten Zustand Plutonium für Atomwaffen herstellen könnte.

• Er akzeptiert die am weitesten gehenden Inspektionen, die die Internationale Atomenergiebehörde je durchgeführt hat, unter anderem eine umfassende Beobachtung und detaillierte Informationen über alle bestehenden und geplanten Einrichtungen, tägliche Inspektionen von einem Tag auf den anderen in wichtigen Atomanlagen und Inspektionen der Uranminen, Werke und Zentrifugenbetriebstätten.

Washington betonte, der Iran werde nur sehr geringe Gegenleistung erhalten. US-Präsident Obama erklärte am Sonntag in einer Stellungnahme, die USA hätten sich zu "bescheidenen Lockerungen" bereit erklärt, würden dabei jedoch weiterhin "ihre härtesten Sanktionen" beibehalten." Durch die bestehenden Sanktionen, die auf Druck der USA eingeführt wurden, haben sich die wichtigen Ölexporte des Iran auf die Hälfte reduziert und das Land praktisch aus dem internationalen Banken- und Finanzsystem gedrängt. Dies hat zu hohen Inflationsraten, steigender Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die Bevölkerung geführt.

Gemäß dem vorläufigen Abkommen wird der Iran Zugang zu etwa 3,5 Milliarden von seinem eigenen Geld haben, das auf internationalen Bankkonten eingefroren ist, jedoch nur schrittweise. Er wird auch wieder mit petrochemischen Erzeugnissen, Gold, Edelmetallen und Flugzeugteilen handeln können. Als stillschweigendes Eingeständnis, dass die Sanktionen den Import von Lebensmitteln und wichtigen Medizingütern getroffen haben, erleichtert das Abkommen den "humanitären Handel." Der Gesamtwert der Zugeständnisse wird auf nur sieben Milliarden Dollar geschätzt.

Es sind bereits Differenzen bei der Auslegung aufgetaucht, die darauf hindeuten, dass die Umsetzung des Abkommens möglicherweise scheitern könnte. Der iranische Präsident Hassan Ruhani erklärte, das Abkommen werde erstmals das "Recht" des Landes auf Urananreicherung anerkennen; US-Außenminister John Kerry dementierte diese Behauptung energisch.

Die USA und ihre europäischen Verbündeten werden in den nächsten sechs Monaten den Druck auf den Iran zweifellos verstärken, um weitere Zugeständnisse zu erzwingen, und zwar nicht nur um seine Atomprogramme deutlich zu verkleinern, sondern auch in anderen wirtschaftlichen und strategischen Fragen, unter anderem in der Frage des Krieges in Syrien. Obama warnte am Sonntag, wenn der Iran nicht pariere, "werden wir die Lockerungen zurücknehmen und den Druck erhöhen." Obama sprach zwar keine militärische Drohung aus, erklärte jedoch, er werde als Oberbefehlshaber "alles Notwendige tun, um den Iran daran zu hindern, Atomwaffen zu erhalten."

Der israelische Premierminister Benjamin Netanajahu verurteilte das Abkommen am Sonntag: er erklärte, es handele sich dabei nicht um eine "historische Einigung," sondern um einen "historischen Fehler." Er verurteilte es, weil es dem "gefährlichsten Regime der Welt" ermögliche, dem Ziel, "die gefährlichste Waffe der Welt" in Besitz zu bekommen, einen großen Schritt näher gebracht habe. Israel selbst besitzt nicht nur ein Atomarsenal, sondern ist auch für zahlreiche Aggressionen im Nahen Osten verantwortlich.

Netanjahu erklärte nach einem Treffen seines Kabinetts, Israel fühle sich nicht an das Abkommen gebunden und habe "die Pflicht, sich selbst gegen jede Bedrohung zu verteidigen." Der Premierminister hat mehrfach mit Militärschlägen gegen den Iran gedroht. Außenminister Avigdor Lieberman erklärte: "Offensichtlich werden wir Entscheidungen treffen müssen, wenn alle Optionen auf dem Tisch liegen."

Saudi-Arabien reagierte am Sonntag mit eisigem Schweigen auf das Abkommen. Letzten Freitag warnte der saudische Botschafter in Großbritannien, Prinz Mohammed bin Nawaf bin Abdulaziz jedoch, Riad werde "nicht untätig zusehen und nicht darüber nachdenken, wie wir unser Land und unsere Region am besten verteidigen können."

Die Obama-Regierung ist im amerikanischen Kongress mit Widerstand konfrontiert. Der Demokratische Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Senats Bob Menendez erklärte, er werde zusammen mit seinen Kollegen dafür sorgen, dass härtere Sanktionen gegen den Iran zur Verfügung [stünden], "sollten die Gespräche scheitern oder der Iran das vorläufige Abkommen nicht umsetzen oder dagegen verstoßen." Der Demokratische Senator Chuck Schumer deutete jedoch an, dass "Demokraten und Republikaner sich zusammentun und zusätzliche Sanktionen verabschieden werden, wenn wir im Dezember wieder zusammenkommen", was das Abkommen zum Scheitern bringen würde.

Trotz der Opposition im Inland und von Verbündeten aus dem Nahen Osten drängt die Obama-Regierung auf eine umfassende Einigung mit Teheran. Washingtons Hauptanliegen ist nicht das iranische Atomprogramm, sondern der Zugang zu den riesigen Öl- und Erdgasvorkommen des Iran und die Einbeziehung von Teheran in das Ziel, seine bestimmende Rolle im Nahen Osten und Zentralasien zu sichern.

Das bürgerliche iranische Regime hat schon früher gezeigt, dass es bereit ist, ein Abkommen mit Washington zu schließen und die Konfrontation zu beenden, die seit der iranischen Revolution von 1979 besteht. Im Jahr 2003 war der heutige Außenminister Javad Zarif eng daran beteiligt, ein Angebot für ein Abkommen mit den USA auszuarbeiten, das die Bush-Regierung dann aber ignorierte. Die USA haben außerdem Gespräche zwischen dem Iran und den EU3-Staaten - Großbritannien, Frankreich und Deutschland zwischen 2003 und 2005 praktisch sabotiert. Damals hatte der Iran die Urananreicherung eingestellt und umfassende Untersuchungen der IAEA erlaubt.

Die Obama-Regierung hat jedoch seit der Wahl von Hassan Ruhani zum Präsidenten im Juni die Möglichkeit einer Annäherung an den Iran ausgelotet. Er ist mit Fraktionen der herrschenden Elite verbündet, die versuchen, die Beziehungen zu den USA zu entspannen, und war Chefunterhändler bei den früheren Gesprächen mit den EU3-Staaten über das Atomprogramm.

Am Wochenende erschien ein Artikel von Associated Press, der über Geheimgespräche mit hohen amerikanischen Regierungsvertretern, darunter Außenminister John Kerry und dem stellvertretenden Außenminister William Burns und den iranischen Vertretern berichtete. Seit Anfang März ging es in mindestens fünf heimlichen Treffen, die der omanische Sultan Kabus ausgehandelt hatte, nicht nur um die iranischen Atomprogramme, sondern um eine ganze Reihe von Themen, unter anderem den Krieg in Syrien.

Die Treffen wurden vor anderen Mitgliedern der P5+1-Staaten und Israel bis zum Treffen der UN-Vollversammlung im September geheim gehalten. Am Tag nachdem Obama Netanjahu über die heimlichen Diskussionen informiert hatte, nutzte der israelische Premierminister seine Rede vor der UN-Vollversammlung, um Ruhani als "Wolf im Schafspelz" zu denunzieren.

Hinter der Heftigkeit von Netanajahus Kritik an Ruhani und der Einigung in Genf vom Sonntag steckt die Furcht, dass schon eine begrenzte Annäherung an Washington die strategischen Beziehungen im Nahen Osten verändern und die Position Israels und anderer Verbündeter der USA schädigen und ihrem Rivalen in der Region, dem Iran, nutzen könnte.

*

Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: psg[at]gleichheit.de

Copyright 2013 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten

*

Quelle:
World Socialist Web Site, 26.11.2013
Vorläufiges Abkommen zum iranischen Atomprogramm
http://www.wsws.org/de/articles/2013/11/26/iran-n26.html
Partei für Soziale Gleichheit,
Sektion der Vierten Internationale (PSG)
Postfach 040 144, 10061 Berlin
Telefon: (030) 30 87 27 86, Telefax: (032) 121 31 85 83
E-Mail: psg[at]gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2013