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GLEICHHEIT/6000: Trotz der Krise im Südchinesischen Meer vertieft die EU ihre Beziehungen zu China


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Trotz der Krise im Südchinesischen Meer vertieft die EU ihre Beziehungen zu China

Von Alex Lantier
16. Juli 2016


Am Dienstag ging das zweitägige 18. EU-China-Gipfeltreffen in Peking zu Ende. Zeitgleich hatte ein UN-Schiedshof in Den Haag eine explosive Entscheidung verkündet, nach der die territorialen Ansprüche Chinas im Südchinesischen Meer nicht gerechtfertigt seien und der Ausbau der Inseln illegal sei. Der Gegensatz zwischen der Gerichtsentscheidung über das Südchinesische Meer und den Gesprächen zwischen den Vertretern der Europäischen Union und Chinas war besonders krass. Die Entscheidung in Den Haag war durch eine Klage der Philippinen herbeigeführt worden, die von den USA unterstützt wurde.

Die Gerichtsentscheidung schafft die Voraussetzungen für eine militärische Konfrontation im Südchinesischen Meer. Die USA haben in der Region massiv aufgerüstet und China hat damit gedroht, eine Flugüberwachungszone über den umstrittenen Inseln zu verhängen.

Die EU wurde bei den Gesprächen vom Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, und dem Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker vertreten. Sie verfolgte bei den Verhandlungen mit dem chinesischen Premier Li Keqiang eine ganz andere Strategie. Sie stellte harte Forderungen wie z.B. eine Reduzierung der industriellen Kapazitäten, was die Entlassung von Millionen chinesischer Arbeiter besonders in der Stahlindustrie zur Folge hätte. Obwohl auch die EU-Vertreter die amerikanische Forderung wiederholten, Peking solle die "auf Regeln basierende internationale Ordnung" einhalten, weigerten sie sich demonstrativ, die Ansprüche der Philippinen gegenüber China im Südchinesischen Meer zu unterstützen.

Stattdessen bezeichneten die EU-Vertreter China als wichtigen geostrategischen Partner in einigen der umstrittensten und explosivsten Krisenherden der Welt. Sie weiteten die Integration der EU in chinesische Infrastruktur-Projekte aus, die von Washington abgelehnt werden, wie z.B. die Asiatische Infrastrukturinvestitionsbank (AIIB) und das pan-eurasische Transport- und Energie-Infrastrukturprojekt "Ein Gürtel, eine Straße" (One Belt One Road, OBOR).

Auf einer Pressekonferenz in Peking erklärte Tusk: "Das heutige Treffen gibt uns die Gelegenheit, die Stärke unserer strategischen Partnerschaft zu demonstrieren. Die Europäische Union freut sich darauf, eng mit China zusammenzuarbeiten, um internationale Konflikte zu lösen und außenpolitische Schwerpunktthemen anzusprechen ... Wir bauen auf der positiven Erfahrung der Atomgespräche mit dem Iran auf und sind zuversichtlich, dass wir sehr viel zu Frieden und Wohlstand überall auf der Welt beitragen können, speziell in Syrien, dem Irak, Afghanistan oder Afrika."

Gleichzeitig machten die EU-Vertreter deutlich, dass sie hoffen, im eskalierenden Konflikt zwischen China und den USA im Südchinesischen Meer neutral bleiben zu können.

Nachdem er den Gerichtsentscheid über das Südchinesische Meer erwähnt hatte, schloss Tusk seine Bemerkungen mit einer unmissverständlichen Bekräftigung der Beziehungen zwischen der EU und China. Er erklärte: "Das heutige Gipfeltreffen soll unseren Völkern und dem Rest der Welt die Botschaft unseres gemeinsamen Bekenntnisses zu unserer strategischen Partnerschaft überbringen."

Li erklärte, China werde das Völkerrecht schützen, indem es die Entscheidung von Dienstag ignoriere und den Streit in Übereinstimmung mit der bestehenden "Erklärung über das Verhalten der Parteien im Südchinesischen Meer" beilegt.

Der chinesische EU-Botschafter Yang Yanyi erklärte gegenüber Euractiv.com, China bemühe sich um die "Neutralität" der EU in diesem Konflikt: "Wir machen uns große Sorgen über die wirklichen Ursachen der anhaltenden Spannungen im Südchinesischen Meer und die schwerwiegenden Provokationen der USA ... Die USA betonen, dass sie gegen die Militarisierung des Südchinesischen Meers sind. Dennoch schicken sie immer mehr Kriegsschiffe und Flugzeugträger in die unmittelbare Nähe der chinesischen Küstengewässer. Das ist eine ernste Bedrohung der Sicherheit Chinas an Land und auf See und verschärft die Spannungen in Asien."

Letzte Woche legte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini dem Europäischen Parlament ein wichtiges strategisches Papier mit dem Titel "Elemente für eine neue China-Strategie der EU" vor. Sie erklärte: "Unsere Union ergreift keine Partei in Bezug auf konkrete Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer."

Jan Gaspers von dem in Berlin ansässigen Mercator Institute for China Studies warnte: "Ein weiteres Anwachsen der Spannungen im Südchinesischen Meer wird den Druck auf die Mitgliedsstaaten der EU erhöhen, eine klare Position zu dem Konflikt zu beziehen. Eine feste Position würde jedoch entweder den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und den Partnern in der Region schaden oder, was wahrscheinlicher ist, zu Spannungen mit China führen."

Die "Pivot to Asia"-Strategie der Obama-Regierung und ihr Anheizen des Konflikts mit China haben die EU in unlösbare Widersprüche verstrickt. Die EU stützt sich auf den US-Imperialismus als wichtigsten militärischen Verbündeten in der NATO und Washington übt Druck auf die EU aus, eine feindliche Haltung gegenüber Russland und China einzunehmen. Das wird in vielen europäischen Hauptstädten jedoch abgelehnt. Als Reaktion darauf überdenken große Teile der europäischen Bourgeoisie, angeführt von Berlin, ihre strategische Beziehung zu Washington.

Am deutlichsten war der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der letzten Monat die Außenpolitik der USA, speziell im Irak und im Nahen Osten, scharf angriff. Er erklärte: "Die Regierung von George W. Bush ist nicht nur damit gescheitert, die Region gewaltsam neu zu ordnen, die politischen, wirtschaftlichen und nicht-militärischen Kosten dieses Abenteuers haben auch die Gesamtstellung der Vereinigten Staaten unterhöhlt." Er verurteilte obendrein die von den USA angeführten Militärübungen in Osteuropa als "lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul", das sich gegen Russland richte.

Eine wichtige Kraft, die die unabhängigere Außenpolitik der EU antreibt, ist die tiefe wirtschaftliche und politische Krise des europäischen Kapitalismus, speziell nach dem Votum Großbritanniens vom letzten Monat, die EU zu verlassen. Die EU ist aufgrund der fortwährenden Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter mit einem wirtschaftlichen Zusammenbruch und mit der Aussicht auf einen Rückgang des Handels mit Großbritannien konfrontiert. Das hat dazu geführt, dass mächtige Fraktionen innerhalb der EU eine Neuorientierung der Handels- und Außenpolitik der EU in Richtung auf ein engeres Bündnis mit China fordern. Das würde Europa unausweichlich in einen schweren Konflikt mit Washington hineinziehen.

Die Online-Zeitung EUobserver bemerkt dazu: "Der Druck des Brexit hat das Potential, die entmutigenden Tendenzen im Welthandel und bei den Investitionen zu verstärken ... Der tatsächliche Austritt Großbritanniens aus der EU könnte die strategischen Vorteile für China aus den vertieften Wirtschaftsbeziehungen zwischen London und Peking verringern, aber er würde die Chancen einer Kooperation zwischen der EU und China erhöhen."

Chinesische Vertreter bekundeten großes Interesse an einem geplanten 300-Milliarden-Euro-Infrastrukturprojekt, das von Juncker vorgeschlagen wurde. Der Diplomat Wang Yiwei erklärte gegenüber der South China Morning Post: "Es gibt enorme Möglichkeiten den Juncker-Plan mit 'Ein Gürtel, eine Straße' zu verbinden."

Mogherinis kürzlich vorgelegtes Papier über die strategischen Beziehungen zwischen der EU und China fordert eine Unterstützung für AIIB und andere chinesische Investitionsprojekte. Es heißt darin: "Das Ziel sollte sein, nachhaltige und funktionsfähige Infrastrukturnetzwerke grenzüberschreitend in Ländern und Regionen zwischen der EU und China aufzubauen." Und weiter: "Hinter der wichtigen 'Ein-Gürtel, eine Straße'-Strategie verbergen sich vor allem wirtschaftliche und innenpolitische Überlegungen, sie wird allerdings auch große geo-strategische Konsequenzen haben."

Mogherini erklärte nicht, was diese "großen geo-strategischen Konsequenzen" sein werden. Es ist jedoch ein offenes Geheimnis, dass Washington die Integration der eurasischen Landmasse als tödliche Bedrohung für die Errichtung seiner weltweiten Vorherrschaft nach der Auflösung der UdSSR sieht. Die wichtigste Überlegung hinter zweieinhalb Jahrzehnten US-amerikanischer Kriege in Afghanistan, im Irak und darüber hinaus war, die unanfechtbare Kontrolle der USA über Eurasien durchzusetzen.

1997 mahnte der ehemalige nationale Sicherheitsberater der USA, Zbigniew Brzezinski, in seinem Buch "Die einzige Weltmacht" die Notwendigkeit an, die Vereinigung Eurasiens gegen Washington zu verhindern: "Die Frage, wie ein global engagiertes Amerika mit den komplexen eurasischen Machtverhältnissen umgeht - und speziell ob es das Entstehen einer dominanten und feindlichen eurasischen Macht verhindert - ist entscheidend für Amerikas Fähigkeit, die globale Vorherrschaft auszuüben ... Eurasien ist deshalb das Schachbrett, auf dem der Kampf um die globale Vorherrschaft auch weiterhin ausgespielt wird."

Diese Konflikte verweisen auf die globalen geo-strategischen Überlegungen, die hinter der Militarisierung der europäischen Politik stehen. Vor allem hinter der Entscheidung Berlins, die Politik der militärischen Zurückhaltung fallen zu lassen, die sie nach der Niederlage des Nazi-Regimes 1945 verfolgt hatte, und die Aufrüstung voranzutreiben. Während die Konflikte zwischen den Großmächten eine bisher nicht gekannte Intensität annehmen und die Kriegsgefahr überall zunimmt, sind die europäischen Mächte entschlossen, ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

Deutschland nimmt in diesem Jahr zusammen mit US-amerikanischen und auch mit chinesischen, französischen und italienischen Schiffen zum ersten Mal an den von den USA organisierten RIMPAC-Marine-Übungen im Pazifik teil.

In einer Rede vom letzten Monat erklärte der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian, warum europäische Kriegsschiffe nach Asien zurückkehren: "Die Frage der Stabilität im asiatisch-pazifischen Raum ist ... keine theoretische Frage. Sie ist ein konkretes Thema, das eine ganze Abteilung meines Ministeriums beschäftigt: strategische Planung, die Beobachtung regionaler Entwicklungen, den Dialog mit Partnern, die Geheimdienstaktivitäten, die Planung und Durchführung von Operationen."


Anmerkung:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2014/12/06/opel-d06.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 16.07.2016
Trotz der Krise im Südchinesischen Meer vertieft die EU ihre Beziehungen zu China
http://www.wsws.org/de/articles/2016/07/16/haag-j16.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2016

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