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GLEICHHEIT/6472: Rajoy kündigt Zwangsverwaltung für Katalonien an


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Rajoy kündigt Zwangsverwaltung für Katalonien an

Von Paul Mitchell
20. Oktober 2017


Die spanische Zentralregierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy (Partido Popular, PP) hat gestern beschlossen, Katalonien durch die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung unter Zwangsverwaltung zu stellen. Für den morgigen Samstag ist eine Sitzung des Ministerrates anberaumt, bei dem beraten werden soll, welche konkreten Maßnahmen zur Umsetzung des Artikels umgesetzt werden sollen. Das katalanische Regionalparlament in Barcelona wird voraussichtlich aufgelöst werden.

Mit der Anwendung des Artikels, von dem erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur Gebrauch gemacht wird, setzt die spanische Regierung ihren Konfrontationskurs mit den Separatisten fort. Die Anwendung des Artikels 155 wird allgemein als "nukleare Option" bezeichnet. Dabei wird die Regierung von Rajoy sowohl von den führenden EU-Staaten als auch von den Parteien im spanischen Parlament unterstützt. Am Rande des gestrigen EU-Gipfels in Brüssel erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Wir schauen da sehr genau hin und unterstützen die Position der spanischen Regierung, die ja auch eine Position ist, die parteiübergreifend eingenommen wird." Tatsächlich sprachen sich auch die Sozialistische Partei (PSOE) und die Ciudadanos für die Anwendung von Artikel 155 aus.

Rajoy reagierte auf den Ablauf eines Ultimatums gestern Vormittag, das er dem katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont in der vergangenen Woche gestellt hatte. Nachdem Puigdemont erklärt hatte, beim Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober habe sich die überwältigende Mehrheit für eine Abspaltung Kataloniens entschieden, hatte er dennoch vermieden, die Unabhängigkeit der Region explizit auszurufen. Puigdemont antwortete auf das Ultimatum mit einem Brief, in dem er auf Verhandlungen mit der Zentralregierung in Madrid bestand und mit der Ausrufung einer unabhängigen Republik Katalonien drohte, falls sie die bisherige Repression weiter fortführe.

Damit bezog sich Puigdemont auf die Inhaftierung der Führer der größten Separatistenorganisationen Kataloniens: Jordi Sànchez von der Katalanischen Nationalversammlung (Assemblea Nacional Catalana, ANC) und Jordi Cuixart von der Òmnium Cultural. Ihre Inhaftierung in dieser Woche wurde mit Demonstrationen überall in Katalonien beantwortet. Höhepunkt war eine 200.000 Menschen zählende Demonstration in Barcelona am Dienstagabend.

Mit der Inhaftierung von Jordi Sànchez und Jordi Cuixart werden zum ersten Mal seit der faschistischen Diktatur von General Francisco Franco in Spanien politische Häftlinge ins Gefängnis geworfen.

Für Samstagnachmittag sind Massendemonstrationen geplant, mit denen ihre Entlassung erzwungen werden soll. Im "Rat für Demokratie", dem 60 Organisationen angehören, darunter die ANC, Òmnium Cultural, die Gewerkschaften UGT und CCOO sowie die Unternehmer-Dachorganisationen CECOT und PIMEC, gibt es Gespräche über einen erneuten "nationalen Streik".

Sànchez und Cuixart wurden aufgrund von erfundenen Anklagepunkten wegen Volksverhetzung inhaftiert, für die ein Strafhöchstmaß von 15 Jahren vorgesehen ist. Man wirft ihnen vor, am 20. und 21. September Demonstrationen organisiert zu haben, mit denen versucht wurde, Polizeirazzien gegen Organisationen zu verhindern, die das katalanische Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober unterstützt haben.

Die Verhaftungen erfolgten nach mehreren Wochen anhaltender Unterdrückung durch die Regierung von Premierminister Rajoy. Katalanische Regierungsvertreter wurden verhaftet, unzählige Webseiten geschlossen, Millionen von Plakaten und Flugblättern konfisziert, Druckereien und Zeitungen durchsucht, Versammlungen verboten und Hunderte von Bürgermeistern mit Strafverfolgung bedroht, weil sie das Referendum unterstützt hatten.

Am 1. Oktober setzte die PP-Regierung dann zehntausende Polizisten bei dem vergeblichen Versuch ein, das Referendum zu verhindern. Die sozialen Medien waren voller Bilder mit Beamten der Guardia Civil, die mit Gewalt in Wahllokale eindrangen, die Wahlurnen an sich nahmen und auf friedliche und wehrlose Wähler einschlugen, von denen mehrere Hundert verletzt wurden. Eine nationalistische Law-and-Order-Hysterie wurde hochgepeitscht und rechtsradikale Demonstrationen wurden ermutigt.

Berichten zufolge wäre der nächste Schritt nach Anwendung von Artikel 155, Neuwahlen in Katalonien abzuhalten. Sie würden dann nicht wie üblicherweise von der regionalen Regierung durchgeführt, sondern unter der Kontrolle von Madrid. Ob es Parteien, die zur Unabhängigkeit aufrufen, erlaubt sein würde, daran teilzunehmen, wird zunehmend unwahrscheinlicher, da immer häufiger ihr Verbot gefordert wird.

Die Regierung spricht im Moment nicht offen von einer militärischen Intervention. Allerdings sind logistische Einheiten zur Unterstützung der nationalen Polizei und der Guardia Civil nach Katalonien entsandt worden, und es wurden von Militärvertretern Details eines Truppeneinsatzplans unter dem Codenamen "Kettenbrief" veröffentlicht.

Die ständigen Polizeimaßnahmen der PP-Regierung gegen Katalonien sind eine Warnung für Arbeiter und Jugendliche auf dem ganzen europäischen Kontinent und weltweit. Die PP-Regierung regiert das fünftgrößte angeblich demokratische kapitalistische Land in Europa. Dass die EU und auch die USA grünes Licht für die Unterdrückungsmethoden der PP geben, ist eine weitere Bestätigung dafür, dass die globale herrschende Elite keine Opposition gegen ihre konterrevolutionäre Sozialpolitik dulden wird.

Die Ereignisse in Katalonien werden zum Maßstab für die Herrschaft in ganz Europa werden.

Die PSOE und die Kommunistische Partei behaupten, das Land habe mit seiner bitteren Geschichte von Klassenkampf, Revolution und Diktatur im 20. Jahrhundert nach dem Tod von Franco im Jahr 1975 durch den "Übergang zur Demokratie" abgeschlossen. Aber die rasche Rückkehr solcher Unterdrückungsmaßnahmen in diesem Land ist ein anschauliches Zeichen für den Zusammenbruch der globalen kapitalistischen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die politische Lösung, die während des Übergangs zusammengebastelt wurde, ist zusammengebrochen. Die PSOE, die wichtigste Regierungspartei der spanischen herrschenden Elite in der Post-Franco-Ära, ist durch Jahrzehnte von Spar- und Kriegspolitik diskreditiert.

Entscheidend ist jetzt die politische Mobilisierung der gesamten spanischen und europäischen Arbeiterklasse im Kampf gegen die Rückkehr zum Polizeistaat und gegen jeden Versuch, die Armee zu mobilisieren.

Arbeiter und Jugendliche in Katalonien, in ganz Spanien und auf dem gesamten Kontinent müssen ein Ende der brutalen Unterdrückung in Katalonien fordern. Alle Soldaten und Regierungskräfte müssen aus Katalonien abgezogen und alle politischen Gefangenen sofort freigelassen werden.

Der Kampf gegen staatliche Unterdrückung kann nicht unter dem Patronat der herrschenden Parteien in Madrid oder der katalanischen Nationalisten geführt werden, die der Arbeiterklasse durch und durch feindlich gegenüberstehen.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale besteht darauf, dass die einzige wirksame Politik gegen die Gefahr von Krieg und Diktatur darin besteht, die Arbeiterklasse in Spanien und Europa im Kampf gegen den Kapitalismus und für die sozialistische Reorganisation der Gesellschaft zu vereinen. Das kann nur in einem revolutionären Kampf gegen alle Fraktionen der Bourgeoisie in Spanien erreicht werden, sei es in Madrid oder in Barcelona.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 20.10.2017
Rajoy kündigt Zwangsverwaltung für Katalonien an
http://www.wsws.org/de/articles/2017/10/20/kata-o20.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2017

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