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GLEICHHEIT/6359: Die Grünen drängen an die Macht - egal mit wem


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die Grünen drängen an die Macht - egal mit wem

Von Dietmar Henning
20. Juni 2017


Am Wochenende hielten die Grünen ihren Parteitag in Berlin ab. Das Motto "Zukunft wird aus Mut gemacht!" sollte den Grünen neue Zuversicht für die Bundestagswahl im September geben. Zwölf Jahre nach dem Ende der rot-grünen Bundesregierung drängen sie zurück an die Macht - egal mit wem.

Die Grünen haben allerdings ein Problem. In den Umfragen nähern sie sich der 5-Prozent-Schwelle und drohen den Einzug in den Bundestag zu verpassen. Gegenwärtig liegen sie mit 6 bis 7 Prozent an sechster Stelle - hinter Union, SPD, FDP, Linkspartei und AfD.

Spitzenkandidat Cem Özdemir rief den Delegierten bereits am Freitag zu, worum es an diesem Wochenende ging: "Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen und dieses Land mitzugestalten."

Im Wahlprogramm, das mit großer Mehrheit angenommen wurde, steht der Satz: "Wir haben bereits einmal sieben Jahre lang in einer Koalition mit der SPD unsere Republik erfolgreich regiert und nach vorne gebracht. Daran würden wir gerne wieder anknüpfen."

Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne), die von 1998 bis 2005 amtierte, steht für die ersten Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland sowie den größten sozialen Kahlschlag der Nachkriegsgeschichte. Die Einführung von Hartz IV und eines Zweiklassen-Gesundheitssystems, Rentenkürzungen und der Aufbau eines Niedriglohnsektors haben Millionen zu Armut verdammt.

Auf der anderen Seite haben die Reichen ihre Konten gefüllt. Davon hat auch die wohlhabende Klientel der Grünen profitiert. Die Partei, die in den 1980er und 90er Jahren noch vielen als fortschrittlich und linke Alternative galt, ist stockkonservativ geworden. Sie reagiert auf die soziale Ungleichheit mit Staatsaufrüstung und auf die wachsenden internationalen Spannungen mit Militäreinsätzen.

Die Grünen sitzen in zahlreichen Landesregierungen - mit der SPD, der Linkspartei und der CDU. Kurz vor dem Parteitag vereinbarten sie in Schleswig-Holstein sogar eine Koalition mit der CDU und der FDP, den Parteien, die sie 1998 im Bund von der Macht verdrängt hatten.

Die rechte Politik und die Beliebigkeit der Grünen schlagen sich in sinkenden Umfragewerten nieder. Dagegen versuchte der Parteitag mit ebenso verzweifelten wie theatralischen Mitteln anzukämpfen. Er wurde als Pop-Event inszeniert. Lifestyle-Fragen, wie die Forderung "Ehe für alle", spielten eine zentrale Rolle.

Gleichzeitig dienten sich die Grünen allen anderen Parteien als Koalitionspartner an. Der neue grüne Hoffnungsträger Robert Habeck rief in die Halle: "Ihr seid in eine geile Partei eingetreten!" Er hatte zuvor in Kiel das Bündnis mit CDU und FDP besiegelt.

Einen Antrag, im Bund eine Regierungskoalition mit der CSU auszuschließen, lehnte der Parteitag ab. Der ehemalige Parteichef Reinhard Bütikofer, inzwischen Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei, stellte klar, dass dies auch eine Koalitionsabsage an die CDU bedeuten würde. "Ausschließeritis hat aber noch niemals etwas gebracht."

Die Frage des Klimawandels wurde von allen Spitzengrünen benutzt, um für eine eigenständige deutsche und europäische Großmachtpolitik einzutreten, die sich insbesondere gegen die USA richtet. Katrin Göring-Eckardt, neben Özdemir zweite Spitzenkandidatin, beschwor den Kampf gegen den Klimawandel mit dem Argument: "Wir gehen in den Fight gegen die Klimagegner, die Nationalisten und die Egoisten!" Anschließend kündigte sie den "Fight" der Grünen in einem Tweet an Donald Trump an.

Bereits davor hatte Özdemir gedröhnt: "Das Eis in der Arktis interessiert es nicht, ob es wegen amerikanischer Blödheit schmilzt oder wegen deutscher Trägheit." Der Bundestagsfraktionsvorsitzende Anton Hofreiter warf den USA vor, der Ausstieg aus dem Weltklimaabkommen sei ein "Verbrechen an der Zukunft der gesamten Menschheit".

Im mit großer Mehrheit verabschiedeten 10-Punkte-Plan, mit dem die Grünen in den Bundestagswahlkampf ziehen, steht der Klimaschutz an erster Stelle. Neben der "Ehe für alle" erklärten die Grünen die umgehende Abschaltung der zwanzig "dreckigsten" Kohlekraftwerke zur unverzichtbaren Bedingung für eine Regierungsbeteiligung.

Der Parteitag versuchte zynisch, sich als Verteidiger des Asylrechts und Gegner von Flüchtlingsabschiebungen zu geben. Im Programm steht: "Mit uns in der Regierung wird es keine Abschiebungen in Krisenregionen geben, die so unsicher sind wie zum Beispiel Afghanistan momentan."

Die grüne Regierungspraxis sieht allerdings anders aus. Der heimliche Star des Parteitags, der baden-württembergische grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, lässt Flüchtlinge nach Afghanistan abschieben. Und die rot-grüne Landesregierung Nordrhein-Westfalens, die letzten Monat abgewählt wurde, hat mehr Flüchtlinge abgeschoben als jede andere Landesregierung, viele auch nach Afghanistan.

Zur internationalen Kriegsentwicklung und den internationalen Einsätzen der Bundeswehr schweigt sich das Programm bis auf ein Lippenbekenntnis zu "einem verbindlichen Rüstungsexportgesetz" aus. Ein Antrag, sich international gegen Kampfdrohnen auszusprechen, wurde von Geschäftsführer Michael Kellner abgebügelt. Drohnen international zu ächten, sei keine realistische Forderung für einen 10-Punkte-Plan.

Das Schweigen der Grünen zu den deutschen Kriegsvorbereitungen soll den Herrschenden signalisieren, dass sie es ernst meinen, wenn sie ankündigen, dort weiterzumachen, wo sie 2005 nach dem Ausscheiden aus der Bundesregierung aufhören mussten.

Vehement verteidigen die Grünen die Europäische Union, die sie als Instrument betrachten, um weltweit imperialistische Interessen zu verfolgen. "Wir wollen das EU-Parlament stärken", schreiben sie.

Mithilfe der EU wollen sie in Afrika Fuß fassen, wo der deutsche Imperialismus in den letzten zehn Jahren seinen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einfluss stark vergrößert hat. Die Grünen schlagen "einen grünen Marshallplan für Afrika" vor, mit dem sie "dort neue Perspektiven eröffnen und Fluchtursachen effektiv bekämpfen" wollen.

Hatten die Grünen in ihrer Regierungszeit bereits den Feldzug gegen Afghanistan unterstützt, griffen sie beim Krieg gegen Libyen die damalige schwarz-gelbe Regierung heftig an [1], weil sie sich nicht an der Bombardierung des Landes beteiligte. Im Syrienkonflikt forderten die Grünen einen Militäreinsatz [2], und nun haben sie Afrika [3] für sich entdeckt.

Als weiteren zentralen Programmpunkt verlangt die ehemalige Bürgerrechtspartei eine umfassende Aufrüstung des Staatsapparats. Offenbar rechnen die Grünen mit heftigem sozialem und politischem Widerstand.

"Wir sorgen dafür, dass die Polizei zur Erfüllung ihrer wachsenden Aufgaben gut ausgestattet ist, um effektiv schützen zu können. Wir stärken die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden." Videoüberwachung könne an "Gefahrenschwerpunkten" eine "ergänzende Maßnahme" sein, heißt es in dem Programm.

Özdemir erklärte, es sei ein "Ammenmärchen" und eine Unterstellung, wenn behauptet werde, die Grünen hätten ein Problem mit der Polizei. Er dankte ausdrücklich den anwesenden Polizisten. Özdemirs Co-Parteichefin Simone Peter sagte: "Ja, die Polizei brauchen und unterstützen wir. Da gibt es überhaupt kein Vertun. Aber wir wollen auch bitte schön nach ihrem Einsatzkonzept fragen dürfen."

Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll durch ein neues Bundesamt zur Gefahren- und Spionageabwehr ersetzt werden, das personell und strukturell abgegrenzt von polizeilichen Aufgaben arbeiten soll.

Ein weitergehender Vorschlag, den die grünen Innenexperten Irene Mihalic und Konstantin von Notz bereits auf der Dresdener Innenministerkonferenz kurz vor dem Parteitag gemacht hatten, setzte sich nur teilweise durch. Sie hatten gefordert, den gesamten Geheimdienst zu zentralisieren und zu stärken. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sollte die zentrale Spionage- und Überwachungsbehörde mit vier bis maximal sechs Außenstellen werden und alle Landesbehörden darin aufgehen.

Die Rücksichtslosigkeit, mit der die Grünen für die imperialistischen Interessen Deutschlands eintreten, ergibt sich aus den sozialen und politischen Wurzeln der Partei, die vor rund 40 Jahren aus der kleinbürgerlichen Friedens- und Protestbewegung entstand und wie keine andere die gehobenen Mittelschichten repräsentiert.

Der Chef der niederländischen Grünen, Jesse Klaver, sagte in seinem aufwendig inszenierten Gastauftritt: "Wir erleben das Ende der Ära der etablierten Parteien." Wohl unfreiwillig traf er damit den Punkt. In Deutschland gilt das auch für die Grünen.


Anmerkungen:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2011/04/grue-a07.html
[2] http://www.wsws.org/de/articles/2013/08/28/brum-a28.html
[3] http://www.wsws.org/de/articles/2017/06/14/afri-j14.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 20.06.2017
Die Grünen drängen an die Macht - egal mit wem
http://www.wsws.org/de/articles/2017/06/20/grue-j20.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2017

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